SWR2 Musikstunde

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SWR2 MANUSKRIPT
SWR2 Musikstunde
„Verschlüsselte Botschaften“ (5)
Liebesdinge II
Mit Dagmar Munck
Sendung:
03. März 2017
Redaktion: Dr. Ulla Zierau
Produktion: SWR 2017
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw.
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„Verschlüsselte Botschaften“ - Liebesdinge I (5)
Um Liebesdinge, die in Noten verschlüsselt in der Musik leben, soll es in der
heutigen, letzten Sendung dieser Musikstundenwoche noch einmal gehen, um die
große, unerfüllte, tragische Liebe bei Schubert, Schostakowitsch, Mahler und Alban
Berg. Dazu begrüßt Sie Dagmar Munck.
Signet
„Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu. Und wem sie just passieret,
dem bricht das Herz entzwei.“ räsoniert Herr Heine bei der Geschichte vom Jüngling
und dem Mädchen. Franz Schubert hat eine seiner Liebesgeschichten in seiner
berühmten f-moll Fantasie erzählt: in innigster Verbindung stehen dort die Töne F
und C miteinander. F‘s Angebetete war von adeligem Geblüt: die Comtesse Caroline
Esterhazy. Franz Schubert hat sie und ihre Schwester unterrichtet: auf Schloß Zseliz
an der Gran in der heutigen Slowakei, damals noch Ungarn. Heute heißt die Straße,
die ums Schloss führt ehrenvoll „Schubertova“, aber im Sommer 1818 war Schubert
dort noch ein schlichter Domestike.
Als er das erste Mal als Klavierlehrer engagiert wird, war Caroline von Esterházy
gerade mal sieben Jahre alt. 6 Jahre später erscheint ihm die 13-jährige als
begehrenswerte Frau. Schubert schreibt Stücke für Klavier zu vier Händen, bei
denen sich die Arme der Spieler auffällig oft kreuzen, mehr als es nötig wäre.
Komponierte Nähe: enger als beim vierhändig-Spiel kann man kaum beieinander
sitzen. Und anders hätte sich Schubert seiner Angebeteten auch nicht nähern dürfen.
Caroline wird um Schuberts Schwärmerei für sie gewusst haben. Einmal, als sie sich
scherzhaft bei ihm beschwert, dass er ihr noch kein Musikstück „dediciert“ habe,
fragte er verwundert: „Wozu denn? Es ist Ihnen ja ohnehin alles gewidmet!" Weitere
4 Jahre später, in seinem letzten Lebensjahr 1828, hat Schubert die wunderbare fmoll Fantasie für Klavier zu 4 Händen geschrieben und sie explizit seiner geliebten
Caroline gewidmet. Sie beginnt im tiefen Register mit Akkorden, die zwischen F und
C pendeln. Über ihnen entfaltet sich ein lieblich-melancholisches Thema, das zuerst
nur zwischen C und F schwankt – zwischen Caroline und Franz.
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0501MS
M0107056 ID 1 Anfang bis 4‘45
Franz Schubert
Fantasie für Klavier zu 4 Händen f-Moll, D 940, op. 103
Maria João Pires und Ricardo Castro, Klavier
Das ist nur der Anfang vom Ganzen. Die 4 Teile der Fantasie gehen ineinander über.
Es folgt selbstsicher, im scharf punktierten Rhythmus ein Largo, das als barocke
Ouvertüre für die adelige, ferne Welt der Caroline von Esterhazy stehen mag. Ihr
folgt das Schubertsche Millieu in einem tänzerischen Ländler und wenn die Melodie
nach einer sich aufbäumenden Fuge wieder zwischen C und F pendelt, zwischen
Caroline und Franz, dann klingt sie noch sehnsüchtiger - und resigniert zugleich: das
war der Traum einer großen, unerfüllten Liebe.
Die f-moll Fantasie wurde erst nach Schuberts Tod von seinen Freunden
veröffentlicht. Maria João Pires und Ricardo Castro saßen hier nebeneinander auf
der Klavierbank.
Einer, der gerne seinen Namen erklingen ließ - wir hatten es schon – war Dimitri
Schostakowitsch. Das D-Es-C-H Motiv seines Namens steht in seiner chromatischen
Dichte dem BACH kaum nach.
Seine 10. Sinfonie, die erste nach Stalins Tod 1953, ist zunächst eine Abrechnung
mit dem Diktator - im 2. Satz sei „das schreckliche Gesicht Stalins“ enthüllt. Diesen
Horrorspuk stoppt ein einziges nachdrückliches D-Es-C-H. Und die Sinfonie endet
schließlich auch mit wiederholten, triumphalen Akkorden des D-Es-C-H. Dazwischen,
im dritten Satz, verbirgt sich ein anderes Motiv, zwölf Mal ganz ruhig und entspannt
auf dem Horn gespielt:
0502aMS Bsp
M0002610 ID 3 0‘17
T 114 f.
Dmitri Schostakowitsch
3. Satz aus der Sinfonie Nr. 10 e-Moll, op. 93
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Leitung: Wladimir Fedossejew
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Die Töne E-A-E-D-A. Das ist etwas für Fortgeschrittene: wenn man italienische und
deutsche Notennamen mischt, kommt man auf E-La-MI-Re-A: Elmira.
Wer Elmira war, erfahren wir von Schostakowitsch nicht. Er hat alle seine
persönlichen Briefe vernichtet. Selbst die sehr intimen und offenen Briefe an seine
Mutter, die er nach ihrem Tod bei ihr fand. Noch nicht einmal ein Brief an seine Frau
Nina aus der Verlobungszeit ist erhalten. Und auch besagte Elmira hat das
Geheimnis erst einmal 40 Jahre lang bewahrt. Elmira Nasirova war eine Schülerin
von Schostakowitsch, seine Vertraute und das Objekt seiner allerdings unerwiderten
Zuneigung. Die aserbaidschanische Komponistin hatte ihr Studium in Baku
begonnen und schon als Studentin geheiratet: einen Psychologiestudenten.
Schostakowitsch hat Elmira noch mit Briefen bedacht, als sie schon wieder zurück in
Baku war. Er schrieb ihr: „Ich habe so oft an dich gedacht, dass ich mich entschieden
habe, deinen Namen in Musik zu setzen“. Elmira versichert glaubwürdig, dass
zwischen Ihnen nichts gewesen sei. Er habe noch nicht einmal ihre Hand gehalten.
Sie schien eine Art Ideal für ihn gewesen zu sein, eine Muse eben, ein Symbol der
Schönheit und der musikalischen Inspiration. Und nach der 10. Sinfonie sei sie
offensichtlich sehr wichtig für ihn geworden, weil der Erfolg ein Wendepunkt in
seinem Leben gewesen sei und er sie als Teil dessen gesehen habe, vermutet sie.
Der 3. Satz beginnt mit einer Verformung des DSCH zum C D Es H, analog zum
BACHschen Kreuzsymbol, dem Schmerzenssymbol. So deutet Schostakowitschs
seine eigene Verbiegung unter Stalin an. Dann mutiert das Motiv aber frei zum
Original. Die Flöte pfeifft es in wohlgeordneten Vierteln während das Stalinthema am
Boden liegt. Im Verlauf des Satzes geschieht dann, was im richtigen Leben nicht sein
konnte: das DSCH- und das Elmira-Motiv vereinigen sich.
0503bMS
M0002610 ID 3 ab T 118 bis Schluss
7‘28
Dmitri Schostakowitsch
3. Satz aus der Sinfonie Nr. 10 e-Moll, op. 93
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR
Leitung: Wladimir Fedossejew
Das Elmira-Hornmotiv ausklingend noch einmal ganz leise - und Schostakowitschs
Töne DSCH von Flöte und Piccolo getupft.
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Wenn Elmira Nasirova nicht geplaudert hätte, wäre diese Geschichte nie hörbar
geworden. Wobei sie Frau Schostakowitsch vielleicht auch nicht besonders
verschreckt hätte. Sie wusste sich selbst andersweitig zu trösten.
Das nächste Beziehungsübel hat sich der Komponist selbst geschaffen: Um in Ruhe
in seinem Sommerhaus in Toblach komponieren zu können, schlug Gustav Mahler
seiner 19 Jahre jüngeren Frau Alma einen Aufenthalt in einer Kurklinik in dem
kleinen steirischen Kurort Tobelbad vor. Dort erholte sich aber im Juni 1910 auch ein
noch kaum bekannter junger Architekt: Walter Gropius. Mahler erfuhr von der Affaire
der beiden direkt, weil er einen Liebesbrief von Gropius an Alma zugestellt bekam.
Falsche Adresse, aus Versehen, meinte Gropius später. Das allein wäre ein Fall für
Freud. Aber erst einmal trug Gustav Mahlers seine Liebesqualen zum
Seelenfachmann. Dreimal verschob Sigmund Freud den Termin. Dann räumt er
Mahler vier Stunden auf seiner Couch im niederländischen Kurbad Leyden ein. Die
Diagnose lautet: Mahlers Frau Alma liebe ihren Vater und könne nur diesen Typus
suchen und lieben. Mahlers Alter, das er so fürchtete, war also gerade das, was ihn
für Alma so anziehend machte. Mahler wiederum liebe seine Mutter und habe in
jeder Frau deren Typus gesucht. Mahlers Mutter war vergrämt und leidend, und dies
wolle er unbewusst auch von seiner Frau Alma.
Ob Freuds Lizenz zum Inzest hilfreich für Mahler war, bleibt offen. Gustav Mahler
arbeitet weiter an seiner 10. Sinfonie, vertont sein „zagend Denken und brausend
Fühlen“. Im Adagio bäumt sich die Musik auf, schwillt an, dann ist es plötzlich still,
Bratsche und Klarinetten fordern unentschlossen zum Tanz auf – dann bleibt nur
noch ein einsames A in den Violinen – A wie Alma! - und aus einem vorsichtigen
Tristanklang türmt sich über dem A ein brachialer Neuntonakkord auf, entlädt
Schmerz und Wut. Die Violinen übergeben das Alma-A den Trompeten, sie
übernehmen im Fortissimo und noch einmal schreit die Seele auf.
0504MS
M0294534 ID 1 (ab 20'49 bis Schluss) 5‘10
Gustav Mahler
Ausschnitt aus dem Adagio der Sinfonie Nr. 10 Fis-Dur
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart
Leitung: Giuseppe Sinopoli
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„Für Dich leben! Für Dich sterben! Almschi!“ schrieb Mahler über die letzten Noten
seines vertonten Liebeskummers. Die 10. Sinfonie konnte er nicht mehr vollenden.
Von einem Nervenzusammenbruch sollte er sich nie mehr erholen. Gustav Mahler
starb 1911. Alma Mahler heiratete nach Zwischen-Affairen mit Franz Schrecker und
Oskar Kokoschka vier Jahre später dann doch den 4 Jahre jüngeren Walter Gropius
- aber wiederum 2 Jahre später galt Ihre Aufmerksamkeit dem 11 Jahre jüngeren
Schriftsteller Franz Werfel. Mit ihm lebte sie zunächst gut 10 Jahre in „wilder Ehe“,
bevor sie sich auf eine Heirat einließ. Werfels Schwester Hanna Fuchs war in Prag
mit einem reichen Industriellen verheiratet. Sie ist die Ursache für die nächste
Tonbuchstabenverstrickung, eine, die alle bisherigen Dimensionen sprengt:
Franz Werfels Schwester und ihr Mann luden Alban Berg ein, im Mai 1925 während
der Aufführung dreier Bruchstücke seiner Oper Wozzeck bei ihnen, in ihrer Villa im
noblen Vorort Bubenec zu wohnen. Alban Berg war beeindruckt vom luxuriösen
Lebensstil der Familie Fuchs und vor allem von der Schönheit, dem Zauber und der
sinnlichen Ausstrahlung der Gastgeberin. Er verliebte sich Hals über Kopf in Hanna
Fuchs. Am siebten Tag gestand er ihr seine Liebe, die sie erwiderte. Am 8. Tag
reiste er ab, beflügelt und zerrissen.
Obwohl die Liebenden abgemacht hatten, nicht heimlich in Verbindung zu treten beide waren verheiratet, Hanna hatte zudem 2 Kinder - hält Alban Berg es nicht aus.
Nach 2 Monaten beschwört er in einem langen Brief das "Glück" der Tage in ihrem
Haus und gesteht ihr: "ich bin seit diesem größten Ereignis nicht mehr ich. Ich bin ein
in stetem Herzklopfen dahintorkelnder Wahnsinniger geworden" - „Ich kann keine
Taste berühren, keine Note aufschreiben, so blutet ununterbrochen diese schwerste
Wunde, die ich mit mir wohl zeitlebens herumtragen werde.“ (S. 32)
„Nur ein Gedanke, nur ein Trieb, nur eine Sehnsucht beseelt mich: das bist Du!
Und in welchen Abstufungen: von den allerhöchsten Höhen menschlichen
Glücksempfindens bis zu den aller, allertiefsten Tiefen menschlicher Verzweiflung
bewegt sich meine, Tag und Nacht dahingaloppierende Phantasie.“
Alban Bergs Leidenschaft für Hanna Fuchs, für die "Einzige, Herrliche, UnsterblichGeliebte", wirft ihn völlig aus der Bahn. In seiner gewohnten Wiener Umgebung findet
Berg sich nicht mehr zurecht. Er will nicht, dass seine Frau Helene etwas merke. Er
beteuert auch Hanna, dass er „keine Sekunde auch nur versuchen“ würde „dieses
namenlose Glück unsere Vereinigung auf dem namenlosen Unglück der Anderen
aufzubauen.“
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Der zutiefst schicksalsgläubige Mensch Alban Berg findet in seinen eigenen Werken
Zeichen dafür, dass Hanna und er füreinander bestimmt sind. Der schönste Satz
seines Kammerkonzertes beginne schon mit den Initialen HF (Hanna Fuchs) und AB
(Alban Berg), schreibt er ihr, und selbst sein 15 Jahre früher geschriebenen
Streichquartett habe er vorausahnend mit einer chromatischen Wendung von F nach
H begonnen. Selbst in Wagners Tristanmotiv bemerkt er jetzt den Aufschwung vom
A zum F und den Nachklang B-H!
Das nächste Quartett, meint Berg, habe keine Wunder mehr nötig. „Jede Note wird
bewusst Dir geweiht sein.“ Das, was er nicht sagen, was er nicht leben darf, soll die
Musik ausdrücken, „gedacht als ein Bekenntnis (das aber niemand was angeht als
Dich!) unseres Liebe-Erlebens“. Fieberhaft arbeitet Berg an einer sechssätzigen
lyrischen Suite und beendet sie mit letzter Kraft ein Jahr später. Wenn man die Noten
liest, spürt man, wie sehr er von ihren 4 Namenstönen angezogen wird, von dem HF
und AB. Er schickt Hanna Fuchs ein für sie bestimmtes annotiertes Exemplar und
erläutert in einem seiner schnell in unbeaufsichtigten Augenblicken hingeworfenen
Briefe: der erste Satz „ Allegretto gioviale“ zeichnet ihr Kennenlernen in Prag. Den 2.
Satz, Andante amoroso, hält Berg für einen der schönsten, den er je geschrieben
habe. Er zeige “Dich und deine süßen Kinder“ und die Lieblichkeit, „die mir immer
vorschwebt, wenn ich an Dich, Lieblichste, denke“. Der III. Satz, Allegro misterioso,
schildere „das anfangs Ahnungslose, Geheimnisvolle, das Flüsternde unseres
Beisammenseins, in das, als Trio extatico der erste kurze Liebesausbruch
eingebettet ist.“
0505MS
M0375845 ID 7
3‘23
Alban Berg
3. Satz, Allegro misterioso, aus der lyrischen Suite
Tetzlaff Quartett
Zum Schluss reicht die Bratsche die Initialen von Hanna Fuchs und Alban Berg, das
HF-AB, in die 2. Geige weiter und die übergibt die 4 Töne der 1. Violine.
Als Alban Berg in einer Kritik liest. „Der Komponist will, was alle Komponisten wollen,
die es können: den Gott verkünden, der ihm im Busen wohnt. Vielleicht auch seinen
Teufel. Und der Misteriososatz seiner Suite verrät sogar mehrere. Es ist ein
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geisterhaftes Nachtstück, eine diabolische Phantasie über vier Noten (a,b,f,h), von
den Streichern auf dem Steg gespielt.“ - da sei ihm - wie er Hanna schreibt - das Blut
in den Adern geronnen, „was allerdings unbegründet war, weil meine Mitmenschen
nicht nur das Einmaleins, sondern (gottlob) auch das Alphabet nicht verstehen und
über den Blödsinn von Worten und Sätzen, die einzige Wahrheit dieser Buchstaben
übersehen und überhören.“
Es fiel Alban Berg schwer, seine Leiden und seine Leidenschaft geheim zu halten.
Alma Mahler hatte sofort gemerkt, was mit ihm los war, als sie ihn nach der ersten
schicksalshaften Begegnung mit Hanna in Prag erstmals traf. Sie, Franz Werfel u.a.
haben die Aufgabe übernommen, Hanna heimlich Albans Briefe zu übermitteln,
merkwürdigerweise war sogar Theodor W. Adorno als Postillon d’amour unterwegs allerdings wohl denkbar ungeschickt. Gerade er, der die Ehe der Bergs gerne als
eine ideale stilisierte. Bergs Frau Helene hat die Veränderung ihres Mannes auch
gespürt, konnte sie aber anfangs nicht einordnen. Als sie bei einem gemeinsamen
Aufenthalt in Prag zur Aufführung des Wozzeck bemerkte, wie wichtig ihrem Mann
die Nähe von Hanna Fuchs war, machte sie ihm, wie er wiederum Hanna schrieb,
„darob allerärgste" Szenen.
Die klingende Liebesgeschichte in der lyrischen Suite geht noch weiter:
Zu Satz IV schreibt Berg:
„Hier erst entfaltet sich das dort und wie ein Blitz einschlagende Liebesbewußtsein
zur großen unendlichen Liebesleidenschaft.
Die zuerst von mir überschwänglich gesprochenen Worte: „Du bist mein Eigen, mein
Eigen!“ (aus Zemlinskys Lyrischer Symphonie notengetreu zitiert) wiederholst Du in
süßer, ganz verhaltener Verträumtheit.“
0506MS
M0375845 ID 8
5’35
Alban Berg
4. Satz, Adagio appassionato, aus der lyrischen Suite
(gr, cresc von tiefen A zum F) T 45 bei 16' T
54/55 ABHF im cello - 57 Vc und vl1 schreit H-f dazwischen 2. Geige A B
T 58 Aba Bratsche – HFHB – - schlussakkord fast nur noch HFAB nach dem Satz:
alle Dämpfer ab
Tetzlaff Quartett
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„Aus diesem, ach so kurzen, Glück reißt einen das Presto delirando des folgenden
Satzes (V) mit seinen jagenden Pulsen, seinem in die schale Dumpfheit der Nächte
immer wieder hineinplatzenden Delirium heraus, um schließlich im letzten Satz,
Largo desolato (VI), den Höhepunkt der Verzweiflung und Trostlosigkeit zu finden.“
0507 a + b
M0375845 ID 9+10 4’32 und 6‘00
Alban Berg
aus der lyrischen Suite
5. Satz, Presto delirando
6. Satz, Largo desolato - de profundis clamavi (Zu Dir, du einzig Teure, dringt mein
Schrei)
Lied ohne Worte (Baudelaire)
Tetzlaff Quartett
„Wird jemand außer Dir ahnen, was diese Töne, welche vier einfache Instrumente so
vor sich hin spielen, zu sagen haben? Wird man, wenn sie am Schluß nacheinander
aussetzen und ganz verlöschen, die unendliche Trostlosigkeit verspüren, die jenem
kurzen Glück gefolgt ist, das „– so langsam rollt sich ab der Zeiten Spindel“?
Wenn Du es, meine Hanna, nur spürst! Dann ist es nicht umsonst geschrieben.
Wenn Du nur, meine Hanna, spürst wie ich Dich liebe; dann hat nicht umsonst
geliebt Dein Alban.“
Über 10 Jahre zog sich Bergs schmachtende Liebe zu Hanna Fuchs hin. Die Trauer,
sie nicht leben zu können, seine Geliebte nur einmal im Jahr sehen zu dürfen und
dann unter der Beobachtung „mörderischer Augen“ machte Alban Berg zu einem
gespaltenem Menschen. Als er ernsthafte Herzprobleme bekam, machte er selbst
dafür die „ immer enger und dichter werdende Verkapselung meines tiefsten Inneren“
verantwortlich, „ das sich schließlich Luft machte, indem es sich auf physisch
qualvolle Weise bemerkbar machte“. Sein Geheimnis nahm der 50-jährige Berg 1935
mit ins Grab. Die Jüdin Hanna Fuchs nahm seine 14 Briefe auf der Flucht vor den
Nazis mit ins Exil nach London und weiter mit in die USA. Erst 3 Jahre nach Hannas
Tod, 1976, entdeckte man sie in Ihrem Nachlass. 14 Briefe, die in ihrem
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übermenschlichen Entsagen und Leiden erschüttern, und uns die eindringliche Musik
der lyrischen Suite von Alban Berg nochmal mit anderer Tiefe hören lassen. Das
Tetzlaff Quartett hat sie hier gespielt.
Das war die letzte verschlüsselte Botschaft diese Musikstundenwoche, eine die man
ohne den Brieffund nicht hätte entschlüsseln können. Man kann davon ausgehen,
dass die meisten Werke ihr Geheimnis nicht preisgeben, dass so Manches ein
Programm trägt – vielleicht sogar in Tonbuchstabe, was wir als absolute Musik
verstehen. Aber das hinterlässt seine Spuren auch so im Klang der Musik und macht
einen Teil Ihres Zaubers aus.
Wenn Sie die Sendungen dieser SWR2 Musikstunde nachhören oder –lesen mögen,
finden Sie sie noch eine Woche im Internet unter SWR.de/Musikstunde. Am
Mikrophon verabschiedet sich Dagmar Munck und wünscht Ihnen noch einen
schönen Tag.