Was ist der AKON? - Marcus [شفت] Schoft

A USGABE 22
A UGUST 201 3
INHALT
01 Was i st der
AKON?
02 Gas(t) spi el am
Bosporus
06 Syrer i n
Deutschl and
1 0 Der Rapper der
Revol uti on
1 3 Gi bt es
Pressefrei hei t
i m Arabi schen
Frühl i ng?
1 5 Semi narthemen
1 6 Erl angen. Master
Nahoststudi en
CHEFREDAKTION:
Fabi an
Schmi dmei er,
Fel i x Wi edeman n
A UTOREN:
Chri sti na
Gei sl er, Fabi an
Schmi dmei er,
Marcus Schoft,
Al exander Schul z,
Mari e- Sophi e
Werz, Fel i x
Wi edemann
L AYOUT: Cem
Cel i k, Karl
Fel secker, Fel i x
Wi edemann
KONTAKT:
i nfo@ak- ori ent. de
FACEBOOK- GRUPPE:
Bamberg/Ori ent
E DITORIAL
Was ist der AKON?
VON F ELIX WIEDEMANN
Bamberg, 29. 07. 2013
Nach fast drei Jahren ohne
neue Ausgaben muss diese Frage
leider gestellt werden. Der AKON ist
eine Publikation des AK Orient
Bamberg und wird von Studierenden
für Studierende geschrieben.
Er bietet Raum dafür, Kritik zu
äußern, über den letzten Auslandsaufenthalt zu berichten, eigene
Seminarund
Abschlussarbeiten
vorzustellen,
Informationen
zu
verbreiten, die auch für Eure
Kommilitonen interessant sind und
dafür, journalistische Erfahrungen zu
sammeln.
Nicht zuletzt soll der AKON
auch einer Präsentation des AK
Orient
und
des
Bamberger
Orientalistik-Studiums an anderen
Universitäten
und
in
anderen
Städten dienen.
Zu besten Zeiten wurde er einbis zweimal pro Semester herausgegeben. Er erscheint immer als pdfDokument. In dieser Form wird er
über den Verteiler des AK Orient
verbreitet und ist ab dieser Ausgabe
auch in der Facebook-Gruppe der
Bamberger Orientalistik (siehe links)
abrufbar. Außerdem liegen ein paar
gedruckte
Exemplare in der U11
aus.
Wer Interesse hat, sich für den
AKON zu engagieren, der ist herzlich
dazu aufgerufen, sich über die E-Mail
des AK Orient (siehe links) an uns zu
wenden oder einen der Chefredakteure direkt anzusprechen.
Nutzt den AKON, um Eure
Hausund
Abschlussarbeiten
vorzustellen. Manchmal gibt es auch
in einem so kleinen Institut Leute,
die Ihr noch nicht kennt und die zu
ähnlichen Themen forschen und
Arbeiten geschrieben haben. Durch
den AKON könnt Ihr Eure eigene
Arbeit anderen Studierenden (und
Dozenten) präsentieren, die diese
noch
nicht
gelesen
haben.
Auch wer sich mit Design
auskennt ist eingeladen sich beim
AKON zu engagieren.
Schreibt
über
Euren
Sprachkurs
in
Teheran
oder
Usbekistan, Euer Praktikum in Kairo,
Eure Reise in den Jemen. Jede
weitergegebene Erfahrung und jeder
zusätzliche Tipp, kann Neugierde
wecken und Euren Nachfolgern
einiges erleichtern.
In diesem Sinne: Meldet Euch
bei uns und bringt Euch ein!
Schöne Semesterferien wünscht
Euer AK Orient
REPORTAGE
Gas( t) - spiel am Bosporus
Istanbul, 10. 06. 2013
VON C HRISTINA G EISLER
“Geh an den Ort des Geschehens,
schließ deine Augen, ertaste deine
Umgebung, konzentriere dich auf das,
was du hörst, was du riechst. Wenn du
dann die Augen wieder öffnest, siehst du
die
Dinge
aus
einer
anderen
Perspektive.” Oft musste ich in den
vergangenen Tagen daran denken, wie
mir ein Kommilitone die beste Methode
zum Reportage-Schreiben schilderte.
Bewusstes Erleben. Momentaufnahmen.
Abspeichern.
29. Mai 2013:
Nach 11 Monaten ohne Istanbul
kehren Daria und ich endlich zurück in
unsere zweite Heimat. Die großflächigen
Baustellen lassen den Flughafenshuttle
einen langen Umweg nach Taksim
fahren. Wir passieren den mit Zelten
besetzten
und
Transparenten
geschmückten Gezi Parkı. Ich erinnere
mich an Facebook-Posts von unseren in
Istanbul lebenden, türkischen Freunden,
die sich darin gegen die Abholzung der
Bäume aussprechen. Es ist anders als
sonst, aber dennoch ein Hochgefühl,
wieder da zu sein. Unsere Mansarde für
die kommende Woche liegt zwei
Parallelstraßen zur Istiklal, zwischen den
Ausgehvierteln Nevizade und Küçük
Beyoğlu. Nur 2 Gehminuten von der
längsten
Einkaufsstraße
Europas
entfernt und 7 von Taksim – purer Luxus.
Ein paar Tage nach meiner
Rückkehr aus der Türkei auf meiner
sonnigen Terrasse an einem der wohl
friedlichsten Orte Bayerns. Angestrengt
versuche ich, meine Gedanken zu
sortieren
und
die
gesammelten
Eindrücke in Worte zu fassen. Das, was
ich in meiner Erinnerung sehe, fühle und
schmecke ist in mir so präsent und
scheint aus der räumlichen Distanz doch
so weit weg. Nur langsam setzen sich die
Impressionen der vergangenen Woche
sinnvoll zusammen. Istanbul… seit
unserer ersten Begegnung 2009 habe ich
schon so einige skurrile Situationen und
politische Prozesse miterleben dürfen.
Dass
ich
jedoch
ein
derartig
einschneidendes Ereignis der türkischen
Republik-Geschichte zufällig abpassen
würde, wäre mir nie in den Sinn
gekommen.
2
31. Mai 2013:
Früher Abend eines sonnig warmen
Freitags. Wir schlendern über die
Galatabrücke in Richtung der Wohnung,
als uns die SMS meines ehemaligen
Mitbewohners Emir erreicht.
“Hey girls, are you ok? Please don’t go out
tonight. There are going to be riots in Taksim.
It will be very dangerous on the streets. Call
me if you need anything and take care of
you. ”
wie
etliche
Verkäufer
sogar
ihre
Schaufensterware
verräumen.
Anspannung liegt in der Luft. Weder die
Gruppen, die uns entgegenkommen,
noch die immer unruhiger werdende
Atmosphäre
geben
uns
Aufschluss
darüber, was genau vor sich geht. Kann
es sein, dass die Türken tatsächlich für
die Erhaltung eines Stadtparks auf die
Straße gehen? So viele? Sind das nicht
dieselben,
die
sogar
die
unter
Naturschutz
stehende
Prinzeninsel
Heybeliada im Marmarameer nach dem
Picknicken vermüllt zurücklassen? Wir
fragen andere Umherstehende und
bekommen die Aussage, die später in
nahezu jedem Artikel auftauchen wird:
“Ja, wir sind wegen dem Gezi Parkı da, aber
eigentlich hat der nur das Fass zum
Überlaufen gebracht. ”
Von
überall
her
kommen
Verbündete. Mal beginnt einer zu
klatschen und zu jubeln und alle
stimmen mit ein. Dann schreit auf
einmal jemand los und alle schreien mit.
Neben uns taucht ein Mann mit
Atemschutz auf. Sein halbes Gesicht ist
mit einer weißen Flüssigkeit verschmiert.
Eine Frau folgt ihm mit Schwimmbrille.
Ich stehe am Eingang einer Nebenstraße
und halte meine Kamera über die
faszinierend
große
Menschenansammlung, als einer losrennt – und
alle mitrennen. Auf uns zu und ab in die
Nebenstraße. Der natürliche Instinkt ist
aktiviert: Hinterher, Hauptsache weg! Ich
suche
nach
Darias
Hand.
Ein
undefinierbarer Knall. Und wieder Jubel,
Klatschen, Schreien, Buhen. Menschenmassen
haben
eine
gewaltige
Noch haben wir keine Vorstellung
davon, um was es sich bei den
Ausschreitungen handeln könnte. Ich bin
leicht verwirrt. In den etwas mehr als
zwei Jahren, seit ich Emir kenne, hat er
mich kein einziges Mal darum gebeten,
das Haus nicht zu verlassen. Und schon
gar nicht an einem Freitagabend in einer
der wohl aufregendsten Metropolen der
Welt. Wir erklimmen eine der steilen
Gassen um den Galataturm, die in die
Istiklal Caddesi münden und fragen uns,
was Emir gemeint haben könnte. Oben
angekommen, schließen bereits viele
Läden. 19 Uhr, eine sehr unübliche Zeit,
um Feierabend zu machen in einer Stadt,
die nur selten schläft. Daria entdeckt,
3
Eigendynamik, die uns verunsichert.
Wenn das hier eskaliert, liegt man
schneller auf dem Pflaster als man daran
denken
kann,
wegzulaufen.
Wir
beschließen, nach Hause zu gehen,
bahnen uns einen Weg durch die Menge,
in der sich vermummte Gestalten unter
Fluchen Taschentücher und Zitronenscheiben an die Augen pressen. Wenige
Ecken weiter liegt unsere Gasse ganz
ruhig und friedlich da, dabei sind wir nur
durch ein paar Gebäude von den
Geschehnissen getrennt. In der Sitzecke
unserer Wohnung verharren wir für
Stunden,
lauschen
dem
Knattern
rotierender Hubschrauber, gemischt mit
unbekanntem Donnern und stets heftiger
werdenden Sprechchören von draußen.
Sie fordern den Rücktritt der Regierung,
den Rücktritt Tayyip Erdoğans, den
gemeinsamen
Widerstand
gegen
Faschismus. Es ist ziemlich rasch klar,
dass etwas Großes begonnen haben
muss. Als ich die SMS eines Freundes
erhalte, den ich an diesem Abend nach
langer Zeit endlich wiedertreffen sollte,
wird uns bewusst, dass nicht nur er sich
inmitten des Chaos befindet, das wir
zwar hören, aber von dem wir aus dem
5. Stock der Seitengasse nichts außer
Suchscheinwerfer der Helikopter sehen
können.
während wir nutzlos im sicheren Heim
herumhocken. Unser Wasser geht zur
Neige, wir hätten noch einkaufen gehen
sollen. Rauchen eine nach der anderen.
Schrecken
bei
jedem
Krachen
zusammen. Sind das echte Schüsse?
Ungewissheit kann einen wahnsinnig
machen. Die spärliche, aber dafür umso
erschreckendere Berichterstattung im
kaum funktionierenden und ständig
aussetzenden Internet macht es nicht
besser. Das Zwiegespräch reicht uns
nicht
mehr
aus.
Wir
beginnen
Informationen zu sammeln und auf
Facebook zusammenzutragen. Erlösende
Nachricht im Morgengrauen:
“Wir sind zuhause. Hoffe, wir sehen uns
morgen. ”
Erleichterung. Jetzt finden auch wir
endlich Schlaf.
1. J uni 2013:
Der folgende Tag gleicht einem
schlechten Film. Die Stadt ist nicht
wiederzuerkennen, die Prachtstraße Rue
de Pera gezeichnet von Verwüstung und
Zerstörung. Man trägt Mundschutz,
Gasmaske oder zumindest einen Schal,
um sich vor dem beißenden Gasnebel zu
schützen. Trotzdem bleibt einem die Luft
weg wenn man erst mal in der Wolke
steht. Oder ihr – soweit möglich – zu
entkommen versucht. Ich muss an die
Videospiele denken, in denen man aus
der Perspektive eines Kämpfers durch
Gassen irrt und einen Ausweg sucht. Was
erwartet uns hinter der nächsten Ecke?
Eine Straßensperre aus Menschenkörpern
dicht
aneinandergedrängter
“Sorry, sind in Taksim. ”
Die Bilder der Realität, die uns
wegen
der
schlechten
Aussicht
verborgen bleiben, finden ihren Ersatz in
Phantasieszenarien,
die
durch
die
fremde Geräuschkulisse genährt werden.
Sorge ist kein zulänglicher Ausdruck.
Unsere Freunde sind da draußen
4
Polizisten. Demonstranten, die Barrikaden errichten. Fliegende Gegenstände.
Platzende Flugkörper, aus denen Gas
strömt. Freiwillige in weißen Kitteln, die
uns Zitronenstücke reichen und die
milchige Lotion aus Wasser und einem
Medikament
gegen
Säure
in
die
aufgehaltenen Handflächen spritzen,
damit wir uns die Augen auswaschen
können.
Konturen der passierenden, bewaffneten
Polizisten brechen. Gestern saßen wir
hier noch bei hausgemachter Limonade
und haben uns mit der netten
Amerikanerin
vom
Nebentisch
unterhalten während die Café-Katze
zusammengerollt neben uns lag und
schnurrte. Die Situation wirkt surreal und
ist zu abgefahren, um sie rekonstruieren
zu können. Wie es so weit kommen
konnte, dass wir uns jetzt, keine 24
Stunden später, vor der Staatsgewalt
verstecken müssen? Das versteht hier
wohl keiner so richtig. Kurz darauf wird
das
Café
geschlossen.
“Tut euch was weh? Seid ihr verletzt?” Und
immer wieder rennt einer los – und die
meisten hinterher.
“Was sollen wir jetzt tun, Ali?” — “Go home!”
Die Fortsetzung von Christina Geislers
Reportage
ist
unter
www.marcusschoft.de/gastspiel-am-bosporus auf Marcus
Schofts Blog zu lesen.
Christina studierte bis 2011 in Bamberg
Islamischer Orient und Kommunikationswissenschaft. Während ihres Studiums war
sie längere Zeit in Istanbul und arbeitete dort
am Orient Institut sowie für die ARD. Zur Zeit
absolviert sie einen Master in Management
und Innovation in Journalismus und Medien in
Eichstätt. In ihrer Master-Arbeit plant sie
anhand
der
Gezi-Park-Proteste
herauszufinden, inwiefern sich Bürgerjournalismus und die Berichterstattung der
öffentlich-rechtlichen Medien unterschieden
und ob dies darauf zurückzuführen ist, dass
auch deutsche Journalisten in einem Land mit
geringer Pressefreiheit gewissen Einschränkungen unterliegen.
Jedes Geräusch wird versucht zu
identifizieren und lokalisieren. Beim
Anblick der Geschosse, die die Polizisten
mit sich herumtragen, kommen einem
schlimmste Befürchtungen in den Sinn.
Wir folgen einem Demonstrantenstrom
durch Cihangir, der von Bewohnern des
Viertels durch Zurufe und klirrende
Schläge auf Küchenutensilien angetrieben wird. Gerade erreichen wir das
kleine Café, in dem unser Freund Ali
aushilft,
als
wir
bereits
hektisch
hineingetrieben werden. Auf dem Boden
kauernd blicken wir durch die Schlitze
des heruntergelassenen Ladenrollos,
durch das sich das Sonnenlicht und die
© für alle Photos: Christina Geisler
5
BA- ARBEIT
Syrer in Deutschland - Schlagabtausch im Exil
VON F ABIAN S CHMIDMEIER
sagen, der konnte Karriere machen und
aufsteigen. "Aber wir Sunniten wurden
systematisch
benachteiligt",
ergänzt
Nadhiya.
Bonn, 27. 08. 2012
Nicht nur in ihrer Heimat, sondern
auch im deutschen Exil sind die Syrer
gespalten, was ihre Haltung zum AssadRegime betrifft. Für viele bedeutet das Exil
eine Art Mikrokosmos der rivalisierenden
Konfessionen und Interessensgruppen. Fabian
Schmidmeier hat sich umgehört.
Das wiederkehrende Trauma von Hama
Diese Benachteiligung gipfelte in
einem Aufstand der Muslimbrüder in
Hama im Jahre 1982, der von Hafiz AlAssad blutig niedergeschlagen wurde.
Schätzungsweise
bis
zu
30.000
Menschen wurden dabei getötet. Danach
herrschte
im
Land
eine
Art
Friedhofsruhe.
Häufig winken in Deutschland
lebende Syrer schnell ab, wenn sie auf
die
Situation
in
ihrer
Heimat
angesprochen werden. Die wenigsten
sind bereit, sich frei zu äußern – oftmals
aus
Angst
vor
dem
syrischen
Geheimdienst, der auch in Deutschland
ein Netz von Agenten unterhält und die
Opposition im Exil ausspäht.
"Bitte ohne Namen und lieber
keine Fotos", meint Nadhiya (53), die aus
Aleppo stammt, seit 23 Jahren in
Deutschland lebt und sich selbst in
einem westlichen Land nicht sicher fühlt.
Als sie noch in Syrien lebte, war Baschar
al-Assads Vater, Hafiz al-Assad, noch an
der Macht.
Doch seit den Ereignissen in
Tunesien begannen auch die Menschen
in Syrien neuen Mut zu fassen und auf
die Straße zu gehen. Nadhiya hatte sich
gefreut, als sie davon erfuhr und intensiv
mit ihrer Familie diskutiert: "Endlich
hatte ein arabisches Land angefangen,
gegen einen diktatorischen Machthaber
aufzubegehren. Das wünschten wir uns
auch. Nun gibt es wieder Gewalt." Vieles
erinnert in diesen Tagen wieder an das
Massaker von Hama.
Schon damals konnte man in
Syrien nicht das sagen, was man dachte:
"In Syrien gab es keine Meinungsfreiheit.
Schon unter Hafiz al-Assad hatten wir
Angst, überall war der Geheimdienst
zugegen. Wenn man sich kritisch
äußerte, dann haben sie einen sofort
verhaftet."
Wer
dagegen
darauf
verzichtete, seine Meinung offen zu
Muhammad (27), der wie Nadhiya
aus Aleppo kommt und seit zwei Jahren
in Deutschland Kunst studiert, kann sich
noch genau an die Anfänge der Proteste
erinnern. "Anfangs habe ich gedacht,
dass das in Syrien nicht möglicht ist. Alle
hatten
Angst."
Dann
kamen
die
Demonstrationen
in
Tunesien
und
Jugendliche in Daraa sprühten Parolen
6
gegen das Regime an die Wände. Jene
wurden
vom
Sicherheitsapparat
festgenommen
und
tagelang
festgehalten.
Forderungen nach politischen Reformen
gewartet: "Hätte er versichert, den
Vorfall zu untersuchen, Neuwahlen
angekündigt
und
die
Notstandsgesetzgebung abgeschafft, dann hätten
ihn die meisten wohl noch unterstützt.
Ich wahrscheinlich auch." Ob Assad die
Möglichkeit hatte, die Proteste zu
tolerieren, anstatt sie zu unterdrücken?
"Definitiv", meint Muhammad, "Es war
dumm und arrogant von Assad, die
Demonstranten von vornherein als
Terroristen
zu
bezeichnen."
Bei den Berichten, was dann
passierte,
gehen
die
Meinungen
auseinander. Es gibt hier zwei Versionen.
Die eine des Regimes und die der
Aktivisten. Von offizieller Seite wurde
den Jugendlichen, allen voran dem 13jährigen Hamza al-Khatib, vorgeworfen,
die Frauen von Soldaten vergewaltigen
zu wollen. Nadhiya entgegnet hierbei
fassungslos: "Das waren doch nur
Kinder! Die wollten niemandem etwas
Böses antun. Es waren lediglich Parolen
für mehr Demokratie und Freiheit." Zum
Schutz der Zivilisten sei dann die Freie
Syrische
Armee
durch
desertierte
Soldaten gegründet worden, auf welche
die Armee zu schießen begonnen habe.
Assads
Kriegserklärung
eigene Volk
an
Assad als Reformer, wie vom
Westen zunächst angenommen? "Ja. Wir
haben das gehofft. Aber so? Mit Blut und
Gewalt?" Nach und nach sei der Konflikt
eskaliert.
Auf
den
Terror
der
regimetreuen Shabiha-Milizen habe die
neue Freie Syrische Armee mit Angriffen
reagiert. "Besonders in der Stadt Idlib
war der Terror der Shabiha schlimm",
betont Muhammad.
das
Der
aus
einem
alawitischen
Grenzort stammende Student Hassan
widerspricht
solchen
Darstellungen
energisch. Er hegt keinerlei Sympathie
für die Revolution: "Die Kämpfer der
sogenannten Freie Syrischen Armee sind
für mich die wahren Terroristen, die
Verbindungen zu al-Qaida haben. Diese
Salafisten
wollen
doch
keine
Demokratie!" Er stehe nach wie vor zu
Baschar al-Assad: "Das sind doch alles
Lügen, was die westlichen Medien über
Gräueltaten verbreiten!", so Hassan.
Die Anhänger des Regimes sehen in der
Freien
Syrischen
Armee
keine
Freiheitskämpfer. Für sie gibt es keine
Revolution
gegen
Assad.
Vielmehr
Muhammads Ansichten passen
nicht zu der offiziellen Version der
syrischen Behörden: "Bei diesem Vorfall
erkennt man die Brutalität des Regimes.
Hamza al-Khatib wurde verhaftet. Eine
Woche später konnte die Familie den
Leichnam abholen. Man hatte ihm den
Penis abgeschnitten und in den Kopf
geschossen." Dieser Mord an Hamza alKhatib sei ein Wendepunkt gewesen, bei
dem
sich
die
Einstellung
vieler
Demonstranten verändert habe.
Dabei hätten Muhammad und
seine Bekannten noch anfangs auf eine
Reaktion von Baschar al-Assad auf die
7
handele es sich hierbei um eine
"ausländische Verschwörung", um Syrien
zu destabilisieren. "Die wollen keinen
Frieden, sondern nur Chaos stiften, um
die
schiitische
Achse
Iran-SyrienHisbollah zu zerstören", so Hassan. "Es
ist doch ein Witz, dass ausgerechnet
Saudi-Arabien Demokratie für Syrien
fordert. Dort werden die Schiiten
unterdrückt und der Westen sagt nichts."
in Aleppo sind die Salafisten sehr aktiv.
Sie dominieren die Einheitsbrigade in
Aleppo. Ich bin zwar für den Sturz des
Regimes, aber auch gegen die Salafisten.
Und ich glaube, die Mehrheit der Syrer
denkt da so wie ich." Er wird noch
konkreter:
"Die
Shabiha
und
die
Profiteure des Regimes haben durch ihr
grausames Vorgehen einen konfessionell
gefärbten Krieg entfesselt. Oft geht es
nur noch um Schiiten oder Alawiten
gegen Sunniten."
Die salafistische Gefahr
Die 22-jährige Fadwa studiert
Islamwissenschaften. Die Ansichten der
Assad-Anhänger, die es an jeder
Universität auch in Deutschland gibt,
sind ihrer Meinung nach unhaltbar: "Der
Aufstand wird vom gesamten syrischen
Volk getragen. Es gibt auch Alawiten und
Christen, die gegen Assad Position
beziehen." Sie räumt aber auch ein, dass
in Syrien mittlerweile auch die Salafisten
aktiv sind.
Muhammad ist sich aber auch
sicher, viele Schiiten und Christen
unterstützten Assad nur aus Angst: "Ein
guter Freund von mir, der Schiit ist, hat
zu mir gesagt: 'Die schicken uns in den
Iran, wenn Assad fällt!' Auch meine
christlichen Bekannten haben Angst vor
dem, was kommen könnte."
Hassan fürchtet sich vor einer
Zukunft ohne Baschar al-Assad und die
Baath-Partei: "Die Terroristen wollen alle
Alawiten massakrieren. Klar gibt es eine
alawitische Mehrheit innerhalb des
Militärs. Aber dort gibt es auch Christen
und Sunniten." Er möchte zwar auch,
"dass alle wieder wie früher friedlich
zusammenleben.
Aber
unter
der
Herrschaft Baschar al-Assad, der seine
Reformen
nur
nicht
wegen
der
Terroristen umsetzen konnte."
Als Beispiel benennt Nadhiya eine
Kampfeinheit aus ihrer Heimatstadt
Aleppo:
"Es
gibt
dort
diese
'Einheitsbrigade'.
Da
sind
auch
Islamisten dabei, aber sie spielen
allgemein keine große Rolle. Vielmehr
wirken dort Studentengruppen und
andere Aktivisten mit." Fadwa hält es
zwar für möglich, dass es Salafisten und
al-Qaida-Anhänger
unter
den
Aufständischen gibt, "aber die werden
nur akzeptiert, um Assad zu stürzen.
Nach dem Sturz wird sie keiner mehr
wollen, die Syrer sind nicht dumm."
Der steinige Weg zur Demokratie
Was die Zukunft betrifft, so sind
sich die meisten Syrer in Deutschland
einig:
"Wir
wollen
Demokratie!"
Interessant ist hierbei, dass alle von
Freiheit und friedlichem Miteinander
Obwohl Muhammad die Revolution
unterstützt, sieht er das anders: "Gerade
8
sprechen. Assad-Gegner wie -Sympathisanten. Auch Fadwa stimmt dem zu:
"Ich wünsche mir eine echte Demokratie
mit Meinungsfreiheit, wo man endlich
auch
Kritik
äußern
kann
ohne
weggesperrt
zu
werden.
Aber
Hauptsache Baschar ist erst einmal
weg!"
Fabian Schmidmeier ist 23 Jahre alt und
studiert seit sechs Semestern den 3-FachBachelor-Studiengang Islamischer Orient,
Germanistik und Judaistik an der OttoFriedrich Universität. Neben dem Studium ist
er freier Journalist und betreibt das BlogProjekt www.derorient.com.
Ob es überhaupt möglich sei,
Demokratie in einem Land wie Syrien zu
etablieren? Für Muhammad ist diese
Frage nicht leicht zu beantworten: "Ich
will weder einen Einparteienstaat noch
die Salafisten. Ich wünsche mir ein
Syrien, wo Sunniten, Schiiten, Drusen,
Alawiten und Christen gleichberechtigt
zusammenleben. Jeder sollte das Recht
haben Präsident werden zu können, egal
welcher Konfession er angehört. Eine
Demokratie nach westlichem Vorbild ist
sehr schwierig. Aber wie in Tunesien oder
vielleicht in der Türkei, das ist definitiv
möglich."
Dieser Artikel erschien bereits am 27. August
2012 im Rahmen eines Praktikums bei der
Redaktion Qantara der Deutschen Welle. In
der
Zwischenzeit
haben
sich
die
Kräfteverhältnisse in Syrien nachhaltig
verändert. So ist auch der Einfluss der
Islamisten innerhalb der syrischen Opposition
und die Präsenz von al-Qaida im
Bürgerkriegsland im vergangenen Jahr
erheblich gestiegen.
Abrufbar ist der Artikel unter folgender URL:
http://de.qantara.de/Schlagabtausch-imExil/19703c20990i0p498/index.html
9
BA- ARBEIT
Der Rapper der Revolution
VON F ELIX WIEDEMANN
Bamberg, 25. 06. 2013
«Tunisia
arrests
blogger
and
rapper» titelte Al Jazeera am 7. Januar
2011,
kurz
nach
Ausbruch
des
«Arabischen Frühlings» in Tunesien. In
dem Artikel wird über die Verhaftung des
Rappers El Général berichtet, der kurz
zuvor
den
Song
«Rayes
lebled»
veröffentlicht hatte. Weshalb schätzte
das Regime Ben Alis den Rapper als so
gefährlich ein, dass es notwendig
erschien, ihn zu verhaften? Um zu
verstehen, warum El Général, der sich
als patriotischer Tunesier und gläubiger
Muslim inszeniert, auch in anderen
arabischen Ländern als Symbol des
Widerstands
wahrgenommen
wird,
beschäftigte
ich
mich
in
meiner
Bachelorarbeit unter dem Titel «Der
Rapper El Général im Prisma der
Identitätsproblematik» mit diesen und
ähnlichen Fragestellungen.
Nationale und internationale
Verbreitung
El Général wird 1990 in Sfax,
Tunesien, in einer mittelständischen und
religiösen Familie geboren. Er studiert
Pharmazie, sieht allerdings wegen der
herrschenden
Korruption
und
Arbeitslosigkeit keine Perspektiven und
versucht,
illegal
nach
Europa
zu
gelangen. Als er daran scheitert, wendet
er sich dem Rap zu und veröffentlicht die
ersten Songs. Er orientiert sich an Tupac,
Eminem, dem Algerier Lotfi Double
10
Kanon und dem Franzosen Kery James.
Rasch wird seine Konzentration auf
politische Themen und die Verteidigung
des seiner Meinung nach angegriffenen
Islams deutlich. Noch vor der Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Muḥammad Bouazizi, die die
tunesische Revolution auslöst, postet
El Général «Rayes lebled» auf Facebook.
Das Lied wird in einer tunesischen
Onlinezeitung
und
bei
al-Jazeera
vorgestellt und findet sowohl national als
auch international Verbreitung. Daraufhin
wird
das
Regime
auf
ihn
aufmerksam, verbietet «Rayes lebled»
und sperrt El Générals MySpace- und
Facebookseiten. Nachdem der Rapper
mit «Tounes bledna» ein weiteres
systemkritisches
Lied
veröffentlicht,
stehen am 6. Januar 2011 dreißig
Polizisten vor seiner Türe und schaffen
ihn ins Innenministerium in Tunis.
Mittlerweile
ist
El
Générals
Anhängerschaft aber so groß, dass es zu
Demonstrationen kommt, auf welchen
seine Freilassung gefordert wird. Das
Regime gibt dem Druck der Strasse drei
Tage später nach. Inzwischen sind El
Générals Songs auch in anderen
arabischen Ländern zu Hymnen der
Protestbewegungen geworden. Wenig
später löst Ben Ali die tunesische
Regierung auf und setzt sich nach SaudiArabien ab.
Das Sprachrohr Tunesiens
In El Générals Liedern lassen sich
unterschiedliche
«Identitätsbausteine»
ausmachen. El Général ist gleichzeitig
Muslim, Rapper, Tunesier, Araber, junger
Erwachsener, Rebell und Mann. Durch
Betonung verschiedener Aspekte seiner
Identität gelingt es ihm, unterschiedliche
Personengruppen
anzusprechen
und
Gemeinsamkeiten zu diesen herzustellen. In «Tahya Tounes» betont der
Rapper etwa stark das Wir-Gefühl unter
Tunesiern, welche sich «Hand in Hand»
für ihr Land einsetzen sollen. Weiter
spricht er davon, dass er Tunesien
«verteidigen» wird, lässt die Märtyrer der
Revolution hochleben. Dabei betont er,
dass er «im Namen des tyrannisierten
Volkes»
spreche
(Die
Rolle
des
Sprachrohrs einer Gemeinde ist typisch
für das Genre des Conscious Rap.)
Seine
Identität
als
Muslim
bekräftigt El Général durch Verwendung
von islamischem Vokabular. Er vermeidet
Vulgärsprache, kritisiert Moralverfall und
plädiert für einen Rückbezug zum
Glauben.
Dieser
solle
Nationen
übergreifend stattfinden und somit zur
Wiedervereinigung der Umma, der
islamischen Gemeinde, führen. Mehrfach
wird Bezug auf Märtyrer und den Kampf
für den Glauben genommen.
Demzufolge sind in El Générals
Texten nicht nur nationale Themen
erkennbar. Immer wieder argumentiert
der
Rapper
auch
auf
einer
transnationalen Ebene, wenn er sich für
die
angesprochene
Einheit
der
arabischen Länder ausspricht und dafür
11
plädiert, den Nahostkonflikt im vereinten
Kampf zu lösen. Diese Dimension wird
insbesondere in «Direction Filastin»
deutlich.
Ausdruck von Männlichkeit
Die nun ausgebreiteten, unterschiedlichsten Identitätsbausteine lassen
sich zu einem Ganzen zusammenfügen.
Eine
mögliche
Interpretation
wäre
dahingehend zu versuchen, El Générals
Sozialkritik, die offensiv geäußerte
Religiosität, die Wahl des Raps als
Medium und die Selbstdarstellung als
Revolutionär und Kämpfer für das
tunesische
Volk
als
«crisis
in
masculinity» (Ela Greenberg, Making
Men Through Hip Hop in Jerusalem’s
Shu’afat Refugee Camp, 2011) zu
betrachten: Durch seine gesellschaftliche
Position fühlt sich El Général in seiner
Männlichkeit angegriffen. Selbst eine
gute Ausbildung würde ihm durch die
herrschende
Korruption
und
Vetternwirtschaft in Tunesien nicht
garantieren, dass er später eine Familie
ernähren
kann.
Die
männliche
Versorgerrolle ist dadurch gefährdet.
Hinzu kommt, dass ein Protest
gegen die herrschenden Verhältnisse
kaum möglich ist, ohne drastische
Strafen durch das Regime zu befürchten.
Der Beweis von Männlichkeit durch den
kämpfenden Einsatz für eine Sache, wird
somit verhindert. El Général wählt den
Rap als Ausdrucksform, um sich seiner
eigenen Männlichkeit zu versichern.
Dadurch
kann
er
sich
als
Widerstandskämpfer inszenieren, ohne
selbst zu viel zu riskieren (Die
Reaktionen des Regimes werden erst
dann drastisch, als seine Bekanntheit
stark angestiegen ist). Der Rap erlaubt El
Général durch die Verwendung von
Dialekt
und
Strassensprache
eine
Darstellung «männlicher Härte», welche
ihm traditionelle Musikgenres so nicht
ermöglichen würden. Das wirkliche
Kämpfen als Glaubenskrieger, wird im
Rap durch die Selbstdarstellung als
solcher, als Muǧāhid, ersetzt. Die dabei
vorgespielte islamistische Einstellung ist
nicht
wortwörtlich
zu
betrachten,
sondern dient der Konstruktion von
«männlicher Gefährlichkeit», die bei
anderen Rappern durch das Bild des
Gangsters erreicht wird. Letzteres würde
im tunesischen Kontext jedoch nicht
authentisch wirken.
Viel Forschungsbedarf
Wie gelang es El Général, seine
tunesischen Landsleute in diesem Masse
zu motivieren, dass diese unter Einsatz
ihres Lebens für die Freilassung des
Rappers eintraten? Was machte seine
Lieder zum Symbol des nationalen
Widerstands, mit dem sich auch Araber
anderer
Nationalitäten
identifizieren
konnten?
Liegt
in
El
Générals
Selbstdarstellung
als
muslimischer
Rapper ein Widerspruch? Wie sind
aggressiv-islamistische
Textzeilen
einzuordnen? Was motivierte letztendlich
den jungen Ḥamada Ibn 'Amr dazu, sich
in El Général zu verwandeln und
rappend seine Unzufriedenheit mit dem
Status quo auszudrücken? In meiner
Bachelorarbeit versuchte ich Antworten
auf
diese
Fragen
zu
finden.
Der arabische Rap ist insgesamt ein
12
noch kaum erforschtes Feld. Es mangelt
an musikwissenschaftlichen Arbeiten,
Intertextualität wurde bisher kaum
betrachtet und im Bereich Rapvideos
besteht ebenso Forschungsbedarf. Diese
Arbeit will einen kleinen Beitrag dazu
leisten, den arabischen Rap greifbarer zu
machen.
Felix Wiedemanns obenstehende Artikel
erschien zuerst auf der Seite des Network for
Local and Global Sounds and Media Culture .
Abrufbar ist er unter www.norient.com/
academic/elgeneral
An gleicher Stelle findet sich auch ein Link
zum Download der BA-Arbeit.
Felix
studierte
Islamischer
Orient,
Angewandte Informatik und BWL in Bamberg.
Mehrere Auslandsaufenthalte führten ihn
unter anderem nach Fès, Damaskus, Paris,
Ramallah, Kairo und Teheran . Derzeit befindet
er sich in Bamberg und studiert im Master
Arabistik.
I NTERVIEW
Gibt es Pressefreiheit im Arabischen Frühling?
VON M ARCUS S CHOFT
Amman, 22. 05. 2013
Durch die neuen Medien wie
Twitter, Facebook und YouTube lernen
arabische Studenten, was Pressefreiheit
bedeutet. “Und sie lieben es”, versichert
Dr. Matt J. Duffy (@mattjduffy). Einige
Jahre
hat
der
Privatdozent
der
Universität Georgia in Abu Dhabi
Journalismus gelehrt, wurde dann aber
des
Landes
verwiesen.
Beim
Internationalen Journalistentreffen (IPI
World Congress) in Amman diskutierte er
mit der ägyptischen Journalistin Abeer
Saady
und
ihrem
arabischamerikanischen Kollegen Ahmed ShihabEldin über die Rolle von Medien und
Pressefreiheit im Arabischen Frühling.
Eines
der
größten
Probleme
des
arabischen Journalismus sieht Duffy
dabei
in
der
Ausbildung
junger
arabischer
Journalisten.
In
einem
Interview am Rande der Konferenz
spricht
er
über
die
arabische
Journalistenausbildung
und
das
arabische Erwachen. Denn von Frühling
will er noch nicht reden.
Mehr als 300 Journalisten – darunter
viele arabische – kamen zu der Konferenz
nach Amman und haben sich in den
vergangenen Tagen ausgetauscht. Was
haben sie von ihren arabischen Kollegen über
den arabischen Frühling gelernt?
Ich würde nicht von einem
arabischen Frühling sprechen. Wir sollten
lieber den Begriff verwenden, den auch
13
die arabischen Journalisten benutzen:
Das arabische Erwachen. Denn der
Prozess ist noch nicht vorbei. Er
geschieht gerade im Moment und er wird
seine Zeit brauchen, wenn wir zum
Beispiel nach Ägypten schauen. Ich bin
da immer noch optimistisch. Die Dinge
die dort gerade passieren sind Dinge, die
durchgestanden werden müssen. Auch
die USA haben das durchgestanden. Und
auch Deutschland. Was nötig ist, ist eine
öffentliche
Diskussion
in
der
Gesellschaft. Und zwar über das, was
toleriert
wird,
und
was
nicht.
Für eine öffentliche Diskussion ist ein
funktionierendes
Mediensystem
und
Pressefreiheit nötig. Doch seit dem Beginn
der Revolution häufen sich die Berichte über
mangelnde Presse- und Meinungsfreiheit.
Journalisten werden verfolgt, verhaftet und
an ihrer Arbeit gehindert. Für viele sieht es so
aus, als sei alles nur noch schlimmer
geworden.
Nein
nicht
alles
ist
schlimmer
geworden. Zum Beispiel im Yemen: Ich
habe während der Konferenz mit einem
Journalisten aus dem Yemen gesprochen
und er hat mir von Pressefreiheit in
seinem Land erzählt. Weil es im Yemen
sehr chaotisch ist, gibt es anscheinen ein
bisschen Pressefreiheit. Alle sind besorgt
über Explosionen und wer als nächstes
gefangen genommen wird, aber die
Medien arbeiten dabei unter relativer
Straflosigkeit. Und das ist eine gute
Sache.
Für ein gutes Mediensystem braucht
es vor allem Journalisten. Gibt es überhaupt
so etwas wie Journalistenausbildung in den
Golfstaaten?
Natürlich.
Es
gibt
hunderte
Ausbildungsprogramme für Journalisten,
zum Beispiel in den Vereinten Arabischen
Emiraten oder Saudiarabien. Aber die
Frage ist: Was wird da gelehrt? Wird dort
gelehrt, wie man eine Kamera hält? Oder
wird da gelehrt, wie Fotos von den
Herrschern gemacht werden, so dass
diese möglichst prächtig aussehen? Die
Antwort ist: Sie lehren nicht die
international anerkannten Prinzipien des
Journalismus. Zumindest nicht nach den
Maßstäben, wie sie an westlichen
Schulen gelehrt werden. oder auch an
südkoreanische,
japanischen
oder
chilenischen Schulen. Ich habe selbst in
den Vereinten Arabischen Eiraten die
Prinzipien des Journalismus gelehrt.
Deshalb wurde mein Vertrag nach zwei
Jahren nicht mehr verlängert und ich
musste ausreisen.
Was waren Ihre Erfahrungen als
Journalistikdozent in den Emiraten? Gibt es
14
Was waren Ihre Erfahrungen als
Journalistikdozent in den Emiraten? Gibt es
überhaupt ein Interesse von jungen
Studenten am Journalismus und Pressefreiheit?
Auf der einen Seite sagen die
Emiratis, dass sie eine Ausbildung nach
internationalen Standards haben wollen.
Aber in Wahrheit stellt sich heraus, dass
sie das keineswegs wollen. Was sie
wollen ist, dass Journalismus so gelehrt
wird, wie er gerade im Moment auch
praktiziert wird. Und das ist wenig
kritisch und ohne die Mächtigen zu
kontrollieren. Es gibt aber dennoch viele
Studenten,
die
über
Twitter
und
Facebook mit der westlichen Vorstellung
von Journalismus in Kontakt kommen.
Und die wollen das auch hören und
wollen auch auf diese Weise gelehrt
werden. Genau das ist aber das, wovor
die Mächtigen Angst haben: Dass
Informationen in das Land fließen und
dieses von Grund auf ändern. Und das
geschieht gerade.
Ist es richtig, wenn sich westliche
Organisationen in die Vermittlung dieser
demokratischen Werte in der Arabischen
Welt einmischen?
Das ist sehr wichtig, denn es ist
der einzige Weg, dass die international
anerkannten Prinzipien des Journalismus
ihren Weg in diese Länder finden. Es
müsste noch viel mehr Projekte in diese
Richtung geben. Wir müssen in diese
Länder gehen und sagen: Das sind die
internationalen
Ansprüche
von
Menschenwürde.
Und
das
sind
internationale Ansprüche, die Regierung
zu kritisieren. Dabei sprechen wir nicht
über Menschenrechte, sondern wir
machen diesen Ländern bewusst, dass
es international anerkannte Normen gibt.
Und dafür müssen wir ein Bewusstsein
schaffen. Aber das ist natürlich ein
langer Prozess und alles, was wir tun
können ist weiterhin zu zeigen: Das sind
die normativen Ziele und wir sollten alles
versuchen diese zu erreichen und den
arabischen
Ländern
dabei
helfen.
Genauso, wie wir zum Beispiel in den
USA sagen: Es ist nicht rechtens, die
Telefonverbindungen von Journalisten
abzuhören.
(Das Interview wurde aufgenommen am 21.
Mai 2013.)
© für das Photo: Marcus Schoft
Dieser
Artikel
ist
unter
http://www.marcus-schoft.de/pressefreiheitim-arabischen-fruhling/
abrufbar. Auf Marcus Schofts Blog finden sich
auch zahlreiche andere lesenswerte Beiträge.
Marcus studiert im B. A. Islamischer Orient in
Bamberg. Seine Sprachkenntnisse verfeinerte
er während
Auslandsaufenthalten
in
Damaskus, Istanbul und Amman. Kurze Trips
führten ihn auch nach Marokko, Ägypten, Abu
Dhabi und sogar nach Indonesien. Zum
Journalismus brachte ihn ein Jahres-Praktikum
beim Münchner Merkur. Deshalb hat er
Kamera und Laptop immer griffbereit.
15
U NI B AMBERG
Seminarthemen
VON F ELIX WIEDEMANN
Langweilen Euch Eure Seminare?
Wenn manche Veranstaltungen nur von
2-3 Studierenden besucht werden,
macht das auch unseren Dozenten wenig
Spaß. Manchmal liegt dies vielleicht
daran,
dass
von
der
Seite
der
Studierenden
nicht
ausreichend
kommuniziert wird, welche Themen
interessieren.
Bringt Euch also mehr ein, schreibt
uns 'ne Mail und schlagt Themen vor, die
Euch interessieren! Der AK Orient
sammelt Eure Vorschläge und leitet
diese
weiter.
M ASTER
Erlangen. Master Nahoststudien
VON ALEXANDER S CHULZ, M ARIE - S OPHIE WERZ, F ELIX WIEDEMANN
Für viele unserer B.A.-Studierenden
stellt sich nach dem Abschluss die Frage,
wie es weitergeht. Mit dieser Reihe
möchten wir Euch ein paar Möglichkeiten
zeigen
und
Masterstudiengänge
vorstellen.
Bamberg, 28. 07. 2013
Jedes Jahr zieht es einige Bamberger
zu den Nachbarn in Erlangen, um sich dort
für den Master Nahoststudien einzuschreiben. Der AKON hat zwei Alumni befragt
und
deren
Erfahrungen
für
Euch
zusammengefasst.
Der Master Nahoststudien ist ein
interdisziplinärer Studiengang, in dem
man sich nach dem Absolvieren eines
allgemeinen Pflichtprogramms auf einen
von sechs Bereichen spezialisieren kann.
Zur Auswahl stehen Politikwissenschaft,
Wirtschaftswissenschaft,
Sprache
und
Literatur, Religion und Recht, Orientalisches
Christentum
und
schließlich
Kulturgeographie . Das Studium sollte in einer
Regelstudienzeit
von
4
Semestern
(maximal 5) absolviert werden.
Die Voraussetzungen
Vorausgesetzt werden für den
Master
ein
B.A.-Abschluss
in
Orientalistik /
Politikwissenschaft
/
Wirtschaftswissenschaften / Geographie
oder einem verwandten Fach. Bei einer
Abschlussnote zwischen 2,51 und 3,00
findet
ein
Auswahlgespräch
statt.
16
Schlechtere Abschlüsse werden nicht
berücksichtigt,
wohingegen
bessere
Abschlussnoten direkt zum Studium
qualifizieren.
Gefordert
sind
auch
Sprachkenntnisse in Arabisch oder
Türkisch, welche durch den Besuch von
Kursen im Umfang von 30 ECTS
nachgewiesen werden können. Fehlende
Sprachkenntnisse können bis zum 3.
Semester nachgeholt werden.
Hier ist zu beachten, dass der
Schwerpunkt des Masters auf arabischen
Ländern und der Arbeit mit arabischen
Quellen liegt. Persisch zum Beispiel kann
in Erlangen nur in einem einmal
wöchentlich stattfindenden Kurs gelernt
werden. Iranisten sind also in Bamberg
besser aufgehoben. Außerhalb der
Sprache und Literatur-Spezialisierung
wird auch wenig Wert auf die Vermittlung
von Sprachkenntnissen gelegt, welche
eher
als
Werkzeug
für
das
wissenschaftliche Arbeiten vorausgesetzt
werden. Man kann jedoch Sprachkurse
als Wahlmodule (s.u.) belegen.
Der Aufbau
Insgesamt besteht das Studium
aus 9 Modulen, in welchen meist
Seminararbeiten als Leistung erbracht
werden müssen. Je nach Vertiefungsprofil
und Fächern werden auch Klausuren
geschrieben. Alex zum Beispiel schreibt
7 Hausarbeiten und 2 Klausuren.
Das
erwähnte
Pflichtprogramm
beinhaltet das Modul „Raum und Region“
und ein Forschungskolloquium, welches
meist im vierten Fachsemester absolviert
wird. Was genau im Forschungskolloquium gefordert wird, hängt wohl
vom
betreuenden
Dozenten
ab.
Jedenfalls weichen die Angaben unserer
Bamberger
Kundschafter
hier
voneinander ab.
Spezialisierung Wirtschaftswissenschaft
auch mit Wirtschaftswissenschaftlern
und nicht nur Orientalisten in Seminaren
sitzt.
Im
Bereich
„Orientalisches
Christentum“
werden
spezielle
Veranstaltungen angeboten.
Der Transport
Spezialisieren muss man sich
eigentlich
bereits
bei
der
ersten
Prüfungsanmeldung. Allerdings ist ein
späterer Wechsel nach etwas Kampf mit
der Bürokratie auch möglich. Hat man
sich auf einen Bereich festgelegt, wählt
man in diesem 2 Kernmodule und dazu
zusätzlich 3 Wahlmodule, welche der
jeweiligen Spezialisierung oder aber
anderen Modulen entstammen können.
In Erlangen ist kein Semesterticket
in den Verwaltungsgebühren inbegriffen.
Der VGN bietet Semestertickets für die
Strecke Nürnberg-Erlangen an. Für
Pendler
aus
Bamberg
gibt
es
Monatstickets für Studenten (ca. 135€)
oder das 9 Uhr-Ticket Bamberg-Erlangen
(ca. 80 €). Für den gesamten VGN kostet
dieses 86,70 €-. Damit lassen sich eine
zweite
Person
und
2
Fahrräder
mitnehmen.
Dazu kommt jedenfalls noch ein
Modul „transregionale Themen und
Methoden“, sowie ein Modul zum
Themenbereich „Migration“ und eines zu
„Menschenrechten“. Wirtschaftswissenschaftler können stattdessen auch
andere Wirtschaftsmodule wählen.
Die Verwaltung des Studiums
erfolgt
ähnlich
wie
in
Bamberg.
„MeinCampus“
ist
mit
FlexNow
vergleichbar und hat mit den gleichen
Schwächen zu kämpfen. Viele Dozenten
stellen deshalb in Erlangen noch
Papierscheine aus, die anschließend
nachgetragen werden. Ein „VC“ steht
unter
dem
Namen
„StudOn“
zur
Verfügung. Das Vorlesungsverzeichnis ist
ähnlich dem in Bamberg aufgebaut und
recht
übersichtlich.
Da
manche
Veranstaltungen
nicht
an
der
Orientalistik direkt angeboten werden,
muss man sich auch bei anderen
Fachbereichen
nach
passenden
Veranstaltungen
umsehen.
Man kann sich also nach Belieben
spezialisieren oder allgemeiner studieren
und das Angebot unterschiedlicher
Die Technik
Bereiche wahrnehmen.
Viele der Veranstaltungen werden
nicht direkt von „Orientwissenschaftlern“
angeboten, sondern von Spezialisten im
jeweiligen
Fachbereich
(z.B.
von
Wirtschaftswissenschaftlern,
Geographen), welche es den Studierenden
ermöglichen, in ihren Seminararbeiten
einen Regionalbezug herzustellen. Das
bedeutet, dass man zum Beispiel mit der
17
Die Bib in Erlangen
Die Unibibliothek Erlangen ist auf
eine Hauptbib und mehrere spezialisierte
Teilbibliotheken
aufgeteilt.
Die
Ausleihfristen sind generell kürzer als in
Bamberg. In der Politik-Bib beträgt die
Frist zum Beispiel 1 Woche (2x
verlängerbar). Im Vergleich dazu kann
man in Bamberg standardmäßig 4
Wochen ausleihen und dies auch 2 mal
verlängern. Einige Erlanger Bibliotheken
sind auch reine Präsenzbibliotheken, in
welchen eine Ausleihe nicht möglich ist.
Es
gibt
zwar
eine
sehr
kleine
Orientalistenbib im Philosophenturm,
welche aber nicht alle Bücher für die
jeweiligen Fächer beinhaltet. Durch die
Spezialisierung der Teilbibliotheken muss
man auch des Öfteren von Bib zu Bib
laufen, um alle benötigten Quellen zu
bekommen, da man sich die Bücher
nicht in jede TB liefern lassen kann.
Im
Schwerpunkt
Politikwissenschaft, welchen Alex gewählt hat,
sollte man sich bei Prof. Christoph
Schumann auf einen theoretischen
Ansatz einstellen. Ein kleines Nebenfach
Politik à 30 ECTS ist fast schon zu wenig,
um den Herausforderungen gerecht zu
werden. Fehlendes Vorwissen kann man
sich zwar noch erarbeiten, allerdings
muss man dafür ausreichend Motivation
mitbringen.
Das Vertiefungsprofil Sprache und
Literatur, für das sich Marie entschieden
hat, verpflichtet zum Besuch von je
einem
Modul
„Sprachwissenschaft“,
„klassischer Literatur“ und „moderner
Literatur“.
Außerdem
besteht
ein
Wahlmodul „2. semitische Sprache“,
welches aber auch durch andere Module
ersetzt werden kann.
Die einzelnen Schwerpunkte
Erlangen ist was die Nestwärme
betrifft
mit
Bamberg
vergleichbar.
Insgesamt sind etwa 15 Leute in den
diversen
Varianten
des
Masters
eingeschrieben, was ein persönliches
Verhältnis zu den Dozenten ermöglicht.
Jeder kennt jeden, was die auch in
Bamberg bekannten Vor- und Nachteile
mit sich bringt.
Für den Schwerpunkt Islamisches
Recht soll die Juristen-Bib sehr gut
ausgestattet sein. Allerdings handelt es
sich hierbei auch um eine reine
Präsenzbibliothek. Prof. Rohe, welcher
viel aus der Praxis berichten kann und
Anekdoten
aus
Bundestag
und
Islamkonferenz erzählen kann, hält
außerdem
sehr
unterhaltsame
Vorlesungen.
Zu guter Letzt noch ein wichtiger
Hinweis: Die Nussschnecken in den
Erlanger Caféterien sind laut Alex sehr
zu empfehlen.
Zusätzlich zu den Bibliotheken gibt
es reine Lesesäle. Dadurch kann die
Knappheit
an
Arbeitsplätzen
zur
Prüfungszeit
etwas
abgeschwächt
werden.
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