SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Erdmagnetfeld Schutzschild aus der Tiefe Von Anke Wilde Wiederholung: Montag, 20. Februar 2017, 8.30 Uhr Sendung: Montag, 30. November 2015, 8.30 Uhr Redaktion: Charlotte Grieser Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2015 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. 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Ansage: Erdmagnetfeld – Schutzschild aus der Tiefe Eine Sendung von Anke Wilde Sprecherin: 3.000 Kilometer unter unseren Füßen. Aus dieser Tiefe ragt das Erdmagnetfeld mehrere Zehntausend Kilometer weit ins Weltall hinein. Es lenkt die lebensfeindliche Strahlung von der Sonne und aus dem fernen Kosmos von uns ab und schützt uns so vor den Unbillen des Weltraumwetters. O-Ton Frank-Jürgen Diekmann: Ja, Weltraumwetter ist das Wetter, das sich weit oberhalb von uns abspielt, also in der Ionosphäre, Magnetosphäre. Manchmal treten auch die geladenen Teilchen, Ionen, Protonen, ionisierte Teilchen etwas näher an die Erde heran. Man kann sie dann sogar sehen, über den Polargebieten, man kennt die Polarlichter. Dort reagieren dann diese geladenen Teilchen mit den obersten Schichten der Atmosphäre, aber da bleibt das Weltraumwetter auch. Sobald es sich stark ändert, also durch einen Sonnensturm zum Beispiel das Magnetfeld sich verändert, eingedrückt wird, induziert das Ströme auf der Erdoberfläche, und das sind dann Effekte, die wir möglichst nicht haben wollen. Da können schon mal Stromnetze zusammenbrechen oder ganze Satelliten ausfallen, wie wir das auch schon gehabt haben. Grillenzirpen Sprecherin: Es ist Juli, und wir befinden uns am Rande von Niemegk, einem Städtchen 70 Kilometer südwestlich von Berlin. Die Sonne scheint warm, nichts lässt daran denken, welche Naturgewalten hoch über uns wirken. Auf den Rapsfeldern zirpen die Grillen, ein paar Kraniche setzen zur Landung an, nur von fern hört man das Brausen 2 der Autobahn A9. Eine Straße mit Pflaumenbäumen und Holunderbüschen führt zum Adolf-Schmidt-Observatorium. Wenn man nicht weiß, dass hier seit 1930 das Erdmagnetfeld vermessen wird, wirkt das Gelände wie eine verschlafene und beinahe vergessene Feriensiedlung. Zwischen den hohen Bäumen stehen mehrere Blockhütten. Zwei von ihnen werden als Messgebäude für das Erdmagnetfeld genutzt. Dass sie aus Holz sind, hat einen guten Grund: Holz ist nicht magnetisch. Überhaupt muss man wahnsinnig aufpassen, welche Materialien man in einem solchen Observatorium verbaut, sagt Monika Korte. Die Geophysikerin stellt beim GeoForschungsZentrum Potsdam Modellierungen für das Erdmagnetfeld an und war früher Leiterin dieses Observatoriums. O-Ton Monika Korte: Bei unseren Messgebäuden muss man sehr darauf achten, dass die völlig unmagnetisch sind, das heißt es darf kein Eisen verwendet werden. Wirklich jede Schraube, jeder Nagel, die Türbeschläge werden darauf getestet, dass sie unmagnetisch sind und unsere Messungen nicht stören. Und auch wenn man in die Gebäude reingeht, wenn man selbst Messungen machen will in den Gebäuden, muss man aufpassen, dass man keinen Schlüssel in der Tasche hat, keinen Gürtel mit Gürtelschnalle anhat, also dass auch man selbst dann völlig unmagnetisch ist. Ja, das ist so ähnlich wie am Flughafen, wo jedes kleine Stück Metall schon einen Alarm auslösen kann. Sprecherin: Genau so empfindlich nämlich sind die Messgeräte in einem Magnetfeldobservatorium. Und das müssen sie auch sein. In Niemegk hat das Erdmagnetfeld eine Stärke von ungefähr 49.000 Nanotesla. Ein Nanotesla, das ist der Milliardste Teil von einem Tesla. Zum Vergleich: Ein Kernspintomograph in einer Klinik hat eine Magnetfeldstärke von bis zu sieben Tesla. Das ist mehr als hunderttausendmal so viel wie das Erdmagnetfeld. O-Ton Monika Korte: Was für uns schwierig ist, wenn wir einen geeigneten Standort finden wollen, ist, dass es sehr viele künstliche Störfelder in unserer zivilisierten Welt gibt und dass wir daher weit von Städten weg müssen, denn Eisenbahnen, Autos, auch normale Gebäude, bei denen nicht darauf geachtet wird, dass sie speziell gebaut sind, haben sehr starke Störfelder im Vergleich zu den schwachen Feldstärken des Erdmagnetfeldes, oder den schwachen Schwankungen des Erdmagnetfeldes, die wir messen wollen. Sprecherin: Darum also diese Lage fernab von allen Forschungszentren, am Rande einer Kleinstadt mitten in der brandenburgischen Idylle. Grillen / Erdmagnetfeld Sprecherin: Man kann sich das Erdmagnetfeld in etwa vorstellen wie einen Stabmagneten aus dem Schulunterricht. Am einen Ende ist der Nordpol, am anderen der Südpol, und 3 wie bei einer mittig durchgeschnittenen Zwiebel gibt es zwischen dem Nord- und dem Südpol Feldlinien. Im Unterricht wurden die mithilfe von Eisenspänen visualisiert. Das Erdmagnetfeld speist sich aus ganz unterschiedlichen Quellen. Zunächst einmal gilt einer der Grundsätze des Elektromagnetismus: Wo Strom fließt, da ist ein Magnetfeld. Dazu reicht es aus, dass sich elektrisch leitfähiges Material bewegt. Sogar große Meeresströmungen und die Gezeiten verursachen Ströme und gehen, wenn auch minimal, ins Erdmagnetfeld ein. Einen größeren Anteil haben Ströme in den obersten Schichten der Atmosphäre. In der Ionosphäre, die 80 Kilometer über der Erdoberfläche beginnt, werden durch die Sonneneinstrahlung Gasmoleküle elektrisch aufgeladen. Die Ströme, die dabei entstehen, erreichen Stromstärken über mehrere hunderttausend bis Millionen Ampere. Erdmagnetfeld Sprecherin: Den mit Abstand größten Anteil am Erdmagnetfeld hat jedoch das Feld, das im äußeren Erdkern entsteht. In 3.000 Kilometern Tiefe wabert ein heißes, flüssiges Eisen-Nickel-Gemisch bei Temperaturen um die 5.000 Grad. Wegen der großen Hitze ist das Metallgemisch unmagnetisch, aber die Bewegung dieses elektrisch leitfähigen Materials verursacht elektrische Ströme und damit das Haupt- oder auch Kernfeld des Erdmagnetfelds. Das funktioniert so ähnlich wie beim Fahrraddynamo, nur im größeren Maßstab. Die Forschung spricht darum auch vom Geodynamo. Die Metallmassen steigen vom heißen Erdkern her nach oben bzw. außen, kühlen sich ab und sinken wieder nach unten. Auch die Rotation der Erde wirkt sich auf die Bewegung der heißen Metallsuppe aus. Entsprechend chaotisch sind die Strömungsmuster. O-Ton Monika Korte: Die Bewegungen, die man da im Erdkern in den Strömungen hat, die sind für geologische Vorgänge erstaunlich schnell, das sind Geschwindigkeiten bis zu 30 oder sogar 50 Kilometer pro Jahr. Sprecherin: Weil im äußeren Erdkern alles in Bewegung ist, verändert sich auch das Erdmagnetfeld. Sogar Umpolungen sind möglich. Magnetischer Nordpol und magnetischer Südpol tauschen dabei ihre Plätze. Wie es aber dazu kommt und welch seltsame Wege das flüssige Metall im Erdkern dann einschlägt, dazu fehlen den Geophysikern die Daten. Aber so viel steht fest: O-Ton Monika Korte: Es ist auf jeden Fall so, dass sich die Strömungsmuster sehr deutlich ändern müssen, damit eine magnetische Umpolung stattfindet. Sprecherin: Umpolungen hat es im Laufe der Erdgeschichte schon oft gegeben. Eine klare Regelmäßigkeit, wann mit einem solchen Umkehrungsprozess zu rechnen ist, gibt es nicht. Manchmal blieb das Erdmagnetfeld über mehrere Millionen Jahre stabil, aber es gab auch schon kurze Exkursionen der Pole, die nur wenige zehntausend Jahre währten. Die letzte Umkehrung gab es vor 780.000 Jahren. 4 Monika Korte und ihre Kollegen beim GFZ glauben, dass die Erde möglicherweise gerade dabei ist, ihre magnetischen Pole auszutauschen. Fest steht natürlich nichts, denn es wäre der erste Umkehrungsprozess, den die Menschheit bewusst erleben und wissenschaftlich auswerten könnte. Aber es sprechen einige Indizien dafür. Erdmagnetfeld Sprecherin: Zum Beispiel: Normalerweise würde man vermuten, dass der eine magnetische Pol sich am geografischen Nordpol und der andere sich am geografischen Südpol befindet. Doch weit gefehlt. Unser Kompass zeigt auf einen Punkt nördlich von Kanada, der sich Jahr für Jahr um etwa 40 Kilometer verschiebt und allmählich durch die Arktis in Richtung Sibirien wandert. Im Süden wiederum liegt der Magnetpol noch nicht einmal innerhalb des Polarkreises, sondern im Ozean nahe der antarktischen Küste, weit südlich von Australien. Für eine bevorstehende Umkehrung könnte auch sprechen, dass das Kernfeld seit Beginn der kontinuierlichen Messungen vor 180 Jahren durchschnittlich um etwa zehn Prozent schwächer geworden ist. Und im südlichen Atlantik gibt es eine Anomalie, an der das Magnetfeld noch einmal deutlich schwächer ist als irgendwo sonst auf der Welt. Das Zentrum dieser sogenannten Südatlantischen Anomalie liegt in Brasilien. O-Ton Katia Pinheiro: The South Atlantic Anomaly is decreasing the intensity much faster than in the other locations and it's also increasing its lands, its size, and it's moving to west. Usually researchers believe that this is part of reversal process. Übersetzerin: Die Südatlantische Anomalie verliert an Stärke, und zwar viel schneller als anderswo. Außerdem wird die betroffene Fläche immer größer, und sie bewegt sich allmählich nach Westen. Für gewöhnlich gehen Forscher davon aus, dass so etwas im Rahmen von Umkehrprozessen passiert. Sprecherin: Katia Pinheiro ist Magnetfeldforscherin am Nationalen Observatorium in Rio de Janeiro. O-Ton Katia Pinheiro: It's difficult to know exactly what's happening below South America. The south atlantic anomaly is caused in places in the limit actually between the mantle and the core. The magnetic flux is inward towards the core, where most of the flux in the southern hemisphere is outwards. So what's happening, there is a flux in the reverse direction in this region. That's why it's happening, this weakening, this decreasing of the intensity of the magnetic field. Übersetzerin: Es ist schwer zu sagen, was genau unter Südamerika passiert. Verursacht wird diese Anomalie an der Grenze zwischen dem Erdmantel und dem äußeren Kern. Dort führen die Feldlinien in den Erdkern hinein, während normalerweise die Feldlinien auf der Südhalbkugel nach draußen gehen, aus dem Kern heraus. Der magnetische 5 Fluss geht also in die Gegenrichtung in dieser Region. Und das ist der Grund, warum das Magnetfeld schwächer, seine Intensität immer geringer wird. Sprecherin: Als würde tief unter Brasilien, im flüssigen äußeren Erdkern, ein gigantischer Geisterfahrer sein Unwesen treiben. Um diesem Geisterfahrer auf die Schliche zu kommen, und auch um die Wechselwirkungen zwischen dem Erdmagnetfeld und den Urgewalten des Weltraums zu verstehen, brauchen die Forscher noch weitaus mehr Daten. Die Bodenmessstationen allein reichen dafür nicht aus. Seit Ende 2013 umkreist deshalb ein Trio von Satelliten die Erde, die Swarm-Satelliten. Hermann Lühr arbeitet ebenfalls am GeoForschungsZentrum Potsdam und ist Leiter des deutschen Swarm-Projektbüros. Von der Satellitenmission erhofft er sich bessere Erklärungen für das Erdmagnetfeld allgemein wie auch für die Südatlantische Anomalie. O-Ton Hermann Lühr: Grundsätzlich gibt es da gewisse Theorien. Wie wir wissen, gibt es ja die Kontinentalplatten, und diese Kontinentalplatten sinken an bestimmten Stellen ab, zum Beispiel an der Westküste von Amerika, dort wird ja die Ozeanische Platte in den Untergrund runter gedrückt. Und möglicherweise legt sich dann so ein Stückchen Platte auf die Kernmantelgrenze, die den Wärmetransport dort behindert. Und das könnte zur Veränderung von den Konvektionsbewegungen im flüssigen Kern führen. Das ist eigentlich im Augenblick der gängige Erklärungsversuch, aber es gibt wirklich keine guten Erklärungen dafür. Sprecherin: Die Swarm-Satelliten sollen für das Erdmagnetfeld ein 3D-Bild von nie gekannter Genauigkeit liefern. Zwei fliegen im Gespann exakt auf der gleichen Höhe von 460 Kilometern hintereinander her, der dritte ist noch 50 Kilometer darüber. Etwa fünfzehn Mal am Tag umrunden sie den Globus. O-Ton Frank-Jürgen Diekmann: Auf diese Weise kann man das Magnetfeld, und das ist bisher einzigartig, dreidimensional vermessen. Man kann aber eben auch zeitliche Veränderungen messen, wie verändert sich das Magnetfeld über einen bestimmten Zeitraum, indem man bestimmte Gebiete immer wieder neu überfliegt und dann von verschiedenen Gebieten auf diese Gegenden herunterschaut. Sprecherin: Kontrolliert wird die Dreiercombo von Satelliten von Darmstadt aus, vom Satellitenkontrollzentrum der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Frank-Jürgen Diekmann ist dort Flugleiter für die Swarm-Mission. Laufen durch die Gänge, Eintritt in Kontrollraum, Begrüßung der Kollegen Sprecherin: Es ist kurz vor halb elf, und in wenigen Minuten wird der Satellit Swarm C, auch Charly genannt, über die Bodenstation Svalbard auf Spitzbergen hinwegfliegen. Für das Flugteam ist das die Gelegenheit, alle Funktionen des Satelliten zu überprüfen und, falls nötig, Befehle an den Bordcomputer zu schicken. Frank-Jürgen Diekmann 6 macht sich auf den Weg von seinem Büro in das Kontrollzentrum der ESA, von wo neben Swarm noch eine Reihe weiterer Satellitenmissionen betreut werden. Der Kontrollraum ist in mehrere Bereiche unterteilt, etliche Computer stehen hier und noch mehr Monitore, denn für jeden Rechner gibt es drei Bildschirme. Über den Rechnern der Swarm-Mission hängt eine Darstellung der drei baugleichen Satelliten, die mit ihren langen Instrumentenarmen irgendwie an Käfer mit einem überdimensionierten Fühler erinnern. Drei junge Leute sitzen bereits auf ihren Plätzen und warten auf Charly. O-Ton Frank-Jürgen Diekmann: Wir haben den Giuseppe, den Spacecraft Controler, der ist für alle drei Satelliten zuständig. Und die andern beiden, die hier noch sitzen, sind zwei von den Ingenieuren, die für verschiedene Subsysteme an Bord verantwortlich sind. Sprecherin: Ein großer Bildschirm an der Wand listet die nächsten Satelliten auf, die eine Bodenstation überfliegen werden. Charly steht auf der Liste ganz oben; er nähert sich gerade der Station in Svalbard auf der norwegischen Insel Spitzbergen. O-Ton Frank-Jürgen Diekmann: Ab jetzt haben wir Kontakt zum Satelliten, und jetzt haben wir etwa acht Minuten Zeit, um Kommandos zum Satelliten zu schicken. In der gleichen Zeit schickt der Satellit Informationen über seinen Gesundheitszustand, über die Betriebsmodi der verschiedenen Instrumente, über Temperatur und Ströme, und alles was Informationen über den Satelliten selber aussagt, zu uns runter, sodass der Operator sofort eine Übersicht bekommt, ob irgendwas vielleicht schiefgegangen ist. Sprecherin: Dazu laufen bei jedem Überflug noch Berge von wissenschaftlichen Daten ein, die die Instrumente an Bord seit dem letzten Bodenkontakt aufgezeichnet haben. Für die Flugingenieure sind solche Überflüge mitsamt den Datenchecks tägliche Routine, und in den allermeisten Fällen läuft alles nach Plan. Dennoch: Die Vorstellung, dass von hier aus die einzige Verbindung zu einem Objekt besteht, das mit über 25.000 Kilometern pro Stunde um die Erde fegt, ist beeindruckend. O-Ton Giuseppe: Enoc Swarm … Copy … Thank you. Sprecherin: Giuseppe kontaktiert einen Kollegen in Spitzbergen, um herauszufinden, ob der Satellit genau zum errechneten Zeitpunkt aufgetaucht ist. Der Kollege in Norwegen bestätigt ihm das. Für das Team um Frank-Jürgen Diekmann heißt das, dass sie die Flugbahn des Satelliten genau im Griff haben. Das ist nicht gerade eine Selbstverständlichkeit. Die Swarm-Satelliten zur Vermessung des Erdmagnetfelds waren noch gar nicht lange im All, da gab es schon eine brenzlige Situation, ... O-Ton Frank-Jürgen Diekmann: … wo eine alte Raketenendstufe bis auf wenige 100 Meter an unsere Satelliten herangekommen ist, an den B-Satelliten. Und da haben wir lange überlegt, ob wir ein 7 Manöver machen. Und das kostet uns dann wieder Treibstoff, den wir uns gern ersparen möchten. Wir haben dann Informationen über die Umlaufbahn dieses Schrottteils bekommen, haben das mit der Umlaufbahn unseres Satelliten verglichen, haben bis zum letzten Moment gewartet, bis die Orbitangaben wirklich so genau wie möglich waren, und haben uns dann gegen ein Manöver entschieden. Und es ist gut gegangen. Aber spannend ist das schon. Und das kostet natürlich auch Treibstoff. In diesen Fällen müssen wir auch die Umlaufbahnen, die Höhen in der Regel ändern. Und das ist etwas, was wir nach Möglichkeit vermeiden möchten. Sprecherin: Satelliten sind auch schon verloren gegangen, weil sie plötzlich an Höhe verloren haben und von den Flugteams nicht mehr geortet werden konnten. Das kann beispielsweise passieren, wenn stärkere Sonnenstrahlung die Atmosphäre aufheizt und sich ausdehnt. O-Ton Hermann Lühr: Wenn so viel Energie in die Hochatmosphäre kommt, dann wird die Luftdichte höher, und dadurch wird die Reibung zwischen den Satelliten und der restlichen Luftdichte doch so stark erhöht, dass sie möglicherweise instabil werden, dass sie ihre Fluglage nicht mehr halten können, aber auf jeden Fall, dass sie deutlich absinken, weil sie so stark abgebremst werden. Also die Luftdichte kann dann schon mal um den Faktor acht erhöht werden. Das sind also richtig große Veränderungen in der Reibung. Sonnensturm trifft Erdmagnetfeld Sprecherin: Man spricht dabei auch vom Weltraumwetter. Ereignisse auf der Sonne bestimmen, wie das Weltraumwetter ist. Die Sonne sendet nämlich nicht nur Licht aus, sondern dazu noch einen Mix aus UV- und Röntgenstrahlen und geladenen Teilchen. Das ist der Sonnenwind. Er ist gewissermaßen der Normalfall vom Weltraumwetter. Dazu kommt noch die kosmische Strahlung, hochenergetische Teilchen aus der Milchstraße, die sich gegen den Sonnenwind bis in den erdnahen Raum vorgekämpft haben. Dass dieses sehr raue Klima uns am Boden kaum berührt, liegt an den zwei Schutzschilden, die unser Planet hat: das Erdmagnetfeld und die Atmosphäre. Das Erdmagnetfeld lenkt die lebensfeindlichen Partikel ab. Monika Korte: O-Ton Monika Korte: Geladene Teilchen können nicht senkrecht zu Magnetfeldlinien fliegen. Bei der Erde ist es daher so, dass die Teilchen, die vom Sonnenwind kommen, zu den magnetischen Polen hin abgelenkt werden. Sprecherin: Die geladenen Teilchen werden nämlich parallel zu den Feldlinien geleitet, und die Feldlinien wiederum treten an den Magnetpolen aus der Erde heraus bzw. führen in sie hinein. Deshalb sind die Magnetpole quasi die Einfallstore für den Beschuss aus dem All. Polarlichter sind die stillen Künder dieses Prozesses, wenn in der oberen Atmosphäre geladene Teilchen mit Sauerstoff- und Stickstoffatomen reagieren. Abgesehen vom üblichen Sonnenwind kommt es auf der Sonne immer wieder auch zu koronalen Massenauswürfen, die als Sonnenstürme mit hoher Geschwindigkeit 8 durchs All fegen. Ein solcher Sonnensturm kann durchaus auch für schwere Schäden am Erdboden sorgen. O-Ton Hermann Lühr: Ein Beispiel aus nicht allzu weiter Vergangenheit ist von 1989. Am 13. März kam es dort in Kanada zu einem ziemlich großen Blackout, wo ganze Provinzen plötzlich ohne Strom waren, weil Transformatoren plötzlich anfingen zu brennen. Das war einfach ein derart starker magnetischer Sturm, der so viel parasitäre Ströme im Stromnetz eingespeist hat, dass die Transformatoren entweder abbrannten oder sich ausschalteten. Dann gab es eine Art Dominoeffekt, dass dann andere Stationen überlastet waren, die dann auch wieder abschalteten. Da war ein Großteil von Nordamerika einfach dunkel für neun Stunden. Sonnenwind trifft Erde Sprecherin: Auch Satellitenbetreiber müssen ihre Flugobjekte so ausrüsten, dass deren empfindliche Elektronik möglichst nicht durch stürmisches Weltraumwetter oder auch durch die alltägliche Strahlung beschädigt wird. Drei Regionen über dem Globus sind dabei besonders gefährlich. O-Ton Andrew Monham: So normally speaking, most of our outages are due to this radiation through the south atlantic anomaly or polar regions. Übersetzer: Die meisten Datenausfälle haben wir im Normalfall wegen erhöhter Strahlung an der südatlantischen Anomalie oder in den beiden Polarregionen. Sprecherin: Der Brite Andrew Monham ist Flugleiter bei der Europäischen Organisation für meteorologische Satelliten, der EUMETSAT. Wir befinden uns wieder in Darmstadt. Die Organisation hat ihren Sitz nur wenige Hundert Meter vom Satellitenkontrollzentrum der ESA. Was wir tagtäglich im Wetterbericht erfahren, geht zum größten Teil auf Satellitendaten der EUMETSAT zurück. O-Ton Andrew Monham: And normally, what has happened, is there has been a disturbance in the electronics or in the software, and the onboard software has recognized that and shut itself down. But we are normally able to assume, that that has been the problem, if the anomaly has occurred in the South Atlantic Anomaly or the polar regions and try just restarting it. Übersetzer: In der Regel gab es dann eine Störung in der Elektronik oder der Software, und der Bordcomputer hat das erkannt und den entsprechenden Dienst heruntergefahren. Aber normalerweise können wir erkennen, genau das war das Problem, wenn es eben in diesen Regionen aufgetaucht ist, und dann starten wir die betroffene Software einfach neu. 9 Sprecherin: Die Lösung in solchen Fällen ist quasi ein Mausklick in Darmstadt, der einen entsprechenden Befehl an den Bordcomputer auslöst. Doch nicht immer funktioniert diese Standardmethode. O-Ton Andrew Monham: Our worst problem that we've had in EUMETSAT was actually in 2007 shortly after the launch of the first MetOp satellite. There although designed to be tolerant to the radiation environment in space we actually had a transistor on one of the data transmission systems on board MetOp which was destroyed by radiation as it was passing over the polar regions. Of cause we had a redundant transmission system there, but of cause it also had the same transistor in it with the same weakness. Übersetzer: Das schlimmste Problem, das wir bei der EUMETSAT hatten, war 2007 kurz nach dem Start des ersten MetOp-Satelliten. Obwohl der so konstruiert worden ist, dass er die Strahlung im Weltall aushält, gab es an Bord dennoch einen Transistor in einem Datenübertragungssystem, der durch Strahlung zerstört worden ist, als der Satellit die Polarregionen überflogen hatte. Natürlich haben wir ein Ersatzsystem an Bord, aber darin war der gleiche Transistor mit der gleichen Schwachstelle verbaut. Sprecherin: Zum Glück betraf das Problem nur ein Subsystem und nicht die Hauptmission des Metop-Satelliten. Die wesentlichen Wetterdaten wurden weiterhin aufgezeichnet und nach Darmstadt übertragen. Doch mit dem beschädigten Subsystem sollten regionale Wetterdienstleister weltweit über kleine Bodenstationen mit meteorologischen Sofortdaten versorgt werden. Nur – ohne Übertragungssystem keine regionalen Wetterdaten. O-Ton Andrew Monham: We did a lot of research with our partners in ESA and NOAA, who we are working closely with, and together with them we were able to reproduce the failure on ground by bombarding the transistor with protons and heavy ions which we would see for example from galactic cosmic rays which come from outside our solar system. And the transistor failed even at some of the lower energy levels which we used, and so we were able to pinpoint that this component was the problem. Übersetzer: Wir haben dann zusammen mit unseren Partnern bei der ESA und bei unserer nordamerikanischen Schwesterorganisation NOAA eine Reihe von Untersuchungen angestellt. Und gemeinsam konnten wir am Boden den Defekt reproduzieren, indem wir den Transistor mit Protonen und schweren Ionen beschossen. Solche findet man beispielsweise in der kosmischen Strahlung, die von außerhalb des Sonnensystems zu uns kommt. Und der Transistor ging sogar kaputt, als wir etwas geringere Energielevel benutzten, sodass wir sagen konnten, genau diese Komponente war das Problem. Sprecherin: Nach der Monate dauernden Ursachenforschung fand die EUMETSAT eine Lösung, wie man wenigstens einen Teil der regionalen Wetterdienstleister mit Sofortdaten 10 versorgen konnte. Es wurden Regionen definiert, in denen der Betrieb des Übertragungssystems sicher war, weil dort die Strahlenbelastung nicht so hoch sein würde – dem schützenden Erdmagnetfeld sei Dank. Die südatlantische Anomalie und die Polregionen wurden weitflächig ausgespart. Wann immer der Satellit MetOp A sich diesen Zonen näherte, wurde die Komponente abgeschaltet und erst dann wieder hochgefahren, wenn MetOp A sich wieder in sicheren Regionen befand. Und für den nachfolgenden Satelliten MetOp B, der 2012 gestartet wurde, verwendete man einen anderen Transistor. Atmo Sprecherin: Aber was, wenn die Erde doch einmal von einem extremen Sonnensturm heimgesucht wird? Einem wie dem von 1859, als sogar in der Karibik noch Polarlichter die Nacht erhellten und in Europa immerhin das Telegrafensystem lahmgelegt wurde? Sonnenforscher warnen, dass unser Zentralgestirn immer wieder solche Superstürme ins All hinausschleudert und dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein solcher Sturm wieder die Erde treffen wird. Genauso stellt sich die Frage, was wird, wenn das Erdmagnetfeld sich wirklich umpolt, in den nächsten Jahren massiv an Stärke verliert und nicht mehr 60.000 Kilometer, sondern beispielsweise nur noch 30.000 Kilometer ins All hineinragt. Satelliten gehören da zu den gefährdeten Infrastrukturen, vor allem die geostationären, die in 36.000 Kilometern Höhe fliegen. O-Ton Hermann Lühr: Unser Leben hängt vielleicht nicht so sehr von der Raumfahrt ab, unser Wohlstand hängt davon ab. Wenn wir uns nur vorstellen, dass wir auf die ganzen Fernsehsatelliten verzichten müssten, dann müsste es wieder über terrestrische Sender gehen, und das wäre unvergleichlich teurer. Oder wir müssten wieder weg von den vielen Programmen, zurück zu ein, zwei, drei Programmen im Fernsehen oder auch im Rundfunk. Dann geht’s weiter mit dem Telefonieren. Dieses sehr kostengünstige Telefonieren, was wir zurzeit haben, geht natürlich nur, weil wir die Satelliten haben. Dann denken Sie an das Wetter, die wunderschöne Wettervorhersage, die wir haben im Augenblick, geht auch nur, weil wir diese geostationären Wettersatelliten haben, die laufend die Wolken beobachten, Temperaturen messen und so weiter. Man muss natürlich auch an Flugzeugverkehr denken, an GPS-Signale. Also es ist unglaublich, wo wir alles an den Satelliten hängen heutzutage. Sprecherin: Ganz tief von unten, aus 3.000 Kilometern Tiefe, ragt das Erdmagnetfeld weit ins Weltall hinein. Wir können es nicht spüren, und wir können es auch nicht zerstören wie beispielsweise die Atmosphäre. Tagtäglich bewahrt es uns vor Strahlung aus dem All, und – wer hätte das gedacht – sogar über unseren alltäglichen Luxus hält es seine schützende Hand – noch. Klangcollage: Telefonat, Navigationsansage, Wetterbericht, geht über in gestörten Radioempfang und Geräusch Erdmagnetfeld ***** 11
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