ZfA 2004 "025", 16.1.04/dk köthen GmbH Phytopharmakotherapie ± was bleibt übrig? Versorgung 18 M. Habs M. Kreisch Phytopharmacotherapy ± what remains Zusammenfassung Abstract Nach der Reform ist vor der Reform. Das GKV-Modernisierungsgesetz ist zum einen ein ¹Schröpfungsgesetzª, bei dem die kurzfristige Stabilisierung der Finanzen der Gesetzlichen Krankenkassen im Fordergrund steht. Zum anderen enthält es strukturelle Entscheidungen und den Einstieg in Gestaltungsoptionen, die die Arbeitsbedingungen der so genannten Leistungsanbieter stark verändern werden. Die möglichen Auswirkungen auf die Phytotherapie werden aus der Sicht eines mittelständigen, forschenden Pharmaunternehmens dargestellt. Was wird sich in der ärztlichen Versorgung verändern, was im Zusammenspiel Arzt und Apotheker, gibt es ¾nderungen in der industriellen Forschung und Entwicklung, in der universitären Forschung und Lehre, in der Bedeutung der Phytotherapie als Werkzeug der hausärztlichen Versorgung, in der Beratung der Apothekerschaft und in der Selbstmedikation? Es gibt gegenwärtig mehr Fragen als Antworten. Als Regelleistung in der GKV ist die Phytotherapie, trotz anders lautender Beschwörungen aus der Politik, wahrscheinlich ein ¹Auslaufmodellª. Die Umbruchsituation zu Beginn des Jahres 2004 bietet für ¾rzte und die Hersteller pflanzlicher Arzneimittel aber auch Chancen. Die Profilierung über Qualität und Service wird von den Patienten gewünscht und nachgefragt. Naturheilverfahren und der Einsatz pflanzlicher Arzneimittel sind aus der Perspektive der Verbraucher (d. h. je nach Standpunkt Kunden oder (potenzielle) Patienten) unverzichtbar. Wer hier richtig handelt, reduziert seine Abhängigkeit vom GKV-System, das in den nächsten Jahren wenig versprechen kann, auûer chronischer Auszehrung und der Tendenz dem Mangel an finanziellen Mitteln durch ein Mehr an Kontrolle und Verwaltung zu begegnen. The reform: A distinction without a difference. On one hand, the law on German Health Insurance System Modernisation is a ªBlood-letting lawº aiming to achieve short-term stabilisation of the national health insurance system finances. On the other, it embraces structural decisions and embarks on organisational options which will markedly affect the working conditions of the so-called ªservice providersº. The potential consequences for phytotherapy are described from the viewpoint of a mediumsized researching pharmaceutical company. What will change in medical care, what in the co-operation between physicians and pharmacists, will there be changes in industrial research and development, in university research and teaching, in the importance of phytotherapy as a tool for general practitioners, in the consultancy services offered by pharmacies and in self-medication? At present, there are more questions than answers. Phytotherapy is probably a ªdiscontinued lineº as a standard service offered by the national health insurance system, despite political assurances to the contrary. Nevertheless, the radical changes expected at the start of the year 2004 also offer new oppurtunities for doctors and the manufactures of herbal medicinal products. The reputation for quality and service is required and requested by the patients. Nature cures and herbal medicinal products are inndispensable from the point of view of the consumer (i. e. customer or (potential) patient, depending on standpoint). Whoever takes positive action reduces his dependency on the national health insurance system, which can promise little over the next few years apart from chronic wasting and the tendency to combat the lack of financial means by more controls and administration. Schlüsselwörter Pflanzliche Arzneimittel ´ Phytotherapie ´ Deutsche Gesetzgebung Key words Herbal medicinal products ´ phytotherapy ´ German legislation Institutsangaben Dr. Willmar Schwabe Arzneimittel, Karlsruhe Korrespondenzadresse Prof. Dr. med. habil. Michael Habs ´ Geschäftsführer ´ Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG ´ Willmar-Schwabe-Straûe 4 ´ 76227 Karlsruhe ´ Tel.: 0721-4 00 54 97/4 98 ´ Fax: 0721-4 00 55 00 ´ E-mail: [email protected] Bibliografie Z Allg Med 2004; 80: 18±22 Georg Thieme Verlag Stuttgart ´ New York ´ ISSN 0014-336251 ´ DOI 10.1055/s-2004-44915 ZfA 2004 "025", 16.1.04/dk köthen GmbH Die Politik hat entschieden Zum 1. Januar 2004 tritt das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) in Kraft. Das erklärte politische Ziel ist es, ein hohes Versorgungsniveau zu gewährleisten, trotz sinkender Beitragssätze. Dafür werden Strukturen verändert und die Finanzierung neu geordnet. Die für einige Verhandlungsteilnehmer ¹schönste Nacht ihres Lebensª hat für die forschenden Hersteller pflanzlicher Arzneimittel einen Albtraum gebracht. Tab. 1 GMG-Maûnahmen mit Auswirkungen auf den Arzneimittelsektor Die Rezeptgebühren werden höher, mindestens 5 e bis maximal 10 e. 100 % Zuzahlung für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel, die nicht mehr zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherungen verordnet werden dürfen. Professionalisierung der Wirtschaftlichkeitsprüfung, mit Zunahme von Arzneimittelregressen. Bonus für geizige Arzneimittelverordnungen. Apotheker verdienen an billigen Medikamenten mehr, an höherpreisigen dagegen weniger als bisher. Der Versandhandel mit Arzneimittel wird (vorerst in engen Grenzen) zugelassen. Apothekenketten im Miniformat werden erlaubt. Statt nur einer Apotheke dürfen jetzt zusätzlich drei Filialen von einem Apotheker geführt werden. Die Festbetragsregelung wird weiterentwickelt. Auch patentgeschützte Arzneimittel können in Zukunft durch Festbeträge erfasst werden. Der Herstellerrabatt für die Krankenkassen auf bestimmt Arzneimittelgruppen wird von 6 auf 16 % erhöht. Die aut-idem-Substitution wird verschärft, der Trend zum Billigarzneimittel verstärkt. Mit der Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln durch das ¹Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeitª kommt die ¹4. Hürdeª. Aber Achtung: ¾rzte, die ihre Verordnungen von Phytopharmaka durch teurere rezeptpflichtige Präparate substituieren wollen, werden sehr schnell an ihre Budgetgrenzen stoûen und mit dem Risiko von Regressforderungen konfrontiert. Da durch das GMG auch die Regressmöglichkeiten verschärft werden, drohen in diesen Fällen persönliche finanzielle Einbuûen. Das Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung (BMGS) hat zwischenzeitlich (Auskunft am 2.9.2003 an den Zentralverband der ¾rzte für Naturheilverfahren) klargestellt: Jeder Vertragsarzt ist weiterhin grundsätzlich verpflichtet, zweckmäûig, ausreichend und wirtschaftlich zu verordnen. Dies bedeutet, dass rezeptfreie Arzneimittel angewendet werden sollen, wenn sie zur Behandlung einer Erkrankung medizinisch notwendig, zweckmäûig und ausreichend sind. In diesen Fällen wäre ein Ausweichen des Arztes auf die Verordnung eines rezeptpflichtigen Arzneimittels ein Verstoû gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot. Im Klartext: hier soll der Patient die Medikation selbst bezahlen. Andererseits können ¾rzte, für ihr wirtschaftliches Verhalten belohnt werden, da Honorare und veranlasste Leistungen enger verknüpft werden. Bei geringeren Ausgaben, z. B. für Arzneimittel, sind Bonuszahlungen möglich. Wenn bisher preisgünstige Phytopharmaka verschrieben wurden und nun auf teure chemisch-synthetische Präparate ausgewichen würde, würden die Krankenkassen um ein Vielfaches stärker belastet als bisher. Auch das Praxisbudget wird stärker beansprucht und bei gleich bleibenden Richtgröûen schnell überzogen. Hierauf haben während der Gesetzesberatungen sowohl Vertreter der Krankenkassen wie auch der Industrie hingewiesen. Der Bundesausschuss der ¾rzte und Krankenkassen wird zum kleinen Gesetzgeber, er kann Leistungsausschlüsse vornehmen und den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) modifizieren. Beim Arzt wird ein Eintrittsgeld von 10 e pro Quartal, beim Facharztbesuch ohne Überweisung zusätzlich 10 e fällig. Für die Verwender und Hersteller pflanzlicher Arzneimittel ist eine Entscheidung besonders schlimm: Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel werden grundsätzlich aus der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenkassen herausgenommen. Phytopharmaka sind risikoarme, gut verträgliche Arzneimittel. Deswegen sind sie (zu 99 Prozent) nicht verschreibungspflichtig. Daher kommt diese Regelung ± auf den ersten Blick ± einem Ausschluss der Phytotherapie gleich! Nur in ganz wenigen Fällen werden Ausnahmen zugelassen. Und zwar dann, wenn es sich um eine schwere Erkrankung handelt, bei der nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel Therapiestandard sind. Hier muss der Arzt auch noch im Einzelfall begründen, warum er zu diesen Ausnahmen gegriffen hat. Dabei schlieût das GMG die Therapie mit Phytopharmaka nicht aus, sondern erachtet lediglich die finanzielle Belastung für den Patienten aufgrund der günstigen Preisstellung als zumutbar. So sagt das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (Auskunft am 2.9.2003 s. o.): Es ist unzutreffend, dass künftig dem Vertragsarzt nur die rezeptpflichtigen Arzneimittel für die Versorgung zur Verfügung stehen. Jeder Arzt kann und soll in den gebotenen Fällen auch künftig rezeptfreie Arzneimittel zur Versorgung der Versicherten einsetzen; diese Mittel können auch weiterhin verordnet werden, sie werden lediglich nicht mehr durch die Solidargemeinschaft finanziert. In diesem Kontext wird eine Regelung strategisch spannend, die den Gesetzlichen Krankenversicherungen in Zukunft erlaubt, ihren Kunden private Zusatzversicherungen zu vermitteln. Gegen- Habs M, Kreisch M. Phytopharmakotherapie ± was ¼ Z Allg Med 2004; 80: 18 ± 22 Versorgung Einen Überblick der wesentlichen den Arzneimittelbereich treffenden Maûnahmen zeigt Tab. 1: Damit Patienten und ¾rzte wissen, welche Arzneimittel zu den Ausnahmen zählen, wird der Gemeinsame Bundesausschuss de facto eine Positivliste ± auch wenn das Kind innerhalb der Arzneimittelrichtlinien anders getauft werden wird ± für gut verträgliche, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel erstellen, die bei schweren Erkrankungen Therapiestandard sind. Die wird dann am 1. April (!) 2004 in Kraft treten. Während einer Übergangsfrist bis zum 31. März 2004, entscheidet der Arzt weiterhin über die Pharmakotherapie, also auch den Einsatz der Phytopharmaka, zulasten der GKV. Dabei hat er die Kriterien des SGB V einzuhalten. 19 ZfA 2004 "025", 16.1.04/dk köthen GmbH Es liegt im gemeinsamen Interesse der forschenden Hersteller pflanzlicher Arzneimittel und der ¾rzte, dass die Diagnose und Therapieführung behandlungspflichtiger Erkrankungen beim Arzt bleibt. Fallen die Therapieentscheidungen für und zwischen pflanzlichen Arzneimittel zunehmend auûerhalb der Arztpraxis, so werden andere Kriterien den Präparateerfolg bestimmen als bisher. Die Industrie wird ihr Handeln an die sich verändernden Marktbedingungen zügig anpassen (müssen). welche zurückgeführt werden müssen ein schwieriger Entscheidungsprozess. Er wird nicht nur von der Situation in Deutschland bestimmt, sondern die sich ändernden europäischen Rahmenbedingungen und der staatlich geförderte Forschungswettbewerb im Ausland wollen bedacht sein. Erfahrungen in Auslandsmärkten können helfen, die Situation in Deutschland zu antizipieren. Gewinner wird sein, wer sich auf das Verhalten der Akteure im Gesundheitswesen am besten vorausschauend eingestellt hat. Wir profitieren heute von der klaren Forschungsund Qualitätsorientierung der letzten Jahre. Unsere Arzneimittel sind Präparate mit Markencharakter und dadurch keine austauschbaren Me toos, so zumindest aus Sicht der Mehrzahl der Patienten und groûen Teilen der Verordner. Wer alles für austauschbar erklärt, der ¹Aldisierungª das Wort redet, hat sich von pflanzlichen Qualitätsarzneimitteln meist schon vor Jahren verabschiedet. Szenarien der veränderten Landschaften Forschung quo vadis? Sicher ist, dass es im Jahr 2004 zu erheblichen Veränderungen kommen wird. Sicher ist, dass die finanziellen und strukturellen Probleme durch das GMG nicht gelöst werden. Sicher ist, der Verwaltungs- und Dokumentationszwang nimmt weiter zu. Die Forschung für pflanzliche Arzneimittel hatte in Deutschland Tradition. Sie wurde und wird durch die Investitionsbereitschaft der Industrie getragen. Staatliche Forschungsförderung spielt in diesem Gebiet in Deutschland bisher eine stark untergeordnete Rolle. In den letzten 10 Jahren haben die USA und Groûbritannien in den Forschungsaufwendungen für Phytopharmaka und komplimentärmedizinische Fragestellungen Deutschland mit staatlicher Hilfe und privaten Fonds überholt. Die Forschungsrichtungen und Richtlinien werden nicht mehr in Deutschland festgelegt sondern international. stand dieser Verträge könnten, neben Wahlarztbehandlung im Krankenhaus oder Auslandsreiseschutz auch der Einsatz von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen, also auch Phytopharmaka sein. Allerdings ist zu erwarten, dass flächendeckende Zusatzversicherungen nicht entstanden sein werden, bevor sich dass Verordnungsverhalten an die neuen Spielregeln des GMG ab 1.4.2004 angepasst hat. Versorgung Das Verhalten der ¾rzte und der Patienten wird sich weiter differenzieren. Es wird ¹Wanderungsbewegungenª geben, weil sich Patienten ihre ¾rzte danach aussuchen werden, wie sie deren Verhalten bewerten. 20 Das GMG wirkt sich auf das für den medizinischen Erfolg so wichtige Patienten-Arzt Verhältnis nachhaltig aus [1]. Die GKVPraxis mit hohem Durchsatz wird eine andere Klientel binden wie die naturheilkundliche Praxis, die sich auf individuelle Gesundheitsleistungen ausrichtet. Die pharmazeutische Industrie wird ihre Zusammenarbeit mit der ¾rzteschaft überprüfen und neue Segmentierungen und Gewichtungen vornehmen. Die Hersteller pflanzlicher Arzneimittel werden sich unterschiedlich verhalten. Für einige wird der Arzt keine Rolle mehr spielen, schon weil die verbleibende Finanzkraft nicht mehr ausreicht, um im Informationswettbewerb zu bestehen. Andere werden die Verteilung ihrer Geldmittel neu ordnen: Was wird für die direkte Kundeninformation benötigt, welche Rolle spielen Massenmärkte und Drogerieketten, was nutzt die Apothekenpräsenz und wie gestalte ich die Zusammenarbeit mit (welchen) ¾rzten? Die Bewertung der vorhandenen Präparate und des Forschungsportfolios ist eine strategische Herausforderung für jedes Unternehmen. Die Antworten müssen in Zeiten hoher Unsicherheit gegeben und strategische Entscheidungen getroffen werden. Erfolgsgarantien gibt es nicht, weder für mutige Investitionen noch für Strategien des Abwartens und Unterlassens. Hierin liegen die groûen Chancen und Risiken unternehmerischen Handelns in den nächsten ein, zwei Jahren. Dr. Willmar Schwabe ist als international tätige Unternehmensgruppe, im Wettbewerbsvergleich gut aufgestellt. Doch auch für uns ist die Frage welche Forschungsrichtungen verstärkt und Die europäische Harmonisierung im Arzneimittelbereich folgt auch dem Ziel der Leistungsangleichung der Sozialsysteme. Für pflanzliche Arzneimittel (¹herbal medicinal productsª) sind einheitliche Anwendungsgebiete im Euroraum am leichtesten in der ¹Traditionellen Anwendungª und im ¹well established useª zu erreichen. Indikationsansprüche bei einem krankhaften Zustand, der die Versorgungspflicht der sozialen Sicherungssysteme auslöst, finden sich dabei kaum. Die Veränderung der Rahmenbedingungen für die Forschung sind ein Prozess, der sich über viele Jahre zulasten der deutschen Phytopharmakaforschung entwickelt hat: Im Wettbewerb mit den USA, im Europarecht und im deutschen Arzneimittel- und Sozialrecht ist dies in ganz unterschiedlichen Bereichen gleichzeitig geschehen. Das GMG ist in so weit nicht neu und einzigartig, sondern hat die mittelständige Industrie ¹nurª überrascht, weil der Zeitpunkt nicht vorhergesehen wurde, an dem dieser Teil der Spielregeln neu geschrieben wurde. Für die Forschung heiût der jetzt erreichte Zustand das Ende oder eine strategische Neuausrichtung. Unternehmerischer Mut ist gefragt: Der Erhalt bekannter pflanzlicher Arzneimittel durch Extraktforschung und klinische Studien nach aktuellen Richtlinien in etablierten Anwendungsgebieten macht ökonomisch weniger Sinn als früher. Ungenügende Schutzrechte für die Ergebnisse der Arbeit mit bekannten Substanzen, mangelhafte Möglichkeiten, die Forschungsergebnisse allgemein bekannt zu machen (Restriktio- Habs M, Kreisch M. Phytopharmakotherapie ± was ¼ Z Allg Med 2004; 80: 18 ± 22 ZfA 2004 "025", 16.1.04/dk köthen GmbH nen des Heilmittelwerbegesetzes) und der Ausschluss aus der ärztlichen Regelversorgung lassen wenig Spielraum. Eine industrielle Forschung ohne eine realistische Chance auf Refinanzierung wird es nicht geben. Ausweichstrategien werden in Richtung Nahrungsergänzungsmittel für Gesunde verfolgt. Die hierzu gesetzlich vorgegebene erforderliche Forschung und Entwicklung ist deutlich geringer als beim Arzneimittel. Die europäische Gesetzgebung hat begonnen, sich der Auswüchse anzunehmen, die in gesundheitsbezogenen Produktaussagen gegenwärtig auftreten. Mit weiteren Verschärfungen in der Gesetzgebung ist zu rechnen. Wer im Ausweichen vor der internationalen pharmazeutischen Konkurrenz in das Lebensmittelsegment gehen möchte, wird erkennen, dass auch hier mächtige Konzerne das Terrain beherrschen. Als soziobiologische Analogie formuliert ist die Erkenntnis nicht so schmerzhaft: Die Habitate, die auf den ersten Blick als ¹Inseln der Glückseeligenª erscheinen, sind oft bei näherer Betrachtung keine ökologischen Nischen, die ein Überleben der eigenen Art erlauben. Die Bereitschaft pharmazeutischer Lehrstühle eine qualitätsorientierte Analytik voranzutreiben und ihre Ergebnisse öffentlich zu vertreten, hilft der forschenden Phytopharmakaindustrie ebenso, wie die Bereitschaft universitärer Arbeitsgruppen in der Pharmakologie mit Pflanzenextrakten zu arbeiten [2]. In der klinischen Forschung ist die universitäre Zusammenarbeit seit Jahren mehr vom Anwendungsgebiet bestimmt, als vom Medikament. Die bevorzugten Methoden der klinischen Forschung sind zum Wirksamkeitsnachweis pflanzlicher Arzneimittel geeignet, bilden aber ihren therapeutischen Nutzen oft ungenügend ab [3]. Ob die heute vorhandenen Aktivitäten hinreichend sind für eine Zukunftssicherung der Phytotherapie an den deutschen Hochschulen, wird unterschiedlich bewertet. Versorgung quo vadis? Diejenigen Hersteller werden erfolgreich sein, die eine eigenständige Forschungsstrategie und Marktkommunikation entwickeln und das Glück des Mutigen haben. Neue Erfolge sind möglich, wie Pelargonium sidoides (Umckaloabo) aktuell zeigt. Für die ärztliche Verordnung auûerhalb der GKV wird es dann neue, qualitativ hochwertige Präparate geben, wenn die Industrie dieses Marktsegment als hinreichend attraktiv und zukunftsfähig einschätzt. Das Arztverhalten im Jahr 2004 wird die Forschungsbereitschaft unserer mittelständigen Firmen, mit Fokus auf Deutschland, wesentlich bestimmen. Entsteht eine von den ¾rzten geführte Phytotherapie auûerhalb der GKV, sieht die Forschungslandschaft anders aus, als wenn ein vom Patienten (und Apotheker) selbstverantwortlich getätigter Selbstkauf vorherrscht. Lehre quo vadis? Ohne eine universitäre Verankerung der Forschung und Lehre wird es die Phytotherapie schwer haben, wenn sie eine Akzeptanz der ¹Scientific Communityª anstrebt. Während in den US-amerikanischen Medical Schools Einrichtungen für Komplimentärmedizin rasant entwickelt werden, ist in der deutschen Hochschulland- Der Einsatz pflanzlicher Arzneimittel in der Hausarztpraxis ist weit verbreitet. Seit Jahren gibt es einen Trend, diese Präparate weniger auf Kassenrezept zu verschreiben, dafür verstärkt auf Privatrezept oder konkrete Präparateempfehlungen für den Selbstkauf zu geben. In den letzten Monaten hat sich dieses Vorgehen noch verstärkt. Das Verschreibungs- und Empfehlungsverhalten ist regional unterschiedlich. Es ist vom Vorgehen der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung und der gesetzlichen Krankenkassen abhängig und von der Einkommensstruktur der betroffenen Patienten. Die Regionaldaten aus der Marktforschung zeigen, dass es alle denkbaren Varianten zwischen der Verschreibung von Phytopharmaka als GKV-Leistung und der ausschlieûlichen Empfehlung tatsächlich gibt. Die Ausprägung hängt dabei auch vom Anwendungsgebiet ab, aber auch von der Art der Praxis. Für die Zukunft wird es entscheidend für den einzelnen Arzt sein, wie er sich und sein Leistungsangebot gegenüber den Patienten positioniert. Dieses individuelle Vorgehen wird auch festlegen, welche Rolle pflanzliche Arzneimittel für ihn spielen. Auf einen Satz gebracht: Der Arzt entscheidet, was er anbietet und der Patient entscheidet, was er will. Die Industrie folgt dem Verhalten ihrer Marktpartner. Habs M, Kreisch M. Phytopharmakotherapie ± was ¼ Z Allg Med 2004; 80: 18 ± 22 Versorgung Der Mut, in neue pflanzliche Arzneimittel aus unbeforschten Drogen zu investieren, müsste groû sein. Dafür spricht, wenn man erfolgreich ist, die Alleinstellung und in Deutschland die Wahrscheinlichkeit, in der Regelversorgung der GKV zu sein. Die geforderte Innovationshöhe unterscheidet sich nicht mehr von der neuer chemisch definierter Substanzen. Die im GMG angelegte ¹4. Hürdeª für die Erstattungsfähigkeit und Preisfestsetzung zwingt dazu, in der Liga der Groûkonzerne und nach internationalen Regeln zu spielen. Da wird es oft an Wissen, Kraft, Durchhaltevermögen und Netzwerken fehlen, um erfolgreich zu sein. Selbst wenn die Entdeckung, die zum Arzneimittel gebracht werden soll, wettbewerbsfähig ist, die Firmen sind es, als Einzelkämpfer, (meist) nicht. schaft ein Stillstand oder eine Regression alternativer Medizinkonzepte zu sehen. Noch hat die Patientensicht in der Fortentwicklung der Medizin keine Gleichberechtigung erfahren. Der tradierte Universitätsbetrieb erlebt durch Geldknappheit, Wettbewerbselemente und sich ändernde gesetzliche Vorgaben (Beispiel neue Approbationsordnung für ¾rzte) Herausforderungen, die hoffen lassen, dass es eine Evolution gibt, die Alternativen in Forschung, Lehre und gelebter Patientenbehandlung fördert. Wenn die Medizinischen Hochschulen sich nicht modernisieren und für gesellschaftliche Strömungen öffnen, werden sie zunehmend an Attraktivität verlieren. Die Naturheilverfahren als Querschnitts- oder Wahlfach in die medizinische Ausbildung zu integrieren, vollzieht den Trend nach, der in Amerika in den letzten 10 Jahren vorherrscht [4]. Ob die Phytotherapie zukünftig ihre Forschung noch mit den deutschsprachigen Universitäten fortführt oder die Zusammenarbeit verstärkt im Ausland sucht, hängt davon ab, wie die Forschungsreputation und die entsprechende Lehre wahrgenommen wird. Die Tendenz der Allgemeinmedizin sich den Naturheilverfahren zu öffnen, beobachten wir aufmerksam. 21 ZfA 2004 "025", 16.1.04/dk köthen GmbH Versorgung 22 Die zukünftige Rolle der gesetzlichen Krankenversicherer ist unklar. Sind sie Substitutionsbremser und unterstützen den Selbstkauf nicht verschreibungspflichtiger Arzneien aus Kostenüberlegungen oder wird das verschreibungspflichtige Medikament auf Kassenrezept ein Werbeargument im Kampf um gute Risiken. Wir fragen uns: Was der Kundenberater dem Versicherten sagt, der sich beklagt, zusätzlich zu hohen Kassenbeiträgen jetzt auch noch auf den Arzneimittelkosten sitzen zu bleiben, weil der Arzt ein OTX-Präparat auf Privatrezept ausgestellt hat? Ein Tipp zum Erfolg ist nahe liegend: Wenn Ihr Arzt ein GKV-erstattungsfähiges Präparat verordnet, dann zahlen wir das auch, selbstverständlich! Dies wäre keine neue Praxis sondern (zumindest teilweise) eingeübtes Verhalten im ¹Schwarzer Peterª-Spiel veranlasster Leistungen. Literatur 1 Heilmann K. Phytopharmaka ± nicht erstattungsfähig, aber fähig. Dtsch Apoth Z 2003; 143: 5560 2 Müller WE, Gastpar M. Behandlung von depressiven Patienten in der täglichen Praxis. Linqua Med Verlag 2001 3 Schulz V. Pflanzliche Arzneimittel und evidenzbasierte Medizin. Bundesgesundheitsblatt 2003; 46: 1080 ± 1085 4 Wetzel MS, Kaptchuk TJ, Havamati A, Eisenberg DM. Complementary and alternative medical therapies: implications for medical education. Ann Intern Med 2003; 138 (3): 191 ± 196 Auch das Apothekenangebot wird sich differenzieren. In der Abwehr der ¹Aldisierungª müssen die Apotheken auf Qualität und Service setzen, da sie bei der Preisführerschaft nicht gewinnen können. Diese Erkenntnis gewinnt langsam an Bedeutung. Als ¹Einzelkämpfernª fällt es den Apothekern schwer, gemeinsame Strategien umzusetzen. Der Konkurrent wird eher in der eigenen Profession gesehen als in anderen Vertriebsschienen, Parallelen im Arztverhalten müssen nicht rein zufällig sein. Apothekerkammern beginnen Qualitätsstandards zu dokumentieren und in ihre Auslobung gegenüber den Kunden zu ermöglichen, so z. B. gibt es neu die Fortbildung zum Apotheker für Naturheilverfahren. In Kooperationen zwischen Apotheken und ¾rzten mit gemeinsamer Spezialisierung liegt eine Chance für die Kundenund Patientenbindung. Ein Abwandern von Patienten zu paramedizinischen Kreisen und der Austausch apothekenpflichtiger Arzneimittel durch freiverkäufliche Präparate anderer Qualität reduziert die Bedeutung von ¾rzten und Apothekern in der Therapieauswahl. Zukunft quo vadis? Zur Person In einem Jahr sind alle schlauer. Aber in einem Jahr sind viele schlechter dran als heute, nur wenigen wird es besser gehen. Wenn wir die gegenwärtige Entwicklung evolutionstheoretisch betrachten, so befinden wir uns in einer ¹shake outª-Phase, an deren Ende es ein Survival of the Fittest geben wird. Und wie bei jedem Evolutionsschritt, möchte jede Art dazu gehören, aber nicht alle schaffen es. Das Überleben hängt oft von Zufällen ab. Die Chance erfolgreich zu überleben, wächst aber mit der Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen. Wettbewerbsvorteile werden durch die Geschwindigkeit und das Ausmaû der Anpassung erzielt. Es ist nicht erforderlich, auf ¹Spontanmutationenª zu warten. Wer seinen Gestaltungsspielraum bewusst nutzt, hat mit höherer Wahrscheinlichkeit, seine Zukunftsfähigkeit gesichert. Wir sind davon überzeugt, dass der Teil der Phytotherapie erhalten bleibt, der aus Patientensicht einen überzeugenden Nutzenvorteil gegenüber alternativen Vorgehensweisen besitzt. Therapeuten, die dies als Chance wahrnehmen und Hersteller, die entsprechende Präparate anbieten können, haben eine Zukunft. Wer mit der Qualität von Gestern das Morgen bestehen möchte, wird scheitern. Prof. Dr. med. habil. Michael Habs, FFPM, lehrt am Walther Straub-Institut der Ludwig Maximilian Universität, München, Phytopharmakologie. Nach dem Medizinstudium arbeitete er in der experimentellen Onkologie (DKFZ, Heidelberg) und in verschiedenen Positionen in der pharmazeutischen Industrie. Er ist Landesvorsitzender des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie in Baden-Württemberg und verdient sein Geld als Geschäftsführer der Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG (Eintritt 1989), dem führenden Hersteller pflanzlicher Arzneimittel. Er ist gesundheitspolitisch seit Jahren engagiert und interessiert sich wissenschaftlich für vergleichende Wirksamkeits- und Nutzenbeschreibungen. Zur Person Interessenkonflikte: keine angegeben. Habs M, Kreisch M. Phytopharmakotherapie ± was ¼ Z Allg Med 2004; 80: 18 ± 22 Manfred Kreisch, von Hause aus Kaufmann, Mitglied der Geschäftsleitung der Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG, Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheitspolitik im Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, Mitglied des Vorstandes des Komitee Forschung Naturmedizin.
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