Inhaltsverzeichnis S. 4 _ Werk/Work S. 8 _ «Hüllen, Vermählungen » Prof. Dr. Carolin Meister S. 10 _ Werk/Work S. 40 _ Impressum 3 6 Carolin Meister Carolin Meister Hüllen, Vermählungen Gerüste und leere Hüllen – abgelegte Monturen, sorgfältig aufgehängte Roben, die Akrobatik einer sich windenden Verkleidung oder die hermetische Verkapselung eines Kokons. Was auf dem Spiel steht, ist das ganze semantische Spektrum der Außenhaut: das Kleid und die Schutzhülle, der Behälter und der Überzug, die Maske und das Gehäuse. Da ist das eigentümliche Leben eines Futterals, das auf einem Ziegelstein balanciert, die Grazie eines sich windenden Fellkleids, dessen fließende Bewegungen wie eingefroren sind oder die stumme Akribie, mit der sich steinerne und hölzerne Schuppen über Schuhe, Kleidungsstücke, Äste oder Fahrradrahmen legen. Eine unermüdliche Verdichtung und Ansammlung von Material an den Rändern der Körper und Dinge, genau da, wo sie an die Leere grenzen – oder möglicherweise auch aneinander. nes tönernen Lammfells, das Gewicht einer Holzmaske aus Bronze, der matte Glanz eines steinernen Schuppenkleids – daneben hölzerne Stahlträger und ein black painting aus gepresstem Vinyl. Hier baut einer obskure Gehäuse für unbekannte Bewohner, knüpft geduldig Faser an Faser zum ausladenden Gewand und schichtet Schindeln zu dichten Texturen, die gewöhnliches Zeug verkrusten. Eine emsige Arbeit der Verschiebung von Fülle nach außen an die Ränder, in Rinde, Schoner, Überzug. Sie sind schwer geworden, die Hüllen und Gehäuse – dicht und massig, eine eindrucksvolle materielle Konzentration. Die Maske ist ein gewichtiger Block aus Bronze, allzu lastend um noch getragen zu werden; ebenso die Schuhe, deren steinerne Verkleidung das Gehen schleppend macht und das Hemd, das unter seiner hölzernen Schutzhaut erstarrt. Aber die Hüllen sind nicht nur schwer, sie sind auch anders geworden. Sie haben sich geschuppt und verkrustet, haben Schiefer, Holzfasern, Ton und Geflecht angelagert und sind dabei eine Liaison mit dem Anderen eingegangen. Was Schuh war, ist jetzt Behausung und Schuppentier, was Jacke zotteliger Schafspelz und moosartiges Gewächs. Die Kompression heterogener Materialien an der Außenhaut der Dinge hat eine semantische Verdichtung hervorgebracht, in der Vegetabiles und Animalisches, Tektonisches und Organisches miteinander verwachsen und sich in überraschenden Bündnissen wiederfinden. Zumeist gibt es kein Innenleben, manchmal ist es verborgen, unzugänglich. Zumeist sind die Hüllen leer, ausgehöhlt, und hängen an den Gerüsten oder turnen auf ihnen herum. So als ob die ganze materielle Dichte der Dinge nach außen an den Rand gedrängt wäre, in ihrem Kern ein leeres Intervall hinterlassend. Alles sammelt sich an der Außenhaut: Schindeln und Schuppen, Ton und Fasern, Gips und Holzstücke – eine einzigartige Kompression von Material an den Rändern einer Leere. Das Taktile – unerlässliches Thema der Skulptur und Freude des Bildhauers – kommt hier konsequenterweise als bloße Oberfläche daher, hinter der sich keinerlei Fülle verbirgt: Skulptur als Hülse, Kapsel, Schale oder Kleid. Die Hülle ist also weniger Grenze, die ein Inneres birgt und umfängt, als der Ort eines Austauschs mit dem Außen. Sie ist weniger jener Schutzschirm, der eine Identität abschließt und ein sich selbst Ähnelndes definiert, als eine Membran, durch die Zeug und Natur, Tier und Pflanze miteinander kommunizieren und un- Aber die innere Entleerung ist nur das Gegenstück zur stofflichen Anreicherung der Hülle, in der sich die unterschiedlichsten, oft widersprüchlichen Eigenschaften in materiellen Paradoxien konzentrieren: die Starre ei- 8 entwirrbare Symbiosen eingehen. Das Werden ereignet sich von hier aus: vom äußeren Rand, der nicht mehr nach Innen wirkt, sondern dessen Innenleben sich entleert hat, um frei zu werden für die Vermählung mit dem Anderen. Der Umhang hängt leer an seinem Bügel und hat seine bergende Funktion verloren, aber seine Fasern wachsen hinüber ins Pflanzliche und nehmen dabei auch die Züge eines Tieres an. Die Gehäuse, die sich wabenartig um kahle Äste legen, tragen nicht nur die Merkmale natürlich gewachsener Zapfen, sondern bilden zugleich die Architektur von Kokons für insektenartige Bewohner. Und der sorgfältig über eine Stange gelegte Vorhang mit seiner steinernen Verkleidung ist nicht nur Paravent, sondern ebenso Schuppentier und Rüstung. Ja, manchmal ist bereits das Gerüst der Anfang vom Anderswerden: Der Ast, der von ihm gehalten wird, mutiert zum insektenartigen Wesen, das noch zu unsicher auf den Beinen ist, um frei zu stehen. Und der Bildhauer? Er tarnt sich wie das Zeug, das er hervorbringt. Arbeitet wie das Insekt, das seinen Bau errichtet oder sich verpuppt, wie das Tier, das sich zur Tarnung als Stein verkleidet und wie der Förster, der Äste pfropft – ein diskretes Mimikry der Kunst, dessen Techniken der Natur anverwandelt sind. Ein träumerisches Mimikry zudem, welches die Grenzen von Natur und Kultur durchlässig macht und dabei jene kommunizierende Welt eröffnet, die Deleuze und Guattari feiern. Carolin Meister 9 Work/Werk 10 13 18 24 27 Interview 30 Impressum coming soon.. 3
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