SGAP Tagung 13. Mai 2017 Was bringen die Neurowissenschaften

SGAP Tagung 13. Mai 2017
Was bringen die Neurowissenschaften den praktisch Tätigen PsychotherapeutInnen?
ABSTRACTS
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Heinz Böker, Prof. Dr. med.
Neuropsychodynamische Psychiatrie: Welche Perspektiven ergeben sich für die Psychotherapie?
Neuropsychodynamische Psychiatrie verknüpft die grundlegenden Prinzipien der Psychodynamischen Psychiatrie mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaften. Psychopathologische Phänomene
wie auch psychisches Erleben insgesamt werden im Kontext sozialer und zwischenmenschlicher Erfahrungen betrachtet. Leitend sind die Konzepte des "sozial eingebetteten Gehirns" und des "relationalen Selbst".
Ausgehend von einem neuropsychodynamischen Modell der Störung des emotionalen Selbstbezuges
Depressiver und der Ich-Störung Schizophrener (De-Katexis) wird ein dreidimensionales neuropsychodynamisches Modell psychischer Störungen entwickelt, das die psychischen Abwehr- und Bewältigungsmechanismen, Konflikt und Struktur umfasst und neuronale Gehirn-Umwelt-Mechanismen
integriert. Es wird die Frage erörtert, ob und wieweit die aufgezeigten neuropsychodynamischen Perspektiven zur Entwicklung einer psychotherapeutischen Haltung und zu einer Differenzierung subjektbezogener psychotherapeutischer Interventionen - insbesondere in der Behandlung depressiv
und schizophren Erkrankter - beitragen können.
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Harald Gündel, Prof. Dr. med.
"Relationships as regulators" - Myron Hofers richtungsweisende Formulierung 30 Jahre später
Schon vor über 30 Jahre, genaugenommen in der Presidential Address der American Psychosomatic
Society 1983, zeigte der US-amerikanische Psychiater Myron Hofer die Bedeutsamkeit zwischenmenschlicher Beziehung für seelische und körperliche Gesundheit auf. Was ist aus diesen schon damals hellsichtigen und wissenschaftlich fundierten Beobachtungen geworden? Im Rahmen des Vortrages werden aktuelle Befunde zur Wirksamkeit psychosozialer Einflussfaktoren, gerade zwischenmenschlicher Beziehungen, aufgezeigt. Und dies sowohl in ihrer Bedeutsamkeit für individuelle als
auch transgenerationale Lebens-Verläufe. Auf dem Boden dieser aktuellen Befunde werden Schlüsse
für die psychotherapeutische Praxis gezogen: Die Wichtigkeit körperlicher Phänomene und den Körper automatisch einschließender psychotherapeutischer Betrachtungsweisen steigt, deutlich über
das früher traditionelle Verständnis von "reifer" Verbalisierung und "unreifer" Re-Somatisierung hinaus.
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Eckhard Frick, Prof. Dr. med.
Neurobiologische Bildgebung als analytische Imagination
Die neuropsychodynamische Forschung führt die 3.Person-Perspektive der zerebralen Bildgebung
und anderer in physikalischer Sprache beschreibender Verfahren mit der 1.Person-Perspektive des
Patienten zusammen, der in mentaler Sprache sein Erleben beschreibt. C.G. Jungs „dialektische“ Auffassung der Analyse ist eine 2.Person-Perspektive, vielleicht auch die Perspektive der 1. Person Plural: Das analytische Paar schaut gemeinsam auf ein Drittes. Wie können die verschiedenen Perspektiven differenziert werden, ohne sie in unzulässiger Weise zu vermischen? Welchen Zeichenstatus haben objektiv erhobene neurobiologische Befunde und in wieweit stellen sie Symbole in der vertieften
Bedeutung des jungianischen Symbolbegriffs dar? Die moderne Bildgebung ist „passive Imagination“,
insofern sie uns mit (ikonischen) Zeichen des Psychischen konfrontiert: Die Bilder ähneln in ihrer
Farbverteilung dem metabolischen Status bestimmter Gehirnregionen, wie die Diskontinuität eines
Knochen-Röntgenbildes der Fraktur entspricht. Kann Bildgebung auch „aktive Imagination“ im analytischen Prozess werden, z.B. seelische „Osteosynthese“? Jung jedenfalls beschreibt die Übertragung
zwischen Patient(in) und Analytiker(in) in materiellen (alchemistischen) Bildern, die dadurch zu
Schrittmachern des therapeutischen Prozesses werden.
In der geistigen Entwicklung von Psychotherapeuten, aber auch weiten Kreisen interessierter Laien
wirkt die Neurobiologie als eine Art soziales Biofeedback: Sie bekräftigt unser Mitfühlen / Mitwahrnehmen (Spiegelneuronen), unterstreicht das Ausmaß der Psychotraumatisierung und ihrer Bewältigung, verdeutlicht , wie sich denkendes und fühlendes Mentalisieren im Kontext der Bindung entfaltet oder schmerzlich vermisst wird.