Ansprache zur Kantate von Joh. Seb. Bach BWV 99 Was Gott tut, das ist wohlgetan Ausführende: Solisten: Entstehungszeit Text Mauritius- und Leonhardskantorei Tanja Luthner, Sopran; Michaela Frind, Alt; Zamir Bar-Lev, Tenor und Martin Puhm, Bass. 17. September 1724 1,6: Samuel Rodigast 1674; 2-5: Umdichtungen eines unbekannten Bearbeiters Liebe Gemeinde, ein Mensch liegt schwer krank zu Bett. Er weiß nicht, wie lange er noch leben wird. Einen guten Freund hat der Kranke, der ihn regelmäßig besucht. Dichten kann dieser Freund – eine tolle Begabung, die unser Kranker nicht hat. Und so bittet er ihn, ihm einen Text zu dichten – einen tröstlichen Text; Worte, die ihn halten in der schweren Krankheitszeit und trösten, wenn er sterben muss. Dieses Lied soll dann auch bei seiner Beerdigung gesungen werden, denn der kranke Kantor Severus Gastorius wird das Lied selber vertonen. Nun sitzt er an seinem Schreibtisch, der gesunde Freund, Samuel Rodigast - gerade einmal 26 Jahre alt. Vor kurzem hatte er begonnen Vorlesungen an der Philosophischen Fakultät der Universität Jena zu halten. Über die Welt und das Leben nachdenken – das ist seine Aufgabe. Seinem Freund will er den Wunsch erfüllen. Doch was sagt man angesichts von Krankheit, Not und bevorstehendem Tod? Vielleicht hat er es so gemacht, wie ich es manchmal mache während der Predigtvorbereitung. Ich blättere in Büchern – lese hier mal eine Geschichte – dort mal einen Ausspruch und finde etwas, was mich anspricht für diese Situation. Ja, das passt: Was Gott tut, das ist wohlgetan – Gott führt das Leben zu einem guten Ziel und Ende – darauf vertraut er und das will er seinem Freund sagen. Was Gott tut, das ist wohlgetan – mit diesen Worten beginnt ein Gedicht von Michael Altenburg. Samuel Rodigast liest das ganze Gedicht: Was Gott tut, das ist wohlgetan, kein einzig Mensch ihn tadeln kann, ihn soll man allzeit ehren. Wir machen mit der Ungeduld nur immer größer unser Schuld. daß sich die Strafen mehren. Nein – es passt doch nicht - von Schuld und Strafe wird hier gesprochen. Nein, das ist kein Trost, denkt Samuel Rodigast. Trost kann nur das Vertrauen in Gott bringen. Zuversicht kommt nur dann, wenn ich mich auf Gottes Treue und Zuwendung verlassen kann – egal was kommen mag – jetzt im Leben und auch im Tod. Aber der Anfang ist gemacht Was Gott tut, das ist wohlgetan. Jeden der sechs Verse, die Samuel Rodigast nun schreibt, beginnt er mit diesen Worten. Dann bringt er sein Gedicht dem kranken Freund, der eine Melodie dazu schreibt. Severus Gastorius wird wieder gesund. Er leitet die Kantorei der Stadtschule von Jena. Diese darf oder muss ihm dieses Lied jede Woche einmal vorsingen sozusagen als regelmäßiges Ständchen vor den Chorproben. Was Gott tut, das ist wohlgetan, es bleibt gerecht sein Wille; / wie er fängt seine Sachen an, / will ich ihm halten stille. / Er ist mein Gott, / der in der Not / mich wohl weiß zu erhalten; / drum laß ich ihn nur walten. Die Leiden der Menschen – für Samuel Rodigast ganz persönlich war da nicht nur die Krankheit seines Freundes, des Kantors, sondern auch das psychische Leiden seines Vaters, des Pfarrers von Gröben, der sich 1680 das Leben nahm. Der Dichter des Liedes „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ war also auch ganz persönlich ein Leid-Tragender - und hat es nicht verdrängt. => 1. Teil der Kantate wird aufgeführt (1.) Sein Lied wird sehr schnell in ganz Deutschland populär, später eines der Lieblingslieder von König Friedrich Wilhelm III. Der bestimmte es zur Musik bei seinem Begräbnis. 1. (Coro) Was Gott tut, das ist wohlgetan, Es bleibt gerecht sein Wille; Wie er fängt meine Sachen an, Will ich ihm halten stille. Er ist mein Gott, Der in der Not Mich wohl weiß zu erhalten; Drum lass ich ihn nur walten. Samuel Rodigast kennt die Fragen: wie kann Gott das zulassen? warum gibt es so viel Leid in der Welt? Liebt Gott die Menschen denn nicht? Samuel Rodigast beantwortet die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leids mit dessen Treue. Gott hält auch in der Not zu mir. Davon ist er nicht nur im Kopf überzeugt. Er lebt ganz in diesem Raum der göttlichen Treue und möchte uns mit hinein nehmen. Er fühlt sich darin geborgen und sicher – wie bei Sturm und Wetter in einem guten Mantel. Darum argumentiert er nicht, jedenfalls nicht in seinem Lied. Das tat er in anderen Veröffentlichungen. Die Leiden der Menschen halten Gottes Treue zwar verdeckt, aber sie heben sie nicht auf. Viele Menschen haben die Worte von Samuel Rodigast seither begleitet und getröstet. Ob die Entstehungsgeschichte wirklich so verlief, ist in der Forschung umstritten. Nicht aber wie es weiterging. Johann Sebastian Bach hat dieses Lied in 3 Kantaten vertont. In der heutigen Kantate sind es die Strophen eins und sechs. Die vier Verse dazwischen hat ein unbekannter Dichter in Anlehnung an das Original neu verfasst. Denn er hat sicher wieder eigene Erfahrungen gemacht und diese in seinen Worten verdichtet. => 2. Teil der Kantate wird aufgeführt (2-3.) 2. Recitativo Bass Sein Wort der Wahrheit stehet fest Und wird mich nicht betrügen, Weil es die Gläubigen nicht fallen noch verderben lässt. Ja, weil es mich den Weg zum Leben führet, So fasst mein Herze sich und lässet sich begnügen An Gottes Vatertreu und Huld Und hat Geduld, Wenn mich ein Unfall rühret. Gott kann mit seinen Allmachtshänden Mein Unglück wenden. dann darf dieses Leid auch benannt werden. Doch wie gehen wir um mit dem bitteren Kelch des Leidens? Erschüttre dich nur nicht, verzagte Seele, Wenn dir der Kreuzeskelch so bitter schmeckt! Gott ist dein weiser Arzt und Wundermann, So dir kein tödlich Gift einschenken kann, Obgleich die Süßigkeit verborgen steckt. Wir kommen her von Ostern, erinnern uns an den bitteren Kelch, der an Jesus nicht vorübergegangen ist. Erinnern uns an Ostern – die Auferweckung Jesu von den Toten – die dafür steht, dass Leid, Not und Tod bei Gott nicht das letzte Wort haben. Erschütterungen gibt es in jedem Leben! Plötzlich ist die eigene kleine Welt oder die Welt im ganzen nicht mehr so, wie wir sie kennen. Die Welt steht Kopf – in Kopf und Herz ist vieles durcheinander durch einen Unfall oder ein Unglück: Ein Schlaganfall – und ein Mensch kann nicht mehr selbständig leben; ein geliebter Mensch stirbt und mit ihm oder ihr ein Stück des eigenen Lebens; Arbeitslosigkeit und Armut – wie können Familie jetzt ihr Leben weiter gestalten; ein Unfall – Wochen und Monate der Krankheit und Rehabilitation – diese Beispiele und viele weitere erschüttern Tag für Tag Menschen in unserem Land. Anders als im Lied von Samuel Rodigast fangen die Strophen 2-5 in der Kantate nicht an mit: Was Gott tut, das ist wohlgetan. Gottes Wort erinnert daran, dass Gott die Gläubigen nicht fallen noch verderben lässt. Und dass die verzagte Seele nicht – ich ergänze – zu sehr erschüttert werden möge. Denn erschüttert wird sie. Mitten im eigenen Leiden sollen wir uns an Gott und sein Wort halten. Wir dürfen an die Treue Gottes appellieren – Gott erinnern, was er als Vater uns an Fürsorge versprochen hat. Und so wie gute Eltern zu ihren Kindern stehen, für sie da sind in Freud und Leid und sie mit ihren Händen unterstützen – so wird auch Gott es tun! Gottes Wort führet mich den Weg zum Leben – auf diese Gewissheit baut das erschütterte Herz. 3. Aria Tenor Wenn schwere und traurige Erlebnisse geschehen, dann sind diese Worte nicht angebracht. Sie würden zynisch klingen und dem Gott, der Liebe nicht gerecht werden. Dann kann es ein grausam quälender Satz sein, der weh tut und zur Waffe wird, die Leid überspielt. Nein, dann können wir nicht so trösten, dann braucht es auch Raum für andere Worte: Wenn dir der Kreuzeskelch so bitter schmeckt wenn deine Seele verzagt ist - => 3. Teil der Kantate wird aufgeführt (4-6.) 4. Recitativo Alt Nun, der von Ewigkeit geschloss'ne Bund Bleibt meines Glaubens Grund. Er spricht mit Zuversicht Im Tod und Leben: Gott ist mein Licht, Ihm will ich mich ergeben. Und haben alle Tage Gleich ihre eigne Plage, Doch auf das überstandne Leid, Wenn man genug geweinet, Kommt endlich die Errettungszeit, Da Gottes treuer Sinn erscheinet. 5. Aria (Duetto) Sopran Alt 6. Choral Wenn des Kreuzes Bitterkeiten Mit des Fleisches Schwachheit streiten, Ist es dennoch wohlgetan. Wer das Kreuz durch falschen Wahn Sich vor unerträglich schätzet, Wird auch künftig nicht ergötzet. Was Gott tut, das ist wohlgetan, Dabei will ich verbleiben. Es mag mich auf die rauhe Bahn Not, Tod und Elend treiben, So wird Gott mich Ganz väterlich In seinen Armen halten; Drum lass ich ihn nur walten. Mitten in der bitteren Lebensphase nimmt die Kantate uns mit auf einen Weg. Gehen können wir diesen Weg – mal zaghaft, mal zuversichtlich, weil Gott sich für immer in einem Bund an die Menschen gebunden hat – meine Taufe sichert mir zu: Gott ist mein Licht, Ihm will ich mich ergeben. Und haben alle Tage Gleich ihre eigne Plage, Doch auf das überstandne Leid, Wenn man genug geweinet, Kommt endlich die Errettungszeit, Da Gottes treuer Sinn erscheinet. Viele Menschen sind so schon schwere Leidenswege gegangen und durften erfahren, dass Tränen und Schmerzen weniger wurden und manchmal auch ganz versiegten. Es führt kein Weg daran vorbei – nur durch das Tal der Tränen hindurch. Am Ende wird es wieder hell – so trösten viele, die den Weg gegangen sind andere. Und diesen Weg wollen uns auch Johann Sebastian Bach und Samuel Rodigast führen. Aber auch dafür gibt es keine Quarantie: Menschen sind auch am Leid zerbrochen, das zu schwer für sie war. Das Lied und die Kantate begleiten uns wie die Geschichten der Passion durch dunkle Zeiten hindurch. Vertrauend auf Gottes Treue, die er Ostern wahrmachte, zeigen sie uns den Raum der Fürsorge Gottes auf. Die Musik und die Worte stellen einen Raum her, in dem der Schmerz des Lebens auszuhalten ist. So entsteht vor Gott ein neues Lebensgefühl: Was Gott tut, das ist wohlgetan, Dabei will ich verbleiben. Es mag mich auf die rauhe Bahn Not, Tod und Elend treiben, So wird Gott mich Ganz väterlich In seinen Armen halten; Drum lass ich ihn nur walten. Im Raum der Worte und der Töne werden auch unsere schweren und beladenen Lebenserfahrungen Klang, umhüllen uns wie ein guter Mantel. Sie lassen uns erahnen und spüren, dass uns nichts und niemand von der Liebe Gottes trennen können. Amen. Lied: 369, 1-3 Wer nur den lieben Gott lässt walten
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