LUDWIG-MAXIMILIANS-UNI VERSITÄT MÜNCHEN
U WG (OH LY)
f)
Die „große“ Generalklausel (§ 3 I UWG)
Lit.:
Alexander, WRP 2016, 411; Köhler/Bornkamm, § 3 Rn. 2.7 – 2.39
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Grundlagen
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Zur Bedeutung von Generalklauseln im UWG s.o., II 4
Im Referenten- und Regierungsentwurf zur UWG-Reform 2015 war ursprünglich neben dem
§ 3 II eine eigene Unternehmergeneralklausel (§ 3 III) vorgesehen, § 3 I sollte auf die Scharnierfunktion (Verweis auf §§ 8 ff.) reduziert werden.
Problem: Im Entwurf sollten § 3 II und III nach der Zielrichtung des Handelns (B2C oder
B2B, ähnlich wie im Verbraucherrecht des BGB) abgegrenzt werden. Das wäre aber unangemessen gewesen, weil Mitbewerberinteressen auch durch B2C-Handlungen betroffen sein
können.
Man hätte trotzdem eine eigene Mitbewerbergeneralklausel verfassen können, die nicht auf
die Zielrichtung, sondern auf die geschützten Interessen abstellt (Ohly, WRP 2015, 1443).
Aber letztlich blieb es bei § 3 I, der neben der Scharnier- auch eine Auffangfunktion hat.
§ 3 II ist im Anwendungsbereich der UGP-RL vorrangig, im Übrigen kann § 3 I verschiedene
Interessen schützen:
- Interessen gewerblicher Abnehmer oder Anbieter
- Interessen der Mitbewerber
- Interesse der Allgemeinheit an unverfälschtem Wettbewerb
- § 3 I ist also auch Mitbewerbergeneralklausel: § 4 Nr. 1-4 sind nicht weit auszulegen
(str., a.A. Köhler/Bornkamm), sondern auf ihren Anwendungsfall beschränkt. Beispiel:
die Fälle des unmittelbaren Leistungsschutzes sind keine Fälle der Behinderung (§ 4 Nr.
4)
Voraussetzungen
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Geschäftliche Handlung (§ 2 I Nr. 1)
Kein Vorrang von Spezialregelungen
- S. oben, II 4 und III 1 f: § 3 „pur“ kann neben §§ 3a-7 anwendbar sein, aber einige dieser
Vorschriften können im Einzelfall eine Sperrwirkung entfalten. Z.B. ist eine vergleichende Werbung, die nicht gem. § 6 II unlauter ist, erlaubt.
- Auch § 3 II geht im Anwendungsbereich der UGP-RL § 3 I vor (s. oben III 1 f)
Unlauterkeit = Generalklausel. Der Begriff der Unlauterkeit erfordert zusätzliche Wertungen:
- Grundrechte
- Systematik des UWG, vor allem Handlung von vergleichbarer Schwere wie die speziell in
§§ 3a-7 verbotenen
- Systematik der Rechtsordnung im Übrigen
- Interessenabwägung
- Präjudizien
Spürbarkeit: keine ausdrückliche Spürbarkeitsschwelle, aber die betreffende Handlung
muss die Interessen der Mitbewerber, der sonstigen Marktteilnehmer oder der Allgemeinheit (§ 1) spürbar beeinträchtigen – gespnderte Prüfung, wenn nicht schon in der Interessenabwägung berücksichtigt.
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Fallgruppen des § 3 I „pur“
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Vergleichende Werbung bzw. pauschale Herabsetzung ohne Vergleich, der sich nicht auf
bestimmte Mitbewerber, sondern auf anonyme Gruppen von Mitbewerbern bezieht (vom
Mitbewerberbegriff des § 6 I und des §§ 4, 2 I Nr. 3 nicht erfasst)
unmittelbarer Leistungsschutz (s. oben, III 2 d, str.)
allgemeine Marktstörung (s. oben, III 2 e, str.)
Wettbewerb der öffentlichen Hand, soweit er nicht durch §§ 4-6 erfasst ist, vor allem
schlicht-hoheitliches Handeln
- einseitige Auskünfte, Kritik, etc.
- Zweckentfremdung öffentlicher Einrichtungen
menschenverachtende Werbung (s. oben II 2), z.B. sexistische oder fremdenfeindliche Werbung?
- Für Anwendung des § 3 I: Wertungen der Grundrechte, UWG als einzige Möglichkeit,
ein Mindestmaß an Anstand in der Werbung zu gewährleisten
- Gegen Anwendung des § 3 I: es geht nicht um das Allgemeininteresse an „unverfälschtem Wettbewerb“, sofern Werbung nicht strafbar ist (dann braucht man das UWG nicht),
sollte das Recht geschmacklose Werbung nicht verbieten, sondern dem Urteil der Marktteilnehmer überlassen
Haftung der Intermediäre wegen der Verletzung lauterkeitsrechtlicher Verkehrspflichten (s.
dazu unten, IV)?
- Der BGH zieht § 3 I „pur“ heran, sofern es nicht um den Verbraucherschutz geht (dann §
3 II)
- m.E. ist der jeweilige Unlauterkeitstatbestand anzuwenden. Beispiel: Angebot nachgeahmter Ware auf eBay → §§ 4 Nr. 3, 3 I, nicht § 3 I „pur“
Also kaum praktisch relevante Fälle. Klausurtipp: Vor unmittelbarer Anwendung des § 3 I
genau fragen:
Habe ich vorrangige Spezialregelungen übersehen?
Ist § 3 II vorrangig?
Ist ein Verbot wirklich gerechtfertigt, obwohl der Gesetzgeber keinen Bedarf für spezielle Verbote gesehen hat?