Polizeirecht Aktuell - Institut für Verwaltungsrecht und

AUSGABE 9/2017 03.03.2017
I. Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit
a. Verwaltungsgerichtshof
09.09.2016, Ra 2016/02/0118
VStG. Die in § 45 Abs 1 Z 4 VStG (Einstellung des Strafverfahrens) genannten Umstände – geringe Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes, geringe Intensität der Beeinträchtigung dieses Rechtsgutes durch die Tat sowie geringes
Verschulden – müssen kumulativ vorliegen (vgl etwa VwGH vom 20.11.2015, Ra 2015/02/0167). Von geringem Verschulden
im Sinne dieser Bestimmung ist jedoch nur dann zu sprechen, wenn das tatbildmäßige Verhalten des Täters hinter dem in
der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechtsgehalt und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt. Die Erlassung eines Gebotes oder Verbotes, welches durch entsprechende Verkehrsschilder kenntlich gemacht ist, zieht die Verpflichtung
des Verkehrsteilnehmers nach sich, es ohne Rücksicht darauf zu beachten, ob er die behördliche Anordnung zur Sicherheit
des Verkehrs für erforderlich hält oder nicht. Da im ggst Fall die zulässige Höchstgeschwindigkeit um rund 53 % bzw um rund
37 % überschritten wurde, kann von einer geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitung jedoch keine Rede sein.
13.09.2016, Ra 2016/03/0073
WaffG. § 23 Abs 2 WaffG verlangt für ein Überschreiten der dort grundsätzlich fixierten Maximalzahl genehmigungspflichtiger Schusswaffen eine "besondere Rechtfertigung" der antragstellenden Partei. Diese hat einen Rechtfertigungsgrund iSd
§ 23 Abs 2 WaffG glaubhaft zu machen, wobei es ihr obliegt, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der Voraussetzungen spricht. Da der Betroffene gegenständlich im Jahr 2015 unstrittig in der in Aussicht genommenen Disziplin
FFW GK (Revolver) nur sechsmal, in der in Aussicht genommenen Disziplin Großkaliber ab Kaliber 44 lediglich einmal trainiert und in beiden Disziplinen noch an keinen Wettkämpfen teilgenommen hat, ist die Ansicht rechtskonform, dass er
über keine derartigen Kenntnisse und Erfahrungen in diesen Disziplinen verfügt, welche die Grundlage für die Rechtfertigung einer größeren Anzahl von Schusswaffen der Kategorie B iSd § 23 Abs 2 WaffG bilden könnten.
b. Verwaltungsgerichte
Niederösterreich: 24.10.2016, LVwG-AV-1080/002-2016
FSG; SMG. Die rechtskräftige gerichtliche Verurteilung wegen Verbrechens des Suchtgifthandels gem § 28a Abs 1
fünfter Fall SMG stellt die Verwirklichung einer bestimmten Tatsache nach § 7 Abs 1 FSG dar, weshalb eine Entziehung
der Lenkberechtigung von mindestens drei Monaten festzusetzen ist. Die Behörde kann zudem als begleitende Maßnahme
die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung anordnen, was im ggst Fall wegen des
langjährigen Besitzes von Cannabisblüten zum persönlichen Gebrauch erforderlich war.
Oberösterreich: 19.12.2016, LVwG-700181/7/MZ
SPG. Im ggst Fall sollte aufgrund eines Fußballspieles ein Platzverbot iSd § 36 Abs 1 SPG verordnet werden. § 4 der ggst
zu prüfenden PlatzverbotsVO ordnet eine Kundmachung „durch Anschlag an den Zugängen zum Gefahrenbereich und über
Rundfunk“ an. Aufgrund der kumulativen Verknüpfung der beiden Kundmachungsformen ist der Kundmachungsanordnung
schon dann nicht entsprochen, wenn auch nur eine der angeordneten Kundmachungsformen mangelhaft und somit nicht gehörig erfolgte. Im vorliegenden Fall wurde die in Rede stehende Verordnung nicht zur Gänze im Rundfunk verlesen und
daher nicht originalgetreu kundgemacht. Wo konkret das Platzverbot besteht, dass Ausnahmen bestehen und dass ein Verstoß mit Strafe bedroht ist, vermag der Radiomeldung nicht entnommen zu werden. Zudem besteht ein Widerspruch zum in §
4 PlatzverbotsVO angeordneten Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens (18:00 Uhr) und der Radiomeldung (17:00 Uhr). Eine gehörige Kundmachung der PlatzverbotsVO ist daher jedenfalls zu verneinen und die in Rede stehende Verordnung für das
LVwG OÖ unanwendbar. Entsprechend den im Strafrecht allgemein geltenden Grundsätzen "nullum crimen sine lege" und
"nulla poena sine lege praevia" ist Voraussetzung für die Verhängung einer Strafe, dass die Tat zur Zeit ihrer Begehung ausdrücklich durch eine generelle Norm für strafbar erklärt war (vgl nur VwGH vom 10.12.2013, 2013/05/0162). Das in Rede stehende Platzverbot hat allerdings wie gezeigt rechtlich zu keiner Zeit Wirkungen entfaltet und konnte der Beschwerdeführer
daher diesem auch nicht zuwiderhandeln.
Wien: 04.01.2017, VGW-031/007/6919/2016
StVO. Für die Qualifikation als Einsatzfahrzeug ist es erforderlich, dass blaues Licht oder Folgetonhorn tatsächlich verwendet werden (vgl OGH vom 20.12.1988, 2Ob157/88), wobei die Verwendung eines dieser beiden Signale bereits genügt; jedoch ist es für die Einstufung als Einsatzfahrzeug nicht relevant, ob der Gebrauch dieser Signale gem § 26 Abs 1 StVO
rechtmäßig erfolgt. Somit ist ein Fahrzeug auch dann ein Einsatzfahrzeug, wenn diese Signale widerrechtlich eingesetzt
werden.
II. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
23.02.2017, Beschwerde Nr 43395/09, de Tommaso / Italien (GK)
Verletzung von Art 2 4. ZP EMRK (Freizügigkeit) und Art 6 Abs 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren); Anordnung der
besonderen Überwachung des Bf sowie ein über ihn verhängtes Ausreiseverbot als vorbeugende Maßnahme aufgrund
seiner kriminellen Tendenzen konventionswidrig; mangelnde Vorhersehbarkeit hinsichtlich Verhängung der vorbeugenden
Maßnahme sowie unzureichender Rechtsschutz
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