Was ist uns der Sonntag wert? Vortrag bei der KAB Dinslaken Heilig-Geist und der EAB Hiesfeld am 20. Mai 2011 Sehr geehrte Damen und Herren, Sie haben mich eingeladen, mit Ihnen über das Thema nachzudenken: Was ist uns der Sonntag wert? Ich werde versuchen, eine Antwort auf diese Frage in drei Abschnitten zu geben. Zunächst folgt eine kurze Annäherung an den Sonntag in unserer Zeit. Dann möchte ich theologisch fragen, was uns der Sonntag wert ist, sein kann, sein sollte. Und im dritten Teil kehre ich noch einmal mit den gewonnen Einsichten zurück in unsere Gesellschaft und ich versuche ein paar Gedankenanstöße für die Diskussion zu geben. Also: I. Der Sonntag in der Gegenwart Was geschieht bei uns am Sonntag? Und was hat sich verändert? Was ist los in der Gesellschaft, dass wir uns heute hier überhaupt zusammenfinden unter der Frage: Was ist uns der Sonntag wert? Ich möchte einige Dinge nennen, die mir auf- und einfallen, ohne dass es mir um Vollständigkeit geht. Sie können überlegen, wo Sie mit mir übereinstimmen oder wo Sie andere Beobachtungen machen. Das können wir dann nachher in der Diskussion vertiefen. 1. Gottesdienste finden wie selbstverständlich und seit Jahrhunderten am Sonntag statt. Der Gottesdienstbesuch in den evangelischen Kirchen – für die katholischen kann ich nicht sprechen – hat sich nach meiner Beobachtung im Schnitt nicht verändert. Sicher kommen zu den »normalen« Gottesdiensten weniger Menschen als vor zwanzig Jahren, dafür gibt es immer mehr »besondere« Gottesdienste, und die sind sehr gut besucht. 1 2. Die Ladenöffnungszeiten sind immer weiter verlängert worden, die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage hat sich vergrößert. Brötchen und vieles andere mehr kann man wie selbstverständlich heute am Sonntagvormittag kaufen. Immer mehr Menschen arbeiten am Sonntag, nicht nur im Handel. Manche Betriebe machen grade am Sonntag den größten Umsatz, das zeigen die »Bäderregelungen«. 3. Schichtdienste machen Taufen schwierig. Ich habe des öfteren erlebt, dass Familien zu mir kamen und sagten: »Wir müssen die Taufe an dem Sonntag machen, das ist der einzige im nächsten halben Jahr, an dem alle Paten und die Familie gleichzeitig frei haben!« 4. Immer mehr Dinge werden am Sonntag getan, die früher undenkbar waren. Gartenarbeit gehört dazu (wenn auch nicht Rasenmähen), Umzüge, Wohnungsrenovierungen (solange sie keinen Krach machen) nehmen immer mehr zu. 5. Ruhe und Erholung sind wichtig, das sagt jeder, aber gleichzeitig höre ich: »Ist doch egal, ob ich sonntags oder montags meinen freien Tag habe, dass muss jeder selber wissen, wann es gut für ihn ist!« Offenbar schwindet das Gefühl dafür, dass manche Dinge soziale Bedeutung haben und es Sinn macht, diese gesellschaftlich zu verabreden. Der Individualismus hat sich sehr tief in unsere Köpfe und Herzen eingegraben. Wir wünschen uns, alles individuell gestalten zu können. Das fängt beim Aufdruck auf dem T-Shirt an, wir gestalten individuelle Einladungskarten am PC, auch Wohnungen werden immer individueller eingerichtet, von der Stange wollen wir so einzigartigen Wesen immer weniger haben. Das ist schon kurios – wir Christen predigen von der Einzigartigkeit jedes Menschen, sprechen davon, dass Gott jeden Menschen liebt und haben vielleicht vergessen, die Bedeutung des Sozialen genauso zu betonen. 6. Unsere Welt hat sich verändert. Globalisierung und Internet nenne ich nur als Beispiele. Das Gefühl, auf einer Welt zu leben, hat sich durch die neuen Medien in den letzten Jahren rasant ausgebreitet. Das ist auch gut so. Aber es hat auch Kehrseiten. Irgendwer arbeitet immer grade auf diesem Planeten, weltweite Kontakte bedeuten eben auch, nächtliche Telefongespräche oder Videokonferenzen. Anders gesagt: Wenn bei uns Sonntag ist, ist anderswo Werktag... 2 II. Sonntag theologisch Am Rande einer Tagung in Berlin bin ich mit einem jüdischen Immigranten ins Gespräch gekommen, der mit anderen die Idee einer speziellen OberstufenSchule für hochbegabte Kinder umzusetzen versucht. Der Grundgedanke dieser Schule ist, dass die Schülerinnen und Schüler den normalen Stoff der Klassen 11-13 lernen und darüber hinaus in allen Fächern weitergehende Förderangebote wahrnehmen. Bei der Frage nach der Organisation verfolgen die Initiatoren die Idee einer Sechs-Tage-Woche: In fünf Tagen soll der normale Stoff erlernt werden, am sechsten Tag findet die zusätzliche Förderung statt und der siebte Tag ist frei. So weit, so gut. Nun aber rechnen die Initiatoren mit einem großen Anteil Kindern aus jüdischen Familien. Daher denkt man daran, die Kinder aus christlichen Familien am Samstag und die Kinder aus jüdischen Familien am Sonntag speziell zu fördern, um beiden Religionen gerecht zu werden. Eigentlich ein sehr sympathischer Gedanke, oder? Aber: Leider erst nach dem Gespräch fiel mir die weitergehende Frage ein, wie es sich denn dann mit der Religion der Lehrkräfte verhält: Fördern dann nur jüdische Lehrkräfte jüdische Kinder am Sonntag und umgekehrt? Oder – um es auf die Spitze zu treiben – liegt die Konsequenz dann darin, nur muslimische, oder noch besser: nur nichtreligiös gebundene Lehrerinnen und Lehrer zu beschäftigen? Dies macht schon deutlich – so ganz einfach ist das nicht mit dem Sonntag aus theologischer Sicht... Juden und Christen beziehen sich auf die gleiche biblische Tradition, ziehen aber im Blick auf die Frage, welches denn nun der rechte siebte Tag ist, unterschiedliche Konsequenzen. Wieso ist das eigentlich so? Ich habe viel gelernt aus einem Buch von Uwe Becker, dem Leiter des Diakonischen Werkes der EKiR. Bevor er diese Stelle annahm, war er Pfarrer in Köln und hat eine Dissertation über Sabbat und Sonntag geschrieben. Ich fasse in aller Kürze wichtige Einsichten Beckers zum Alten und Neuem Testament sowie Erkenntnisse aus der Kirchengeschichte zusammen. Zunächst zum Alten Testament, zur hebräischen Bibel. Becker verweist darauf, dass in beiden Fassungen der Zehn Gebote, des Dekalogs, der Schwerpunkt nicht auf dem Kult, also dem Gottesdienst liegt, sondern in der Unterbrechung 3 der Arbeit, im »Aufhören«. Allerdings geht es bei diesem Aufhören nicht nur um Regeneration für die neuerliche Arbeit, sondern die Arbeit wird durch die Ruhe am Sabbat neu qualifiziert: Es geht weder um eine Erholung von der Arbeit oder für die Arbeit, sondern um eine Ruhe der Arbeit.1 Es geht der hebräischen Bibel nicht um den Sabbat »an sich«, sondern um die Bedeutung des Sabbats für den Menschen. Hiervon ausgehend untersucht Becker das Verhältnis Jesu zum Sabbat. Insbesondere interessiert ihn die Frage, ob Jesus den Sabbat aufgehoben und damit die Kontinuität zur Hebräischen Bibel aufgekündigt hat, so wie es die theologische Tradition durch die Jahrhunderte immer wieder behauptet hat. Für diese Auffassung findet Becker keine Anhaltspunkte. Jesus steht für ihn in Kontinuität zum Alten Testament, wendet sich aber gegen eine damals weit verbreitete Praxis, die den Sabbat statt den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Dies spricht sich in dem bekannten Jesuswort aus: Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat. (Mk 2,27). Jesus bleibt also der Tora treu, legt sie aber anders aus als viele Schriftgelehrte seiner Zeit.2 In der frühen Christenheit feiert die Gemeinde die Auferstehung Jesu am ersten Tag der Woche (Ostermorgen!) und damit am Sonntag, zugleich aber behält sie über lange Zeit den Sabbat weiter bei. Erst nach und nach gehen Christen und Juden getrennte Wege. Das ist wenig bekannt, aber ganz wichtig. Erst mit Einführung des Sonntags als arbeitsfreien Tag durch Kaiser Konstantin trat der Sonntag als »Herrentag« an die Stelle des Sabbat. Dies hat im Verlauf der Kirchengeschichte dann erhebliche Folgen. Der Gottesdienstbesuch wurde immer stärker ins Zentrum gerückt – vor allem aus Angst vor der Ruhe: »Aus Sorge, dass der sonntägliche Müßiggang sündigem Verhalten Vorschub leistet, wurde bis in die frühe Neuzeit hinein variantenreich zum Gottesdienstbesuch diszipliniert. Aus demselben Grund verordneten Sonntagsgesetzgebungen kasuistisch ausdifferenzierte Verbotslisten als Rahmen einer angemessenen Sonntagsgestaltung.«3 1 Becker 2006, 263. 2 Becker 2006, 275 3 Becker 2006, 111 4 In der Neuzeit und in der industriellen Revolution kommt die Kirche schließlich selbst unter Druck, weil sich die Gesellschaft verändert und der arbeitsfreie Sonntag von der sich entwickelnden Industrie in Frage gestellt wurde. Dennoch, in dieser Zeit hat sich die Kirche kaum für die damit verbundenen sozialen Fragen interessiert, sondern, so noch einmal Uwe Becker: »Der kirchliche Einsatz für den arbeitsfreien Sonntag war (…) zunächst primär aus der Interessenlage heraus motiviert, Schutzraum für das gottesdienstliche Leben gewährleistet zu sehen.«4 Dagegen findet sich so gut wie keine Kritik an der mit den sozialen Veränderungen einhergehenden Ausbeutung und der Verelendung des Proletariats. In der Weimarer Zeit setzt sich diese Entwicklung fort. Das sich mit dem »Frühschluss« am Samstag entwickelnde Wochenende wird nicht im Sinne der ausgeweiteten Ruhemöglichkeiten reflektiert, sondern auch wieder allein unter der Fragestellung, ob dies dem Gottesdienst eher nützt oder eher schadet. Für die Nachkriegszeit zeigt Becker zunächst auf, dass sich die Kirche mit dem wachsenden Stellenwert der Freizeit und der 5-Tage-Woche sehr intensiv befasste hat. Trotz einiger weniger abweichender Stellungnahmen bleibt es aber bei der Verengung auf den Gottesdienst als einzigen Grund für die »Sonntagsheiligung«. Damit verbunden wurde immer wieder betont, dass die Unterbrechung der Arbeit letztlich nicht theologisch begründet werden kann und auch nicht inhaltlich mit der Sabbattradition in Verbindung steht. 5 Nach Becker ist die Verengung auf den Gottesdienst aber ein schwerer Fehler, weil die Traditionen des Alten Testaments, welches zunächst und zuvorderst von der Arbeitsruhe spricht, einfach nicht ernst genommen werden. Diese Fokussierung auf den Gottesdienst hat der kirchlichen Argumentation hinsichtlich der Sonntagsarbeit jegliche Schlagkraft genommen. Denn die Wirtschaft konnte dies aufnehmen und sagen: Was wollt ihr denn, eigentlich genügt es dann doch, wenn der Sonntagvormittag weitgehend arbeitsfrei bleibe, um den Gottesdienstbesuch zu ermöglichen. 6 So kommt Becker schließlich zu folgendem Ergebnis: 4 Becker 2006, 121 5 Becker 2006, 174. 6 Becker 2006, 175f. 5 »Weder die Toravergessenheit (…) sollte die kirchliche Argumentationen weiterhin prägen, noch sollte die latente Enteignungstheologie, die den Sabbat für die Christen tendenziell mit dem Sonntag als aufgehoben und erledigt betrachtet, fortgeschritten werden. (…) Es geht nicht darum als Christen den Sabbat zu übernehmen – die Christen müssen nicht Juden werden. Aber positiv gilt es zu fragen, wie denn eine Dimension der Sabbattheologie zu entfalten ist, die ihre theologische Legitimation unter Berücksichtigung dieser Distanz dennoch (…) gewinnt.«7 Einer einseitige Verengung des Sonntags auf den Gottesdienst stimmt also keineswegs mit der biblischen Tradition der Ruhe überein. Wir müssen uns daher fragen: Was ist Ruhe? Und wie können wir Ruhe in unserer Zeit so beschreiben, so in Worte und Gedanken fassen, dass damit die Frage beantwortet wird: Was ist uns der Sonntag wert? Oder: Was sollte er uns wert sein? Oder, noch anders: Was kann er uns wert sein, wozu lädt uns die biblisch verstandene Ruhe am Sonntag ein? Eins ist schon klar, denke ich: Ruhe ist auf jeden Fall mehr als Ausruhen, als nur »Von-der-Arbeit-erholen«. Ruhe ist viel mehr. Drei Aspekte oder Dimensionen sehe ich in der biblischen Tradition vom Sabbat. Die müssen nicht an jedem Sonntag alle in Reinkultur vorhanden sein, und sie überschneiden sich auch. Aber an diesen Aspekten können wir uns orientieren, wenn wir nach dem Sinn, dem Wert des Sonntags für uns Menschen fragen. Diese Dimensionen der Ruhe sind: Befreiung, Unterbrechung und Vergewisserung. Ich möchte sie kurz in ihrer Bedeutung skizzieren. Befreiung. An Anfang des Sabbats steht eine Befreiung. Die Erfahrung der Befreiung des Volkes Israels aus der Sklaverei. Also eine kollektive, gesellschaftliche Erfahrung, wenn Sie so wollen. Befreiung erinnert aber auch an die Hochschätzung des Sonntags als Tag der Auferstehung und damit der Befreiung von Sünde, Schuld und Tod. Im Gedanken der Befreiung liegt zugleich ein überschießendes 7 Becker 2006, 246f. 6 Element, welches an die Feier, die Ekstase denken lässt. Im Sabbat, im Sonntag und im Gottesdienst »feiert« der Mensch seine Unabhängigkeit vom (Arbeits-) System und von der Sünde, feiert die gottgegebene Freiheit und Identität, feiert das Leben. Die Arbeitsruhe ist die Erinnerung an diese Freistellung. Unterbrechung. Arbeit, oder sagen wir besser: der Alltag wird am siebten Tag unterbrochen. Gott ruht am siebten Tag nachdem er die Welt geschaffen hat. Er betrachtet noch einmal alles, was er gemacht hatte, und fand es sehr gut. Aber dieses Betrachten ist nicht das Entscheidende, denn das macht er ja auch am Ende jedes einzelnen Schöpfungstages. Es geht also auch hier eher um die Unterbrechung des Gewohnten. Der Mensch soll eben nicht in der Arbeit, im Alltag aufgehen. Es gibt noch mehr. Von Johann Baptist Metz stammt der einprägsame Satz, die kürzeste Formel für Religion sei Unterbrechung. Der Einbruch des göttlichen Heils unterbricht den Lebenszusammenhang der unerlösten Welt, die Unendlichkeit des Immer-weiter-so.8 Diese Welt wird mit dem Sabbat und am Sabbat unterbrochen, nicht die Arbeit des oder der Einzelnen. Diese verweist dann schon auf die Notwendigkeit, bestimmte Unterbrechungen gesellschaftlich zu organisieren und zu verabreden. Hier kommt eine soziale Perspektive mit hinein. Auch in früheren Zeiten gab es kulturell geformte Ruheordnungen, oft von der Kirche oder der Obrigkeit vorgegeben. Diese Verabredungen müssen heute im Dialog ausgehandelt werden, weitgehender Konsens ist in einer zunehmend individualisierten und multikulturellen Gesellschaft kaum mehr möglich. In demokratisch organisierten Gesellschaften übernimmt der politische Gestaltungsweg hier eine Schlüsselstellung. Politische Mehrheiten müssen organisiert werden, dazu gehört die inhaltliche Überzeugungsarbeit. Hier ist an die Arbeit der unterschiedlichen Bewegungen zu erinnern, die teils beachtliche Erfolge haben. In den letzten Jahren gilt dies z.B. für die »Allianz für den freien Sonntag«, die – Gott sei Dank! – nicht den Fehler früherer Bewegungen 8 Körtner 1999, 320f. 7 wiederholt, beim Schutz des Sonntages nur an die sogenannte »Gottesdienstpflicht« zu denken. Nichtsdestotrotz hat der Sabbat, der Sonntag natürlich auch etwas mit Gottesdienst zu tun. Und so komme ich zur: Vergewisserung. Vergewisserung geschieht vor allem in dem, was wir Gottesdienst nennen. Das Versammeln der Gläubigen um zu singen und zu beten, zu danken und zu loben, um sich über den Glauben zu vergewissern in Schriftlesung und Predigt, um die beiden großen Zeichen unseres christlichen Glaubens zu praktizieren, die einmalige Taufe und die stets wiederholte Mahlfeier oder Messfeier. Es braucht den Gottesdienst für unseren Glauben, wir müssen uns über uns und unseren Glauben stets neu vergewissern und es macht Sinn, dies in Verbindung mit der Unterbrechung des Gewohnten, Alltäglichen am Ruhetag zu feiern. Aber noch einmal: Der Ruhetag ist keineswegs nur für den Gottesdienst da und der Gottesdienst macht den Ruhetag nicht zum Sonntag oder Sabbat. Weil Gott der Welt in den Arm fällt und Erlösung anbietet, das gewohnte Immer-weiter-so unterbricht, ist es symbolisch sinnvoll, die Vergewisserung darüber, die Feier des Lebens im Gottesdienst auf den Ruhetag zu legen. Befreiung, Unterbrechung, Vergewisserung – drei Dimensionen der biblischen Ruhe am Sabbat, am Sonntag. Sie verweisen auf Aspekte unseres Lebens, die im Alltag nicht zur Geltung kommen. Alle drei setzen einen Gegenpunkt zum Alltag, zum alltäglichen. Manche Theologen verweisen darauf, dass es vielleicht noch einen vierten Begriff geben könnte, der hier und da schon aufgeleuchtet ist: die biblische Ruhe bringt ein spielerisches Element ins Leben hinein. Vielleicht im ersten Moment etwas überraschend. Bei Spiel denken wir ja an alles mögliche und nicht alles, was uns da einfällt, passt hier. Aber bestimmte Aspekte des Spiels schon. Ich zitiere aus einem Aufsatz von Petra Dais: »Im Deutschen steht das Wort ›Spiel‹ für sehr Verschiedenes: Sei es das Kinderspiel, das Glücksspiel, das ›so Tun als ob‹ – aber auch das Spiel der Musik, der Wellen und Farben. Eine Achse braucht Spiel, um sich bewegen zu können, eben8 so eine Schublade. Hier wird das Spiel als Zwischenraum verstanden, der Bewegung zulässt im Gegensatz zum Stillstand durch Verkantung. Dieser Aspekt von Spiel präzisiert sehr deutlich, um was es bei Spiel als existenzielle Lebensbewegung geht. Es ist das Bewegungsprinzip, das für Lebendigkeit von zentraler Bedeutung ist, im Gegensatz zu Formen der Fixierung und damit der Feststellung! Etwas erzwingen zu wollen, verhindert Spiel. Von daher ist der Gegensatz von Spiel nicht der Ernst, sondern viel eher Verbissenheit und Krampf.«9 In diesem Sinn kann Spiel als Dimension der Sabbatruhe, der Sonntagsruhe verstanden werden. Spiel verschafft Spiel-Raum. Ernst Lange beschreibt die Möglichkeiten, die sich hier eröffnen: »Spielend entdecken wir Alternativen zum gewohnten Verhalten, überschreiten wir die Grenzen unserer Alltagsrollen und probieren andere aus, testen wir Problemlösungen, die vom Üblichen abweichen. Das Spiel ist das Übungsfeld unserer Freiheit.«10 Da schließt sich der Kreis, die Freiheit ist wieder im »Spiel«, genauso wie die Unterbrechung des Alltags. Spiel nimmt dabei die Leichtigkeit unseres Daseins und die Lebensfreude mit auf, beides Aspekte, die im Sonntag mit aufleuchten. So schreibt auch die Theologin Ina Praetorius: »Insofern Spiel und Unterhaltung das Sichlösen vom gewöhnlichen Tätigsein erleichtern, sind sie Teil der Ruhe.«11 III. Was ist uns der Sonntag wert? Kehren wir nach den theologischen Überlegungen zurück zur Frage: Was ist uns der Sonntag wert? Wir haben gehört, dass der Sonntag, der Sabbat, die Ruhe mit Befreiung, Unterbrechung und Vergewisserung zu tun hat, und dies alles auf spielerische Weise gelebt werden möchte. Ich möchte nun einige Schlussfolgerungen ziehen und ein paar Gedanken zur Diskussion stellen, durchaus auch etwas spitz formuliert, um unser Gespräch damit anzuregen. 9 Dais 2003 10 Lange 1982, 89 11 Praetorius 2005, 114 9 1. Evangeliumsgemäß und daher spielerisch nach Ruhe fragen Befreiend, unterbrechend, vergewissernd kann und somit soll der Sonntag sein. Das fordert uns heraus, nach Wegen zu suchen, die evangeliumsgemäß Ruhe ermöglichen. Dabei haben wir gerade von der Leichtigkeit, dem spielerischen Element gehört. Unser Glaube erlaubt und eine Art heitere Gelassenheit, weil wir wissen, dass es nicht unserer Hand liegt, Glauben und das heißt hier auch Einsicht, Einverständnis, Zustimmung zu wecken. Die Sonntagsruhe ist also schwerlich durch strenge Regeln und Verbote herzustellen. Sondern es gilt: gelassen statt verbissen, einladend statt fordernd, lächelnd statt vorwurfsvoll, spielerisch statt verkrampft, öffnend statt schließend nach heutigen Formen der Sonntagsruhe zu suchen. Dazu gehört als Voraussetzung, dem ökonomischen Denken in der Wirtschaft, in der Gesellschaft und in uns selbst (!) gilt es auf die Spur zu kommen. Da gilt: Zeit ist Geld. Maschinen, die stehen, kosten nur und leisten nichts. Und wir Menschen sind in dieser Logik auch nichts anderes als Maschinen. Perfekte Ausnutzung aller Möglichkeiten verspricht größtmöglichen Profit. Und ein ganzer (oder mit Samstag sogar noch ein zweiter) Ruhetag pro Woche, das schadet dem Wirtschaftswachstum und damit dem Wohlstand. So mal ganz holzschnittartig das ökonomische Denkmuster. Aber machen wir uns nichts vor: Auch wir sind davon mitgeprägt und handeln danach, oft unbewusst, auch in der Kirche... Schon allein deswegen sollten wir uns hüten, zu viele Forderungen zu stellen, mit dem Finger auf andere zu zeigen. 2. Der Sonntag ist mehr als der Tag des Gottesdienstes Auch wenn sie seltener werden, ich selbst habe auch in den letzten Jahren noch Aussagen gehört wie: »Wenn bei den Verkaufsöffnungen am Sonntag darauf geachtet wird, dass die Gottesdienstzeit frei gehalten wird, interessiert mich der Rest nicht mehr.« Seltsame Rückzugsgedanken, ein Großteil des »Sonntags« 10 wird offenbar verloren gegeben, es wird nur noch versucht zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es lässt sich durchaus argumentieren, dass auch am verkaufsoffenen Sonntag die Geschäfte erst nach der Gottesdienstzeit öffnen. Aber nicht, um den Menschen die Teilnahme am Gottesdienst zu ermöglichen (wer das will, wird das auch tun, wenn die Geschäfte offen sind), sondern um auf die grundlegende Bedeutung des Gottesdienstes als symbolischen Orte der Ruhe aufmerksam zu machen und zugleich zu verdeutlichen, dass diese Bedeutung weit über die eine Stunde am Sonntagvormittag hinaus reicht. Das beste christliche Zeugnis für die Bedeutung des Sonntags für die Gesellschaft liegt aber immer noch in gut vorbereiteten Gottesdiensten und lebendigen Festen und Feiern der christlichen Gemeinde. 3. Sonntagsruhe und Demokratie Wir haben vorhin von Uwe Becker gehört, eine Kasuistik der Sonntagsruhe ist nicht möglich. »Gesetzlich« lässt sich Ruhe nicht erzwingen, die Bereitschaft der Menschen dazu muss von innen her kommen. Und doch sind Verabredungen notwendig, Ruhe lässt sich nicht allein individuell regeln. Es braucht den gesellschaftlichen Diskurs und Entscheidungen. Und das geht nun mal über Mehrheiten, da können wir gewinnen und verlieren, aber, nun so ist es in einer Demokratie. Aber wir müssen uns auch an die eigene Nase fassen. Wer hat nicht schon mal am Sonntag online was bestellt? Wer ist nicht schon mal von uns auch am verkaufsoffenen Sonntag durch Dinslaken geschlendert oder nach Venlo gefahren? Es ist schwierig mit dem moralischen Zeigefinger. Argumente sind besser als Vorwürfe. Vielleicht so. Da wir soziale Wesen sind, tut es uns gut, soziale, gemeinsame Ruheräume zu beschreiben. Der allseitige Verweis, der dann schnell auf den Tisch kommt lautet: Muss doch jeder selber wissen, was für ihn oder sie gut ist, der ist sowohl richtig als auch falsch. Natürlich: »Erzwungene« Ruhe am Sonntag kann auch bohrende Langeweile auslösen, die mit der biblischen Ruhe wahrlich auch nichts zu tun hat. Aber Ruhe ist nicht nur individuell zu erreichen. Es braucht auch Ruheräume, Spielräume, in denen sich Ruhe ereignen kann. Und es geht 11 doch! Zu bestimmten Zeiten ist unsere Gesellschaft auch bereit, die Hände gemeinsam in den Schoss zu legen – und z.B bei der Fußball-Weltmeisterschaft nachmittags um drei das Spiel Deutschland gegen wen auch immer zu gucken. Natürlich gilt auch hier: nicht alle. Sind eben nicht alle Fußball-Fans. Aber darum geht es doch nicht, sondern hier sind wir dann ganz nah an der Frage, was ist uns was wert. Wenn ich für Fußball die Arbeit kollektiv ruhen lassen kann (weil ich als Arbeitgeber auch weiß, meine Angestellten sind eh mit den Gedanken woanders), dann ist die Herausforderung für uns Christinnen und Christen, die Sonntagsruhe so einladend zu beschreiben und vorzuleben, dass sich andere davon anstecken lassen. Die neuen Allianzen für den freien Sonntag haben sich erfreulicherweise von der früher einseitigen Betrachtung des Sonntags als Tag des Gottesdienstes abgewandt und fragen wieder nach der Rolle eines – durchaus auch kulturell vereinbarten – gemeinsamen Ruhetages, an dem der Gottesdienst seinen Platz findet, aber der nicht nur für den Gottesdienst da ist. Interessanterweise berichten Mitarbeitende aus den Allianzen aus Gesprächen mit Muslimen, die durchaus bereit sind, den Sonntag als gesellschaftlichen Ruhetag mit zu unterstützen, obwohl ihr Gebetstag ja nun einmal der Freitagabend ist. Von jüdischer Seite ist mir da nichts bekannt, es zeigt aber noch einmal, dass der Ruhetag keineswegs theologisch in erster Linie aus dem Gottesdienst begründet werden kann und muss, sondern aus der Ruhe. 4. Nicht nur die Erwerbsarbeit soll am Sonntag ruhen In unser gegenwärtigen Lebenswelt, die durch vielfältige Entgrenzungsphänomene von Arbeit gekennzeichnet ist, wird zunächst viel »Sonntagsarbeit« sichtbar, die früher nicht so wahrgenommen wurde, z.B. in der Haus- und Familienarbeit oder in der ehrenamtlichen Arbeit. Und die Möglichkeiten, jederzeit über das Internet Geschäfte machen zu können, stellt die Frage nach den Grenzen noch einmal ganz neu und anders. Gilt die »Sonntagsruhe« nur für die Erwerbsarbeit? Wenn ja, welche Konsequenzen folgen daraus? Wenn nein, welche dann? 12 Hier gibt es kulturelle Verpflichtungen wie die der Hausarbeit und der ehrenamtlichen Arbeit, die ebenso sinnvoll zu unterbrechen sind oder unterbrochen werden sollten. In vielen Fällen wird individuell zu entscheiden sein. Der unter der Woche ehrenamtlich tätige Baukirchmeister tut vielleicht gut daran, diese Arbeit am Sonntag zu unterbrechen, während der andere im ehrenamtlichen Engagement am Sonntag vielleicht gerade die Unterbrechung der gewohnten, alltäglichen Arbeit sieht. Die gegenseitige Wahrnehmung wäre Teil des nötigen Dialoges, der auch innerhalb unserer Gemeinden zu führen ist. Und es wäre schön, wenn wir jetzt gleich miteinander einen kleinen Beitrag zu diesem Dialog heute Abend hier noch gemeinsam erbringen würden. Literatur: Becker, Uwe 2006: Sabbat und Sonntag. Plädoyer für eine sabbattheologisch begründete kirchliche Zeitpolitik. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag Dais, Petra 2003: Einführung in die Theologie des Spiels. In: Magazin für Theologie und Ästhetik 24/2003. Online: http://www.theomag.de/24/pd1.htm (21.01.2011) Körtner, Ulrich 1999: Evangelische Sozialethik,Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Lange, Ernst 1989: Predigen als Beruf. Aufsätze zu Homiletik, Liturgie und Pfarramt. München: Christian Kaiser Praetorius, Ina 2005: Handeln aus der Fülle. Postpatriarchale Ethik in biblischer Tradition. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 13
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