Genf als Plan B für Saudi-Zentrum

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MITTWOCH, 28. JÄNNER 2015 · PREIS: 2,20 EURO · NR. 20.406*** · DIEPRESSE.COM
Gedenken am
70. Jahrestag der
Befreiung
Mit Gedenkfeiern in Auschwitz, Theresienstadt, Berlin und Wien ist am
Dienstag der 70. Jahrestag der Befreiung des früheren NS-Konzentrationsund Vernichtungslagers Auschwitz
durch sowjetische Soldaten begangen
worden. In der Früh legten Überlebende vor der sogenannten Todeswand im Stammlager, an der tausende
Menschen erschossen worden waren,
Blumen nieder und entzündeten Kerzen. Aus Österreich nahmen Bundespräsident Fischer und Kanzler Faymann an den Gedenkfeierlichkeiten
teil. Das ehemalige Lager AuschwitzBirkenau war am Dienstag von frisch
gefallenem Schnee bedeckt. In den
Jahren 1940 bis 1945 wurden dort etwa
1,1 Millionen Menschen ermordet, die
[ Reuters ]
meisten von ihnen Juden.
Mehr zum Thema: Seite 3
Genf als Plan B für Saudi-Zentrum
Abdullah-Zentrum. Während die heimische Politik noch über den Umgang mit der Wiener Institution
streitet, lotet man dort neue Standort-Optionen aus. Das Außenamt warnt vor Schaden für Österreichs Ruf.
VON CHRISTIAN ULTSCH, JULIA RAABE
UND IRIS BONAVIDA
Wien. Angesichts der lautstarken öffentlichen
Kritik stellt sich das umstrittene AbdullahZentrum bereits auf einen Abzug aus Wien
ein. Schon vorletzte Woche – und damit lange vor dem Bericht des österreichischen Außenministeriums vom Dienstag – reiste Generalsekretär Faisal bin Abdulrahman bin
Muammar für mehrere Tage nach Genf, um
eine mögliche Verlegung des Zentrums in
die Schweizer UN-Metropole auszuloten, wie
„Die Presse“ aus internationalen Diplomatenkreisen erfuhr.
Der Sprecher des Zentrums, Peter Kaiser,
bestätigte auf Anfrage zwar die Reise des saudischen Ex-Vizeministers nach Genf, der sich
unter anderem mit dem dortigen Chef der
Vereinten Nationen, Michael Moeller, traf.
Ihm sei aber nicht bekannt, ob es dabei auch
um den Amtssitz gegangen sei, so Kaiser. In
Wien gebe es Überlegungen, die Räumlichkeiten auszuweiten.
Tatsächlich aber hat Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) auf eine Schließung des
Zentrums gedrängt. Der von ihm verlangte
Evaluierungsbericht des Außenministeriums,
der am Dienstag im Ministerrat diskutiert
wurde, warnt dagegen vor schweren diplomatischen Verstimmungen und einen Vertrauensverlust für den Amtssitz Wien. Als solcher befindet sich Österreich ohnehin in
AUF EINEN BLICK
Das König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen
und interkulturellen Dialog (KAICIID) wurde 2011
von Österreich, Spanien und Saudiarabien
gegründet und im November 2012 im Wiener Palais
Sturany eröffnet. Der Heilige Stuhl nimmt als
Beobachter teil. Ziel ist ein Dialog der Religionen.
Die Initiative ging vom verstorbenen saudischen
König Abdullah aus. Riad übernimmt die Kosten des
Dialogzentrums – jährlich rund 15 Millionen Euro.
Kritiker befürchteten von Beginn an einen Versuch
Riads, sein international ramponiertes Image
aufzupolieren. Die Verurteilung des saudischen
Bloggers Raif Badawi zu 1000 Peitschenhieben, zu
der das Zentrum schwieg, hat die Debatte um eine
Schließung zuletzt wieder entfacht und einen Streit
innerhalb der Regierungskoalition ausgelöst.
einem harten Standortwettbewerb mit anderen Städten – darunter auch Genf.
Neben möglichen Konsequenzen in den
bilateralen Beziehungen zu Saudiarabien
könnte sich die Sache auch auf andere internationale Organisationen in Wien auswirken,
heißt es in dem Bericht. Er nennt einen möglichen Abzug der Erdöl-Organisation Opec
sowie des Opec-Fonds für Internationale
Entwicklung – beides Organisationen, in denen Saudiarabien eine wichtige Rolle spielt.
Faymanns Verhalten „schadet wirklich“
Die Regierung beschäftigte sich am Dienstag
beim Ministerrat durchaus emotional mit
dem Bericht. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka kritisierte noch vor dem Treffen die Linie der SPÖ: Es sei „schwer nachvollziehbar“,
wie Kanzler Faymann, der seinerzeit das Abkommen mitunterzeichnet habe, „plötzlich
als Oppositionspolitiker agiert“. Sein Verhalten „schadet hier wirklich“. Er appellierte daher an den Kanzler, „seine Kampagne zumindest eine Zeitlang einzustellen“. Faymann
überlegt einen Ausstieg aus dem Vertrag unter anderem deshalb, weil das Zentrum zur
Folter durch Peitschenhiebe des Bloggers Raif
Badawi schwieg.
Nach dem Ministertreffen, also im Pressefoyer, ging das Match auf höchster Ebene
zwischen den beiden Parteien weiter: Das
Zentrum soll „kein Schweigezentrum sein“,
meinte Faymann. „Jetzt geht es um die Frage,
ob eine neue Aufstellung möglich ist.“ Ansonsten müsse man eben über ein Ende der
österreichischen Bemühungen in diesem Bereich offen diskutieren. In Richtung Lopatka
fügte Faymann hinzu: „Wenn es eine Kampagne ist, dass sich ein interreligiöses Zentrum für Menschen einsetzen soll, die den
interreligiösen Dialog wollen – dann lässt das
tief blicken.“ Nachsatz: „Auf so eine Kampagne bin ich stolz.“
Vizekanzler Reinhold Mitterlehner verdreht daraufhin gereizt die Augen. Es sei gar
nicht die Aufgabe des Zentrums, sich für
Menschenrechte starkzumachen. Schließlich
sei es kein „Amnesty-International mit saudiarabischer Beteiligung“. Außerdem würde
er „jeden ersuchen, den Vertragsinhalt zu lesen, bevor man einem Zentrum vorwirft, es
würde nicht entsprechend handeln“. Wenn,
IM WORTLAUT
Aus dem Außenamtsbericht: „Österreich
könnte nicht nur in
seinen politischen und
wirtschaftlichen
Beziehungen in der
Region mit konkreten
Auswirkungen
konfrontiert sein,
sondern auch als
Amtssitz internationaler
Organisationen. (. . .)
Dem österreichischen
Botschafter in Saudiarabien wurden bereits
mögliche
Konsequenzen in
Aussicht gestellt.“
dann müsse man sich selbst vorwerfen, kein
passendes Mandat für das Zentrum ausverhandelt zu haben. Bei der Gründung war
Faymann bereits Kanzler.
Der Bericht konstatiert bedeutende Mängel in Struktur, Arbeitsweise und der Kommunikationspolitik. Empfehlung: eine „tiefgreifende Reform und Neuaufstellung des Zentrums“ – auf Grundlage von Verhandlungen
mit den anderen Vertragsparteien, also Saudiarabien und Spanien. Alternative: Österreich tritt aus, oder das Zentrum wird überhaupt aus Wien abgezogen. Die relevanten
Verträge – das Gründungsübereinkommen
und das Amtssitzabkommen – sehen für den
Austritt eine Frist von drei Monaten vor, sechs
Monate für die Aufkündigung des Amtssitzes.
Eine „sofortige Schließung“ oder ein „einseitig erzwungener Abzug aus Wien“ stellten
einen Völkerrechtsbruch dar, warnt der Bericht.
Fischer muss Ausstieg zustimmen
Wie geht es jetzt also weiter? Kanzler Faymann will sich den Bericht „in Ruhe“ durchlesen und in den nächsten Tagen eine endgültige Meinung bilden. Gefragt ist allerdings
auch Bundespräsident Heinz Fischer: Ohne
seinen Sanktus kann Österreich nicht aus
dem Vertrag aussteigen. Und der war bisher
auf einer Linie mit der ÖVP.
THEMEN
OPER
Lucias
Wahnsinn hat
Methode
Diana Damrau singt
in München Donizettis Heldin mit zu
viel neckischem
Gehabe; doch die
Akustik entschädigt
überreich.
S. 24
INTEGRATION
SPÖ-Absage
an rote
Scharfmacher
Sozialminister
Hundstorfer bremst
SPÖ-Landeschefs,
die Sanktionen für
Integrationsunwillige wollen.
S. 7
BANKEN
Franken-Kurs
droht Hypo
zu belasten
Kredite in Höhe von
einer Milliarde Franken über Töchter in
Südosteuropa
könnten Steuerzahler zusätzlich
belasten.
S. 15
FEUILLETON
Englisch im
Deutschen:
Warum nicht!
Englische Lehn- und
Fremdwörter sind
besser als ihr Ruf.
Auch, weil das
Deutsche kreativ
mit ihnen umgeht.
Ein Plädoyer für
„Denglisch“. S. 23
NAVIGATOR
Veranstaltungen, Kino,
Radio & TV ... S. 11, 14
Sport ...................... S. 21
Aktien, Fonds ..... S. 18
Wetter ................... S. 28
Impressum ......... S. 28
24 Stunden ........ S. 28
[ Fotos: Wilfried Hösl]
Zum Ministeriumsbericht: www.diepresse.com/bericht
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