Was für Mütter gut ist, kann für Väter nicht - Nansen & Piccard

Man könnte hier
auch nackt
liegen. aber paul
ziert sich noch
ein bisschen
wohlfuhlPapas
Was für Mütter gut ist, kann für Väter nicht schlecht sein:
Zwei NIDO-Redakteure erkunden den Kontinent Wellness.
Text Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter FOtos julian Baumann
130 Journal Beauty
entspannen
in anregendem
ambiente.
bene lässt die
gedanken
schweifen
W
enn uns bisher eines egal war, dann
war das Wellness. Nichts gegen das
Warmwasserbecken mit Sprudellie­
gen im Schwimmbad – aber Well­
ness? Doch dann wurden wir Väter.
Die Nächte wurden von Babyschrei­
en durchlöchert, die Bandscheiben
gequetscht vom unsachgemäßen
Kinderhochheben. Zum ersten Mal
war es da: dieses Bedürfnis nach
Ruhe und Heilung. Dummerweise
aber gibt es nur spezielle Well­nessAngebote für junge Mütter. Moderne Väter, wie wir es sind, haben
jedoch auch kein Problem damit,
das „Mama Mia“-Programm in An­
spruch zu nehmen.
„Herr Sarreiter mit Reisebeglei­
tung Herr Hanske“, die Dame an der
Rezeption betont das Herr bei Hans­
ke, als müsste sie sich konzentrie­
ren, um nicht Frau zu sagen. Den
leicht irritierten Blick der Empfangs­
dame werden wir noch öfter bei den
anderen Gästen entdecken. Wenn
wir gemeinsam beim Essen sitzen
und uns mit Amethyst-Wasser zu­
prosten, wenn wir am Pool nebenei­
nander fläzen. „Die müssen schwul
sein.“ Dieser Gedanke lässt sich
selbst hinter dem sonst undurch­
dringlichen Service-Lächeln des
Personals erahnen.
In unserem Zimmer, der JuniorSuite „Venusmuschel“, steht hinter Milchglastüren ein Himmelbett, auf dem ein Begrüßungszettel
(„Nimm dir Zeit, deinen Körper zu
verwöhnen, er ist das Haus deiner
Seele!“) und zwei Glückssteine für
uns liegen.
Wir schlüpfen in unsere Bade­
mäntel. Beide haben wir dicke Bü­
cher dabei, aber wir zappen uns erst
mal durchs lange entbehrte Früh­
abendprogramm. Die Minibar gibt
es auch noch. Wellness ist herrlich.
Stundenlang könnte es so weiter­
gehen. Doch unser Wellness-Sche­
dule sieht anderes vor: die Gong-
Man sieht Schwangere, Freundinnen,
viele Best Ager.
Aber keine Männer
in unserem Alter.
Wir sind hier exotisch. Da fällt es
auch kaum mehr
auf, dass wir in der
Venusmuschel-Suite
schlafen.
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Journal Beauty
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Herrlich, diese
Ruhe. Sogar
zum LEsen sind
wir zu faul. Ab
wann darf man
an die Minibar?
Meditation. In der Hotellobby warten die Mitmeditierenden. Der Leiter kommt. Er ist der Aschenbrenner
Josef, sagt er und nickt uns aner­
kennend zu. Wir sind die einzigen
Männer.
Der Aschenbrenner Josef lässt
eine Klangschale klingen und sagt:
„Du hast dir eine Stunde Zeit ge­
schenkt.“ Dong „Du wirst ganz ru­
hig.“ Dong „Du lässt den Alltag
zurück.“ Danach gibt es eine Ge­
schichte von einem Waldweg und
einer klaren Quelle. Die Frau neben
uns, eine lustige Österreicherin,
schnarcht. Der Aschenbrenner Josef
erzählt weiter: vom weißen Licht der
Gesundheit, das von der Decke des
Tempels der Gesundheit strahlt.
B
ene driftet.
Die Stimme vom Aschenbrenner Josef wird zum Hintergrundgeräusch.
Ich denke an eine Lampe, die ich mir
vielleicht kaufen will, ich denke darüber nach, ob es Natürlichkeit gibt,
ich denke an Sex, ich denke an die
Konsistenz von gutem Brot, ich denke an die Augen meiner Frau. Ich
habe schon lange nicht mehr so lange ungestört nachdenken können.
Dong.
Ein nicht unwichtiger Seitenas­
pekt von Wellness ist die Nacht­
ruhe. Am Abend strecken wir uns
behaglich im Himmelbett. Wir däm­
mern mit dem guten Gefühl weg,
morgen ausschlafen zu können. Da­
raus wird nichts. Pünktlich um sie­
ben wachen wir auf, vom verinner­
lichten Wecker aus dem Schlaf ge­
hetzt. Dabei hätten wir den Schlaf
dringend gebraucht. Schließlich ist
heute der große Anwendungstag.
Er beginnt mit einer Franzbrannt­
wein-Rückenmassage. Paul wird von
der Ilona geknetet.
Um irgendetwas zu sagen, erzähle ich von dem leichten Schmerz, den
ich links im Genick verspüre. Da sei
aber nix, meint die Ilona. Aber weiter unten, oho, der rechte Trapezius:
total verhärtet. Das sei aber auch
nur ein Symptom, denn das eigentliche Problem seien die Schultern,
die zu tief sitzen. Die Wirbelsäule
nehme eine Fragezeichenform an.
Das Bedenklichste sei aber, dass die
Muskeln zwischen den Rippen, die
allerempfindlichsten Muskeln überhaupt, dadurch zusammenkleben.
Bei mir fühlen sie sich an wie feuchter Sand. Das ist mir so noch gar
nicht aufgefallen, sage ich.
Danach die Fußmassage. Die
Maria macht das, zuerst ist wieder
Paul dran.
Sofort sagt die Maria: Aha, da
haben wir’s schon. Der Trapezius sei
nicht in Ordnung. Ich bin schwer beeindruckt. Entweder wird hier grandios geschwindelt und die Ilona hat
der Maria gesteckt: „Sag ihm was
von seinem Trapezius.“ Oder aber die
Füße verraten wirklich, was im Körper los ist. Sie könne auch schwere
innere Krankheiten ertasten, so die
Maria. Aber das sage sie dann den
Gästen nicht, schließlich seien die
im Urlaub.
Bei Bene schweigt die Maria.
Sie drückt an meinem linken
Fuß herum. Schon angenehm, doch
je länger es dauert, bohrt sich eine
Frage ins Wellness-Gemüt. Was
stimmt nicht mit mir? Hat sie nicht
zum Paul gesagt, der Fuß verrate
alles? Hab ich nicht mal was am
Trapezius? Ich muss schwere Organschäden haben. Soll ich sie fragen?
Ich bleibe still, sie bleibt still. „Viel
trinken,“ sagt sie noch. „Und alles
Gute!“
Der Wellnessbereich ist ein La­
byrinth aus Saunen, Dampfbädern,
kleinen Pools. Wir bewegen uns
kaum. Einmal hört man ein Kinder­
wellnessfacts
Umsatz-Zuwachs
In den letzten Jahren
wuchs die Wellness-Branche
durchschnittlich um
9 % pro Jahr.
4, 5 Millionen WEllnessReisende im letzten Jahr.
Ausgaben pro Jahr:
knapp mehr als
eine Milliarde Euro.
Jeder dritte Haushalt zieht
mittlerweile einen WellnessUrlaub in Betracht.
Den meisten Umsatz gibt
es in Bayern, gefolgt von
Mecklenburg-Vorpommern
und Baden-Württemberg.
75% der deutschen WellnessTouristen verbringen ihren
Urlaub in Deutschland.
Pro Person und Reise werden
476 Euro ausgegeben.
Die grösste Zielgruppe, die
„gestressten Performer“,
gaben 2009 12 % weniger
aus als im Vorjahr.
Die Gruppe der „verantwortungsbewussten Eltern“
gab jedoch plus 7 % im Vergleich zum Vorjahr aus.
Quelle: Dt. Wellness Verband e.V.
Unser Hotel:
Hotel Birkenhof, 93479 Grafenwiesen, Tel: 09941 400 40, www.hotelbirkenhof.de, ab 81 Euro pro
Person und Nacht, Kinder unter
drei Jahre: 10 Euro pro Nacht.
schreien. Hochschrecken, die alten
Reflexe funktionieren noch. Es war
nur eine Katze. Hier und da plan­
schen Best Ager durch den Pool.
Ahh, Paradies, so könnte es weiter­
gehen, tagelang, herumliegen, le­
sen, ein paar Aufgüsse zwischen­
durch. Doch wir blicken nervös auf
die Uhr. Ist es schon wieder soweit?
Steht die Schaummassage an?
„Herr Sarreiter?“ – „Ja!?“ – „Ich
bin die Ilona, ziehen Sie sich bitte
aus.“ – „Ganz?“ – „Am besten ja!“
Okay, jetzt souverän bleiben,
mit einer fließenden Bewegung die
Shorts abstreifen, wie ein Stripper.
Meine rechte, große Zehe verhakt
sich am Saum. In der Mitte des Rau-
mes steht eine steinerne Liege, sie
sieht aus wie eine altertümliche
Schlachtbank. Schnell lege ich mich
auf den Bauch. Das Licht ist schummrig, die Ilona verteilt warmen, sah­
nigen Schaum auf meinem Körper.
Kurze Pause. Dann beginnt sie, mich
mit einem Gegenstand zu schmirgeln, den ich nicht sehe, der sich
aber anfühlt wie ein Vileda Glitzi. Ich
glühe und bin flutschig wie ein Zäpfchen. Von vorne. Schaum. Rubbeln
an der Innenseite der Oberschenkel.
Jetzt nur nicht ... Ich denke an mathematische Formeln und Abszesse.
Pianomusik tupft aus verborgenen
Lautsprechern. Die Ilona cremt mich
mit einem Peeling aus Meersalz und
Ananas ein ... Ich dufte wie ein Dessert. „Wie zum Anbeißen!“, sagt die
Ilona. Fragt sich, für wen ... Sie denkt
doch nicht, dass Paul und ich. Ich
gehe duschen.
P
aul ist dran.
Sensibilisiert durch Benes Tête-àTête betrete ich den Hamam. Doch
nicht die Ilona, sondern der Klaus
rubbelt mich ab. Danach verteilt der
Klaus mit seinen kräftigen Händen
eine Masse, die sich anfühlt wie
Gleitcreme mit Sand. Erst am Rücken. Dann auf der Brust, den Armen. Dann die Beine. Schließlich die
Oberschenkel. Klaus muss schwer
schnaufen, so sehr drückt er mich.
Eigentlich sollte ich jetzt relaxen.
Aber jeder Muskel meines Körpers
ist angespannt.
Nach zwei Tagen sind wir ent­
schlackt, porentief gereinigt, ent­
krampft und riechen nach Ananas.
Es gibt nur ein Problem: Im grellen
Licht der Gesundheit werfen die
Krankheiten einen umso dunkleren
Schatten. Paul denkt an seine san­
dige Rippenmuskulatur, Bene an
irreparable Organschäden. Abhilfe
würde wohl nur ein erneuter Besuch
im Wellness-Hotel schaffen. Eigent­
lich keine schlechte Idee.