Die Morgenandacht Montag bis Samstag, 5.55 Uhr (NDR Info) und 7.50 Uhr (NDR Kultur) 30. Januar bis 4. Februar 2017: „Die erste Person Singular“ Von Andreas Brauns, Hildesheim In der Kirche wird nur selten von der ersten Person Singular gesprochen. Das „Wir“ ist dafür fast allgegenwärtig. Dabei ist das „Ich“ entscheidend, denn es muss mit sich auskommen. Und nur ich selbst kann umsetzen, was ich vom Evangelium gehört und verstanden habe. Darum: Mut zur Rede in der ersten Person Singular. Katholisches Rundfunkreferat Domhof 24 31134 Hildesheim Tel: 05121-307865 www.ndr.de/kirche Der Autor Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Katholischen Rundfunkreferats zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR. 1 Montag, 30. Januar - Das Wasser der Taufe „Man, der ist ja mit allen Wassern gewaschen.“ Das denke ich, wenn ich erlebe, wie jemand sofort mit allem klarkommen und für sich immer einen Vorteil aus der verzwickten Situation zieht. Ja, während ich noch überlege, haben die, die mit allen Wassern gewaschen sind, längst gehandelt. Mit allen Wassern gewaschen, das heißt: jemand kennt alle Tricks und verfügt über große Erfahrung. Mit allen Wassern gewaschen waren früher die Seeleute, die unterwegs waren auf allen sieben Weltmeeren. Wer heute mit allen Wassern gewaschen ist, ist clever und oft ein schwieriger Verhandlungspartner, der sich auskennt. Vor dem ich mich in Acht nehmen muss, wenn ich etwas erreichen will. Als Christ bin ich nicht mit allen Wasser gewaschen. Dafür aber mit einem ganz bestimmten Wasser: dem der Taufe. Zu meinem Vorteil kann ich es kaum nutzen, oder vielleicht doch? Das Wasser der Taufe ist ein Zeichen für Gottes Nähe. Er ist bei mir, und er gibt mir die Chance, Mensch zu werden. Ein Unikat. Ich selbst. Ist das nichts? Ich kann Mensch werden. Ganz ohne Tricks - aber authentisch. Mensch nicht nur für mich allein. Nein, als Mitmensch Mensch auch für andere. Ja, ich glaube, nur so ist der Mensch Mensch. Denn was wäre das Ich ohne ein Du? Es würde verkümmern. Weil ich mit Gott Mensch werden kann, mit dem Wasser der Taufe sozusagen gewaschen bin, brauche ich vor anderen keine Angst zu haben. Ich muss mich nicht ständig absichern und alles krampfhaft festhalten, was mein ist. Ich kann mit offenen Armen auf andere zugehen und ihnen geben. Nicht, um damit für mich etwas zu erreichen, sondern um anderen zu dienen und mich daran zu freuen, dass mir das möglich ist. Wenn mir das gelingt, folge ich Jesus nach und damit Gott selbst, der in ihm Mensch geworden ist. Einander zu dienen und Menschen zu tragen, das ist etwas, was eine Gesellschaft vollkommen verändern kann. An vielen Orten handeln Menschen längst so, doch in einer Welt, in der es immer wieder darum geht, sich eigene Vorteile zu sichern auf Kosten anderer, in der getrickst wird bei jedem noch so kleinen Deal, da brauchen Menschen, die anderen dienen, einen langen Atem. Doch wer mit dem Wasser der Taufe gewaschen ist, kann darauf vertrauen: ich bin nicht allein unterwegs. Ich bin unterwegs mit dem Gott, der den Atem geschaffen hat. Dienstag, 31. Januar - Das Feuer des Evangeliums Feuer ist gefährlich. Asche dagegen harmlos. Beim Blick auf die Kirche haben manche den Eindruck: Da wird Asche aufbewahrt, gesichert unter Glas, verklärt durch Rituale. Vom Feuer der Botschaft ist nichts mehr zu spüren, es ist erloschen. Walter Kardinal Kasper ist überzeugt: Diese Asche, seit Jahrhunderten angehäuft über dem Glutnest, diese Asche will Papst Franziskus beseitigen, damit das Feuer des Evangeliums wieder auflodert. Da gibt es natürlich Widerstände, denn ein lebendiges Feuer ist ganz anders als eine Tradition, die unter Glas bewahrt werden kann. Wer kann das Feuer kontrollieren? „Das Feuer des Evangeliums“, so heißt ein Interviewbuch mit Walter Kardinal Kasper. Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für das Denken und Handeln des Papstes vom Ende der Welt. Da heißt es: „Den Papst und mich verbindet eine tiefe Sicht von der Kirche und eine sehr hohe Meinung von der zentralen Bedeutung der Barmherzigkeit. Es ist bewegend für mich, am Ende meiner Laufbahn zu erleben, dass Papst Franziskus einige Ideen zu verwirklichen versucht, die ich mir sehnlichst gewünscht habe.“ Da ist ein Papst, der die moderne Gesellschaft in ihrer Vielfalt akzeptiert und seine Kirche als einen Akteur unter vielen sieht. Allerdings einen, der konsequent an den Rand geht, dorthin, wo Menschen leiden, wo die Armen leben, die Flüchtlinge. Papst Franziskus ist unbequem. Er trägt das Herz auf der Zunge. Er spricht von Eltern als „normalen Heiligen“ und von einer Kirche, die nicht durch ihre Institutionen authentisch ist, sondern allein durch das, was in ihr gelebt wird. Er wünscht sich eine Kirche als „Haus der Menschlichkeit“. Das soll nicht als Zielvereinbarung auf einem Schild stehen, es soll praktiziert werden - ohne Überheblichkeit und Machtanspruch, bereit, alle zu umarmen. Katholisches Rundfunkreferat – www.ndr.de/kirche 2 Walter Kardinal Kasper erzählt: „'Liebe heißt, sich zu berühren', das ist einer der schönsten Sätze dieses Papstes, … der Mensch unter Menschen sein und mehr oder weniger wie ein ganz normaler Mensch leben will …!“ Wenn das Feuer des Evangeliums auflodert, dann erhellt es das Dunkle in der Welt. Das Feuer bietet nicht gleich eine Lösung, doch es macht Probleme sichtbar. Und ich muss mich entscheiden: Schaue ich hin und handle? Oder sage ich einfach: Die im Dunkel leben sollen sich doch selber helfen. Mit meiner Welt haben sie nichts zu tun. Walter Kardinal Kasper: Das Feuer des Evangeliums, Patmos-Verlag Mittwoch, 1. Februar - In-sich-Gehen Immer, wenn ich mich für ein paar Tage zurückziehe und die Stille suche, dann staune ich, welche Strecken ich bei Wanderungen zurücklege. Da ist mir kein Berg zu hoch, kein Weg zu weit. Befreit vom Ballast des Alltags geht es sich offensichtlich federleicht. Doch in den Tagen bin ich nicht nur zu Fuß unterwegs, nein, ich bin auch ohne Wanderschuhe unterwegs und versuche mich in mir selbst fortzubewegen. Das probiere ich immer wieder, obwohl ich weiß: Die unbequemste Art der Fortbewegung ist das „In-sich-Gehen“. Und das liegt nicht nur am Ziel, auf das hin ich unterwegs bin: Ich selbst. Während ich mich auf Wanderungen vorbereiten kann, indem ich mir etwas Proviant einstecke und die richtigen Schuhe trage, ist es beim Weg in mein Inneres völlig anders. Da kann ich mir eigentlich nur Zeit nehmen und auf Überraschungen gefasst sein: Positiv wie negativer Art. Ich habe keine Ahnung, wie steinig der Weg ist, wo sich ein Abgrund auftut, wo es plötzlich tief hinuntergeht, wo steil bergauf. Manchmal fällt jeder einzelne Schritt schwer. Da es ist gut, nicht allein zu sein, sondern unterwegs zu sein mit Gott. Immerhin ist er selbst Mensch geworden. Und er hat sich den Kranken und den Sündern zugewandt. Ich habe erfahren: Mit Gott an der Seite geht es sich leichter, obwohl der Weg unbequem bleibt, weil ich immer noch vor dem stehe, was ich manchmal über Monate mehr oder weniger erfolgreich verdrängt habe. Aber es entlastet, wenn ich nicht allein bin. Wenn da jemand ist, der es gut mit mir meint. Der nicht sagt: „Schwamm drüber, sondern: Schau hin! Was genau siehst du?“ Ich muss gestehen: In solchen Augenblicken, da möchte ich den Rucksack aufsetzen und mich sofort wieder auf den Weg machen, auf den ich mich dann auch konzentrieren muss. Doch ich sehe in dem Moment vor meinem inneren Auge ein Lächeln. Und so bleibe ich, schaue hin. Ich kann nichts ungeschehen machen, aber ich kann Verletzungen und Enttäuschungen bei mir und anderen noch einmal anschauen - und sie dann meinem Begleiter hinhalten. Wenn ich in mich gehe, dann spüre ich die große Diskrepanz zwischen der Sehnsucht nach einem gelingenden Leben und dem, was sich tatsächlich ereignet hat. Auch das macht den Weg nach Innen unbequem. Aber es gibt keinen anderen Weg, um mir selbst auf die Spur zu kommen. Und im Rückblick sehe ich jedes Jahr: Das „In-mich-Gehen“ lohnt sich. Donnerstag, 2. Februar - Beste Freunde Ziemlich beste Freunde, das war vor Jahren ein erfolgreicher Film aus Frankreich. Er erzählt von einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem schwer behinderten Mann in feinem Zwirn und einem aus der Haft entlassenen junger Farbigen im Kapuzenpulli. Was im Film nach Drehbuch gelingt, ist im wahren Leben nicht so einfach. Schon gar nicht, wenn es um eine ganz besondere Beziehungskiste geht: Um die Freundschaft mit mir selbst. Melanie Wolfers hat sich mit dieser einzigartigen Freundschaft beschäftigt, in ihrem Buch „Freunde fürs Leben“ - Von der Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein. Sie schreibt. „Um mich mit mir selbst anzufreunden, brauche ich nur wenig. Eigentlich nur mich selbst. Katholisches Rundfunkreferat – www.ndr.de/kirche 3 Wo auch immer ich mich gerade befinde, genau dort kann ich anfangen.“ Damit aus besten Feinden beste Freunde werden. Der strenge Kritiker in mir endlich mal die Realität zur Kenntnis nimmt, sich auf einen Austausch einlässt und mir nicht dauernd nur im Weg steht, mich am Leben hindert. Die Beziehungskiste mit mir selbst hat es in sich. Doch es lohnt sich daran zu arbeiten, denn ich muss ja mit mir zusammenleben, rund um die Uhr - bis zum letzten Atemzug. Wie diese Freundschaft gelingen kann, das wird in dem Buch erzählt. Die Ordensfrau und Seelsorgerin stellt viele tiefgehende Fragen. Etwa: Was von gestern bremst dich heute aus? Für die Ordensfrau geht es im Leben um mehr als nur ums Funktionieren. Das Leben fühlt sich für sie erst lebendig an, wenn sie Menschen oder Dingen begegnet, sie sich dabei selbst ins Spiel bringt und Spuren hinterlässt. Wenn das gelingt, spürt sie: Ich bin mit einem anderen verbunden und ich bin ganz ich selbst. Aber: Ich bin auch verletzlich, weil ich berührbar bin. Was für ein Geschenk ist es, wenn Menschen mit einer guten Freundin oder einem guten Freund an der Seite durchs Leben gehen und auf ihr Leben schauen können. Und wie bereichernd ist es erst, wenn ich so mit mir selbst befreundet bin… Und morgens beim Blick in den Spiegel den Eindruck habe: „Ich bin mir selbst ein Stückchen ähnlicher geworden.“ Wer so heimisch wird in seinem Leben, kann es gestalten - und das göttliche Licht sichtbar werden lassen, das im Inneren eines jeden Menschen leuchtet. Für Melanie Wolfers ist das Leben eine Einladung, dieses Licht „in sich und in anderen zu entdecken und aufstrahlen zu lassen.“ Melanie Wolfers: Freunde fürs Leben – Von der Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein, Adeo-Verlag Freitag, 3. Februar - Das Licht der Welt „Ihr seid das Salz der Erde … Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,13f). Das sind große Worte, die Jesus da zu den vielen Menschen sagt, die gekommen sind, um ihn zu hören. Wie kann er sich da so sicher sein? Er kennt die Frauen und Männer doch gar nicht. Trotzdem sagt er es ihnen auf den Kopf zu: Ihr seid es, nicht andere. Ihr seid es. Nicht irgendwann nach einer besonderen Schulung, nein, heute. Der ehemalige Limburger Bischof Franz Kamphaus bemerkt dazu: „Jeder mag das einmal in einer stillen Stunde für sich selbst durchbuchstabieren und laut sagen: ich bin Salz der Erde; ich bin Licht der Welt. Wer bringt dazu den Mut auf?“ „Ihr seid das Salz der Erde …“, das irritiert beim Hören. Gewöhnlich hören Christen doch eher Sätze, die mit einem Imperativ beginnen. Also: Seid das Salz der Erde, was so viel heißt wie: macht euch auf. Fangt an! Aber das steht da nicht, so Franz Kamphaus in seinem Buch „Tastender Glaube“. „Gott sei Dank! Wir wären restlos überfordert - wie Blinde, denen man zuruft: Macht doch die Augen auf! Salz der Erde, Licht der Welt, das geht nicht auf Befehl.“ Es ist eine Zusage, die mich gelassen machen kann - selbst dann, wenn sie mich Tag für Tag in die Pflicht nimmt. Denn das Salz will ausgestreut werden, das Licht will sich verzehren. Der ehemalige Limburger Bischof bringt es auf den Punkt: „Sowohl das Licht wie das Salz haben ihre Bedeutung darin, dass sie wirken, indem sie sich verschwenden.“ Und das bedeutet: Licht und Salz sind da für die Welt. Wenn Christen es für sich behalten oder es in den Mauern der Kirche bewahren wollen, haben sie etwas gründlich missverstanden. Sie sind überflüssig. Franz Kamphaus tastet sich in seinem Buch auf seine ganz eigene Art an die biblischen Texte der Sonntagsevangelien heran. Da gibt es manches Aha-Erlebnis und einige überraschende Einsichten. Nicht nur über die graueste Kirchenmaus. Die strahlt nämlich, wenn es ihr gelingt, das göttliche Licht zu reflektieren. Dazu braucht es keinen Spiegel, dazu braucht es zunächst das Vertrauen in die Zusage: „Ihr seid das Salz der Erde, ihr seid das Licht der Welt“. Und dann den Mut, entsprechend zu handeln: mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und zu handeln, damit das Licht das Leben hell macht. Franz Kamphaus: Tastender Glaube, Patmos-Verlag Katholisches Rundfunkreferat – www.ndr.de/kirche 4 Samstag, 4. Februar - Erste Person Singular Der frühere Erfurter Bischof Joachim Wanke hat die Gabe, mit wenigen Worten viel zu sagen. Einmal hat der erfahrene Prediger es so auf den Punkt gebracht: „Außerhalb der ersten Person Singular gibt es keine Wahrheit des Evangeliums.“ Wenn das stimmt, dann ist es doch mehr als verwunderlich, dass meist in der Kirche vom „wir“ die Rede ist, von „Schwestern und Brüdern“, von der „Gemeinde“. Die erste Person Singular, das Ich ist dagegen geradezu verpönt. Dabei sind Ich-Sätze so einfach. Jedes Kind lernt sie in der ersten Klasse. Aber Kirchenleuten fällt das mit dem Ich ziemlich schwer. Ihnen ist das Ich abhandengekommen. Achten Sie mal darauf…Viele halten sich vornehm zurück. Aber um welchen Preis? „Außerhalb der ersten Person Singular gibt es keine Wahrheit des Evangeliums.“ Das heißt doch: Das Evangelium hat unmittelbar mit mir zu tun. Sobald ich es auf Abstand halte, ist es vorbei mit seiner Wahrheit, sie schwebt nebulös im weiten Raum des „Wir“. Doch das Evangelium zielt auf mich, den Leser des Textes. Es geht um meine Hoffnungen, meinen Glauben und meine Zweifel. Und es geht um den Ruf Jesu „Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ Damit ist jeder einzelne gemeint, der das Wort hört. Umkehr und auch Nachfolge Jesu sind unmöglich, wenn ich mich nicht dazu entscheide. Niemand kann mir das abnehmen. Ich kann Jesus mit anderen bezeugen, doch ich kann nicht im Zeugnis der anderen abtauchen. Nein, ich selbst bin gefragt. Man glaubt nicht, nein. Wenn überhaupt, dann glauben Sie und ich. Nur ich selbst kann für mich sagen: Ja, ich teile das, was ich habe. Ich teile - ohne mich dabei von der bekannten Angst bremsen zu lassen zu kurz zu kommen. Solidarisch leben kann ich zwar von anderen fordern, doch es ist viel überzeugender, wenn ich selbst damit anfange. Über die Frage: Wird das, was ich habe, für mich reichen, könnte ich mein Leben lang nachdenken. Ich kann aber auch einfach davon abgeben und dann erleben, wie ich dadurch selbst glücklich werde. Und damit ich nicht aus der Übung komme und meinen eigenen Erfahrungen traue, kann ich mir ein Tagebuch anlegen, in dem ich jeden Tag notiere, wofür ich dankbar bin. Dankbar vielleicht auch für die Erkenntnis: „Außerhalb der ersten Person Singular gibt es keine Wahrheit des Evangeliums.“ Katholisches Rundfunkreferat – www.ndr.de/kirche
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