Bildung 18 K r a n k e n p f l e g e I S o i n s i n f i r m i e r s I C u r e i n f e r m i e r i s t i c h e 7 /2016 Alltagsgespräche in der Pflege «Alles was ich sage, Mit Smalltalk Eis brechen ist wahr. Aber nicht alles, was wahr ist, muss ich sagen.» Margrit Schoch Alltagsgespräche in der Pflege sind weit mehr als oberflächliches Geplauder. Zwei Studierende sowie je eine Lehrperson aus der Schule und aus der Praxis reflektieren ihre Erfahrungen mit dem zielgerichteten Einsatz von Smalltalk im Pflegealltag. «Wenn ich etwas Text/Fotos: Urs Lüthi Falsches gesagt habe, ist es am besten, dazu zu stehen und sich zu entschuldigen.» Eigentlich ist es ein Widerspruch: Smalltalk setzen wir im Normalfall mit absichtsloser Konversation gleich. Im Gespräch zwischen Patienten und Pflegefachpersonen kann jedoch ein Alltagsgespräch durchaus auch eine absichtsvolle und zielgerichtete Wirkung haben. Wie wichtig gelingende Alltagsgespräche für eine erfolgreiche Arbeit in der Pflege sind, haben auch die Verantwortlichen der Höheren Fachschulen Pflege erkannt und das Erlernen von Smalltalk-Techniken in die Pflegeausbildung integriert (s. Kasten). Aufbauend auf dem Unterrichtsheft «Therapeutische Wirkung von Alltagsgesprächen in der Pflege» ist diese Kommunikationsform auch Teil der Pflegeausbildung am Bildungszentrum für Gesundheit und Soziales (BfGS) Thurgau in Weinfelden. Laut Gisela Hanhart, Qualitätsbeauftragte am BfGS und Mitglied der Gruppe «Kooperation Ausbildung Pflege HF (KAP-HF)», wird der gezielte Einsatz von Alltagsgesprächen in enger Kooperation mit den Praxisbetrieben vermittelt. Dem Transfer in verschiedene Pflegesituationen in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern wie Psychiatrie, Akutsomatik, Kinder, Jugendliche, Familien, Frauen (KJFF), Spitex, Langzeitinstitutionen, Rehabilitation werde ein besonderer Stellenwert beigemessen. Beziehung aufbauen Michelle Knup Michelle Knup, Studierende im dritten Ausbildungsjahr, hat in ihrem Praktikum in einer psychiatrischen Institution die Erfahrung gemacht, dass es mit solchen kleinen Interventionen durchaus gelingt, eine Beziehung zu den Patienten aufzubauen: «Hier eine kleine Aufmerksamkeit, dort eine wertschätzende Bemerkung – sie braucht nicht viel Zeit, zeigt aber trotzdem Wirkung.» Sie weist darauf hin, dass auch die Patienten viel von sich erzählen und dass man mit solchen «normalen» Gesprächen eine gemeinsame Ebene finde. Ihre Kollegin Fabienne Künzle, ebenfalls im dritten Ausbildungsjahr, sagte es so: «Wenn ich mit Patienten über einen Film oder andere ganz gewöhnlich Dinge spreche, hole ich ein Stück Aussenwelt in die Klinik.» Für Sandra Rindler, Lehrperson an der HF Pflege des BfGS Thurgau, geht es beim Smalltalk auch darum, Interesse am Menschen – und nicht nur an seiner Krankheit – zu zeigen: «Oft hat ein solches Gespräch die Funktion des Eis- brechers und bildet den Einstieg zu einem therapeutischen Gespräch.» Wenn sie als Pflegefachperson vom Kochkurs erzähle, den sie gestern Abend besucht habe, komme vielleicht der Patient auf seinen Thai-Kochkurs zu sprechen. Dies ermögliche, mehr über seine Biografie zu erfahren und könne eine Basis sein, ihn besser zu integrieren und auf seine Bedürfnisse einzugehen. Sie betont, dass die Kommunikation über das Normale in allen Pflegebereichen ein zentraler Bestandteil einer guten Pflege ist. Achtsam im Alltag Für Margrit Schoch, Bildungsverantwortliche der Psychiatrischen Dienste Thurgau, bedeutet Alltagsgespräch: «Ich bin achtsam im Alltag, nehme die www.sbk-asi.ch >Kommunikation >Ausbildung >Gesprächsführung K r a n k e n p f l e g e I S o i n s i n f i r m i e r s I C u r e i n f e r m i e r i s t i c h e 7/2016 19 «Wenn ich mit Patienten Alltagsgespräche/Smalltalk über ganz gewöhnlich Dinge spreche, hole ich ein Stück Aussenwelt in die Klinik.» Absichtlos und beziehungsorientiert Fabienne Künzle «Über das Wetter zu sprechen, ist sicher weniger heikel als über politische und religiöse Themen zu diskutieren.» Sandra Rindler Die von Monika Beck herausgegebene Publikation «Therapeutische Wirkung von Alltagsgesprächen in der Pflege» ist ein Heft in der «Themenreihe Pflege». Ziel der beiden Autorinnen Heidemarie Weber und Hiltrud Kirsch ist es, den Studierenden der Pflege Techniken zu erklären, mit denen sie nicht nur gelingende Gespräche führen können, sondern mit der Zeit und mit immer mehr Übung auch mehr Sicherheit im Umgang mit ihrem jeweiligen Gegenüber gewinnen können. Die Autorinnen schreiben, dass Alltagsgespräche oder Smalltalks sich vom fachlichen Austausch häufig dadurch abgrenzen, dass sie nicht nur absichtslos, sondern vor allem beziehungsorientiert sind: «Im unmittelbaren Austausch während der Zusammenarbeit oder bei allfälligen Kontakten mit den Patienten kommen sie wahrscheinlich immer wieder mal vor, die Frage ist nur, ob sie in ihrer Wirkung bekannt sind und für den Beziehungsaufbau bewusst genutzt werden.» Heidemarie Weber und Hiltrud Kirsch, Themenreihe Pflege: Therapeutische Wirkung von Alltagsge-sprächen in der Pflege, herausgegeben von Monika Beck, Eigenverlag 2011. Kontakt: [email protected], www.monikabeck.ch Situation meines Gegenübers wahr und frage nach.» Genau hinzuhören und aus dem Gehörten etwas zu machen, müsse das Ziel sein. Sie widerspricht der gängigen Vorstellung, dass Smalltalk in erster Linie eine naturgegebene Begabung sei. Sie sei der lebende Beweis, dass man die Technik solcher Alltagsgespräche erlernen könne: «Ich bin in der Lage, auf Knopfdruck loszureden. Vor meiner Ausbildung konnte ich das nicht.» Neben praktischen Übungen aus der Praxis werden deshalb im Themenheft auch die wichtigsten Techniken professioneller Kommunikation dargestellt, wie zum Beispiel das «Vier-OhrenModell» von Friedemann Schulz von Thun. Als einprägsam erweist sich auch die von Wolf Langewitz ent- wickelte Kurzformel WWSZ, die für Warten, Wiederholen, Spiegeln und Zusammenfassen steht. Selektive Offenheit Als sehr hilfreich erleben die beiden Studierenden insbesondere das erste «W». Wenn man sich Zeit lasse und nicht immer sofort eine Antwort gebe, tappe man weniger in Kommunikationsfallen, ist ihre Erfahrung. Nicht einfach ist es manchmal, Patienten zu stoppen, die beginnen, die Pflegefachperson über Persönliches und Privates auszufragen. Sie habe gelernt, nur so viel von sich preis zu geben wie sie wirklich wolle, erklärt Fabienne Künzle: «Ich kann klar sagen: Dazu will ich keine Auskunft geben.» Margrit Schoch empfiehlt die Technik der «selektiven Offenheit»: «Alles was ich sage, ist wahr. Aber nicht alles, was wahr ist, muss ich sagen.» Sie veranschaulicht es mit folgendem Beispiel, das sie erlebt hat: Eine Lernende erzählt einem Patienten mit einem Drogenproblem, dass sie früher selber gekifft hat. Die Folge: Der Patient erzählt es auf der ganzen Station weiter. Sandra Rindler ist überzeugt, dass es eine Frage des Trainings und der Erfahrung ist, angemessen zu kommunizieren: «Mit der Zeit sind wir so geübt, dass wir nicht mehr bewusst warten oder zusammenfassen, es wird zum Automatismus.» Aber klar sei auch, ergänzt sie, dass es einfachere und schwierigere Themen für Alltagsgespräche gebe. Über das Wetter, ein Buch oder einen Film zu sprechen, sei sicher Bildung 20 K r a n k e n p f l e g e I S o i n s i n f i r m i e r s I C u r e i n f e r m i e r i s t i c h e 7/2016 Kommunikationsbeispiele aus dem Themenheft «Oh, Sie schminken sich…» Beispiel 1: Frau Imhof sitzt im Rollstuhl am Waschbecken des Patientenzimmers und schminkt sich. Eine Pflegende kommt herein, um ihr den Blutdruck zu messen. Sie sagt: «Oh, Sie schminken sich, bekommen Sie Besuch?» Die Patientin erwidert mit einem gewissen grimmigen Unterton. «Nein, das nicht, aber… man weiss ja nie, wer kommt!» Die Pflegende greift diese Bemerkung auf und wiederholt: «Man weiss nie, wer kommt…?» Die Patientin erklärt ihr: «Ich fühle mich so wohler. Das Schminken ist für mich meistens mit der Verbesserung meiner Stimmung verbunden!» Die Pflegende wiederholt: «…Verbesserung der Stimmung?» Die Patientin zögert einen Moment und erzählt der Pflegenden dann: «Ich mache mir Sorgen um meine berufliche Zukunft. Ich bin schon eine Weile weg von meiner Arbeitsstelle, die ich sehr mag, und ich habe die Befürchtung, dass meine Kollegin nachrücken wird. Beim letzten Besuch hat sie das so angedeutet!» Die Pflegende sagt nichts darauf, schaut die Patientin aber an und wartet, bis sie weiterredet. Daraufhin die Patientin weiter: «…wissen Sie, ich rechne im Prinzip jederzeit mit seinem Überraschungsbesuch und will nicht so einen ‹kranken› Eindruck machen!» Beispiel 2: Eine junge Pflegende betritt mit einer älteren Kollegin zur Übergabe das Zimmer eines etwa 40-jährigen Patienten, der zur Abklärung einer Divertikulitis im Spital liegt und erklärt: «Herr Winterhalter, ich möchte mich gern von Ihnen verabschieden und Ihnen Frau Leuthard vorstellen. Sie ist ab jetzt und bis zur Übergabe an den Nachtdienst für Sie zuständig. Ich habe dann auch zehn Tage Ferien und möglicherweise sind Sie nicht mehr da, wenn ich zurückkomme.» Der Patient fragt neugierig: «Ah, Ferien, wo geht’s denn hin?» Die Pflegende erklärt: «Ins Tessin, schon morgen – kennen Sie das Tessin?» Der Patient: «Oh ja, sehr gut, meine Frau kommt von dort und wir haben da ein Ferienhaus. Da ist jetzt herrliches Wetter, ich würd’ am liebsten mitfahren, statt hier zu liegen!» Die Pflegende: «Das kann ich mir vorstellen! Na vielleicht werden Sie schon bald wieder dort sein! – Pause – Welche Gegend kennen Sie besonders gut?» Darauf der Patient: «Wir sind manchmal in Lugano bei der Familie, aber unser Ferienhaus ist im Maggiatal.» Die Pflegende darauf hin schwärmerisch: «Das Maggiatal…!» Sie wartet einen Augenblick und fährt dann fort: «Aber jetzt zurück zu Ihnen, sagen Sie, Herr Winterhalter, wie haben Sie denn die Untersuchung vorhin überstanden…?» Mit einer geschickten Rückfrage («Kennen Sie das Tessin?») hat die Pflegende verhindert, dass der Patient sie als Privatperson ausfragt. Zwei Beispiele aus «Therapeutische Wirkung von Alltagsgesprächen in der Pflege» (s. Kasten S. 19). weniger heikel als über politische und religiöse Themen zu diskutieren. Margrit Schoch nennt das Beispiel von Sprüchen wie «Ausländer raus», auf die es angemessen und sachlich zu reagieren gelte, ohne den «Sprücheklopfer» zu blosszustellen. Wenn sie in einen Fettnapf getreten und etwas Falsches gesagt habe, sei es am besten, dazu zu stehen und sich zu entschuldigen, ist die Erfahrung von Michelle Knup: «Wir sind alles auch nur Menschen, die Fehler machen dürfen.» Sympathie und Antipathie Es liegt in der Natur der Sache, dass im Umgang mit Menschen Gefühle von Sympathie und Antipathie aufkommen. Vor allem der Umgang mit einer Patientin, die man als unsympathisch erlebt, kann sehr herausfordernd sein. Hilfreich sei sicher, sich zu fragen «Warum habe ich eine Antipathie gegenüber dieser Person?», «Welches sind die Zusammenhänge?», empfiehlt Sandra Rindler. Alle sind sich einig, dass es in solchen Fällen wichtig ist, dass im Team oder in einer Supervision die Möglichkeit besteht, solche Situationen anzusprechen. Auch die Praxisausbildnerin sei in solchen Fällen eine wichtige Ansprechperson, meint Fabienne Künzle. Verändert das gezielte Einüben von beruflichen Alltagsgesprächen auch den privaten Smalltalk? Sie habe diese Kommunikation derart verinnerlicht, dass sie den Unterschied gar nicht merke, sagt Fabienne Künzle. Aber sie sei bestimmt lockerer geworden und es falle ihr allgemein leichter, auf Leute zuzugehen. Positiv sieht es auch Sandra Rindler. Aber es gebe natürlich auch eine Déformation professionelle, wenn man sich täglich mit Kommunikation auseinandersetze. Michelle Knup stellt fest, dass sowohl im Beruflichen wie im Privaten ihre Achtsamkeit grösser geworden ist und sie gelernt habe: «Das Zuhören ist das A und das O.» Kooperation Ausbildung Pflege HF Fachwissen in Themenordner Der Arbeitsgruppe «Kooperation Ausbildung Pflege HF (KAP-HF)» gehören die folgenden fünf Höheren Fachschulen an: Bildungszentrum Gesundheit und Soziales Kanton Solothurn, Höhere Fachschule Gesundheit Zentralschweiz, Bildungszentrum Gesundheit Basel-Stadt, Bildungszentrum für Gesundheit und Soziales, Kanton Thurgau und Pflegeschule Glarus, Bildungszentrum für Gesundheit. Die KAP-HF hat eine Reihe von Unterrichtsmitteln erarbeitet zu den Themen «Gesundheitsförderung», «Ethik und Recht», «Kommunikation», «Ausbildung und Anleitung», «Public Health», «Transkulturalität», «Pflegewissenschaft», «Professionalisierung», «Qualitätsmanagement und Pflegequalität», «Pflegeprozess», «Pflegemanagement». Die dazu veröffentlichten Themenordner stehen den Lehrpersonen, den Studierenden, aber auch allen anderen Interessierten zur Verfügung. www.kap-hf.ch
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