Anästhesie bei geriatrischen Patienten

Anästhesie bei geriatrischen
Patienten
Dr. med. Stefan Soltesz
Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin
Klinikum Leverkusen
Demographische Entwicklung
Ältere Patienten in der Anästhesie
• Traumatologie:
• Orthopädie:
• Herz-Thorax-Chirurgie:
37%
31%
48%
Was bedeutet Altern?
• WHO Definition: ab 65 Jahre
• fortschreitender physiologischer, involutiver
Prozess mit verminderter
Anpassungsfähigkeit
– genetische Einflüsse
– äußere Einflüsse
Alterungsprozess
Altern
– Altern kann nicht gestoppt werden !
theoretische Lebenserwartung ca. 125 Jahre
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Physiologische Veränderungen
(75 Jahre vs. 30 Jahre)
Gesamtkörperwasser
82%
Muskelmasse
70%
Gehirngewicht
56%
Grundstoffwechsel
84%
Max. Dauerleistung
70%
Max. Spitzenleistung
40%
Herzschlagvolumen
70%
Nierenblutfluss
50%
Vitalkapazität
56%
besondere Probleme
• "physiologische" Veränderungen
• Multimorbidität
• Dauermedikation
labiles Gleichgewicht!
Herz-Kreislauf
Vorerkrankungen:
– Herzinsuffizienz: 60%
– Arrhythmien: 33%
– KHK: 30%
– Hypertonie: 40%
Atmung
⇨Pa O2 fällt
⇨ PaCO2 unverändert
⇨Atemarbeit steigt
Atmung
•
•
•
•
•
•
Reduktion der Vitalkapazität
Steigerung Residualvolumen
Zunahme von Shunts und Totraumventilation
verminderte Elastizität
obstruktive Komponente
verminderter Atemantrieb
Leber
• altersbedingte Reduktion der Funktion
⇨Zunahme der Wirkdauer vieler Anästhetika
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Niere
Wasser-, Elektrolythaushalt 1
• Abbau Nierenblutfluss ca 50%
• verminderte Konzentrationsfähigkeit
• verminderte Diurese
•
•
•
•
•
Harnstoff, Kreatinin wegen verringerter
Muskelmasse unverändert!
vermindertes Durstgefühl
Diuretikaeinnahme
Hyperglykämie
eingeschränkte Nierenfunktion
Elektrolytverschiebungen
⇨ Exsikkosegefahr
⇨ Herzrhythmusstörungen
⇨Verwirrtheitszustände
Wasser-, Elektrolythaushalt 2
• geringe kardiale Reserve
• Niereninsuffizienz
• Eiweißmangel
Nervensystem
•
•
•
•
•
Verlust von Gehirnzellen
reduzierte Anzahl von Rezeptoren
verminderte Nervenleitgeschwindigkeit
Demenz
cerebrale Durchblutungsstörungen
⇨ Ödeme
⇨ Herzinsuffizienz
Pharmakologische Interaktionen
Verteilungsvolumen:
Muskelmasse↓
Fett↑
Begleitmedikation
Herzzeitvolumen ↓
Wirkung von
Anästhetika
Leberfunktion ↓
Rezeptoren ↓
Pharmakologische Interaktionen
• Medikamentenwirkung verstärkt
• Wirkdauer verlängert
• Wirkeintritt verzögert
Albumin ↓
Nierenfunktion ↓
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Frühe postoperative kognitive Dysfunktion
„Durchgangssyndrom“
•
•
•
•
•
•
2 bis 7 Tage nach Eingriff
Desorientiertheit
Labilität
Wahnvorstellungen
Häufigkeit 10-50%
häufiger nach Allgemeinanästhesie
Frühe postoperative kognitive Dysfunktion
„Durchgangssyndrom“
Einflußfaktoren:
• Narkosedauer
• Infektionen
• resp. Komplikationen
• Anämie
• Schmerzen
Narkoserisiko
Späte postoperative kognitive Dysfunktion
•
•
•
•
3 Monate nach Eingriff
Häufigkeit 10%
kein Einfluss von Anästhesieverfahren
einziger Einflussfaktor: Alter
• ASA Klassifikation oft unzuverlässig
• immobile Patienten haben ein hohes Risiko
• Limitierung der Therapie?
alte Patienten
operative
Mortalität
5%
AnästhesieMortalität
2%
alle Patienten
2%
0,05%
Risikoeinschätzung
Prämedikationsgespräch
• oft viel Geduld erforderlich
Keine Einflussfaktoren:
• Hypotonie
• Art des
Inhalationsanästhetikums
• sorgfältige Anamnese
• klinische Untersuchung
–
–
–
–
Auskultationsbefund
Ödeme, Jugularvenenstauung?
eingeschränkte Beweglichkeit?
Zahnstatus
• EKG
• Labor:
– Blutbild, Elektrolyte, Gerinnung, Kreatinin
• evt: weiterführende Diagnostik
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Allgemein- oder Regionalanästhesie?
Prämedikation
• Kurzwirksames Anxiolytikum:
• Regionalanästhesie reduziert Mortalität um bis
zu 30%
(Hochrisikoeingriffe und/oder Hochrisikopatienten)
– Lorazepam (Tavor®): 0,5-1 mg
– Midazolam (Dormicum®): 7,5 mg
Cave: paradoxe Reaktion möglich
• kein Atropin
• Eigenmedikation weiterführen (außer
Antidiabetika)
Vorbereitung
• Kontrolle der Identität
• Brille, Hörgerät,
Zahnprothese?
• vorsichtige Lagerung
– eingeschränkte
Beweglichkeit
– Dekubitusgefahr
Narkoseverfahren: Allgemeinanästhesie
besondere Probleme:
• ausgeprägte Blutdruckschwankungen
Narkoseverfahren: Allgemeinanästhesie
besondere Probleme:
• schwierige Maskenbeatmung (zahnlos)
• evt. lockere Zähne
• eingeschränkte HWS Beweglichkeit
Kreislauflabilität
• Kreislaufdepression ausgeprägter bei
alten Patienten
• Toleranz gegenüber
Blutdruckschwankungen geringer
• Wirkungseintritt von Medikamenten
verzögert (verlängerte Kreislaufzeit)
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Narkoseverfahren: Allgemeinanästhesie
Einleitung:
• initial niedrige Dosierung
• langsame Injektion
• Medikamente mit geringer
Kreislaufdepression bevorzugen
Narkoseverfahren: Allgemeinanästhesie
Medikamente ohne Kumulationsgefahr:
• Etomidate
• Atracurium, Cisatracurium
• Remifentanil
• Inhalationsanästhetika, Propofol
Narkoseverfahren: Regionalanästhesie
• gerinnungshemmende
Begleitmedikation ?
• Punktionsschwierigkeiten
bei rückenmarksnahen
Verfahren?
• ausgeprägter
Blutdruckabfall
• Toxizität von
Lokalanästhetika erhöht
Narkoseverfahren: Allgemeinanästhesie
Aufrechterhaltung:
• Blutdruck stabil halten
• Normovolämie, Hb>10 g/dl
• Hyperventilation vermeiden
• Auskühlung vermeiden
• verlängerte Wirkdauer beachten
• Blasenkatheter bei Inkontinenz
Narkoseverfahren: Allgemeinanästhesie
Ausleitung:
• ausreichende Analgesie
• Entfernung der Magensonde
(Aspirationsgefahr)
• evt. Diurese steigern
• Narkoseüberhang nicht antagonisieren
Postoperative Phase
Häufige Probleme
• Hypertonie, Tachykardie
• Volumenverschiebungen (Korrektur
erfordert Zeit!)
• Verwirrtheit
oft Intensivaufenthalt notwendig
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Schmerztherapie
• postoperative Regionalanalgesie reduziert
Mortalität
• Opiate:
– Cave: Meperidin (Dolantin®) verursacht
häufiger Delirium
– Cave: verlängerte Wirkung von Opiaten
Fallbeispiel 1
85- jähriger Patient mit Schenkelhalsfraktur,
wegen Fehlstellung noch am gleichen Tag
Hüftendoprothese geplant.
Vorerkrankungen: Hypertonie, KHK
Vormedikation: Atenolol, Lisinopril, ASS
• Voruntersuchungen?
• Narkoseverfahren?
• Intraoperative Besonderheiten?
Fallbeispiel 2
90 jährige Patientin:
elektive Sigmaresektion über 4 h bei Sigmatumor.
Intraoperativ 800 ml Blutung, wegen
Blutdruckschwankungen Volumenersatz erforderlich
Vorerkrankungen: Herzinsuffizienz NYHA 3
Vormedikation: Digitoxin, Furosemid
Postoperativ im Aufwachraum Luftnot, Atemfrequenz
30/min, SaO2 90%
Mögliche Ursachen?
Diagnostik?
Therapie?
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