Helaba Volkswirtschaft/Research USA AKTUELL 20. Februar 2017 US-Staatshaushalt: „Kids in America“? AUTOR Patrick Franke Telefon: 0 69/91 32-47 38 [email protected] REDAKTION Dr. Stefan Mitropoulos HERAUSGEBER Dr. Gertrud R. Traud Chefvolkswirt/ Leitung Research Helaba Landesbank Hessen-Thüringen MAIN TOWER Neue Mainzer Str. 52-58 60311 Frankfurt am Main Telefon: 0 69/91 32-20 24 Telefax: 0 69/91 32-22 44 In Washington werden derzeit umfangreiche Steuersenkungen und ein massives Ausgabenprogramm diskutiert. Trotz rekordniedriger Zinsen liegt der Schuldenstand des US-Staates aktuell fast auf seinem höchsten Wert seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das offizielle Haushaltsdefizit des Bundes entspricht etwa dem Durchschnitt der letzten 40 Jahre. Die fortschreitende Alterung der Gesellschaft bringt Belastungen für das Renten- und Gesundheitssystem und wird „automatisch“ zu höheren Defiziten und Schulden führen. Hinzu kommen die in den offiziellen Schuldenstatistiken nicht erfassten zukünftigen Belastungen durch unterfinanzierte Pensionszusagen der öffentlichen Hand. Die Hoffnung, dass man durch Steuersenkungen und/oder staatliche Investitionen ein „Wachstumsfeuerwerk“ entfachen kann, das ihre Wirkung auf das Defizit überkompensiert, wird – wie in den 1980ern unter Ronald Reagan – enttäuscht werden. Kasten: Zahlensalat – wo liegt das „wahre“ Haushaltsdefizit? (S. 3) Der neue US-Präsident hat nach seinem Amtsantritt am 20. Januar in vielen Fragen ein furioses Tempo vorgelegt, auch wenn er bei manchen Schnellschüssen, wie bei seinem Einreiseverbot, ausgebremst wurde. Eine Ausnahme stellt die Finanzpolitik dar, wohl auch weil hier die Initiative primär beim Kongress liegt. Donald Trump hat aber am 9. Februar angekündigt, in zwei bis drei Wochen einen „phänomenalen Steuerplan“ vorlegen zu wollen. Bis die Einzelheiten bekannt sind, macht es wenig Sinn, über dessen mögliche Auswirkungen auf Realwirtschaft und Finanzmärkte zu spekulieren. Selbst wenn der Plan vorliegt, ist zu bedenken, dass die Ideen des Präsidenten im Gesetzgebungsprozess in der Regel noch erheblich modifiziert werden. Bei Steuerreformen steckt der Teufel im Detail. Die Publikation ist mit größter Sorgfalt bearbeitet worden. Sie enthält jedoch lediglich unverbindliche Analysen und Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen, die wir für zuverlässig halten, für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden. Die US-Fiskalpolitik ist 2017 eindeutig wieder ein wichtiges Thema. In dieser Publikation nehmen wir daher zunächst einmal eine Standortbestimmung vor – wie stehen die USA derzeit finanzpolitisch da? Wie viel Handlungsspielraum hat die Regierung bei der Steuer- und Ausgabenpolitik eigentlich? In diesem Zusammenhang versuchen wir den statistischen Dschungel der unterschiedlichen Haushaltskennzahlen zu lichten. Zum Abschluss wagen wir dann einen Ausblick – und werfen einen Blick zurück in die 1980er Jahre. Auf dem Weg in die Schuldenkrise? Schulden des US-Bundesstaates („debt held by the public“), % am BIP (Fiskaljahre) 160 160 140 140 120 120 Zweiter Weltkrieg Weltwirtschaftskrise 100 100 80 80 Erster Weltkrieg 60 60 Bürgerkrieg 40 40 20 0 1790 20 0 1810 1830 1850 1870 1890 1910 1930 1950 1970 1990 2010 2030 2017-2027: Baseline-Projection. Ab 2027: Extended Baseline-Projection. Quellen: Congressional Budget Office, Helaba Volkswirtschaft/Research H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 0 . F E B R U A R 2 0 1 7 · © H E L A B A 1 USA AKTUELL Schuldenstand: Nach jeder Definition hoch Die Betrachtung rein nominaler Dollarzahlen im Zusammenhang mit der Schuldentragfähigkeit ist wenig zielführend. Hier wird jedes Jahr aufs Neue ein Rekordwert verzeichnet. Dies macht auch die Verwendung eines Absolutwerts im Rahmen der gesetzlichen Obergrenze für die Schulden des 1 US-Bundes eigentlich unsinnig. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt die Verschuldung des Bundesstaats laut der in den USA gängigsten Abgrenzung („federal debt held by the public“) bei etwa 77 %. Seit dem Schuldenabbau nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bzw. des Koreakrieges waren die Schulden nie so hoch heute (siehe Schaubild, S. 1). In seiner jüngsten Projektion vom Januar 2017 rechnet das überparteiliche Congressional Budget Office (CBO) mit einem weiteren Anstieg der Schuldenquote, der sich im Zeitablauf noch beschleunigen wird, vor allem aus demografischen Gründen. Die jährlichen Ausgaben für das staatliche Rentensystem werden bis 2027 voraussichtlich von 4,9 % auf 6 % des BIP steigen, die öffentlichen Gesundheitsausgaben von 5,5 % auf 6,9 %. In den folgenden Jahrzehnten würde ohne eine umfassende Reform der Sozialsysteme der Schuldenstand explodieren. Dabei wird wohlgemerkt eine weitgehend unveränderte Politik unterstellt, ohne die derzeit diskutierten Steuersenkungen oder großen Ausgabenprogramme. Weiterer Anstieg der Schuldenquote voraus Die Abgrenzung „federal debt held by the public“ ist allerdings vergleichsweise eng gehalten. Erweitert man den Schuldenbegriff um die Sozialversicherungen, die untergeordneten Gebietskörperschaften und die staatlich garantierten „government sponsored entities“ (GSEs, d.h. Immobilienrefinanzierer wie Fannie Mae und Freddie Mac), kommt man bereits aktuell auf einen Schulden2 stand von gut 150 %. Für einen Vergleich des Schuldenstands mit anderen Ländern ist es sinnvoll, eine harmonisierte Abgrenzung heranzuziehen. Zum Beispiel stellt der IWF in seinem „Fiscal Monitor“ zweimal im Jahr eine entsprechende Aufstellung zusammen. Laut diesen Daten (Stand Oktober 2016) lag die Verschuldung des US-Gesamtstaats, einschließlich der untergeordneten Gebietskörperschaften, im abgelaufenen Jahr bei 105 % des BIP, verglichen mit 68 % in Deutschland und 250 % in Japan. Öffentliche Schulden: 73 % oder rund 150 % am BIP? Schuldenstand: International im Mittelfeld Öffentliche Schulden in unterschiedlichen Abgrenzungen, % am BIP (Q3 2016) Öffentliche Schulden (Gesamtstaat), % am BIP (2016) Marketable "held by the public" plus non-marketable plus government accounts plus state & locals plus GSEs 300 300 250 250 200 200 150 150 100 100 50 50 0 0 50 100 150 200 Quellen: US Treasury, FRB, Helaba Volkswirtschaft/Research 1 0 J GR IT P USA E F UK IRL D Quellen: IWF, Helaba Volkswirtschaft/Research Sie ist eher politisch/historisch zu erklären, da bis 1917 noch jede Schuldenemission vom Kongress einzeln genehmigt werden musste. 2 Zwar lässt sich argumentieren, dass die von den Sozialversicherungen gehaltenen Staatsanleihen („govern- ment accounts“) keine Nettoschulden der öffentlichen Hand sind („linke Tasche, rechte Tasche“). Allerdings stehen diesen ja zukünftige (Renten-)Ansprüche von Bürgern entgegen, die sehr wohl einen Verbindlichkeitscharakter haben. Bereinigt man die Schuldenzahl um die von der Notenbank gehaltenen Staatsanleihen – schließlich überweist die Fed ihren Zinsüberschuss direkt an das Finanzministerium und kaum jemand geht davon aus, dass sie ihre Anleihen jemals auf den Markt werfen wird – so sinkt der Stand um etwa 13 Prozentpunkte am BIP. Bei den GSEs stehen den Schulden (hoffentlich werthaltige) Immobilien gegenüber. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 0 . F E B R U A R 2 0 1 7 · © H E L A B A 2 USA AKTUELL Defizit: Unter Kontrolle – aber mittelfristige Probleme Als Quelle der Weltreservewährung US-Dollar genießen die USA einen Bonus an den internationalen Anleihemärkten. So lange dieser Status nicht verloren geht, können sie einen gegebenen Schuldenstand mit geringeren Risikoaufschlägen finanzieren als ein „normales Land“. Dieser Zinsbonus reduziert die Kosten der Schuldenfinanzierung und damit das laufende Defizit. Wie man dieses am besten berechnet, lässt sich kontrovers diskutieren (siehe Kasten unten). Wir verwenden hier zunächst die in den USA gebräuchlichste Fassung. Sie stellt nur auf die Bundesebene ab. Laut diesen Zahlen lag der Saldo des Bundeshaushalts im Fiskaljahr 2016 bei -3,2 % am BIP. Steigende Defizite – auch ohne neue Maßnahmen Steuersenkungsbedarf? Haushaltssaldo Bundesebene, % am BIP (Fiskaljahre) Bundesebene, % am BIP (Fiskaljahre) 30 30 28 28 4 4 2 2 0 0 -2 -2 22 22 -4 -4 20 20 -6 18 18 -6 -8 Durchschnitt 1967-2016 -8 -10 -10 -12 -12 1967 1977 1987 1997 2007 2017 2027 Ab 2017: Baseline-Projection des CBO. Quellen: Congressional Budget Office, Helaba Volkswirtschaft/Research 26 26 Ausgaben 24 24 16 14 12 16 Einnahmen Durchschnitt 1967-2016 14 12 10 10 1967 1977 1987 1997 2007 2017 2027 Ab 2017: Baseline-Projection des CBO. Quellen: Congressional Budget Office, Helaba Volkswirtschaft/Research Vergleicht man Ausgaben und Einnahmen der Bundesebene mit der Vergangenheit, so sticht die aktuelle Lage nicht durch eine abnorm hohe Einnahmenquote ins Auge, die es dringend durch Steuersenkungen zu korrigieren gilt. Auch die Ausgabenquote insgesamt deutet nicht auf ein massives Investitionsdefizit seitens der öffentlichen Hand hin. Sowohl Ausgaben wie Einnahmen liegen derzeit leicht über ihrem Schnitt der vergangenen Jahrzehnte. Daher ist auch der aktuelle Haushaltsaldo nicht weit von seinem langjährigen Durchschnitt entfernt (-2,8 % am BIP seit 1967). Anfälligkeit für höhere Zinsen nicht übertreiben Die Basis-Projektion des CBO rechnet bei unveränderter Gesetzeslage für die kommenden Jahre mit einem Defizit um die 3 %. Ab 2021 steigt es dann aber über 4 % und bis 2027 auf 5 %. Hierbei sind keine Konjunkturzyklen unterstellt, sondern Trendwerte bei Wachstum (aus unserer Sicht plausible 1,9 % pro Jahr) und Inflation (2 %). Ein schnellerer Zinsanstieg würde zu höheren Zinsausgaben und Defiziten führen. Wegen der relativ langen Laufzeit der Staatsschulden – die durchschnittliche Restlaufzeit liegt derzeit bei fast 70 Monaten, nicht weit von ihrem höchsten Stand seit mindestens 1980 – wirkt dieser Effekt aber nur graduell. Bei dem vom CBO unterstellten Anstieg der zehnjährigen Kapitalmarktrenditen auf 2,9 % bis zum Jahr 2019 (und 3,5 % bis 2021), nehmen die Zinsausgaben nur von aktuell 1,4 % auf 2,7 % am BIP zu (bei einem unterstellten Anstieg der Schuldenquote um rund 10 Prozentpunkte bis 2027). Sensibilitätsanalysen des CBO zeigen zudem, dass auch ein etwas stärkerer Zinsanstieg die USA nicht „in den Konkurs stürzen“ würde. Zahlensalat – wo liegt das „wahre“ Haushaltsdefizit? Der „offizielle“ Haushaltssaldo des Bundes, der auch in den einschlägigen Publikationen des CBO verwendet wird, beruht auf der kameralistischen Finanzierungsrechnung. Jahreszahlen beziehen sich auf die Fiskaljahre (von Oktober bis September). Zusätzlich wird hier insbesondere differenziert zwischen dem „on-budget“-Saldo und dem „off-budget“-Saldo. Letzterer bildet die Einnahmen und Ausgaben der Sozialversicherungen (Social Security und Medicare/Medicaid) ab. Auch differenzieren die zugrundeliegenden Monatsdaten nach Regierungsfunktionen, Ausgabenarten und Steuerquellen. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 0 . F E B R U A R 2 0 1 7 · © H E L A B A 3 USA AKTUELL Da die so berechneten Größen aber von Kalendereffekten (Steuertermine u.ä.) oder Einmalzahlungen verzerrt werden können, ist aus ökonomischer Sicht das Defizit auf Basis der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (NIPA) vorzuziehen. Es liegt im Gegensatz zu den Monatsdaten der Finanzierungsrechnung auf Quartalsbasis vor und bildet wie die Finanzierungsrechnung die laufenden Einnahmen und Ausgaben des Staates ab. Im Gegensatz zu dieser sind die NIPA-Zahlen aber saisonbereinigt und sie liefern zusätzlich einheitliche aggregierte Daten für die untergeordneten 3 Gebietskörperschaften. Die Verwendung der NIPA-Zahlen löst allerdings ein grundlegendes Problem der US-Haushaltsstatistik nicht: die Behandlung staatlicher Investitionen. Sowohl die Finanzierungsrechnung wie die NIPA-Daten beruhen auf dem Konzept der „laufenden“ Einnahmen und Ausgaben. Sie klammern daher staatliche Investitionen bei der Defizitberechnung explizit aus. Daten für das so genannte „net borrowing“ liegen aber vor, also zur Inanspruchnahme des Kapitalmarktes einschließlich der Mittel, die für Investitionsprojekte aufgenommen wurden. Sie summieren sich für das Fiskaljahr 2016 (Daten für Q4 2016 liegen noch nicht vor) für den Bund auf 666 Mrd. Dollar (oder 3,6 % am BIP). Darin sind neue Verbindlichkeiten, die durch ungedeckte zukünftige Pensionszusagen des Staates entstehen, partiell enthalten (siehe unten). Unterschiedliche Defizitdefinitionen: Von gut 3 % bis fast 5 % ist für 2016 alles dabei… Öffentlicher Haushaltssaldo des Staates, Fiskaljahr 2016, % am BIP 6 6 5 5 4 4 3 3 2 2 1 1 0 Bund, Finanz.rechn. Bund, NIPA Gesamtstaat, NIPA Bund, "netborrowing" (NIPA) Gesamtstaat, "net borrowing" (NIPA) Gesamtstaat, IWF Gesamtstaat, EUKommission 0 Quellen: CBO, IWF, EU-Kommission, BEA, Helaba Volkswirtschaft/Research Für einen internationalen Vergleich bieten sich auch hier nach einheitlichen Kriterien ermittelte Daten an. Laut dem jüngsten Fiscal Monitor des IWF lag das gesamtstaatliche Defizit der USA 2016 bei 4,1 % am BIP (Japan 5,2 %, Eurozonen-Schnitt 2,0 %, Deutschland Überschuss 0,1 %). Dies ist zudem größtenteils ein struktureller, also nicht durch konjunkturelle Schwäche verursachter, Fehlbetrag. Laut IWF liegt das zyklisch bereinigte Defizit für die USA bei 3,7 % des potenziellen BIP. Das heißt nicht, dass eine sich weiter verbessernde Konjunkturlage das Defizit nicht reduzieren würde. Bei Überauslastung wäre das Gesamtdefizit kleiner als der strukturelle Fehlbetrag. Aber es bedeutet, dass im Schnitt über den Konjunkturzyklus betrachtet, ohne Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen, ein gesamtstaatliches Defizit von fast 4 % am BIP zum Dauerzustand würde. Kaum eine Ausgangslage, die für massive Steuersenkungen oder Ausgabenerhöhungen spricht. Pensionszusagen: „Fade to Grey“ Wie in anderen Staaten auch schließt der Stand der öffentlichen Schulden für die USA implizite Verbindlichkeiten aus unterfinanzierten Pensionszusagen an (aktive und ehemalige) Beschäftigte des öffentlichen Dienstes grundsätzlich nicht mit ein. Laut Daten der Fed liegen die ungedeckten Verbindlichkeiten des Bundes und der untergeordneten Gebietskörperschaften von dieser Seite jeweils bei fast 1.900 Mrd. Dollar. Zusammengenommen entspricht diese Summe gut weiteren 20 % am BIP. Zur Berechnung dieser Barwerte werden allerdings Diskontfaktoren herangezogen, 3 Die Finanzierungsrechnung der Einzelstaaten und der Gemeinden ist heterogen und unübersichtlich, auch wegen der unterschiedlich zeitlich abgegrenzten Haushaltsjahre. Vergleichbare Zahlen stehen stets erst mit großer Verzögerung zur Verfügung. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 0 . F E B R U A R 2 0 1 7 · © H E L A B A 4 USA AKTUELL die auf historisch erzielten Renditen beruhen. Akademische Studien zeigen, dass diese bei realistischen Annahmen zur von den Pensionsfonds erzielbaren Rendite einen noch erheblich höheren 4 „funding gap“ ausweisen. Hohe Pensionsverbindlichkeiten in vielen Industrieländern Ungedeckte Nettoverbindlichkeiten aus Pensionen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst, % am BIP (Ende 2008) 100 100 Umlageverfahren 90 90 80 80 70 70 60 60 50 50 Kapitalstockverfahren 40 40 30 30 20 20 10 10 0 0 Frankreich Finnland UK Deutschland USA Niederlande Kanada Quellen: OECD,5 Helaba Volkswirtschaft/Research Mit dieser Problematik stehen die USA nicht alleine da. Im Gegensatz zu vielen anderen Industriestaaten zeichnen sich die US-Gebietskörperschaften durch die verbreitete Verwendung von kapitalgedeckten Pensionssystemen aus. In anderen Ländern, nicht zuletzt in Deutschland, finden diese hingegen praktisch keine Anwendung – alle zukünftigen Lasten müssen durch das laufende Steueraufkommen getragen werden. Hierbei handelt es sich keineswegs um „Peanuts“ – bereits 2008 lagen diese ungedeckten Nettoverbindlichkeiten in Frankreich bei mindestens 90 % am BIP und in Deutschland bei über 50 % am BIP. Die USA stehen in dieser Hinsicht nicht schlechter da – das Thema wird dort nur offener diskutiert. USA stehen vergleichsweise gut da Ausblick: Zurück in die 1980er? Die Verfechter einer deutlichen Steuersenkung bzw. eines massiven Infrastrukturprogramms wischen Einwände hinsichtlich der zu erwartenden Defizit- oder Schuldenwirkung gerne vom Tisch mit dem Verweis auf das durch diese Maßnahmen erzeugte deutlich höhere Wachstum – „Team Trump“ hat sogar von nachhaltigen Zuwächsen von real 4 % bis 5 % pro Jahr gesprochen. Ist das plausibel? Passt auf eine Serviette: Die Laffer-Curve Erstaunlich geringer Einfluß des Steuersatzes Stilisierte „Laffer-Curve“ % % am BIP 100 Steueraufkommen Maximales Steueraufkommen 11 Spitzensteuersatz auf "ordinary income" (Bund, LS) 90 10 80 70 9 60 8 50 Steigender Satz = steigendes Aufkommen Steigender Satz = fallendes Aufkommen 40 7 Aufkommen der Einkommensteuer (Bund, RS) 30 20 6 5 10 0 1952 Steuersatz Quellen: Arthur Laffer, Helaba Volkswirtschaft/Research 4 1962 1972 1982 1992 2002 2012 Quellen: Saez et al.6, Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research 4 Siehe Center for Retirement Research at Boston College. 5 Ponds, E., C. Severinson and J. Yermo (2011), “Funding in Public Sector Pension Plans: International Evi- dence”, OECD Working Papers on Finance, Insurance and Private Pensions, No. 8, OECD Publishing, Paris. 6 Saez/Slemrod/Giertz (2010), The Elasticity of Taxable Income with Respect to Marginal Tax Rates: A Critical Review. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 0 . F E B R U A R 2 0 1 7 · © H E L A B A 5 USA AKTUELL Im Jahr 1974, als Arthur Laffer der Legende nach bei einem Essen mit Donald Rumsfeld und Dick 7 Cheney spontan die nach ihm benannte „Laffer-Curve“ auf eine Serviette malte, waren „Waterloo“ von ABBA und „Theo, wir fahr’n nach Lodz“ von Vicky Leandros in der deutschen Hitparade ganz vorne. Der von Laffer postulierte Zusammenhang – dass sich niedrigere Steuersätze durch höheres Wirtschaftswachstum „selbst finanzieren“ oder sogar steigende Steuereinnahmen generieren können – wurde aber erst in den 1980er Jahren richtig populär bzw. einflussreich. Berichten nach war Laffers Idee einer der treibenden Faktoren hinter der Steuerreform von Ronald Reagan im Jahr 1981 (als Shakin‘ Stevens und Kim Wilde den Zenit ihrer Kariere erklommen hatten). Als Test für die Wirkung der „Laffer-Curve“ taugt diese Erfahrung mit der Steuersenkung von 1981 aber nicht wirklich, da sich die USA 1981/82 in einer schweren Rezession befanden. Der deutliche Rückgang der Einnahmen aus der Einkommensteuer des Bundes in Reagans ersten Amtsjahren war unter anderem oder sogar primär diesem Umstand geschuldet. Auch war das Steueraufkommen 1979 bis 1981 durch die zweistellige Inflation künstlich massiv erhöht worden („kalte Progression“). Unter Reagan wurden die Steuerbänder dann an die Inflation gekoppelt. Schon eher stützt die Entwicklung nach der zweiten Steuerreform unter Reagan 1986 die These Laffers. Trotz eines von 50 % (1986) auf 28 % (1988) fallenden Spitzensteuersatzes der persönlichen Einkommensteuer blieb das Steueraufkommen als Anteil am BIP über diesen Zeitraum fast stabil – zumindest bis zur Rezession 1990. Steuersätze eher im „normalen“ Bereich Der Effekt, dass niedrigere Steuersätze höheres Aufkommen generieren können, ist umso plausibler je höher die Grenzsteuersätze sind – bei der ersten Steuerreform unter Ronald Reagan 1981 lag der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer noch bei 70 %. Auf diesem Niveau ist es denkbar, 8 dass tatsächlich nennenswerte Anreizeffekte durch die geringere Steuerbelastung den Aufkommensverlust partiell oder vollständig kompensieren. Beim aktuellen Spitzensatz von 35 % ist dies jedoch deutlich weniger wahrscheinlich. Technisch formuliert: Die heutigen Steuersätze liegen wohl nicht in dem Bereich, in denen das Arbeitsangebot (d.h. die Steuerbasis) sehr elastisch reagiert. Entsprechend würden wir die Chancen eines durch niedrigere Steuern induzierten Wachstumsbooms, der die Defizite und Schulden einfach „wegschmelzen“ lässt aktuell als sehr überschaubar ansehen. Dies gilt auch deshalb, weil die Vorteile einer Einkommensteuersenkung überproportional den höchsten Einkommensgruppen zufließen würden – eben jenen Haushalten mit der höchsten Spar- und der geringsten Konsumquote. Skepsis ist auch bei den zu erwartenden Wachstumsimpulsen aus höheren öffentlichen Investitionen angebracht. Es ist unklar, ob wirklich im häufig postulierten Umfang fertige Projekte „in der Schublade liegen“, die zudem auch kurzfristig (nicht erst in zehn Jahren) umsetzbar sind und eine entsprechende „Rendite“ abwerfen. So wird häufig übersehen, dass eine Investition unmittelbar nur in dem Jahr wachstumsstützend wirkt, in dem sie getätigt wird. Wird im Folgejahr nicht noch mehr Geld ausgegeben, so fällt das Wachstum zurück. Die mittelbare Wirkung auf das Wachstum (im Gegensatz zum Effekt auf das Niveau des Output) ist ebenfalls begrenzt. Ein Flughafenausbau generiert höheren Output durch mehr Flugbewegungen u.ä. Dies ist aber nur eine Niveauverschiebung beim Output, das Wachstum wird dadurch i.d.R. nicht dauerhaft erhöht. Physische Investitionen, die tatsächlich den Wachstumstrend nachhaltig beeinflussen, sind wahrscheinlich ebenso rar wie Einhörner. Die Idee, dass sich eine Wirtschaft selbst auf einen höheren Wachstumspfad hieven kann, wenn man nur genug Nachfrage schafft, erinnert an den Baron von Münchhausen, der sich mitsamt seinem Pferd aus dem Sumpf befreite, indem er sich selbst am Zopf nach oben zog. Die Gesetze der Ökonomik mögen nicht ganz so ehern sein wie die Gesetze der Physik. Einfach außer Kraft setzen lassen sie sich aber ebenso wenig. Wenn neue Details zu dem großen Infrastrukturprogramm und/oder Trumps „phänomenalen Steuerplan“ vorliegen, werden wir das Thema US-Fiskalpolitik erneut aufgreifen. 7 Die Serviette befindet sich heute im Fundus des National Museum of American History. 8 Anreize im Sinn von mehr Arbeitseinsatz – und weniger Steuerhinterziehung. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 0 . F E B R U A R 2 0 1 7 · © H E L A B A 6 USA AKTUELL Helaba-Publikationen: USA Aktuell „Pay Big Border Tax!“ – was soll das sein? 30.01.2017 Trumps erster Tag im Amt – eine Checkliste 24.01.2017 Außenhandel: „Fake news“ und Fakten 19.01.2017 Trump! 09.11.2016 Arbeitsmarkt: Ist die Fed schon am Ziel? 10.10.2016 Prognose Update: Schwächephase läuft aus 05.08.2016 Und jetzt noch Präsident Trump? 13.07.2016 Fed: Viele Worte, wenig Substanz 16.06.2016 Wer die Wahl hat… 20.05.2016 Prognose Update: Die Fed zögert – zu Recht? 08.03.2016 Alle Publikationen sind auf unserer Homepage hier verfügbar. Informationen zum gesamten frei verfügbaren Research der Helaba finden Sie auf http:\\volkswirtschaft.helaba.de. Dort können Sie auch verschiedene Newsletter abonnieren. H E L A B A V O L K SW I R T S C H A F T / R E S E A R C H · 2 0 . F E B R U A R 2 0 1 7 · © H E L A B A 7
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