Deutsch-Österreichischer Rechts- und Praxisvergleich im Insolvenzrecht Unternehmensfortführung in der Insolvenz von Michael Lentsch Salzburg, 23. Jänner 2015 Inhalt Einleitung Historische Entwicklung der Unternehmensfortführung in Österreich Zweck der Unternehmensfortführung Verfahren Fortführung / Schließung / Haftung des Masseverwalters Rechtsvergleich D / Ö Unternehmensfortführung in der Insolvenz Einleitung • Widerspricht die Fortführung des Unternehmens im Insolvenzverfahren dem Zweck als eine Art Generalexekution? • Kommt dem Konkurs eine „Auslesefunktion“ zu? • Welchem Zweck kann die Unternehmensfortführung im Konkurs dienen? Unternehmensfortführung in der Insolvenz Historische Entwicklung der Unternehmensfortführung in Österreich • Kaiserliche Verordnung vom 10.12.1914 (RGBl 1914/337) • IRÄG 1982 (BGBl 1982/370) • IRÄG 1997 (BGBl I 1997/114) • IRÄG 2010 (BGBl I 2010/29) Unternehmensfortführung in der Insolvenz Historische Entwicklung der Unternehmensfortführung in Österreich • Kaiserliche Verordnung vom 10.12.1914 (RGBl 1914/337): – § 115 Abs 1KO (Geschäftsführung durch den Masseverwalter): „Der Masseverwalter hat das zur Konkursmasse gehörige Vermögen zu verwerten und bares Geld fruchtbringend anzulegen. Er hat bei allen wichtigen Vorkehrungen den Beschluß des Gläubigerausschusses einzuholen, insbesondere wenn es sich um die Fortführung oder Schließung des Geschäftes des Gemeinschuldners (…) handelt. Wenn es tunlich ist, hat er den Gemeinschuldner zu hören.“ Unternehmensfortführung in der Insolvenz Historische Entwicklung der Unternehmensfortführung in Österreich • IRÄG 1982 (BGBl 1982/370) – § 115 Abs 1KO: „Das Konkursgericht darf die Schließung eines Unternehmens nur anordnen oder bewilligen (§ 78 Abs. 1, § 114 Abs. 3), wenn auf Grund der Erhebungen feststeht, daß anders eine Erhöhung des Ausfalls, den die Konkursgläubiger erleiden, nicht vermeidbar ist. Wird bei der Vernehmung glaubhaft gemacht, daß innerhalb vierzehn Tagen die Voraussetzungen zur Abwendung des Nachteils, der den Konkursgläubigern droht, geschaffen sein werden, insbesondere, daß eine Erklärung nach Abs. 2 abgegeben werden wird, so ist die Beschlußfassung bis zum Ablauf dieser Frist auszusetzen.“ – Abs 2: „Fortführungskaution“ – Abs 3: „Wiedereröffnung“ Unternehmensfortführung in der Insolvenz Historische Entwicklung der Unternehmensfortführung in Österreich • IRÄG 1997 (BGBl I 1997/114) – Einführung eines Verfahrensgebäudes (Prüfphase – Berichtstagsatzung – Zwangsausgleich) – Herabsetzung des Haftungsmaßstabes des MV für die Fortführung in der Prüfphase (Offenkundigkeit des Ausfalles) – Unterscheidung: Fortführung auf einstweilen unbestimmte Zeit – befristete Fortführung –Schließung – Koppelung von unbefristeter Fortführung und Zwangsausgleich (Sanierung) – Zwangsschließung nach einem (max zwei) Jahren Unternehmensfortführung in der Insolvenz Historische Entwicklung der Unternehmensfortführung in Österreich • IRÄG 2010 (BGBl I 2010/29) – Wegfall der „Befristeten Fortführung“ – Entkoppelung von Fortführung und Sanierungsplan (Ex Zwangsausgleich) – Zwangsschließung nach maximal drei Jahren der Fortführung – Neudefinition der Fortführungskaution Unternehmensfortführung in der Insolvenz Zweck der Unternehmensfortführung • optimale Ausnützung der vorhanden Ressourcen • Gesamtveräußerung oder Veräußerung von Teilen des Unternehmens („übertragende Sanierung“) • Sanierung des Unternehmens beim aktuellen Unternehmensträger Unternehmensfortführung in der Insolvenz Zweck der Unternehmensfortführung • optimale Ausnützung der vorhanden Ressourcen – Die rasche Schließung des Unternehmens mit darauf folgender Zerschlagungsverwertung ist einfach, schnell und risikolos, aber wirtschaftlich wenig erfolgversprechend. – Verbesserung des Ergebnisses durch eine (zeitweilige) Fortführung des Unternehmens, die auf Aufarbeitung vorhandener Vorräte oder die Abwicklung laufender Geschäfte und Aufträge gerichtet ist. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Zweck der Unternehmensfortführung • Gesamtveräußerung oder Veräußerung von Teilen des Unternehmens („übertragende Sanierung“) – Verbesserung des Ergebnisses durch Erhaltung des „Good-Will“. – Die Unternehmensfortführung ist ein notwendiges Durchgangsstadium. – Führt zum Erhalt der Betriebsstruktur, ist allerdings keine Sanierung im eigentlichen Sinn, sondern – aus Sicht der Masse (des Unternehmensträgers) – eine Spielart der Liquidation. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Zweck der Unternehmensfortführung • Sanierung des Unternehmens beim aktuellen Unternehmensträger – Die Unternehmensfortführung ist unabdingbare Voraussetzung. – Die Sanierung muss im Ergebnis für die Konkursgläubiger besser sein als die denkbaren Alternativen. – Ist vom österreichischen Gesetzgeber zum erstrangigen Ziel erklärt worden, sofern sie der bestmöglichen Gläubigerbefriedigung entspricht. – Neben der „Sanierung der Bilanz“ durch Restschuldbefreiung bedarf es separater Vereinbarungen insb mit den Absonderungsgläubigern. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Verfahren • Prüfphase: – – – Maximal 90 Tage ab Verfahrenseröffnung Schließung nur bei Offenkundigkeit des Ausfalls (§ 114a Abs 1 IO) Verwertungsverbot gem § 114a Abs 2 IO (im Sanierungsverfahren zusätzlich gem § 168 Abs 2 IO) • Berichtstagsatzung: – – Entscheidung des Gerichtes auf Fortführung oder Schließung Auf Antrag Einräumung einer Frist von max 14 Tagen für die Einbringung eines Sanierungsplanes (obsolet im Sanierungsverfahren) • Weiteres Verfahren: – – – Bei rechtzeitiger Annahme des Sanierungsplanes Verwertungsverbot gem §§ 114b Abs 2 und 114c Abs 1 IO. Schließung, wenn ein weiterer Ausfall für die Gläubiger „Feststeht“ (§ 115 Abs 1 IO). Zwangsschließung nach max drei Jahren ab Verfahrenseröffnung. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Fortführung / Schließung / Haftung des Masseverwalters • Das Gesetz ist betont fortführungsfreundlich formuliert. • § 115 Abs 1 IO idF IRÄG 1982 – „Das Konkursgericht darf die Schließung eines Unternehmens nur anordnen oder bewilligen (§ 78 Abs. 1, § 114 Abs. 3), wenn auf Grund der Erhebungen feststeht, daß anders eine Erhöhung des Ausfalls, den die Konkursgläubiger erleiden, nicht vermeidbar ist. Wird bei der Vernehmung glaubhaft gemacht, daß innerhalb vierzehn Tagen die Voraussetzungen zur Abwendung des Nachteils, der den Konkursgläubigern droht, geschaffen sein werden, insbesondere, daß eine Erklärung nach Abs. 2 abgegeben werden wird, so ist die Beschlußfassung bis zum Ablauf dieser Frist auszusetzen.“ • Im Zweifel hat das Interesse an der Unternehmensfortführung Vorrang. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Fortführung / Schließung / Haftung des Masseverwalters • Es ist nicht entscheidend, ob – die Konkursgläubiger durch die Fortführung Ausfälle erleiden, oder – das Fortführungsergebnis positiv ist • sondern – ob fortführungsbedingte Ausfälle der Konkursgläubiger nicht anders als bzw nur durch eine Schließung verhindert werden könnte. – Die fortführungsbedingten Ausfälle müssen „feststehen“, dh es muss mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass sich die Verluste der Konkursgläubiger durch einen allfällige Fortführung mehren würden. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Fortführung / Schließung / Haftung des Masseverwalters • Die Überprüfung der Fortführungsfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens, bzw des Vorliegens eines Schließungstabestandes gem § 115 Abs 1 IO erfolgt in drei Schritten. • „Dreistufiges Prüfungsverfahren“: 1. 2. 3. Berechnung des Ausfalles, den die Konkursgläubiger bereits mit der Eröffnung des Verfahrens erlitten haben. Berechnung, ob sich der Ausfall durch eine etwaige Fortführung erhöhen würde. Ermittlung der Wahrscheinlichkeit einer solchen Ausfallserhöhung. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Fortführung / Schließung / Haftung des Masseverwalters • „Dreistufiges Prüfungsverfahren“: 1. Berechnung des Ausfalles, den die Konkursgläubiger bereits mit der Eröffnung des Verfahrens erlitten haben: – Berechnung der Quote, die sich bei einer sofortigen (Zerschlagungs-) Verwertung ergeben würde. – Status, in dem das freie (nicht durch Aus- oder Absonderungsrechte belastete) Vermögen den unbesicherten Konkursforderungen gegenüber gestellt wird. – Vermögensbewertung zu Zerschlagungswerten. – Abzug der anfallenden Masseforderungen und Verfahrenskosten. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Fortführung / Schließung / Haftung des Masseverwalters • „Dreistufiges Prüfungsverfahren“: 2. Berechnung, ob sich der Ausfall durch eine etwaige Fortführung erhöhen würde: – Fortführungserfolgsrechnung: Überprüfung, ob sich der unter 1. errechnete Ausfall durch die Fortführung erhöht. – Plan GuV – Liquiditätsplan – Planbilanz – Bereits eingetretene Verluste Liquidationswerte bei Lagerware – Sowieso Massekosten sind neutral zu betrachten. – Bei negativem Fortführungserfolg liegt im Zweifel ein Schließungstatbestand vor, es sei denn es kann etwa durch bessere Verwertungsmöglichkeiten kompensiert werden. müssen nicht kompensiert Unternehmensfortführung in der Insolvenz werden – Fortführung / Schließung / Haftung des Masseverwalters • „Dreistufiges Prüfungsverfahren“: 3. – Ermittlung der Wahrscheinlichkeit einer solchen Ausfallserhöhung: Die Schließungsvoraussetzungen liegen dann vor, wenn eine Wahrscheinlichkeit von über 50% dafür spricht, dass anders als durch eine Schließung eine Erhöhung des Ausfalls der Konkursgläubiger nicht vermeidbar ist („überwiegende Wahrscheinlichkeit“ – Parallele zur Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung). • Fortführung in der Prüfphase: – Schließung bei „Offenkundigkeit Haftungsmaßstabes. des Ausfalles“ – Herabsetzung des – Der Ausfall muss dennoch „feststehen“ – „offenkundig“ betrifft Beurteilungsmaßstab. Unternehmensfortführung in der Insolvenz den Rechtsvergleich D / Ö • Die (deutsche) InsO geht – ähnlich wie die öIO - von der Fortführung des Unternehmens als Regelfall aus, bis eine ausdrücklich anderweitige Entscheidung im Interesse der Insolvenzgläubiger getroffen wurde. • Auch die Beweggründe, aus denen die InsO den Vorrang der Fortführung vor der Zerschlagung ableitet, sind ganz ähnlich. • Signifikant Unterschiede bestehen aber im Verfahrensablauf und zwar insbesondere im Zuge des „Eröffnungsverfahrens“ und der Weichenstellung im eröffneten Verfahren (Berichtstermin [InsO] / Berichtstagsatzung [IO]). Unternehmensfortführung in der Insolvenz Rechtsvergleich D / Ö • Eröffnungsverfahren 1. Bestellung eines vorläufigen Verwalters gem § 22 Abs 1 InsO unter Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbotes – „starker vorläufiger Insolvenzverwalter“ 2. Bestellung eines vorläufigen Verwalters gem § 22 Abs 2 InsO ohne allgemeinen Verfügungsverbot bzw unter Einräumung einzelner Ermächtigungen für den Verwalter, oder 3. Bestellung eines vorläufigen Verwalters gem § 22 Abs 2 InsO ohne allgemeinen Verfügungsverbot mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Rechtsvergleich D / Ö • Eröffnungsverfahren 1. Bestellung eines vorläufigen Verwalters gem § 22 Abs 1 InsO unter Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbotes – „starker vorläufiger Insolvenzverwalter“ – Verbindlichkeiten, die der Verwalter begründet Verfahrenseröffnung als Masseverbindlichkeiten. – Ansprüche auf Arbeitsentgelt sind einfache Insolvenzforderungen, wenn sie auf die Bundesanstalt für Arbeit übergehen (§ 55 Abs 3 InsO). – Zu den pflichten des straken Verwalters gehören Unternehmensfortführung und die Überprüfung der Aussichten Fortführung im eröffneten Verfahren (§ 22 Abs 1 Z 2 und 3 InsO). gelten Unternehmensfortführung in der Insolvenz nach die der Rechtsvergleich D / Ö • Eröffnungsverfahren 2. 3. Bestellung eines vorläufigen Verwalters gem § 22 Abs 2 InsO ohne allgemeinen Verfügungsverbot bzw unter Einräumung einzelner Ermächtigungen für den Verwalter, oder Bestellung eines vorläufigen Verwalters gem § 22 Abs 2 InsO ohne allgemeinen Verfügungsverbot mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt. – Die Unternehmensfortführung ist grundsätzlich Angelegenheit des Schuldners. Der Verwalter hat sein Zustimmungsverhalten daher grundsätzlich an der Fortführung zu orientieren. – Die Tätigkeit des Verwalters begründet grundsätzlich keine Masseverbindlichkeiten – Ausnahme: Einräumung von Einzelermächtigungen. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Rechtsvergleich D / Ö • Nach Verfahrenseröffnung – § 158 InsO – Maßnahmen vor der Entscheidung – Abs 1: Will der Insolvenzverwalter vor dem Berichtstermin das Unternehmen des Schuldners stillegen oder veräußern, so hat er die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen, wenn ein solcher bestellt ist. – Abs 2: Vor der Beschlussfassung des Gläubigerausschusses oder, wenn ein solcher nicht bestellt ist, vor der Stilllegung oder Veräußerung des Unternehmens hat der Verwalter den Schuldner zu unterrichten. Das Insolvenzgericht untersagt auf Antrag des Schuldners und nach Anhörung des Verwalters die Stilllegung oder Veräußerung, wenn diese ohne eine erhebliche Verminderung der Insolvenzmasse bis zum Berichtstermin aufgeschoben werden kann. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Rechtsvergleich D / Ö • Nach Verfahrenseröffnung – § 156 InsO – Berichtstermin – Abs 1 : Im Berichtstermin hat der Insolvenzverwalter über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Ursachen zu berichten. 2Er hat darzulegen, ob Aussichten bestehen, das Unternehmen des Schuldners im Ganzen oder in Teilen zu erhalten, welche Möglichkeiten für einen Insolvenzplan bestehen und welche Aussichten jeweils für die Befriedigung der Gläubiger eintreten würden. – Abs 2: Dem Schuldner, dem Gläubigerausschuss, dem Betriebsrat und dem Sprecherausschuß der leitenden Angestellten ist im Berichtstermin Gelegenheit zu geben, zu dem Bericht des Verwalters Stellung zu nehmen. Ist der Schuldner Handels- oder Gewerbetreibender oder Landwirt, so kann auch der zuständigen amtlichen Berufsvertretung der Industrie, des Handels, des Handwerks oder der Landwirtschaft im Termin Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Unternehmensfortführung in der Insolvenz Rechtsvergleich D / Ö • Nach Verfahrenseröffnung – § 157 InsO – Entscheidung über den Fortgang des Verfahrens – Die Gläubigerversammlung beschließt im Berichtstermin, ob das Unternehmen des Schuldners stillgelegt oder vorläufig fortgeführt werden soll. Sie kann den Verwalter beauftragen, einen Insolvenzplan auszuarbeiten und ihm das Ziel des Plans vorgeben. Sie kann ihre Entscheidungen in späteren Terminen ändern. – – – Sukzessive Stilllegung Übertragende Sanierung Insolvenzplan Unternehmensfortführung in der Insolvenz Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Michael Lentsch Kosch & Partner Rechtsanwälte GmbH Hauptplatz 32 2700 Wiener Neustadt T: +43 2622 27041 F: +43 2622 29246 M: [email protected] W: www.kosch-partner.at Unternehmensfortführung in der Insolvenz
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