Was ist eine Kanzlei? - Institut für Anwaltsrecht

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Anwaltsrecht
Der Kampf um die
Zweigstelle ± oder:
Was ist eine Kanzlei?
zungsånderung beanstandet, weil sie von der Regelungskom-3
petenz der Satzungsversammlung nicht gedeckt sei.
Inhaltlich wurde und wird also darum gestritten, ob der Begriff der Zweigstelle in der Berufsordnung nåher konkretisiert werden kann und wie diese Konkretisierung zu erfolgen
hat.
II. Das Verfahren und die Entscheidung
Der BGH-Beschluss zur Kompetenz der Satzungs- * Gegen die Beanstandung ist die BRAK im Klageweg vorversammlung, die Zweigstelle als Kanzlei zu regeln gegangen. Zum ersten Mal seit der ab dem 1.9.2009 geltenProf. Dr. Hanns PruÈtting, KoÈln
Der Anwaltssenat hat entschieden, dass die Satzungsversammlung der BRAK den § 5 der Berufsordnung zur Kanzlei
auf die Zweigstelle ausdehnen durfte. Die praktischen Folgen der Entscheidung stellt der Autor vor. Er weist daraufhin, dass die Entscheidung am Status-quo kaum etwas
åndert.
I. Die Vorgeschichte
Gemåû § 28 BRAO war seit 1959 bis zum 31.5.2007 die Errichtung einer Zweigstelle und ebenso das Abhalten eines
auswårtigen Sprechtags ausdrçcklich untersagt. Eine durch
die Landesjustizverwaltung gestattete Ausnahme war zwar
im Gesetz vorgesehen, spielte aber in der Praxis keine Rolle.
Diese Regelung war in frçherer Zeit vor dem Hintergrund
der lokalisierten Postulationsfåhigkeit sinnvoll und zur Vermeidung von Umgehungsversuchen notwendig. Seit den
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 1987
war das Zweigstellenverbot jedoch mehr und mehr zweifelhaft geworden. Insbesondere war durch das Zweigstellenverbot nicht die1 generelle Zulåssigkeit der çberærtlichen Sozietåt berçhrt. Mit der schrittweisen Beseitigung aller
Einschrånkungen der anwaltlichen Lokalisierung hat ein
Zweigstellenverbot jeglichen Sinn und Hintergrund verloren.
Es war daher naheliegend gewesen und aus der Sicht von Artikel 12 GG auch letztlich zwingend, dass der Gesetzgeber
durch das Gesetz zur Stårkung der Selbstverwaltung der
Rechtsanwaltschaft vom 26.3.2007 (Bundesgesetzblatt I
S. 358) den § 28 BRAO und mit ihm das Verbot von Zweigstellen ersatzlos aufgehoben hat.
Seit dem 1.6.2007 sind daher die Errichtung einer Zweigstelle und ebenso das Abhalten eines auswårtigen Sprechtages zulåssig. Problematisch war und ist freilich die genaue
Ausgestaltung einer Zweigstelle. Der Begriff ist im Gesetz
nicht definiert. Daher gab es seit 2007 verschiedene Versuche, im Rahmen der Berufsordnung
eine nåhere Konkretisierung vorzunehmen.2 Im Jahre 2009 hat dann die
4. Satzungsversammlung in ihrer dritten Sitzung am
15.6.2009 den erfolgreichen Versuch gemacht, einen Beschluss zur Zweigstelle zu erreichen. § 5 ist damals in der
Weise veråndert worden, dass in Ûberschrift und Normtext
eine Klarstellung zum Begriff der Zweigstelle vorgesehen ist.
Die Norm enthålt nunmehr eine Gleichstellung von Kanzlei
und Zweigstelle. Dieser Beschluss der Satzungsversammlung ist dem Bundesjustizministerium çbermittelt worden,
wie dies § 191 e BRAO vorsieht. Allerdings hat das Bundesjustizministerium mit Bescheid vom 30.9.2009 diese Sat46
AnwBl 1 / 2011
den Neufassung der BRAO kam es damit zu einer Anfechtungsklage der Bundesrechtsanwaltskammer gegen das
Bundesjustizministerium. Ûber diese Klage hatte gemåû
§ 112 a Abs. 3 Nr. 1 BRAO der Anwaltssenat des BGH in erster und letzter Instanz zu entscheiden. Die mit Spannung erwartete
Entscheidung ist durch Urteil vom 13.9.2010 ergangen.4 Der Anwaltssenat hat im Rahmen dieser Entscheidung
verdeutlicht, dass die Bundesrechtsanwaltskammer zur Erhebung der Klage aktiv legitimiert war, dass also die Satzungsversammlung ein Organ der Bundesrechtsanwaltskammer
darstellt. Weiterhin hat der BGH die Anfechtungsklage fçr
begrçndet gehalten und den Bescheid des Bundesjustizministeriums als rechtswidrig5 aufgehoben. Damit kann nunmehr § 5 der Berufsordnung in der beschlossenen Neufassung in Kraft treten.
III. Das Wesen der Satzungsversammlung
Der BGH hat die Satzungsversammlung als ein Organ der
Bundesrechtsanwaltskammer gekennzeichnet. Diese Entscheidung liegt nach der systematischen Stellung im Gesetz
sehr nahe. Denn die §§ 191 a ff. BRAO werden in dem Abschnitt çber die Organe der Bundesrechtsanwaltskammer
nåher geregelt. Andererseits war es von Anfang an klar, dass
der Bundesrechtsanwaltskammer selbst aus verfassungsrechtlichen Grçnden keine Satzungskompetenz çbertragen
werden konnte. Dies alles hatte dazu gefçhrt, dass die rechtliche Stellung6 der Satzungsversammlung von Anfang an umstritten war.
Der Anwaltssenat des BGH hat nunmehr eindeutig ausgesprochen, dass die Satzungsversammlung ein Organ der
Bundesrechtsanwaltskammer ist und dass deshalb die Bundesrechtsanwaltskammer selbst zur Erhebung der Klage aktiv legitimiert war. In der Begrçndung fçr diese Entscheidung ist der BGH allerdings auûerordentlich zurçckhaltend
und verweist lediglich auf einen Hinweis in der Begrçndung
des Gesetzentwurfs sowie auf die Vorschrift des § 86 a
StBerG. Nicht eingegangen wird auf den von § 86 a StBerG
abweichenden Gesetzeswortlaut (¹bei der Bundesrechtsanwaltskammer wird eingerichtetª). Nicht eingegangen wird
ferner darauf, dass bei der Satzungsversammlung die Rechtsanwålte ein Organ wåhlen, obgleich sie selbst nicht Mitglied
* Besprechung von BGH, AnwBl 2010, 873.
1 Vgl. BGHZ 108, 294; BGHZ 119, 223; Prçtting, JZ 1989, 707.
2 Zu den Einzelheiten vgl. Lçhrig, AnwBl. 2009, 831; Feuerich/Weyland, BRAO,
7. Aufl. 2008, § 27 Rn. 26.
3 Vgl. den Bescheid in BRAK-Mitt. 2009, 280.
4 BGH, Urteil vom 13.9.2010, Anwaltsblatt 2010, 873.
5 Es handelt sich um den einzigen Satz von § 5 BORA. Zu Unrecht zitiert die BGHEntscheidung § 5 Satz 2 BORA, der in der Gesetzesgeschichte zunåchst vorgesehen war, aber nicht umgesetzt wurde.
6 Vgl. dazu insbesondere Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl. 2009, § 191 a Rn. 5.
Der Kampf um die Zweigstelle ± oder: Was ist eine Kanzlei?, Prçtting
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der Kærperschaft sind, deren Organ gewåhlt wird. Im Ergebnis werden sicherlich alle diejenigen mit der BGH-Entscheidung unzufrieden sein, die die Satzungsversammlung als
ein demokratisch legitimiertes Organ eigener Art der Anwaltschaft und damit quasi als ein Anwaltsparlament angesehen hatten.7 Im Ergebnis wird die deutsche Anwaltschaft in
diesem Punkt mit der Entscheidung des BGH leben kænnen.
Die praktischen Konsequenzen der Diskussion um die rechtliche Stellung der Satzungsversammlung waren von Anfang
an eher bescheiden. In jedem Falle werden sich nun wohl
die Stimmen mehren, die die Satzungsversammlung in Zukunft fçr çberflçssig halten.
stelle am Ort der Kanzlei hingewiesen wird (weder im Namensschild noch auf dem Briefpapier). Auch die Zweigstelle
selbst muss nicht als solche ausdrçcklich bezeichnet werden.9
Legt man also den neuen § 5 BORA in dem o. g. Sinne
richtig aus, so ist die Regelung letztlich nicht zu beanstanden. Es håtte freilich nahegelegen klarzustellen, dass die
dem Rechtsanwalt zugeschriebene Verpflichtung, die fçr
seine Berufsausçbung erforderlichen personellen Voraussetzungen in Kanzlei und Zweigstelle vorzuhalten, in der Weise
auszulegen sind, dass personelle Voraussetzungen nur in
der Kanzlei bestehen.
IV. Die Zweigstelle
V. Die Telekanzlei
Inhaltlich hat der BGH sehr deutlich die Zweigstelle als eine
Nebenkanzlei eingestuft. Er hat damit die Regelung des § 59 b
Absatz 2 Nr. 1 g BRAO regelungstechnisch auf Kanzlei und
Zweigstelle gleichermaûen bezogen und aus dem Wort
¹Kanzleipflichtª auch entnommen, dass darunter die inhaltliche Ausgestaltung und nåherer Festlegung zu verstehen ist.
Dies ist nicht grundsåtzlich unrichtig, verdeckt aber ein wenig das eigentliche Problem. Ausgangspunkt fçr eine Regelung der Zweigstelle muss Art. 12 GG sein, der çberraschenderweise in der Entscheidung des BGH mit keinem Wort
erwåhnt wird, der aber die Basis der gesamten Diskussion
darstellt. Dies bedeutet, dass dem Anwalt bei der Ausgestaltung seiner Berufståtigkeit vollståndige Freiheit zusteht, so
weit nicht Einschrånkungen in verfassungsgemåûer Art und
Weise vorgenommen werden.
In diesem Zusammenhang mag es durchaus einleuchten, wenn der Gesetzgeber und der Satzungsgeber in §§ 27,
29 a BRAO und § 5 BORA die Kanzlei und die Zweigstelle
im Wesentlichen in ihren Voraussetzungen gleich behandeln
und auch gleichsetzen. Angesichts der heutigen Bedeutung
einer Kanzlei heiût das freilich nur, dass erstens ein Raum
mit Namensschild und Klingel vorhanden sein muss und
dass zweitens ein Anwaltsschild, ein Briefkasten sowie ein
Telefonanschluss vorhanden sein muss. Diese Råumlichkeit
kann auch ein privater Raum oder ein vom Arbeitgeber zur
Verfçgung gestellter Raum sein. Ausgeschlossen werden soll
also, dass der Rechtsanwalt seinen Mandanten in einer
æffentlichen Gastståtte oder einem anderen æffentlichen
Raum empfångt oder dass eine Kontaktaufnahme ausschlieûlich durch einen Internetanschluss ermæglicht wird.
Einziger Unterschied zwischen der Kanzlei (als der Hauptstelle) und einer Zweigstelle (als der Nebenstelle) ist die personelle Ausstattung. Die Kanzlei erfordert gewisse Maûnahmen, die grundsåtzlich sicherstellen sollen, dass der Anwalt
(bzw. sein Personal) fçr jedermann erkennbar an dieser
Stelle erreichbar ist. Davon abweichend muss in einer Zweigstelle keinerlei Personal vorhanden sein und es bedarf auch
keiner Vorkehrungen, dass der Anwalt oder sein Personal in
der Zweigstelle persænlich erreichbar ist. Die Zweigstelle verlangt also weder die Anstellung einer Sekretårin noch das
Vorhandensein von sonstigem Personal. Vielmehr gençgt
der Telefonanschluss mit einer Rufumleitung an die Kanzlei.8 Weiterhin ist es nicht erforderlich, dass auf die Zweig-
Der Grundgedanke der Erreichbarkeit des Rechtsanwalts in
seiner Kanzlei (nicht der ståndigen Pråsenz) steht ± jedenfalls heute noch ± einer reinen Telekanzlei entgegen. Ob dies
langfristig aufrechtzuerhalten sein wird, ist eine andere
Frage. Heute ermæglicht es die ZPO bereits, einen rein elektronischen Prozess zu fçhren mit elektronischer Einreichung
von Schriftsåtzen und Zustellungen, mit mçndlicher Verhandlung durch Videokonferenz, mit elektronischem Protokoll und Aktenfçhrung sowie (teilweise) elektronischer Beweisaufnahme (vgl. §§ 128 a, 130 a, 130 b, 160 a, 298 a, 299 a,
371 a, 416 a ZPO). Die Umsetzung dieser Regelungen ist wegen der fehlenden Ausstattung der Gerichte und aus verschiedenen anderen Grçnden heute noch Zukunftsmusik.
Wenn mittelfristig der elektronische Prozess umgesetzt sein
wird, dçrfte aber auch die Kanzlei und die Zweigstelle des
Rechtsanwalts mit einem råumlich erreichbaren Kanzleiort
çberholt sein.
VI. Fazit
Die Entscheidung des Anwaltssenats vom 13.9.2010 erscheint grundsåtzlich vertretbar, sie spçrt allerdings den
Feinheiten der Problematik nicht vertieft nach. Weder wird
die Streitfrage ernstlich problematisiert, ob die Satzungsversammlung nicht doch etwas anderes als ein normales Organ
der Bundesrechtsanwaltskammer ist, noch wird im Rahmen
der Zweigstelle die Tatsache verdeutlicht, dass der Grundsatz
gemåû Art. 12 GG lautet, dass der Anwalt seine Berufsausçbung vollkommen frei gestalten kann.
Soweit er fçr seine Kanzlei und seine Zweigstelle gewissen Erfordernissen unterliegt, sind diese heute auf sehr wenige sachlich-organisatorische Regeln beschrånkt. Ein wichtiger Unterschied besteht im Rahmen der personellen
Voraussetzungen. Hier ist fçr die Zweigstelle keinerlei Erfordernis zu erkennen.
Prof. Dr. Hanns Prçtting, Kæln
Der Autor ist Direktor des Instituts fçr Verfahrenrecht und
des Instituts fçr internationales Insolvenzrecht sowie
Geschåftsfçhrender Direktor des Instituts fçr Anwaltsrecht
an der Universitåt Kæln.
Sie erreichen den Autor unter der E-Mail-Adresse
[email protected].
7 Vgl. zuletzt Lçhrig, AnwBl 2010, 875.
8 So ausdrçcklich auch Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl. 2008, § 27 Rn. 27.
9 Vgl. Ræmermann, Anwaltsblatt 2007, 609; anderer Ansicht Feuerich/Weyland, BRAO,
7. Auflage 2008, § 27 Rn. 28.
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