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Andreas Paul Weber
Vortrag im KUNST.GESPRÄCH am 31. Januar auf Hof Wessels
Knapp 3.000 Lithographien, einige tausend Handzeichnungen, Hunderte
von Holzschnitten, über 200 Ölbilder, dazu noch unzählige Skizzen –
der Künstler Andreas oder, wie er sich selbst nannte, A. Paul Weber
hinterließ bei seinem Tod am 9. November 1980 ein riesiges
Gesamtwerk. Es wird von den rund 700 Mitgliedern der A. Paul WeberGesellschaft mit Sitz in Ratzeburg betreut. Viele seiner Arbeiten werden
in einem schon zu Lebzeiten des Künstlers 1973 eröffneten eigenen
Museum auf der sogenannten Dominsel der schleswig-holsteinischen
Stadt gezeigt.
Fünf Lithographien Webers befinden sich im Kunstbesitz der Stadt
Herten.
Ihre Titel:
Deutsches Verhängnis,
In gutem Glauben,
Was heißt hier Kunst?,
Hungernde vor verendendem Pferd,
Die besseren Stiefel.
Die Arbeiten wurden anlässlich einer Ausstellung von Webers Werken
im Hertener Rathaus in den 1970er Jahren erworben.
Andreas Paul Weber wurde als Sohn von Marie und Robert Weber,
einem Eisenbahn-Assistenten, am 1. November 1893 im thüringischen
Arnstadt geboren. Er besuchte dort die Realschule und danach die
Kunstgewerbeschule in Erfurt. Von 1908-14 war er Mitglied im
Jungwandervogel, jener Bewegung, die in naturgemäßer Lebensweise
und im Wandern einen neuen Lebensstil suchte. In diesem Jahren
entstanden auch erste Gebrauchsgraphiken. Als Zeichner und
Karikaturist machte er sich erstmals im Ersten Weltkrieg einen Namen,
als er während seines Einsatzes als Eisenbahnpionier an der Ostfront
bei der „Zeitschrift der 10. Armee“ arbeitete.
1920 heiratete Weber Toni Klander. Aus der Ehe gingen fünf Kinder
hervor.
In dieser Zeit errang er mit Buchillustrationen zu Hans Sachs, Reineke
Fuchs und Till Eulenspiegel erste Erfolge.
1928 schloss er sich dem „Widerstandskreis“ um Ernst Niekisch an, war
von 1931-36 neben Niekisch Mitherausgeber der Zeitschrift Widerstand,
in der zahlreiche seiner satirisch/allegorischen Zeichnungen
veröffentlich wurden. Darunter auch das bekannte „Verhängnis“ von
1932, auf dem eine Menschenmenge mit wehenden Hakenkreuzfahnen
eine Anhöhe ersteigt, um danach in einen offenen Sarg zu stürzen.
Weber ein Visionär, ein Humanist? An dieser Frage scheiden sich bis
heute die Geister. In Hamburg versuchte der jüdische Publizist und
Künstler Arie Goran-Sternheim bis zu seinem Tod 1996 vergeblich,
diese Einstufung von Weber zu korrigieren. In der Zeitung „Die Welt“
schrieb Stefan Hertz unter dem Titel „Wie ein Antisemit zum
Antifaschisten geadelt wurde“ im Dezember 2000 darüber:
„Weber hat Glück gehabt mit diesem Bild. Seine Suggestivkraft ist eine
wichtige Quelle für das große Missverständnis, das den Grafiker in den
siebziger Jahren zum antifaschistischen Visionär adelte, zum „ewig
wachen Mahnen und Warner“, zu einem Künstler, der der Zensur der
Nazis das eine oder andere Schnippchen schlug, zu einem
scharfgesichtigen Diagnostiker seiner Zeit. All das war Weber
keineswegs.“
Webers Kritiker machen dies fest an Arbeiten, in denen er „den Juden“
irgendwo zwischen Gewürm und Ungeziefer zeichnete. Und in Wilhelm
Stapels antisemitischem Werk „Literatenwäsche“ aus dem Jahr 1930,
ließ Weber den bedeutenden Journalisten Alfred Kerr leblos an einer
Wäscheleine hängen und zeichnete Kurt Tucholsky als aufgespießte
Laus.
Seine Menschenverachtung, so Stefan Hertz in seinem Welt-Artikel,
habe Weber gegen Ende der Weimarer Republik ganz nach rechts
außen geführt. Die Grafik „Deutsches Verhängnis“ werde daher
missverstanden. Sie kritisiere vielmehr aus völkischer Perspektive Hitler
als zu lasch. „Kein ordentlicher Tyrann, der das Volk mit harter Knute
führt, sondern ein Populist und irgendwie immer noch mit der
verhassten Demokratie verbunden.“
Durch diese vermeintlich mangelnde Entschlossenheit hätten der
Widerstandskreis und Weber in Hitler ein deutsches Verhängnis
gesehen. „Von Antifaschismus und weiser Voraussicht keine Spur.“
Und Hertz schließt: „Erfreulich für A. Paul Weber, der nach 1945 den
zeitkritischen Künstler markierte, dass all dies in Vergessenheit geriet.“
Beigetragen hat dazu sicher auch, dass Weber am 2. Juli 1937 in das
KZ Hamburg-Fuhlsbüttel kam und danach bis zum 15. Dezember in
Gefängnissen in Berlin und Nürnberg inhaftiert war. Im Gefängnis durfte
er unpolitische Blätter zeichnen, danach entstand der Bilderzyklus
„Reichtum aus Tränen“, 1944/45 wurde er zum Kriegsdienst
herangezogen.
Nach Kriegsende kehrte Weber zurück in sein Haus in Schretstaken bei
Mölln, wo er seit 1936 lebte. Er arbeitete für die Zeitschrift
„Simplicissimus“, für die Griffelkunst-Vereinigung, wurde 1971 zum
Professor ernannt, erhielt im gleichen Jahr das Bundesverdienstkreuz,
zeichnete noch in seinem Todesjahr 1980 im Auftrag des „Spiegel“ für
den Leitartikel „Medizin in der Krise“ eine Reihe von Werken, die sein
Blatt „In gutem Glauben“ ergänzten. Diese Grafik – eines von den fünf
Werken im Besitz der Stadt Herten – war bereits 1956 entstanden. Eine
kritische Auseinandersetzung mit der Schulmedizin.
Am 9.November 1980 verstarb Weber im Alter von 87 Jahren in
Schretstaken. Seine Urne wurde ebenso wie die seiner Frau im Garten
des A. Paul Weber-Museums in Ratzeburg beigesetzt, das kurz vor
Webers 80. Geburtstag von Bundespräsident Gustav Heinemann
eröffnet worden war. In den 23 Räumen des Museums sind ständig rund
300 Werke Webers ausgestellt.
Das zweifellos berühmteste Werk von A. Paul Weber trägt den Titel
„Das Gerücht“. Es entstand zunächst 1943 als satirische Zeichnung.
Zehn Jahre später führte Weber das Motiv als Lithographie aus, 1959
entstand eine leicht veränderte zweite Fassung. Weber, künstlerisch
beeinflusst von Alfred Kubin, Max Klinger und Goya, verstand es
glänzend, zu abstrakten Begriffen erzählerische Illustrationen zu
schaffen. So auch beim „Gerücht“.
Ein schlangenartiges Wesen mit spitzer Nase und blinder Brille, den
Körper besetzt mit unzähligen Augenpaare, entwickelt sich aus Leibern,
die aus Hochhausfenstern hervorquellen.
Da ist es, unverkennbar, das Gerücht, nicht mehr aufzuhalten,
übermächtig, einmal in die Welt gesetzt nicht mehr zu stoppen.
Irgendetwas zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Falschmeldung
und Information.
Der Schlangenleib als Symbol der Falschheit, die großen Lauscher, die
dicken Brillengläser, durch die man alles verzerrt wahrnimmt und doch
glaubt, alles genauso sehen. Die große Klappe, die spitze Zunge, die
lange Nase, die in alles gesteckt wird.
Was sich zu Webers Zeiten noch langsam aufbaute und verbreitete, ist
in unseren Zeiten von Chatrooms, E-Mails und sozialen Netzwerken
schnell und einfach weltweit verbreitet. Dank der Anonymität sinken die
Grenzen von Scham und Anstand. Und die Suchmaschinen sortieren
ihre Treffer nicht nach Qualität, sondern nach Quantität auf. Die
gesicherte Nachricht zählt weniger als die, die am meisten verbreitet
wird. Der perfekte Nährboden für Gerüchte.
Die Menschen reden und chatten darüber, worüber andere chatten und
reden. es wird nicht mehr über die gesicherte Information diskutiert,
sondern über Deutungen. Und wenn dann die Beraterin des
twittersüchtigen neuen Präsidenten der USA von „alternativen Fakten“
redet und der Moderator im Fernsehen von „falschen Fakten“ spricht,
dann ahnt man, wohin uns die Gerüchte-Schlange schon geführt hat.
Und wer nimmt dann noch wahr, dass Fakten Fakten sind und nicht
falsch sein können. Die Gerüchteküche als Teufelskreis. Und da wird
es auch nur wenig helfen, dass Facebook nun verstärkt nach
Falschmeldungen oder neudeutsch FakeNews Ausschau hält.
Anlässlich des 60jährigen Bestehens des Deutschen Presserates, der
als Organ der Selbstkontrolle versucht, journalistisches Fehlverhalten zu
rügen, hat Bundespräsident Joachim Gauck am 1. Dezember 2016 in
einer herausragenden Rede die aktuelle Situation analysiert und
aufgezeigt, wie sehr die Demokratie gefährdet ist, wenn Fakten eine
immer geringere Rolle spielen.
„Dass nicht die Lüge der gefährlichste Feind der Wahrheit ist, sondern
die Überzeugung – diese Erkenntnis Nietzsches ist mindestens so alt
wie der feste Glaube mancher, einer Verschwörung fremder Mächte
ausgeliefert zu sein“, führte Gauck in seine Rede aus. Und weiter: „Dass
es heute so einfach ist wie nie, selbst für die krudesten Überzeugungen
Anhänger zu gewinnen, macht den Umgang mit diesen Phänomenen
noch schwieriger.
Die Sozialen Netzwerke und der Umgang mit ihnen haben zweifellos
ihren Anteil an dieser Entwicklung. Wer sie nutzt, wählt aus, was er
wahrnehmen will, wann und von wem er es lesen oder hören will und
schließlich, mit welchem ausgewählten Kreis von sogenannten
Freunden er seine Erkenntnisse teilen will.
Schließlich entstehen die Echoräume, in denen Einzelne oder Gruppen
sich im Alleinbesitz der Wahrheit wähnen, während sie – taub für die
Außenwelt – ihren eigenen Überzeugungen lauschen, die von den
Wänden widerhallen.
Sind schließlich auch diese Überzeugungen beliebig austauschbar
geworden, kann man ungestraft heute dies und morgen das erzählen,
darf sich in Widersprüche verwickeln oder leicht Widerlegbares
behaupten, dann ist eingetreten, was die Wissenschaft den
Kommunikationsinfarkt nennt. Wenn es ausreicht, von sich selbst
überzeugt zu sein, um erfolgreich inhaltsleeres Geschwätz oder
bedeutungsschwangere Falschesten verbreiten zu können, dann ist
eine Verständigung unmöglich geworden.“
Soweit der Bundespräsident. Treffender kann man es nicht sagen.
Das Gerücht von Andreas Paul Weber hat nichts von seiner Aktualität
verloren.
Als Persönlichkeit ist er umstritten. Als Künstler gehört er zu den
Bedeutenden in diesem Land.
Viele seiner Werke halten uns einen Spiegel vor.
Und viele sind zeitlos.
Zeitlos wie die 1934 entstandene Grafik „Glanznummer“: Auf einem
Schwebebalken tänzelt der Tod im Narrenkleid über einem Meer von
Gaffern auf eine Bombe zu.
Ein Bild, das ich nach der Wahl von Donald Trump mit anderen Augen
betrachte.
Schließen möchte ich mit einem weiteren Zitat von Joachim Gauck aus
seiner Presserats-Rede:
„Lassen Sie uns im Angesicht von allen möglichen destruktiven
Energien, auch derer, die im Populismus wabern, nicht in Angst
verfallen und nicht in Eskapismus (Wirklichkeitsflucht). Jeder kann etwas
tun, um die offene Gesellschaft zu stärken.“
Gregor Spohr