Mit Smalltalk Eis brechen - Bildungszentrum für Gesundheit und

Bildung
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Alltagsgespräche in der Pflege
«Alles was ich sage,
Mit Smalltalk
Eis brechen
ist wahr. Aber nicht
alles, was wahr ist,
muss ich sagen.»
Margrit Schoch
Alltagsgespräche in der Pflege sind weit mehr
als oberflächliches Geplauder. Zwei Studierende sowie je eine Lehrperson aus der Schule
und aus der Praxis reflektieren ihre Erfahrungen mit dem zielgerichteten Einsatz von
Smalltalk im Pflegealltag.
«Wenn ich etwas
Text/Fotos: Urs Lüthi
Falsches gesagt habe,
ist es am besten,
dazu zu stehen und
sich zu entschuldigen.»
Eigentlich ist es ein Widerspruch: Smalltalk setzen wir im Normalfall mit absichtsloser Konversation gleich. Im
Gespräch zwischen Patienten und Pflegefachpersonen kann jedoch ein Alltagsgespräch durchaus auch eine absichtsvolle und zielgerichtete Wirkung haben.
Wie wichtig gelingende Alltagsgespräche für eine erfolgreiche Arbeit in
der Pflege sind, haben auch die Verantwortlichen der Höheren Fachschulen
Pflege erkannt und das Erlernen von
Smalltalk-Techniken in die Pflegeausbildung integriert (s. Kasten).
Aufbauend auf dem Unterrichtsheft «Therapeutische Wirkung von Alltagsgesprächen in der Pflege» ist diese Kommunikationsform auch Teil der Pflegeausbildung
am Bildungszentrum für Gesundheit und
Soziales (BfGS) Thurgau in Weinfelden.
Laut Gisela Hanhart, Qualitätsbeauftragte am BfGS und Mitglied der Gruppe
«Kooperation Ausbildung Pflege HF
(KAP-HF)», wird der gezielte Einsatz von
Alltagsgesprächen in enger Kooperation
mit den Praxisbetrieben vermittelt. Dem
Transfer in verschiedene Pflegesituationen in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern wie Psychiatrie, Akutsomatik,
Kinder, Jugendliche, Familien, Frauen
(KJFF), Spitex, Langzeitinstitutionen,
Rehabilitation werde ein besonderer Stellenwert beigemessen.
Beziehung
aufbauen
Michelle Knup
Michelle Knup, Studierende im dritten
Ausbildungsjahr, hat
in ihrem Praktikum
in einer psychiatrischen Institution die
Erfahrung gemacht,
dass es mit solchen
kleinen Interventionen durchaus gelingt, eine Beziehung zu den Patienten aufzubauen:
«Hier eine kleine Aufmerksamkeit, dort
eine wertschätzende Bemerkung – sie
braucht nicht viel Zeit, zeigt aber trotzdem Wirkung.» Sie weist darauf hin,
dass auch die Patienten viel von sich erzählen und dass man mit solchen «normalen» Gesprächen eine gemeinsame
Ebene finde. Ihre Kollegin Fabienne
Künzle, ebenfalls im dritten Ausbildungsjahr, sagte es so: «Wenn ich mit Patienten
über einen Film oder andere ganz gewöhnlich Dinge spreche, hole ich ein
Stück Aussenwelt in die Klinik.»
Für Sandra Rindler, Lehrperson an der
HF Pflege des BfGS Thurgau, geht es
beim Smalltalk auch darum, Interesse
am Menschen – und nicht nur an seiner
Krankheit – zu zeigen: «Oft hat ein solches Gespräch die Funktion des Eis-
brechers und bildet den Einstieg zu
einem therapeutischen Gespräch.»
Wenn sie als Pflegefachperson vom
Kochkurs erzähle, den sie gestern
Abend besucht habe, komme vielleicht
der Patient auf seinen Thai-Kochkurs
zu sprechen. Dies ermögliche, mehr
über seine Biografie zu erfahren und
könne eine Basis sein, ihn besser zu
integrieren und auf seine Bedürfnisse
einzugehen. Sie betont, dass die Kommunikation über das Normale in allen
Pflegebereichen ein zentraler Bestandteil einer guten Pflege ist.
Achtsam im Alltag
Für Margrit Schoch, Bildungsverantwortliche der Psychiatrischen Dienste
Thurgau, bedeutet Alltagsgespräch:
«Ich bin achtsam im Alltag, nehme die
www.sbk-asi.ch >Kommunikation >Ausbildung >Gesprächsführung
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«Wenn ich mit Patienten
Alltagsgespräche/Smalltalk
über ganz gewöhnlich
Dinge spreche, hole ich
ein Stück Aussenwelt
in die Klinik.»
Absichtlos und
beziehungsorientiert
Fabienne Künzle
«Über das Wetter
zu sprechen, ist
sicher weniger heikel
als über politische
und religiöse Themen
zu diskutieren.»
Sandra Rindler
Die von Monika Beck herausgegebene
Publikation «Therapeutische Wirkung
von Alltagsgesprächen in der Pflege»
ist ein Heft in der «Themenreihe
Pflege». Ziel der beiden Autorinnen
Heidemarie Weber und Hiltrud Kirsch
ist es, den Studierenden der Pflege
Techniken zu erklären, mit denen sie
nicht nur gelingende Gespräche führen
können, sondern mit der Zeit und mit
immer mehr Übung auch mehr Sicherheit im Umgang mit ihrem jeweiligen
Gegenüber gewinnen können. Die
Autorinnen schreiben, dass Alltagsgespräche oder Smalltalks sich vom fachlichen Austausch häufig dadurch abgrenzen, dass sie nicht nur absichtslos,
sondern vor allem beziehungsorientiert sind: «Im unmittelbaren Austausch während der Zusammenarbeit
oder bei allfälligen Kontakten mit den
Patienten kommen sie wahrscheinlich
immer wieder mal vor, die Frage ist
nur, ob sie in ihrer Wirkung bekannt
sind und für den Beziehungsaufbau
bewusst genutzt werden.»
Heidemarie Weber und Hiltrud Kirsch,
Themenreihe Pflege: Therapeutische Wirkung von Alltagsge-sprächen in der Pflege,
herausgegeben von Monika Beck, Eigenverlag 2011.
Kontakt: [email protected],
www.monikabeck.ch
Situation meines Gegenübers wahr
und frage nach.» Genau hinzuhören
und aus dem Gehörten etwas zu machen, müsse das Ziel sein. Sie widerspricht der gängigen Vorstellung, dass
Smalltalk in erster Linie eine naturgegebene Begabung sei. Sie sei der
lebende Beweis, dass man die Technik
solcher Alltagsgespräche erlernen
könne: «Ich bin in der Lage, auf Knopfdruck loszureden. Vor meiner Ausbildung konnte ich das nicht.»
Neben praktischen Übungen aus der
Praxis werden deshalb im Themenheft
auch die wichtigsten Techniken professioneller Kommunikation dargestellt,
wie zum Beispiel das «Vier-OhrenModell» von Friedemann Schulz von
Thun. Als einprägsam erweist sich
auch die von Wolf Langewitz ent-
wickelte Kurzformel WWSZ, die für
Warten, Wiederholen, Spiegeln und
Zusammenfassen steht.
Selektive Offenheit
Als sehr hilfreich erleben die beiden
Studierenden insbesondere das erste
«W». Wenn man sich Zeit lasse und
nicht immer sofort eine Antwort gebe,
tappe man weniger in Kommunikationsfallen, ist ihre Erfahrung. Nicht
einfach ist es manchmal, Patienten zu
stoppen, die beginnen, die Pflegefachperson über Persönliches und Privates
auszufragen. Sie habe gelernt, nur so
viel von sich preis zu geben wie sie
wirklich wolle, erklärt Fabienne Künzle:
«Ich kann klar sagen: Dazu will ich
keine Auskunft geben.» Margrit Schoch
empfiehlt die Technik der «selektiven
Offenheit»: «Alles was ich sage, ist
wahr. Aber nicht alles, was wahr ist,
muss ich sagen.» Sie veranschaulicht es
mit folgendem Beispiel, das sie erlebt
hat: Eine Lernende erzählt einem Patienten mit einem Drogenproblem, dass
sie früher selber gekifft hat. Die Folge:
Der Patient erzählt es auf der ganzen
Station weiter.
Sandra Rindler ist überzeugt, dass es
eine Frage des Trainings und der Erfahrung ist, angemessen zu kommunizieren: «Mit der Zeit sind wir so geübt,
dass wir nicht mehr bewusst warten
oder zusammenfassen, es wird zum
Automatismus.» Aber klar sei auch, ergänzt sie, dass es einfachere und
schwierigere Themen für Alltagsgespräche gebe. Über das Wetter, ein Buch
oder einen Film zu sprechen, sei sicher
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Kommunikationsbeispiele aus dem Themenheft
«Oh, Sie schminken sich…»
Beispiel 1: Frau Imhof sitzt im Rollstuhl am Waschbecken des Patientenzimmers und schminkt sich. Eine
Pflegende kommt herein, um ihr den
Blutdruck zu messen.
Sie sagt: «Oh, Sie schminken sich, bekommen Sie Besuch?»
Die Patientin erwidert mit einem gewissen grimmigen Unterton. «Nein, das
nicht, aber… man weiss ja nie, wer
kommt!»
Die Pflegende greift diese Bemerkung
auf und wiederholt: «Man weiss nie,
wer kommt…?»
Die Patientin erklärt ihr: «Ich fühle mich
so wohler. Das Schminken ist für mich
meistens mit der Verbesserung meiner
Stimmung verbunden!»
Die Pflegende wiederholt: «…Verbesserung der Stimmung?»
Die Patientin zögert einen Moment und
erzählt der Pflegenden dann: «Ich
mache mir Sorgen um meine berufliche
Zukunft. Ich bin schon eine Weile weg
von meiner Arbeitsstelle, die ich sehr
mag, und ich habe die Befürchtung,
dass meine Kollegin nachrücken wird.
Beim letzten Besuch hat sie das so angedeutet!»
Die Pflegende sagt nichts darauf,
schaut die Patientin aber an und wartet, bis sie weiterredet.
Daraufhin die Patientin weiter: «…wissen Sie, ich rechne im Prinzip jederzeit
mit seinem Überraschungsbesuch und
will nicht so einen ‹kranken› Eindruck
machen!»
Beispiel 2: Eine junge Pflegende betritt
mit einer älteren Kollegin zur Übergabe
das Zimmer eines etwa 40-jährigen
Patienten, der zur Abklärung einer
Divertikulitis im Spital liegt und erklärt:
«Herr Winterhalter, ich möchte mich
gern von Ihnen verabschieden und
Ihnen Frau Leuthard vorstellen. Sie ist
ab jetzt und bis zur Übergabe an den
Nachtdienst für Sie zuständig. Ich habe
dann auch zehn Tage Ferien und möglicherweise sind Sie nicht mehr da,
wenn ich zurückkomme.»
Der Patient fragt neugierig: «Ah, Ferien,
wo geht’s denn hin?»
Die Pflegende erklärt: «Ins Tessin,
schon morgen – kennen Sie das Tessin?»
Der Patient: «Oh ja, sehr gut, meine
Frau kommt von dort und wir haben da
ein Ferienhaus. Da ist jetzt herrliches
Wetter, ich würd’ am liebsten mitfahren, statt hier zu liegen!»
Die Pflegende: «Das kann ich mir vorstellen! Na vielleicht werden Sie schon
bald wieder dort sein! – Pause – Welche
Gegend kennen Sie besonders gut?»
Darauf der Patient: «Wir sind manchmal in Lugano bei der Familie, aber
unser Ferienhaus ist im Maggiatal.»
Die Pflegende darauf hin schwärmerisch: «Das Maggiatal…!» Sie wartet
einen Augenblick und fährt dann fort:
«Aber jetzt zurück zu Ihnen, sagen Sie,
Herr Winterhalter, wie haben Sie denn
die Untersuchung vorhin überstanden…?»
Mit einer geschickten Rückfrage («Kennen Sie das Tessin?») hat die Pflegende
verhindert, dass der Patient sie als Privatperson ausfragt.
Zwei Beispiele aus «Therapeutische
Wirkung von Alltagsgesprächen in der
Pflege» (s. Kasten S. 19).
weniger heikel als über politische und
religiöse Themen zu diskutieren. Margrit Schoch nennt das Beispiel von
Sprüchen wie «Ausländer raus», auf die
es angemessen und sachlich zu reagieren gelte, ohne den «Sprücheklopfer» zu
blosszustellen. Wenn sie in einen Fettnapf getreten und etwas Falsches gesagt
habe, sei es am besten, dazu zu stehen
und sich zu entschuldigen, ist die Erfahrung von Michelle Knup: «Wir sind
alles auch nur Menschen, die Fehler
machen dürfen.»
Sympathie und Antipathie
Es liegt in der Natur der Sache, dass im
Umgang mit Menschen Gefühle von
Sympathie und Antipathie aufkommen.
Vor allem der Umgang mit einer Patientin, die man als unsympathisch erlebt,
kann sehr herausfordernd sein. Hilfreich
sei sicher, sich zu fragen «Warum habe
ich eine Antipathie gegenüber dieser
Person?», «Welches sind die Zusammenhänge?», empfiehlt Sandra Rindler. Alle
sind sich einig, dass es in solchen Fällen
wichtig ist, dass im Team oder in einer
Supervision die Möglichkeit besteht,
solche Situationen anzusprechen. Auch
die Praxisausbildnerin sei in solchen
Fällen eine wichtige Ansprechperson,
meint Fabienne Künzle.
Verändert das gezielte Einüben von beruflichen Alltagsgesprächen auch den
privaten Smalltalk? Sie habe diese Kommunikation derart verinnerlicht, dass
sie den Unterschied gar nicht merke,
sagt Fabienne Künzle. Aber sie sei bestimmt lockerer geworden und es falle
ihr allgemein leichter, auf Leute zuzugehen. Positiv sieht es auch Sandra
Rindler. Aber es gebe natürlich auch
eine Déformation professionelle, wenn
man sich täglich mit Kommunikation
auseinandersetze. Michelle Knup stellt
fest, dass sowohl im Beruflichen wie im
Privaten ihre Achtsamkeit grösser geworden ist und sie gelernt habe: «Das
Zuhören ist das A und das O.»
Kooperation Ausbildung
Pflege HF
Fachwissen
in Themenordner
Der Arbeitsgruppe «Kooperation Ausbildung Pflege HF (KAP-HF)»
gehören die folgenden fünf Höheren
Fachschulen an: Bildungszentrum
Gesundheit und Soziales Kanton
Solothurn, Höhere Fachschule Gesundheit Zentralschweiz, Bildungszentrum Gesundheit Basel-Stadt, Bildungszentrum für Gesundheit und
Soziales, Kanton Thurgau und Pflegeschule Glarus, Bildungszentrum für
Gesundheit.
Die KAP-HF hat eine Reihe von
Unterrichtsmitteln erarbeitet zu den
Themen
«Gesundheitsförderung»,
«Ethik und Recht», «Kommunikation», «Ausbildung und Anleitung»,
«Public Health», «Transkulturalität»,
«Pflegewissenschaft», «Professionalisierung», «Qualitätsmanagement und
Pflegequalität»,
«Pflegeprozess»,
«Pflegemanagement». Die dazu veröffentlichten Themenordner stehen
den Lehrpersonen, den Studierenden, aber auch allen anderen Interessierten zur Verfügung.
www.kap-hf.ch