Was ist Aufklärung?

UniUlm - WS 2012/2013
Die Ästhetik der Existenz von M. Foucault
Was ist Aufklärung?
Matteo Conti
[email protected]
Was ist Aufklärung?
1984
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M. Foucault, „Qu'est-ce que les Lumierères?“
(„What is Enlightenment?“)
→ In: Rabinow, P. (Hg.), The Foucaults Reader,
New York 1984, S 32 - 50
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I. Kant, „Beantwortung der Frage: Was ist
Aufklärung?“
→ In: Berlinische Monatsschrift, 1784
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Reflexion des philosophisches Denkens über
seine eigene Gegenwart.
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Platon: G. als Zeitalter der Welt unterschieden oder
getrennt von den anderen;
Agostinus: G. als Vorzeichen der Zukunft
(historische Hermeneutik);
Vico: G. als Übergang zu einer neuen – und
vollkommenen – Welt.
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Kant: G. als reine Aktualität
„Welchen Unterschied führt die Gegenwart heute
gegenüber gestern ein?“ (173, m.)
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Drei Züge:
1 – Aufklärung als Ausgang aus der Unmündigkeit,
„einen gewissen Zustand unseres Willen, der uns veranlasst,
die Autorität von jemand anderem zu akzeptieren, um uns in
Bereiche zu führen, in denen es darauf ankommt, von der
Vernunft Gebrauch zu manchen.“ (173, u.)
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2 - Der Mensch ist für seine Unmündigkeit
verantwortlich
Ausgang = Veränderung an sich selbst
„ein Prozess, an dem die Menschen kollektiv beteiligt sind, und ein
Akt des Mutes, den jeder persönlich vollbringen muss. Sie sind
zugleich Elemente und Handelnden desselben Prozesses. Sie
können in dem Maße seine Akteure sein, wie sie daran
teilnehmen; und er kommt in dem Maße zustande, wie die Menschen entscheiden, seine willentlichen Akteure zu sein.„ (174, m.)
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3 – Bedingungen
Klare Trennung zwischen:
Öffentlichem
Gebrauch
der Vernunft
→ räsonieren
Privatgebrauch
der Vernunft
(„als Teil einer Machine“)
→ gehorchen
„Wenn er eine Rolle in der Gesellschaft zu spielen und
Funktionen auszuüben hat (…) die Vernunft muss sich somit
diesen besonderen Zwecken unterwerfen.“ (176, o.)
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Unmündigkeit: „ Räsoniert nicht, sondern gehorcht!“
Mündigkeit: „Gehorcht, und ihr werdet räsonieren
können, so viel ihr wollt.“
Politisches
Problem:
„Der öffentliche und freie Gebrauch der autonomen
Vernunft wird die beste Gewährleistung des Gehorsams
sein, unter der Bedingung jedoch, dass der politische
Grundsatz, dem Gehorsam zu leisten ist, selbst der
allgemeinen Vernunft konform ist“ (177, o.)
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Aufklärung ist der Moment in dem die Menschheit,
ohne sich zu irgendeiner Autorität zu unterwerfen, von
ihrer eigenen Vernunft Gebrauch machen wird.
Kritik legt die Bedingungen fest, unter denen der
Gebrauch der Vernunft rechtmäßig ist – um zu
bestimmen, was man erkennen kann, was man tun
soll, was man hoffen darf.
„Die Kritik ist gewissermaßen das Logbuch der in der
Aufklärung mündig gewordenen Vernunft, und umgekehrt ist
die Aufklärung das Zeitalter der Kritik“ (177, u.)
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Äußerst enge Verbindung zwischen Philosophie und
Geschichte, zwischen der Erkenntnis bzw. der
Wahrheitssuche, und dem Moment, in dem er schreibt und
aufgrund dessen er schreibt.
„Die Reflexion über „heute“ als Differenz in der Geschichte und als
Beweggrund für eine eigenständige philosophische Aufgabe
scheint mir das Neuartige an diesem Text zu sein“ (178, o.)
→ Aufklärung als Prozess und Aufgabe...
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...als Haltung der Modernität - eine Art Ethos:
„einen Beziehungsmodus im Hinblick auf die Aktualität; eine
freiwillige Wahl, die von einigen getroffen wird, und schließlich eine
Art und Weise zu denken und zu fühlen, und auch eine Art und
Weise zu handeln und sich zu verhalten, die zugleich eine Zugehörigkeit bezeichnet und sich als eine Aufgabe darstellt “ (178, u.)
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Charakterisierung der Haltung der Modernität
→ C. Baudelaire, „besonders geschärftes
Bewusstsein der Modernität“.
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4 Eigenschaften:
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Sich das Ewige in dem Moment selbst zu Eigen
machen: die Gegenwart heroisieren;
Heroisieren ≠ Sakralisieren
„Für die Haltung der Modernität ist der höhe wert der
Gegenwart untrennbar vom hartnäckigen Bemühen, ihn
bildlich darzustellen, ihn anders bildlich darzustellen, als er
ist, und ihn zu verwandeln, nicht, in dem man ihn zerstört,
sondern in dem man ihn in dem, was er ist, erfasst “ (181, m.)
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Beziehung mit sich selbst:
→ aus dem eigenen Leben einen Gegenstand
einer komplexen und strengen Ausarbeitung zu
machen (Dandyismus = Asketik)
„Diese Modernität befreit nicht den Menschen in seinen
eigenen Sein; sie nötigt ihn zu der Aufgabe, sich selbst
auszuarbeiten.“ (182, o.)
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Der einzige eigentliche Ort der Heroisierung ist
die Kunst
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Zusammenfassung
Was ist Aufklärung?
1 – Verwurzelung in der aufklärerischen
Denktradition einer Art Reflexion über
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die Gegenwart, als Prozess und Aufgabe und über
die Konstruktion seines Selbst als autonome
Subjekt
2 – Aufklärung weder als Corpus noch als Lehre
sonder als Haltung, als Ethos:
→ permanente Kritik unseres geschichtlichen Seins
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NEGATIVE Charakterisierung:
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Aufklärung ist kein all-inclusiv-Packet
→ Erpressung zur Aufklärung:
Entweder pro oder contra sein ist eine simplifizierte
und autoritäre Alternative
→ Aufklärung ist kein Corpus und keine Lehre
„Wir müssen versuchen, die Analyse unserer selbst als geschichtlich zu
einem gewissen Teil durch die Aufklärung bestimmter Wesen
durchzuführen (…) (die Analysen) werden auf die 'aktuellen Grenzen des
Notwendigen' hin ausgerichtet sein: das heißt auf das hin, was für die
Konstitution unserer selbst als autonome Subjekt nicht oder nicht mehr
uns unerlässlich ist.“ (183, m.)
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
Aufklärung ist kein Humanismus,
sicherlich nicht im eigentlichen Sinne:
→ zu breite Begriff: hängt vom Menschenbild ab!
(Vgl.: Kritik des Christentums, christlicher H.,
theozentrischer H., romantischer H., Positivismus,
Marxismus, Existenzialismus, Personalismus,
Nationalsozialismus, Stalinismus.)
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POSITIVE Charakterisierung:
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Grenzhaltung – „man muss an der Grenze sein“
→ Kritik = Analyse der Grenzen und die Reflexion
über sie.
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Kant: die Grenze, bis der ich meine Vernunft nutzen darf;
Heute: die Grenze, die für eine autonomer gewordene
Vernunft nicht mehr einzuhalten sind.
Notwendiger Begrenzung → mögliche Überschreitung
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→ Kritik = historische Untersuchung der Ereignisse,
die dazu geführt haben, dass wir so denken, tun,
hoffen.
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Methode: Archäologie
→ behandelt die Diskurse als historische Ereignisse
VS
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Transzendentaler Sinnsuche im Text
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Finalität: Genealogie
→ zeigt die Geschichte als kontingent und öffnet die
Möglichkeit, sie und uns selbst anders zu gestalten
Essentialismus, der die Grenzen aus der Norm
ableiten.
VS
„Welcher Anteil an dem als universal, notwendig und
obligatorisch gegeben ist singulär, kontingent und willkürlich
Zwängen geschuldet?“ (185, u.)
VS
Metaphysik (Wissenschaft) → lokale Untersuchungen
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Experimentelle Haltung
→ „diese an den Grenzen unserer selbst geleistete
Arbeit“ muss sich an der Realität, an der Aktualität
erproben, um:
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die Stelle zu finden, wo die Veränderung möglich und
wünschenswert sind;
Die genaue Form zu bestimmen, die der Veränderung
gegeben werden muss.
VS
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radikalen Projekten → lokale Veränderungen
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VS Unordnung
der Untersuchungen:
EINSATZ
Paradox (der Verhältnisse) zwischen Fähigkeit und
Macht
→ je fähiger desto freier, autonomer?
(Vgl.: Technik, Medizin, IT)
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HOMOGENITÄT
Referenzbereich = menschliche Praktiken
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Rationalitätsformen, die die Weise des Tuns
organisieren
→ Technologische Seite
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Freiheit, mit der die Menschen (re-)agieren und die
Regeln des Spiels modifizieren
→ Strategische Seite
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SISTEMATIZITÄT
3 Achsen für die Analysen:
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Wissen, Herrschaftsbeziehungen über die Dinge
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Macht, Handlungsbeziehung zu den anderen
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Ethik, Beziehung zu sich selbst als freiem Mensch
„Wie sind wir als Subjekte unseres Wissens konstituiert worden;
wie sind wir als Subjekte konstituiert worden, die Machtbeziehung
ausüben oder erleiden; wie sind wir als moralische Subjekte
unserer Handlungen konstituiert worden.“ (189, o.)
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ALLGEMEINHEIT
In westlichen Gesellschaften sind
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diese historisch-kritische Untersuchungen immer
wieder aufgetaucht:
(Vgl.: die Beziehung Vernunft/Wahnsinn, Krankheit/Gesundheit, Verbrechen/Gesetz; das Problem der Sexualbeziehung; usw.)
→ Die Form der Problematisierung (historische Gestalt)
definiert Gegenstände, Handlungsregeln und Selbstbeziehungsmodi
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Resümee
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Aufklärung = Haltung der Modernität
Philosophisches Ethos: Art der Beziehung zu der Gegenwart und zu sich selbst
Einsatz
Paradox
Fähigkeit/Macht
Homogenität
Technologische +
Strategische Seite
Der Praktiken
Sistematizität
Wissen,
Macht, Ethik
Allgemeinheit
Problematisierungsformen
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Grenzhaltung
Archäologie
Genealogie
Experimentelle
Haltung
Stellen und
Formen der
Veränderungen
Lokale
Untersuchungen
Lokale
Veränderungen
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Resümee
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„Ich weiß nicht, ob die kritische Arbeit noch den
Glauben an die Aufklärung impliziert; sie benötigt,
denke ich, stets die Arbeit entlang unseren
Grenzen, das heißt eine geduldige Arbeit, die der
Ungeduld der Freiheit Gestalt gibt.“
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Literaturhinweise
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Michel Foucault, Ästhetik der Existenz. Schriften zur
Lebenkunst, Suhrkamp, 2007.
Michel Foucault, Dits et ecrits. Schriften, Bd. 2: 1970–1975,
Suhrkamp, 2003.
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Vielen Dank!