Umsatzsteuer aktuell Lieferungen in Konsignationslager – BFH wendet sich gegen die Verwaltungsauffassung Ausgabe 2, Februar 2017 In Kürze Zahlreiche Zulieferer der Automobilindustrie, aber auch anderer Branchen, stellen ihren Abnehmern das Liefergut in sogenannten Call-off-Stocks zur Verfügung. Werden solche Lager aus dem EU-Ausland beliefert, sieht die deutsche Finanzverwaltung dies bislang als innergemeinschaftliche Verbringung des ausländischen Unternehmers an, gefolgt von einer Inlandslieferung bei Entnahme durch den Abnehmer. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat diese Auffassung jetzt zurückgewiesen – allerdings sind die genauen Voraussetzungen noch nicht völlig klar. Der Sachverhalt Die Klägerin lieferte aus Spanien Waren an ihren Abnehmer. Das erfolgte über ein in Deutschland gelegenes Lager. Der Lagerhalter dieses Lagers handelte im Auftrag der Klägerin. Die Warenlieferungen erfolgten auf der Grundlage von Lieferverträgen, die Regelungen über die zu liefernden Gegenstände, die Kaufpreise sowie die Zahlungsund Lieferbedingungen vorsahen. Die konkreten Liefermengen und Lieferdaten ergaben sich erst aus sogenannten Lieferabrufplänen, die der Abnehmer der Klägerin häufig täglich übersandte. Die Warenmenge und der Liefertermin wurden rechtlich bindend durch einen sogenannten Lieferabruf festgelegt – erst dieser führte zu einem Kaufvertrag. Die Klägerin hatte die erforderliche Kapazität sicherzustellen, um die Warenmengen einschließlich Vorschaumengen aus Lieferabrufen erfüllen zu können. Das Eigentum an den Waren sowie die Gefahr des zufälligen Untergangs sollten erst zu dem Zeitpunkt und an dem Lieferort übergehen, der im jeweiligen Liefervertrag bestimmt war. Der Abnehmer war aber verpflichtet, für die durch den Lagerhalter verursachten Schäden gegenüber der Klägerin einzustehen. Für den Fall einer Kündigung eines Lieferabrufs musste der Abnehmer die aufgrund des Abrufs bereits eingelagerten Waren bezahlen. Die Lieferabrufe enthielten stets Freigaben für die nächsten zwölf Wochen und bestimmten für diesen Zeitraum Liefertermine in Abständen von regelmäßig ein bis zwei Wochen. Die in das Lager versandten Waren entsprachen mengenmäßig dem Bedarf des Abnehmers in den nächsten Tagen und Wochen. Klägerin und Finanzamt gingen übereinstimmend davon aus, dass für 95 Prozent der Lieferungen bereits bei Beginn der Versendung in Spanien verbindliche Bestellungen des Abnehmers vorlagen. Die Entscheidung des BFH Der BFH ist der Auffassung, dass die Ortsbestimmung als Versendungslieferung nach § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG voraussetze, dass der Abnehmer bereits bei Beginn der Versendung feststeht. Unter dieser Bedingung könne eine Versendungslieferung auch dann vorliegen, wenn der Liefergegenstand nach dem Beginn der Versendung für kurze Zeit in einem Auslieferungslager gelagert wird. Werde der Gegenstand vom Lieferer, vom Erwerber oder von einer dritten Person versandt oder befördert, gelte nämlich als Ort der Lieferung der Ort, an dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung an den Erwerber befindet. www.pwc.de Umsatzsteuer aktuell Die Versendung müsse außerdem dazu führen, dass der Liefergegenstand zum Abnehmer gelangt. Das bedeute, dass die Versendung nicht abgebrochen werden darf. Eine nur kurzzeitige Lagerung nach dem Beginn der Versendung reiche dafür aber nicht aus. Die Einlagerung in ein Auslieferungslager nach dem Beginn der Versendung an den Abnehmer sei für die Leistungsortsbestimmung bei Versendungslieferungen ohne Bedeutung. Auch der Europäische Gerichtshof stelle für eine Versendungs- oder Beförderungslieferung, die zu einer innergemeinschaftlichen Lieferung und einem korrespondierenden innergemeinschaftlichen Erwerb führt, darauf ab, ob ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen der Lieferung des in Rede stehenden Gegenstands und seiner Beförderung sowie ein kontinuierlicher Ablauf des Vorgangs gegeben sind. Soweit die Finanzverwaltung demgegenüber im Umsatzsteuer-Anwendungserlass davon ausgeht, dass unter anderem in solchen Fällen ein innergemeinschaftliches Verbringen vorliegt, wenn der Unternehmer den Gegenstand mit der konkreten Absicht in den Bestimmungsmitgliedstaat verbringt, ihn dort (unverändert) weiterzuliefern, schließe sich der BFH dem nicht an. Praxishinweise Der BFH weist mit dieser Entscheidung ausländischen Zulieferern und vielen weiteren Unternehmern, die Waren aus dem Ausland zur Verfügung stellen, einen Weg zu einer sehr viel einfacheren umsatzsteuerlichen Abwicklung. Denn die gegenwärtige Auffassung der Verwaltung zwingt diese Unternehmer dazu, sich im Inland steuerlich registrieren zu lassen, um einen innergemeinschaftlichen Erwerb und eine sich anschließende (im Allgemeinen steuerpflichtige) Inlandslieferung zu erklären. Da es sich um ständige Lieferbeziehungen handelt, konnten Fehleinschätzungen – einmal abgesehen von möglichen steuerstrafrechtlichen Konsequenzen – bislang zu Steuernachzahlungen für mehrere Jahre in teils erheblicher Höhe führen, die nicht selten mit beträchtlichen Zinslasten einhergingen. Die Entscheidung des BFH bezieht sich freilich zunächst auf einen Sachverhalt, in dem die Waren für einen kurzen Zeitraum in einem auf Initiative des Abnehmers eingerichteten Lager zwischengelagert werden. Ob die „kurze Zeit“ sich (nur) darauf bezieht, dass „produktionsbedingt beim Abnehmer für die nächsten Tage und Wochen benötigten Warenbedarf“ zu decken ist, geht aus dem Urteil nicht klar hervor, immerhin enthalten die Freigaben Warenmengen für nicht weniger als zwölf Wochen. Zumindest besteht offenbar Klarheit darüber, dass dem BFH unter einer „kurzen“ Einlagerung nicht lediglich wenige Tage vorschweben. Nach Auffassung des BFH kommt es für die Anwendung der Leistungsortsbestimmung für bewegte Lieferungen nicht darauf an, dass die Verfügungsmacht bereits mit dem Beginn der Versendung auf den Abnehmer übergeht. Sonst müsste sich, wie er ausführt, der Lieferort nach der Regelung für die unbewegten Lieferungen bestimmen, und eine gesonderte Regelung zur Versendungslieferung wäre überflüssig. Außerdem führt das Gericht ausdrücklich an, dass seine Einschätzung „zumindest“ unter Berücksichtigung eines dem Abnehmer vertraglich eingeräumten uneingeschränkten Zugriffsrechts gelte. Dem Sachverhalt ist ferner zu entnehmen, dass die Waren in fast allen Fällen bereits aufgrund eines konkreten Kaufvertrags nach Deutschland versandt wurden. Versendungen, die nicht auf einer solchen rechtlichen Basis, sondern auf Basis lediglich zum Beispiel einer vom Abnehmer erstellten Abnahmeprognose für die kommende Zeit in das Warenlager verbracht werden, dürften auch weiterhin nicht als Direktlieferungen an den Abnehmer zu behandeln sein. Dafür spricht vor allem, dass der BFH die Anschlussrevision der Klägerin zurückwies, die sich auf die Anerkennung der restlichen 5 Prozent ihrer Lieferungen als einheitliche Lieferungen an den Abnehmer richtete. Der BFH führte dazu aus, dass der Abnehmer bei Beginn der Versendung feststehen müsse, weil der Wortlaut der Vorschrift zu den bewegten Lieferungen die Lieferung an einen Abnehmer verlangt. Eine nur wahrscheinliche Begründung einer Abnehmerstellung reiche nicht aus. Auch andere Komponenten des Sachverhalts, zum Beispiel der Umstand, dass der Abnehmer für durch den Lagerhalter verursachte Schäden einzustehen hatte, könnten die Entscheidung des www.pwc.de Umsatzsteuer aktuell BFH für eine unmittelbare Lieferung aus Spanien an den Abnehmer beeinflusst haben. Hierzu äußert der BFH sich leider nicht im Detail. In der Praxis dürfte die Entscheidung nur auf Call-off-Stocks anwendbar sein, bei denen ein einziger Abnehmer die Waren entnimmt. Ein Konsignationslager, auf das mehrere Abnehmer (auch derselben Firmengruppe!) Zugriff haben, dürfte im Allgemeinen nicht der Anforderung entsprechen, dass der Abnehmer bei Beginn der Versendung feststehen muss. Außerdem dürfte es schädlich sein, wenn der Abnehmer nicht zur Abnahme der Waren verpflichtet ist. Denn auch dann könnte man zum Schluss gelangen, dass der Abnehmer noch nicht hinreichend feststeht. Das Urteil wirft auch einige praktische Probleme auf. Verzögert sich die Entnahme der Waren aus dem Lager um Wochen, so wird das in zahlreichen Fällen bedeuten, dass einer Meldung des Lieferers in der Zusammenfassenden Meldung des Abgangsstaats keine entsprechende Meldung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs in Deutschland gegenübersteht. Besonders im Zeitraum, in dem die Abläufe umgestellt werden, kann das zu Rückfragen der Finanzverwaltung führen. Schließlich ist zu beachten, dass der jeweilige Abgangsstaat unterschiedliche Anforderungen an den Nachweis innergemeinschaftlicher Verbringungen und innergemeinschaftlicher Erwerbe vorsehen kann. Bislang liegt noch keine Reaktion der Finanzverwaltung vor. Zumindest bis sie sich der Auffassung des BFH angeschlossen hat, sollte – allein schon angesichts des angesprochenen erheblichen Nachzahlungsund Zinsrisikos – die neue Rechtsprechung, wenn möglich, nur im Rahmen einer verbindlichen Auskunft umgesetzt werden. Fundstelle BFH V R 31/15, Urteil vom 20. Oktober 2016, abrufbar unter www.bundesfinanzhof.de www.pwc.de Umsatzsteuer aktuell Ihre Ansprechpartner Frank Gehring Düsseldorf Tel.: +49 211 981-2771 [email protected] Mónica Azcárate Frankfurt Tel.: +49 69 9585-6111 [email protected] Martin Diemer Stuttgart Tel.: +49 711 25034-1258 [email protected] Franz Kirch Köln Tel.: +49 221 2084-459 [email protected] Bestellung und Abbestellung Sollten weitere Personen Interesse an diesem Newsletter haben, können Sie diese E-Mail gern weiterleiten. Die Interessenten können sich hier anmelden: [email protected]. Sofern Sie unseren Newsletter zukünftig nicht mehr erhalten möchten, bitten wir Sie um eine kurze Benachrichtigung an: [email protected]. Die Beiträge sind als Hinweise für unsere Mandanten bestimmt. Für die Lösung einschlägiger Probleme greifen Sie bitte auf die angegebenen Quellen oder die Unterstützung unserer Büros zurück. 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