Pressetext - Kunsthalle Wien

Kunsthalle Wien
Museumsquartier
Pierre Bismuth. Der Kurator, der Anwalt und
der Psychoanalytiker
4/2 – 22/3 2015
Pressekonferenz: Dienstag, 3. Februar 2015, 10 Uhr
Eröffnung: Dienstag, 3. Februar 2015, 19 Uhr
I just don’t like art that tries to take you somewhere else. I have a problem with art
that aims at providing entertainment and dreams. People don’t need art to dream.
Everyone is dreaming already. Everyone is already creative. The artist doesn’t have
the exclusivity of being creative in society.
Pierre Bismuth
Pressetext
Der Kurator, der Anwalt und der Psychoanalytiker ist der Titel der ersten
umfangreichen Personale des französischen Künstlers Pierre Bismuth. Etwa
sechzig Arbeiten, die zwischen 1988 und 2014 entstanden sind, sowie ein neues
Werk, das Bismuth eigens für die Präsentation in der Kunsthalle Wien entwickelt hat,
geben einen repräsentativen Einblick in sein komplexes, alle Medien umspannendes
Œuvre.
Immer wieder agiert Pierre Bismuth als Saboteur des Kunstsystems, indem er dort
festgeschriebene Bedeutungen und Wahrnehmungen untergräbt. Autorschaft und
Originalität gelangen dabei ebenso auf seinen Seziertisch wie der in der Kunst noch
immer betriebene Starkult. Seine mit Ironie geschärften Schnitte vollzieht Bismuth
zudem gerne in periodischen Abständen, sind doch seine Werke zu einem großen
Teil seriell angelegt.
So hat der Künstler mit Following the right hand of …, einer seiner bekanntesten
Serien, bereits 1998 begonnen und setzt sie bis heute fort. Handbewegungen
berühmter Künstler/innen und bedeutender Persönlichkeiten wie zum Beispiel
Sigmund Freud, Greta Garbo oder Pablo Picasso aus Dokumentar- und Spielfilmen
zeichnet Bismuth auf einer über den Bildschirm gespannten Folie nach. Die
gesamte Werkserie – laut Bismuth ursprünglich aus Langeweile entstanden
– persifliert nicht allein die Reduktion des ikonischen Künstlers auf dessen
Handschrift, sondern verwandelt auch die passive Erfahrung der Filmbetrachtung
in einen produktiven Akt der Übersetzung, der Wiederholung und reflektierenden
Wahrnehmung.
Auf einer Form der Übersetzung anderer Art beruht The Jungle Book Project von
2002. Die von 19 Zeichnungen begleitete Videoarbeit thematisiert das Medium
Sprache anhand des bekannten Zeichentrickfilms von Walt Disney. Unter
Verwendung zahlreicher Synchronfassungen dieses Films weist Bismuth jedem
Charakter eine andere Sprache zu und erzeugt dadurch ein ironisches Spiel mit
nationalen Klischees und Stereotypen – ein letztlich schizophrenes, wildes ZooEnsemble, eine babylonische Sprachverwirrung im Trickfilm-Dschungel.
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PIERRE BISMUTH
Pierre Bismuth betrachtet seine künstlerische Praxis als Mittel, unsere
Sichtweise der Wirklichkeit einer Prüfung zu unterziehen. Indem er regulierende
Zeichensysteme verändert und Unsicherheit in scheinbar definierte Situationen
einbringt, stellt er ernst und zugleich spielerisch festgelegte Regeln der
Wahrnehmung in Frage und bringt den Betrachtern verborgene oder unbemerkte
Momente der Realität ins Bewusstsein.
Überlegungen zum Thema audiovisueller Wahrnehmung bilden auch den
Hintergrund von The Party (1997), für die Bismuth erneut auf das Werk eines
anderen Künstlers, diesmal des Regisseurs Blake Edwards, zurückgreift. Bismuth
beauftragte eine Stenotypistin, der Tonspur von dessen Komödie The Party
(Der Partyschreck, 1968) zuzuhören und die Dialoge sowie die Atmosphäre und
Handlung zu beschreiben, ohne den Film selbst gesehen zu haben. Das Ergebnis
ist eine Doppelprojektion, die Bild und Text einander gegenüberstellt. Der Film
wird auf einem Monitor ohne Ton gezeigt, während der Text als abweichende
Untertitelung im Sinne eines abstrakten Kommentars projiziert wird. Durch diesen
doppelten Akt der Übersetzung – von Film zu Ton, von Ton zu Text – produziert der
Künstler ein neues Szenario im Zusammenprall unterschiedlicher Medien.
Das in der Kunst so heftig diskutierte Thema der Autorschaft bildet wiederum den
Hintergund der Werkserien Certificate of Authenticity, Most Wanted Men und
Willem, Robert Fu and Myself.
Die Arbeit Fried Chicken Flavored Polyethylene, die Bismuth für die aktuelle
Präsentation in der Kunsthalle Wien entwickelt hat und die im Zentrum der
Ausstellungshalle positioniert ist, stellt eine Verbindung zum Thema der
Transformation her. Der Titel bezeichnet exakt was zu sehen ist: Ein Extruder (eine
Maschine zur Formgebung von Kunststoff), um den Behältnisse mit Plastikgranulat,
Säcke mit „Chicken Flavour“ sowie Nester von Plastikspaghetti gruppiert sind.
Das Werk visualisiert den Transformationsprozess an sich, der in seine Einzelteile
aufgefächert wird.
Pressetext
Aktuell arbeitet Pierre Bismuth an seinem ersten Spielfilm mit dem Titel Where
is Rocky II? den er teilweise mittels Crowdfunding finanzieren will. Der 2013
entstandene „Trailer“ zum Film ist in der Ausstellung zu sehen, und auch die
Geldbeschaffung ist Teil des künstlerischen Konzeptes hinter dem Film, der
seinerseits ein Werk von Ed Ruscha zum Ausgangspunkt hat.
http://www.indiegogo.com/projects/where-is-rocky-II
So wie Pierre Bismuth in seinen einzelnen Arbeiten und Werkserien immer wieder
den Methoden und Konventionen des Kunstbetriebssystems kritisch auf die Spur
geht, macht er in der Ausstellung Der Kurator, der Anwalt und der Psychoanalytiker
den Akt der kuratorischen Auswahl selbst zu einer konzeptuellen Geste. Bismuth
ersuchte drei Personen mit unterschiedlichen Professionen – einen Kurator (Luca
Lo Pinto), einen Rechtsanwalt (Laurent Caretto) und einen Psychoanalytiker (Angel
Enciso) – eine bestimmte Zahl von Werken aus seinem Œuvre auszuwählen und
dazu jeweils einen kurzen, deren Entscheidung erklärenden Text zu verfassen.
Diese so entstandenen Texte ersetzen in der Ausstellung die sonst üblichen
Werkerläuterungen. Nicht allein die klassische Rolle des Künstlers und des
Kurators wird auf diese Weise hinterfragt, sondern das übliche kuratorische
Szenario per se in Frage gestellt.
Zahlreiche Arbeiten Pierre Bismuths haben Kunstwerke oder Bilder und
Gegenstände der Populärkultur zum Ausgangspunkt, ändern deren Gegebenheiten
und präsentieren sie auf eine Art, die sich, da die ursprüngliche Information
korrumpiert ist, einer einfachen Lektüre entzieht. Daher wirken sie gleichzeitig
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PIERRE BISMUTH
vertraut und unterscheiden sich doch von dem, was wir kennen – sind zugänglich,
aber in ihrer Bedeutung komplex.
Indem Pierre Bismuth die gesamte Ausstellung in der Kunsthalle Wien als Medium
verwendet, erweitert er seine konzeptuelle Geste zugleich noch auf weitere,
mit der Präsentation in Beziehung stehende Momente wie auf die Bewerbung
der Ausstellung und auf die begleitende Publikation. So zeigt er in seiner
Plakatkampagne für die Schau an verschiedenen öffentlichen Orten Wiens drei
neue Arbeiten seiner textbasierten Work-in-progress-Serie Performances. Die dort
beschriebenen Szenarien sind dabei nur schwer von alltäglichen Tätigkeiten der
Passanten im öffentlichen Raum zu unterscheiden.
Auch den Katalog setzt Bismuth als Erweiterung der Ausstellung ein. Diese lose
von Werkverzeichnissen inspirierte Publikation enthält Abbildungen jeder einzelnen
Arbeit, die Bismuth im Lauf seiner künstlerischen Arbeit geschaffen hat. Der Textteil
der Publikation enthält einen Essay von Dessislava Dimova sowie die Texte des
Kurators, des Rechtsanwalts und des Psychoanalytikers.
Kurator: Luca Lo Pinto
Pierre Bismuth (*1963) lebt und arbeitet in Brüssel. Ausstellungen in
internationalen Galerien wie Jan Mot, Brüssel; Christine König, Wien; Lisson
Gallery, London; Team Gallery, New York; Mary Boone, New York; Yvon Lambert,
Paris und in Museen wie Centre Pompidou, Paris; Palais de Tokyo, Paris; New
Museum, New York; Castello di Rivoli; Casino Luxemburg; Villa Arson, Nizza; ICA
London; Kunsthalle Basel; Witte d With, Rotterdam u.a.
2005 erhielt Pierre Bismuth gemeinsam mit Charlie Kaufman und Michel Gondry
den Oscar für das beste Originaldrehbuch zu Michel Gondrys Eternal Sunshine of a
Spotless Mind. Derzeit arbeitet er an seinem ersten Spielfilm mit dem Titel Where is
Rocky II?.
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