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nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Cem Özdemir (Grüne), Parteivorsitzender, gab heute,
Telefon
08.03.17, dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema:
Telefax
„Deutsch-Türkische Beziehung: Gabriel trifft Cavusoglu“.
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marion Theis.
Internet
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Datum:
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www.swr2.de
08.03.2017
Grünen-Parteichef Özdemir: Erdogan hat offensichtlich Angst, zu verlieren
Baden-Baden: Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir hält es für falsch, sich über türkische
Provokationen aufzuregen. Wenn man auf Irrsinn mit Irrsinn antworte, gewinne am Ende nur
der Irrsinn, sagte Özdemir im SWR (Südwestrundfunk). Stattdessen sei es richtig, mit „klugem
Kopf“ zu reagieren.
Man müsse jetzt alles daran setzen, dass die Türken beim Verfassungsreferendum mit Nein
stimmen würden, forderte Özdemir. Denn wenn Präsident Erdogan die „absolute Macht“
bekomme, werde es für die Opposition in der Türkei sehr ungemütlich; es wäre das endgültige
Signal, dass der Versuch, in einem mehrheitlich muslimischen Land wie der Türkei eine
Demokratie zu installieren, als gescheitert betrachtet werden muss.
Der Parteichef rät deshalb dazu, die Nein-Bewegung, die auch in Deutschland aktiv sei, zu
unterstützen. Das lohne sich, es gebe offensichtlich eine Chance auf ein Nein. Das lasse sich
an den scharfen, schrillen Reaktionen von Erdogan ablesen. Özdemir wörtlich: „Da scheint
auch Vieles Angstschweiß zu sein.“
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Theis: Deutschland mache systematisch Propaganda gegen die Türkei. Das hat der
türkische Außenminister gestern Abend behauptet. Können Sie das nachvollziehen?
Özdemir: Nein, das ist natürlich absurd und spricht vor allem dafür, dass es um den
innertürkischen Wahlkampf geht, das Referendum. Erdogan hat offensichtlich Angst, diesmal
die Wahl zu verlieren. Er scheint Zahlen zu haben, die zeigen, dass es nicht gut bestellt ist um
seinen Wunsch, in der Türkei absoluter Diktator zu werden, und darum braucht er Gegner innerhalb der Türkei wie auch außerhalb der Türkei, und außerhalb der Türkei sind es
offensichtlich wir Deutsche.
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Theis: Vielleicht sind wir doch nicht ganz unschuldig. Die Türkische Gemeinde in
Deutschland, die immer für ein gutes Miteinander zwischen Türken und Deutschen ist,
wirft der türkischen und der deutschen Regierung sinnloses populistisches Anheizen
vor. Sehen Sie das anders?
Özdemir: Also, ich bin der Türkischen Gemeinde sehr dankbar - sie hat ja eine nicht ganz
einfache Rolle -, dass sie sich nicht in den Chor der Ja-Sager eingereiht hat, sondern aktiv wirbt
für „Nein“ in dem Referendum. Das erfordert in diesen Tagen ja geradezu Mut, da sollten wir sie
dabei unterstützen. Ich kann verstehen, dass sie darauf achten muss, da ausgeglichen zu sein,
die wollen ja schließlich auch noch gesprächsfähig sein mit der türkischen Seite, aber ich kann
jetzt nicht erkennen, dass die Bundesregierung Öl ins Feuer gegossen hätte. Ich bin
Oppositionspolitiker und als solcher quasi verpflichtet, die Bundesregierung zu kritisieren, aber
hier ging doch die Provokation ausdrücklich von Ankara aus. Trotzdem finde ich es richtig, dass
wir mit klugem Kopf reagieren. Auf Irrsinn mit Irrsinn zu antworten, da gewinnt am Ende immer
nur der Irrsinn.
Also, wenn die reden wollen, dann sollen sie in Gottes Namen hier reden, aber dann sollte auch
klar sein, sie müssen sich hier an unsere Ordnung halten, und wir erwarten auch eine Geste
des guten Willens. Was wir nicht tun sollten ist, es an die Kommunen zu delegieren, das ist das
schwächste Glied in der Kette. Vor allem sollten auch nicht die EU-Staaten sich gegeneinander
ausspielen lassen, also die Österreicher haben ein eigenes Vorgehen, die Niederländer,
vielleicht die Schweden und die Deutschen, sondern wir sollten uns da europapolitisch
abstimmen. Das wäre sowieso gut, wenn es endlich so etwas wie eine Art Türkei-Strategie,
abgestimmt, gäbe.
Theis: Das ist jetzt schon einen Schritt weiter. Jetzt müssen wir vielleicht erst mal
gucken, dass wir das deutsch-türkische Verhältnis wieder ein bisschen in den Griff
kriegen und vielleicht auch Dampf raus nehmen, wie Sie das ja andeuten. Glauben Sie,
Außenminister Gabriel ist der Richtige, das heute zu tun mit seinem türkischen
Kollegen?
Özdemir: Er ist jetzt der Außenminister. Wer das anders sieht, kann ja im September gern eine
andere Partei wählen. Ich hätte da ein gutes Angebot. Aber jetzt ist er erst mal Außenminister,
wir werden das bis zum September wohl nicht geändert bekommen, und da muss er jetzt eben
schauen, den richtigen Ton zu finden. Dazu gehört aber auch, dass man nochmal daran
erinnert, wir reden hier nicht im luftleeren Raum: In der Türkei ist erstmals ein deutscher
Journalist verhaftet. Das hat natürlich eine neue Qualität, und die Türkei muss die sich die Kritik
auch deshalb gefallen lassen, weil sie schließlich NATO-Mitglied ist, sie ist Mitglied des
Europarates, sie will in der Europäischen Union Mitglied werden. Zumindest offiziell will sie das
immer noch, auch wenn sie alles dafür tut, dass das niemals in Erfüllung geht, und daran muss
sie sich messen lassen. Wir haben da ein klares Interesse, dass Deniz Yücel, der
Korrespondent der „Welt“, so schnell wie möglich frei kommt. Aber eigentlich reicht uns das
nicht. Auch die anderen 150 Journalisten der Türkei, Politiker, die von der Opposition sind,
Wissenschaftler usw., die müssten eigentlich frei kommen und müssen vor rechtsstaatliche
Gerichte und nicht vor der Willkürjustiz landen.
Theis: Klappt das aber denn nicht nur, wenn wir das Verhältnis noch einmal verbessern?
Dafür sind ja unter anderem auch Vereine wie die Union europäisch-türkischer
Demokraten, UETD, in Deutschland verantwortlich, die hier Lobbyarbeit für Erdogans
Partei machen. Müssen wir nicht da ansetzen?
Özdemir: Na ja, diese Vereine sind Vorfeld-Organisationen der AKP, deren einziger Zweck ist,
hier für die AKP die Werbetrommel zu rühren, die Schäfchen zu organisieren. Da würde ich mir
jetzt nicht viel Integrationsarbeit erwarten. Das wäre, glaube ich, ein bisschen naiv. Aber was
wir machen müssen, das ist, dass wir alles daran setzen, dass bei dem Referendum ein Nein
rauskommt. Das ist die einzige Hoffnung, dass die Türkei wieder irgendwann zurückkehrt auf
den Pfad der Tugend, sich wieder Richtung Demokratie orientiert. Denn wenn Erdogan die
absolute Macht bekommt - er hat ja jetzt schon fast sowas wie absolute Macht in der Türkei dann glaube ich, wird es für die Opposition sehr ungemütlich werden. Dann werden viele
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Menschen aus der Türkei sich auf den Weg machen nach Europa, auch nach Deutschland.
Intelektuelle Journalisten sind ja schon einige in der Bundesrepublik Deutschland.
Das wäre das endgültige Signal, dass der Versuch, in einem mehrheitlich muslimischen Land
wie der Türkei eine Demokratie zu installieren, als einstweilen gescheitert betrachtet werden
muss. Darum rate ich dazu, die Nein-Bewegung, die es ja auch in Deutschland gibt, also „Nein
zur Diktatur in der Türkei“, „Nein zum Verfassungsreferendum“, die jetzt zu unterstützen. Das
lohnt sich, es gibt offensichtlich eine Chance auf ein Nein, das sieht man an den scharfen,
schrillen Reaktionen von Erdogan, da scheint auch Vieles Angstschweiß zu sein.
- Ende Wortlaut -
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