Was kann eine „bürgerlich“ berechnete Profitrate? - Lima-city

Diskussion zur Profitrate Nr. 3
16.12.10
Was kann eine „bürgerlich“ berechnete Profitrate?
Im Folgendem wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, ob es möglich ist, so etwas wie die Profitrate zu ermitteln,
ohne die Quelle des Profits zu kennen bzw. zu akzeptieren. Wir nennen dies die „bürgerliche Profitrate“.
Die Formel für die echte Profitrate – wenn wir die Bodenrente auf gleich Null setzen – lautet in der Marxschen
Terminologie:
p = m/C oder p = m/c+v
Wobei m den Mehrwert und C das gesamte veranlagte Kapital darstellt. Also die Auslagen, oder der Einsatz des
Unternehmers, dem der daraus gewonnene zusätzliche Ertrag gegenüber gestellt wird. Es handelt sich also um das, was
in der Finanzsprache rate of return (ROR), rate on investment (ROI) oder return genannt wird.
In dieser Verwendung wird es auch gern für reine Finanzgeschäfte verwendet. Da sich die bürgerliche
Wirtschaftswissenschaft die Kategorie des industriellen Mehrwerts nicht kennt und der Frage der Quelle des Profits
nicht nachgeht, kann ROR, ROI und R ganz unbekümmert auch für den Finanzsektor verwendet werden. Nach dem
Marschen Verständnis ist der Profit des Finanzsektors einfach der Zins, dieser entstammt zwar auch dem Mehrwert,
wird aber nicht von dem Finanzsektor direkt erwirtschaftet auch nicht von deren Arbeitnehmern, sondern stammt vom
industriellen Unternehmer, der den Zins an die Geldkapitalisten bezahlt. Die Höhe des Zinses ist von
Marktgegebenheiten abhängig, kann aber nie größer sein als der Mehrwert. Realiter ist die Höhe des Zinses zwischen
Null und dem Mehrwert abzüglich der Bodenrente angesiedelt.
Die Bürgerlichen berechnen auch die Profitrate anders, nämlich nicht von der Entstehungsquelle des Profits her, die ja
verschleiert werden soll, sondern vom Ergebnis her:
r = (Vf-Vi)/Vi
Wobei Vf der Wertumfang des Kapitals nach dem Geschäftsgang ist und Vi der Wertumfang des Kapitals, der vor dem
Geschäftsgang investiert wurde. Wir sagen absichtlich Geschäftsgang und nicht spezifischer „Produktionszyklus“, weil
r ja auch für das Geldkapital verwendet wird. Dort wäre der Term Vf-Vi nichts anderes als der Zins, in der Industrie der
Profit. Ansonsten aber müsste bei p und r genau das selbe Ergebnis herauskommen. Die Gleichung r = (Vf-Vi)/Vi ist
das, was der Unternehmer sehen kann, selbst wenn ihm die Quelle des Mehrwerts unbekannt ist. Im deutschen
Sprachraum spricht man von „Rendite“ (d.i. Profitrate), diese setzt „Ertrag“ oder „Gewinn“ (d.i. Profit) ins Verhältnis
zum „Aufwand“ oder man sagt einfach: Rendite = Gewinn / veranlagtes Kapital.
Aus dem gesagten ergibt sich, dass in der Wirtschaftswissensschaft die Rendite meist für den Geldkapitalsektor
empirisch berechnet wird, das hier Investments kurzfristiger sind als in der Industrie. Und zweitens dass der Übergang
zur empirischen Volkswirtschaftslehre brüchig ist und ROI bzw. Rendite selten genug für ganze Länder berechnet
werden.
Dabei wäre es mit einiger Vereinfachung nicht so schwer: Man müsste nur davon ausgehen, dass alles, was produziert,
auch verkauft und verwendet wird und dass daher alles im Produktionskreislauf des nationsweite Superkapitals bleibt:
Alle Konsumgüter bilden den nationsweiten Lohn + Konsumtion der Unternehmer; alles übrige stellen die
nationsweiten sachlichen Produktionsmittel dar. Eine andere Möglichkeit gibt es schließlich nicht.
So lässt sich
r = (Vf-Vi)/Vi
einfach operationalisieren in
nr = (BIP-BIP_Vorjahr)/BIP_Vorjahr
der Term „BIP-BIP_Vorjahr“ ist nichts anderes als die absolute BIP-Veränderung; nr die „Neuwertrate“ das nr ist nichts
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anderes als ein Hundertstel der BIP-Veränderungsrate: BIP-Rate = (BIP-BIP_Vorjahr)*100 /BIP_Vorjahr
Dabei wären folgende Einschränkungen und Konkretisierungen vorzunehmen:
Erstens: Die Preisbasis müsste real, also zu verankerten Preisen statt nominal sein, sonst vermengt man Inflation bzw.
Deflation mit. Das wäre ja kein Problem. In die BIP-Größe werden alle Verkäufe aufgenommen, Weiterverkäufe stellen
aber keinen Neuwert dar, höchstens die Differenz zwischen mehreren Verkäufen eines Gutes – etwa bei
Transportleistungen im Handel. Fiktive Umsätze und Gewinne – etwa in der Geldkapitalsphäre – würden sich in einer
Trendlinie über einen Konjunkturzyklus hinaus zum großen Teil gegenseitig wegsubstrahieren. Drittens, und das ist der
wichtigste Punkt: Die Veränderung in der Bevölkerungsanzahl bzw. der Anzahl der Arbeitsstunden müsste
herausgerechnet werden. Denn sonst würde eine Vergrößerung des Neuwertes, der durch die bloße Ausweitung der
Produktion ohne einer Erhöhung der Ausbeutungsrate zustande kam, als Erhöhung der Profitrate gewertete – was ja
nicht der Fall wäre.
Wir wollen diese Überlegung anhand eines Beispiels demonstrieren: Abbildung 1 zeigt die um die Veränderung der
Arbeitsstunden bereinigte BIP-Rate (Fallbeispiel USA, 1991-2009).1 Die Bereinigung wurde 1:1 vorgenommen, dass
heißt: die Veränderungsrate der in dem entsprechenden Jahr geleisteten Arbeitsstunden wurden der Veränderungsrate
des BIP abgezogen. Die Art der Bereinigung ist in der Tendenz ökonomisch richtig, aber dass z.B. 1% Abnahme der
Arbeitsstunden die „Profitrate“ um 1% hebt, ist in dieser Relation reine Spekulation. Dennoch ist das Ergebnis
interessanter als vielleicht angenommen, da langfristig die BIP-Rate über den dabei gemessenen „Neuwert“, der ja auch
Mehrwert darstellt, sehr wohl in einer losen Korrelation mit der Profitrate steht. Und Abbildung 1 zeigt sehr schön, dass
diese „bürgerlich gemessene Profirate“ im Gegensatz zur Konjunktur in den Konjunkturkrisen nicht abfällt, weil in
diesen eben auch substantiell weniger Arbeitsstunden anfallen, daher auch v fällt und dies die Profitrate statistisch hebt.
Im Detail deckt dies nicht den echten Profitratenverlauf ab, da in der Krise zuerst die Aufträge und damit die Produktion
abfällt bevor der Personalabbau beginnt – damit sinkt die echte Profitrate konjunkturell. Langfristig gleicht sich das aus,
aber wenn sich das „Profitratenregime“ substantiell ändert, müssten eine mögliche Kalibrierung der bürgerlichen
Profitrate mit der echten wieder neu errechnet werden. Die Trendsteigung für die unechte in dem Zeitraum 1991-2009,
aber auch für den Zeitraum 1983-2006 wäre f(x) = 0,02x + y und für die echte in dem Zeitraum 1983-2006 wäre f(x) =
0,03x + y. Die Differenz ist gering. Der Trend der unechten könnte in diesem Fall mit zusätzlichen +5,2y kalibriert
werden.
Der Unsicherheitsfaktor ist sehr groß, da sich die progressive Regression (also die Trendgerade) schnell ändern kann,
wenn die Zeiträume verschoben werden. Aber dennoch kann man zusammenfassen: die empirische Ermittlung der
echten Profitraten nach Mattfeld ergibt für diese Jahrzehnte einen schwachen Anstieg der Profitraten und die empirische
Ermittlung der unechten Profitraten nach unseren Modell ergibt ebenfalls einen schwachen Anstieg an Hand des
Fallbeispieles USA für den gewählten Zeitraum - vgl. Abbildung 2 (blau die Profitrate nach Deumelandt, rot die um die
Arbeitsstunden bereinigte BIP-Rate, hellgrün die Trendlinie Profitrate, violett die Trendlinie bereinigte BIP-Rate). 2 Hier
scheint es, als wären Profitraten konterzyklisch zu den Profitraten, während die lineare Regression (Trendlinie) fast
identisch ist.
Bei anderen Fallbeispielen ist die Differenz sehr viel größer, etwa wenn wir Schweden 1978-2006 nehmen: Trend
unechte: 0,07x, Trend echte: 0,0003x. Vgl. Abbildung 3 und Abbildung 4.3
In Summe kommen wir auf diese Art und Weise auf nur schwach aussagekräftige Ergebnisse. Weiterexperimentieren
könnte man mit einer ausgefeilteren Bereinigung und der Integration der Veränderungsraten der Arbeitsproduktivität.
1 Eigene Berechnungen. BIP absolut und zu konstanten Preisen von 2005 nach IMF, World Economic Outlook Database October
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2010, http://www.imf.org/external/ns/cs.aspx?id=28 (6.12.2010); Arbeitsstunden nach http://www.conference-board.org/
(6.12.2010)
Eigene Berechnungen. BIP absolut und zu konstanten Preisen von 2005 nach IMF, World Economic Outlook Database October
2010, http://www.imf.org/external/ns/cs.aspx?id=28 (6.12.2010); Arbeitsstunden nach http://www.conference-board.org/
(6.12.2010), sowie: Kathrin Deumelandt, Profitratenentwicklung, Empirische Befunde für Deutschland, die USA und Schweden,
Prag 4, http://www.profitratenanalyse.de/downloads/PRAG_04.pdf (1.8.2010
Abbildung 3: Eigene Berechnung. BIP absolut und zu konstanten Preisen von 2005 nach IMF, World Economic Outlook
Database October 2010, http://www.imf.org/external/ns/cs.aspx?id=28 (6.12.2010); Arbeitsstunden nach http://www.conferenceboard.org/ (6.12.2010). Abbildung 4: Kathrin Deumelandt, Profitratenentwicklung, Empirische Befunde für Deutschland, die
USA und Schweden, Prag 4, http://www.profitratenanalyse.de/downloads/PRAG_04.pdf (1.8.2010
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Abbildung 1: BIP-Rate und um die Veränderungsrate Arbeitsstunden bereinigte BIP-Rate, USA, 1991-2009. Sowie
lineare Regression beider Kurven
Abbildung 2: Profitraten USA, 1983-2006 (blau) sowie lineare Regression (grün) nach Kathrin Deumelandt und um die
Seite
3 vonderen
4 linearen Regression (violett) nach Martin Seelos. Die
Veränderungsrate der Arbeitsstunden bereinigte BIP-Rate
(rot), sowie
Skala rechts bezieht sich bereinigte BIP-Rate.
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Abbildung 3: Um die Veränderungsrate der Arbeitsstunden bereinigte BIP-Rate, Schweden 1978 - 2007
Abbildung 4: Zwei Perioden Profitraten Schweden, 1960-1977, 1978-2006
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