34 ______________________________________ Sky Talk David Garrett LH 4786 Flugnummer // Flight No. David Garrett Können Eltern die Berufung ihres Kindes erkennen? Was nutzen Talente, wenn sie nicht glücklich machen? Und was hat Hardrock mit Bach oder Mozart zu tun? Geiger David Garrett, der Rockstar der Klassik, sprach mit Vera Görgen auf Flug LH 4786 von Köln-Bonn nach London über seine verlorene Kindheit und den Preis des Ruhms // Can parents recognize a child’s vocation? What good is talent if it doesn’t make you happy? And what does hard rock have in common with Bach or Mozart? Classic rock star violinist David Garrett spoke with Vera Görgen on flight LH 4786 from CologneBonn to London about his lost childhood and the price of fame Text Vera Görgen Fotos Rüdiger Nehmzow Lufthansa Magazin 03/08 Sky Talk David Garrett _____________________________________ 35 ______________________________________ Sky Talk David Garrett Reda in Italy David Garrett wurde 1980 in Aachen geboren. Im Alter von vier Jahren bekam der Sohn eines deutschen Anwalts und einer amerikanischen Ballerina den ersten Violinunterricht, mit zehn gab er sein erstes öffentliches Konzert mit den Hamburger Philharmonikern. Der junge David spielte mit den bedeutendsten Orchestern und Dirigenten, darunter Claudio Abbado und Zubin Mehta. Mit 13 Jahren unterzeichnete er einen Vertrag als jüngster Exklusivkünstler bei der Deutschen Grammophon. Mit 17 nahm er sich eine Auszeit, zog später nach New York und gab mehrere Jahre keine Konzerte mehr. Jetzt startet er wieder durch. Im März tourt er auch in Deutschland (www.deag.de). Seine aktuelle CD „Virtuoso“ errang Platz eins der Amazon-Klassikcharts. // David Garrett was born in Aachen, Germany, in 1980. He received his first violin lesson at age 4. At ten, he gave his first public concert with the Hamburg Philharmonic Orchestra, and went on to perform with major orchestras and conductors, including Claudio Abbado and Zubin Mehta. At 13, he signed an exclusive contract with Deutsche Grammophon, but at age 17 he took time out, later moved to New York and stopped performing for some years. Now he’s back on stage and will tour Germany this spring (www.deag. de). His latest CD, “Virtuoso,” reached No. 1 on the Amazon Classic Charts. Lufthansa Magazin: Herr Garrett, mit zehn Jahren galten Sie bereits als Wundergeiger. Aber während Sie als Kind Soloauftritte mit den besten Orchestern der Welt wie dem London Philharmonic Orchestra oder dem Russischen National Orchestra hatten, spielten Ihre Altersgenossen Fußball. Fanden Sie Ihr Leben damals noch normal? David Garrett: Wenn ich zurückschaue, war gar nichts normal. Doch als Kind merkt man das nicht. Ich lebte in meiner eigenen Welt, ich kannte es nicht anders. Später wurde mir klar, dass ich nicht viel von einer unbeschwerten Kindheit hatte. Das zu akzeptieren war für mich ein hartes Stück Arbeit. Da ich sehr früh erwachsen sein musste, bin ich heute freiheitsliebender und unseriöser. Ich nehme mir heute viel mehr heraus. Lufthansa Magazin: Wie haben Sie den Ehrgeiz und die Disziplin entwickelt, täglich sieben bis acht Stunden zu üben? Garrett: Mit sieben Jahren hat man mir gesagt, es sei meine Bestimmung, Geiger zu werden. Man hat mich nie gefragt, ich habe mich auch nie dagegen gewehrt. Klar, es war natürlich auch schön, wenn die Eltern stolz auf einen sind. Wenn man in der Lage ist, sie glücklich zu machen. Ich dachte, sie lieben mich sonst nicht mehr. Mittlerweile glaube ich nicht, dass das so ist, aber als Kind habe ich das so gefühlt. Und dann habe ich so weitergemacht – bis die Teenagerjahre kamen. Lufthansa Magazin: Mit 16 haben Sie sich verletzt, Sie litten einige Jahre unter starken Schmerzen im Rücken, im Arm und in der Schulter. Als Sie volljährig wurden, sind Sie erst nach London, dann nach New York gezogen. Warum? Garrett: Ich habe mich in meiner Haut einfach nicht mehr wohlgefühlt, wollte mit der ganzen Geschichte nichts zu tun haben. Ich musste weg, um herauszufinden, warum ich mich so unglücklich fühle. Lag es allein an den Schmerzen? Am > Lufthansa Magazin: Mr. Garrett, you were hailed as a violinist boy wonder when you were just ten years old. But while you were playing solos with some of the world’s top orchestras, among them, the London Philharmonic, other kids your age were out playing ball. Did you consider your life normal at the time? David Garrett: Looking back, there was nothing normal about it. But as a child, you don’t see that. I lived in my own private world, I didn’t know anything else. It was only later that I realized I hadn’t really had anything like a carefree childhood. Accepting that was difficult for me. Because I had to be grown-up very early on, I cherish my freedom more these days, I’m not quite so sensible and I take far greater liberties. Lufthansa Magazin: How did you muster the ambition and the discipline to practice sev- en or eight hours every day? Garrett: When I was seven, I was told that it was my vocation to become a violinist. I was never asked and I never objected. Naturally, it was also very nice to have such proud parents and to be able to make them happy. I thought they wouldn’t love me otherwise. I don’t believe that anymore, but that was how I felt as a child. And so I carried on – until I was a teenager. Lufthansa Magazin: You were injured when you were 16 and for a few years suffered a lot of pain in your back, arm and shoulder. When you turned 18, you moved to London, then to New York. Why? Garrett: I just didn’t feel comfortable in my own skin, I wanted to escape from it all. I needed to break away and find out why I was feeling so miserable. Was it just because of the pain? Or was it my inability to make deci- > Finest fabrics made in Italy NOESIS COMUNICAZIONE 36 38 ______________________________________ Sky Talk David Garrett Platzhalter: Bordkarte „Ich musste erst mal wieder zu mir selbst finden. Ohne die Auszeit würde ich heute nicht mehr Geige spielen“ // “I needed to focus on what I wanted to do. If I hadn’t taken the time out, I would no longer be playing the violin” Fehlen meiner Entscheidungsfreiheit? Oder an dem Druck, den meine Eltern und mein Management in gewisser Weise ausübten? War Geigespielen wirklich meine Berufung? Lufthansa Magazin: Was hat Ihnen die Auszeit gebracht? Garrett: Oh, sehr viel! Ohne sie würde ich nicht mehr Geige spielen. Für mich war das Wichtigste: Du musst erst mal zu dir selbst finden, wieder die Freude am Leben entdecken und herauskriegen, wer du bist und was du machst. Alles andere ist doch zweitrangig. Da kann ja jemand noch so oft sagen, dass es deine Bestimmung im Leben ist, Geige zu spielen. Dass es dein großes Talent ist. Aber wenn du todunglücklich bist, dann ist dir das so was von egal. Lufthansa Magazin: Wie war es für Sie, nach einem derart disziplinierten Leben allein in New York zu sein? Garrett: Ich war völlig weltfremd. Ich wusste nicht, wie man Wäsche wäscht oder ein Bett macht. Wie man ein Taxi bestellt, was eine Kreditkarte ist, und woher ich eigentlich neue Socken bekomme. Mir hat es großen Spaß gemacht, diese Kleinigkeiten des Alltags zu lernen. Es war auch so viel einfacher, als mit dem Druck umzugehen. Ich lernte eigene Entscheidungen zu treffen, hinter dem zu stehen, was man tut. Lufthansa Magazin: Was haben Sie in dieser Zeit noch nachgeholt? Garrett: So ziemlich alles! Ich hatte zum Beispiel kaum soziale Kontakte, weil ich ja keine Schule besucht habe, sondern von Privatlehrern unterrichtet wurde. In New York kam ich erstmals mit Mädchen in Berührung. Und mit Alkohol. Da bin ich allerdings sehr vorsichtig – wenn man ein Instrument spielt, muss man stets einen glasklaren Verstand haben. Aber sicher, ich habe da schon einiges nachgeholt, bin in New York so richtig auf die Piste gegangen, ohne Ende, habe die Nächte > sions? Or the pressure exerted by my parents and my manager to a certain extent? Was it really my calling to play the violin? Lufthansa Magazin: What did you learn during your time out? Garrett: Oh, an awful lot! Without it, I would no longer be playing. The most important thing for me was to focus on my own needs, to be able to take pleasure in life again and to find out who I was and what I wanted to do. Everything else came second. It doesn’t matter how often someone tells you that playing the violin is your vocation, that it is your great talent, if you’re desperately unhappy, that means nothing at all. Lufthansa Magazin: What was it like living alone in New York after such a strictly disciplined life? Garrett: I was completely ignorant about ordinary things. I didn’t know how to use a washing machine or make a bed. How to call a taxi, what a credit card was or even where to buy new socks. Learning the little everyday things in life was great fun. It was so much easier than dealing with the pressure. I learned how to make decisions for myself and to stand wholeheartedly behind what I was doing. Lufthansa Magazin: What other things did you catch up on at the time? Garrett: Oh, pretty much everything, really. I had hardly had any social contacts before because I never went to school. Instead, I had received private tuition. I had my first experiences with girls in New York. And with alcohol, too. I’m very careful about that, though. When you play an instrument, you need to be able to think straight all the time. But sure, I did catch up on quite a few things. I went a bit wild in New York, and started partying all night long. Because there was > 40 ______________________________________ Sky Talk David Garrett „Hardrock hat Speed, da muss man schon spielen und improvisieren können“ // “Hard rock moves at top speed, so you have to be an accomplished instrumentalist and able to improvise” durchgemacht. Es hat mir ja keiner mehr gesagt: Jetzt gehst du aber mal schlafen! Lufthansa Magazin: In New York haben Sie die Juilliard School besucht, eines der renommiertesten Musikkonservatorien der Welt. Ihre Eltern waren der Meinung, Sie hätten das nicht mehr nötig. Wieso haben Sie es dennoch gemacht? Garrett: Als Kind spielt man ja eher intuitiv, direkt aus dem Herzen. Ich wollte mich aber ernsthaft mit Musik befassen: Was will der Komponist? Warum hat er das Stück gerade in dieser Tonart geschrieben? All diese Dinge habe ich auf der Schule ergründet. Meine Einstellung hat sich dadurch geändert, mein Wissen und mein Verständnis für Musik. Wenn ich mich heute einem Stück nähere, ist es erfüllender für mich, weil mir viel mehr schöne Details und Nuancen auffallen. Früher habe ich ein Beethoven-Konzert 100-mal gehört, in der Juilliard School aber habe ich es analysiert. Danach konnte ich ganz andere Sachen herausfinden, so als hätte ich die Musik vorher noch nie gehört. Lufthansa Magazin: Sie sehen aus wie ein Rockstar und hörem gern privat die Band Metallica. Gibt es eigentlich zwischen Hardrock und Klassik irgendwelche Gemeinsamkeiten? Garrett: Natürlich! Rockmusik hat viel mehr virtuose Möglichkeiten als beispielsweise Popmusik. Gerade wenn man von der klassischen Musik kommt, kennt man die Schwierigkeitsgrade und weiß genau, wie kompliziert es ist, sich eine gute Technik anzueignen. Daher höre ich gern Dinge, die auch instrumental auf einem bestimmten Niveau sind. Hardrock hat einen gewissen Speed, da muss man schon spielen und improvisieren können. Deswegen finde ich ihn besonders faszinierend, weil er in diesen Punkten der klassischen Musik am nächsten < kommt. no longer anyone there to tell me it was time to go to bed! Lufthansa Magazin: You attended the Juilliard School of Music in New York, one of the world’s most prestigious conservatories, but your parents didn’t think you needed to go. Why did you go anyway? Garrett: Children tend to play intuitively, straight from the heart. But I really wanted to come to grips with music, to find out what the composer had intended. Why, for example, had he written a piece in a particular key? I found the answers to all these questions at Juilliard. It changed my attitude to music and increased my knowledge and my understanding. When I start playing a piece today, I find it more fulfilling because I notice more of the beautiful details and nuances. In the past, I might have listened to a Beethoven concerto 100 times over, but at Juilliard, I analyzed it. Afterwards, I dis- covered all kinds of different things in the music, almost as if I had never heard it before. Lufthansa Magazin: You look like a rock star and enjoy listening to the hard rock band Metallica in your spare time. Would you say there are parallels between hard rock and classical music? Garrett: Absolutely! There’s a lot more scope for virtuoso playing in rock music than there is in pop, for instance. Having a classical background helps you understand exactly the degree of difficulty involved and how complicated it is to develop a really good technique. That’s why I like to listen to things that require a particular standard instrumentally. Hard rock moves along at top speed so you have to be an accomplished instrumentalist and able to improvise. That’s why I find hard rock so fascinating: because these are the instances in which it comes closest to classical music. <
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