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LÄNDERBERICHT
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
TUNESIEN
DR. HOLGER D IX
März 2017
www.kas.de/tunesien
„Win-Win“-Abkommen mit Tunesien
Die erste Reise eines deutschen Regie-
Gesellschaft mit noch ungewissem Ausgang
rungschefs nach Tunesien wurde dort bei-
an. Tunesien ist einerseits ein Land, in dem
nahe schon euphorisch begrüßt. Die Kanz-
viele Menschen sich für einen säkularen
lerin traf während ihres kurzen Besuchs in
Staat einsetzten und extremistische Formen
Tunis Staatspräsidenten Essebsi, sprach
des Islam ablehnen. Tunesien ist anderer-
im Parlament, besuchte ein Start-Up-
seits das Land, in dem viele junge Men-
Projekt und brachte die mitreisende Wirt-
schen dem sogenannten Islamischen Staat
schaftsdelegation mit tunesischen Unter-
verfallen und als Terroristen im Nachbarland
nehmern zusammen. Zeitgleich befand
Libyen, in Syrien und dem Irak, aber auch
sich auch Entwicklungsminister Müller im
in den lokalen, Al-Qaida-zugewandten Or-
Land, unter anderem, um dort ein Bera-
ganisationen wie Ansar Al-Sharia Tunisie
tungszentrum für Migranten zu eröffnen.
und Al-Qaida im Maghreb kämpfen. Tunesien führt die unrühmliche Statistik von aus-
Die Reise führte die Kanzlerin in ein Land,
ländischen Kämpfern in den Reihen des IS
das sich inmitten einer politischen und sozi-
an. Gründe sind nicht selten die persönliche
alen Transition befindet, die mit der Revolu-
Perspektivlosigkeit in den schlecht entwi-
tion des Jahres 2011 begonnen hat. Tunesi-
ckelten ländlichen Regionen oder Vororten
ens junge Demokratie ist weiterhin fragil,
der Großstädte, die durch Landflucht stän-
die Implementierung der Verfassung erfolgt
dig wachsen.
noch stockend und die demokratische Praxis
ist längst noch nicht eingeübt. So besteht
Die wirtschaftliche Entwicklung Tunesiens
weiterhin Unklarheit über die Prärogativen
war zuletzt ernüchternd. Der Einbruch des
von Staatspräsident und Premierminister,
Tourismus infolge der terroristischen An-
das in der Verfassung vorgesehene Verfas-
schläge im Jahr 2015 hat das Land schwer
sungsgericht ist noch immer nicht installiert,
getroffen. Die Wiederbelebung der tunesi-
die überfälligen Kommunalwahlen werden
schen Wirtschaft, die Neuformulierung eines
immer wieder verschoben.
neuen Sozialvertrages zwischen der Gewerkschaft (UGTT) und dem Arbeitgeber-
Das Vertrauen in die Politik und die politi-
verband (UTICA) sowie in der kurzfristigen
schen Akteure liegt am Boden. Die im
wie vor allem mittel- bis langfristig Schaf-
Sommer 2016 formierte Regierung der Na-
fung neuer Arbeitsplätze ein entscheidender
tionalen Einheit unter Beteiligung von fünf
Schlüssel zur Überwindung der aktuellen
Parteien, dem Gewerkschaftsverband UGT-
Krise zu bestehen. Die Dringlichkeit der Si-
Tund zahlreichen unabhängigen Ministern
tuation findet auch Ausdruck in der Haltung
ist bereits die neunte Regierung seit 2011.
der Tunesier, die mit 67,1 Prozent der Mei-
Konsenswillen und Entscheidungsfähigkeit
nung sind, dass sich das Land in keine gute
stoßen sich im Kabinett von Premierminister
Richtung entwickelt.
Chahed immer wieder hart im Raum.
Einigung in der Rückführungsfrage
In der Gesellschaft dauert das Tauziehen
um eine eher westlich-moderne oder eher
Eine entspannte Bundeskanzlerin und ein
islamistisch-konservative Ausrichtung der
zufriedener Staatspräsidenten Essebsi prä-
2
sentierten sich nach ihrem Gespräch am 3.
seien in der Verabscheuung der Anschläge
März in Karthago den Journalisten. Essebsi
geeint, und die humanitäre Tragödie auf
TUNESIEN
hatte schon lange vor dem Besuch des tu-
dem Mittelmeer betreffe uns alle. Merkel
DR. HOLGER D IX
nesischen Premierministers im Februar in
würdigte die politische Entwicklung Tunesi-
Berlin und des jetzigen Besuch der Kanzle-
ens in den vergangenen fünf Jahren und
rin in Tunis seiner Gewissheit Ausdruck ver-
bekam für ihre Aussagen, Tunesien sei heu-
schafft, dass man eine Lösung in der Frage
te in der Region ein Leuchtturm der Hoff-
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März 2017
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der Rückführung von Flüchtlingen finden
nung, regen Applaus. Auch wenn man be-
werde. Jetzt konnte er nicht nur zum ersten
reits viele Fortschritte erreicht habe, so be-
Mal überhaupt die Kanzlerin des Landes be-
nötige man weiterhin einen langen Atem.
grüßen, das in Tunesien in Umfragen regel-
Mit dem politischen Wandel seien viele Er-
mäßig zu den beliebtesten Ländern gekürt
wartungen verbunden gewesen, vielleicht
wird, sondern er konnte gleich auch eine
auch zu hohe Erwartungen.
Lösung für den Umgang mit den in Deutschland ansässigen ca. 1500 ausreisepflichtigen
Die Bundeskanzlerin betonte, dass die deut-
Tunesiern verkünden.
sche Unterstützung bei der Wirtschaftsentwicklung Tunesiens besonders jungen Men-
Nach dieser Vereinbarung wird Tunesien
schen und besonders den benachteiligten
künftig innerhalb von 30 Tagen die Identität
Regionen des Landes helfen soll. Denn gute
von Personen klären und anschließend in
wirtschaftliche Perspektiven entzögen Fun-
weniger als einer Woche die Ausreisepapiere
damentalisten den Boden für ihre Saat des
erstellen, damit die tunesischen Staatsbür-
Hasses und der Gewalt.
ger aus Deutschland abgeschoben werden
können. Die Regierung will den tunesischen
Tunesische Medien bewerten das Ab-
Konsulaten in Deutschland Mitarbeiter des
kommen positiv
Innenministeriums zur Verfügung stellen,
um die Identifikation zu beschleunigen. Der
Die tunesische Presse berichtete überwie-
Staatspräsident legte besonderen Wert auf
gend positiv über den Besuch der Kanzlerin
die Feststellung, dass diese Vereinbarung
und den erzielten Verhandlungserfolg. Die-
im Interesse beider Länder liege und nicht
ses vor dem Hintergrund, dass in den tune-
die Souveränität seines Landes in Frage
sischen Medien immer mal wieder die Sorge
stelle. Und er warnte die anwesenden Jour-
vor europäischem Imperialismus mit-
nalisten auch gleich davor, dieses anders
schwingt, der Tunesien dazu zwingen könn-
darstellen zu wollen. Im Gegenzug zu den
te Entscheidungen zu treffen, die gegen die
Verpflichtungen der tunesischen Seite un-
eigenen Interessen sind. Dieses hatte noch
terstützt die Bundesregierung die Einrich-
vor kurzem zu Demonstrationen in Tunis
tung eines Beratungszentrums für Migran-
geführt, die sich gegen eine Rückkehr tune-
ten und stockt die Entwicklungszusammen-
sischer Terroristen richteten und die Bun-
arbeit um 250 Mio. Euro auf. Der von der
deskanzlerin beschuldigten, Tunesien als
Kanzlerin benutzte Begriff einer „Win-Win“-
Müllhalde für Terroristen nutzen zu wollen.
Lösung fand dann auch Eingang in die lokale
Die damalige Verwechslung von rückkehr-
Berichterstattung und prägte die Bewertung
pflichtigen Flüchtlingen aus Deutschland mit
der Vereinbarung.
rückkehrenden tunesischen Terroristen aus
Kriegsgebieten erfolge jetzt nicht mehr.
Merkels Rede vor dem Parlament be-
Des Weiteren verstummten kritische und
tont gemeinsame Interessen
provokante Stimmen aus Tunesien, die Angela Merkel im Vorfeld des Besuchs lediglich
In ihrer Rede vor dem tunesischen Parla-
Lippenbekenntnisse, Wahlkampf und „dikta-
ment unterstrich die Kanzlerin die gemein-
torische Realpolitik“ vorwarfen, sowie utopi-
samen Interessen beider Länder. Man stün-
sche Forderungen wie einen Beitritt Tunesi-
de vor ähnlichen Herausforderungen, denn
ens zur Europäischen Union und sofortige
offene, der Welt zugewandte Länder, seien
Visafreiheit für Tunesier stellten.
verletzlich. Terrorismus sei für Deutschland
und Tunesien ein Problem, beide Länder
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Ebenso spielte die Diskussion um die Einrichtung von Flüchtlingscamps in Tunesien
TUNESIEN
kaum mehr eine Rolle, nachdem der tunesi-
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sche Premierminister dieses Thema schon
während seines Besuchs in Deutschland im
März 2017
Februar vom Tisch geräumt hatte. Dieses
Reizwort der letzten Wochen wurde lediglich
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vereinzelt in die Debatte gebracht. Im Anschluss an Merkels Rede im Parlament hörte
man zwar Stimmen von Abgeordneten der
Opposition, wonach man künftig auch das
Thema Einrichtung von Flüchtlingscamps
besprechen könne. Solche Aussagen dürften
zum jetzigen Zeitpunkt aber einzig dem
Zweck dienen, die Büchse der Pandora wieder zu öffnen und Unruhe zu stiften.
Umsetzung des Abkommens ist zu beobachten
Die Mission der Bundeskanzlerin nach Tunesien war ein Erfolg für beide Seiten. Die Erwartungen Deutschlands an Tunesien im
Umgang mit ausreisepflichtigen tunesischen
Staatsbürgern wurden unmissverständlich
vorgetragen. Die noch junge Regierung des
noch jungen Regierungschefs Youssef
Chahed dürfte gestärkt aus diesen Vereinbarungen hervorgehen. Diese Stärkung einer an sich wackeligen Regierung musste
das Ziel der deutschen Verhandlungsführung sein, denn die Alternativen zur jetzigen
Regierung wären für Tunesien und seine
Beziehungen zu Europa ein größeres Wagnis.
Die Fähigkeiten der tunesischen Behörden
zur Umsetzung der Vereinbarung müssen
nun getestet werden. An mangelndem politischem Willen wird eine Rückführung ausreisepflichtiger Tunesier allerdings nicht
scheitern, denn Staatspräsident Essebsi hat
das Anliegen der Bundesregierung öffentlichkeitswirksam zur Chefsache gemacht.