Außenhandel: „Fake news“ und Fakten

Helaba Volkswirtschaft/Research
USA AKTUELL
19. Januar 2017
Außenhandel: „Fake news“ und Fakten
AUTOR
Patrick Franke
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REDAKTION
Dr. Stefan Mitropoulos
HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research
Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
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Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/91 32-20 24
Telefax: 0 69/91 32-22 44
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In der Debatte um die angebliche Notwendigkeit protektionistischer Maßnahmen wird gerne
mit Zahlen hantiert, die – ganz losgelöst von der individuellen Einschätzung der Vor- und
Nachteile des Freihandels – die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen nicht stützen. Dies
gilt insbesondere für bilaterale Handelsbilanzsalden.
Unter der alten US-Regierung war kein klarer Trend zu einer protektionistischen Politik
erkennbar. Die Statistik belegt bestenfalls, wie wichtig ein Abkommen wie TTIP, das vor allem technische Handelsbarrieren beseitigt hätte, werden könnte.
Ein Kurswechsel unter Präsident Trump ist wahrscheinlich. Er wird voraussichtlich für die
US-Wirtschaft, wie für den Rest der Welt, vor allem negative statt positive Konsequenzen
haben – selbst wenn ein Handelskrieg wie in den 1930er Jahren vermieden wird.
So beruht die angestrebte „Rückverlagerung von Millionen gutbezahlter Industriejobs“ in die
USA auf einer Milchmädchenrechnung, da sie den seit den „goldenen Zeiten“ erfolgten
Produktivitätsfortschritt nicht berücksichtigt. Selbst eine prononcierte Renaissance der USIndustrie wäre daher mit viel weniger Beschäftigten verbunden als früher.
Donald Trump und seine wirtschaftspolitischen Berater sehen es als erwiesen an, dass andere
Länder die USA im internationalen Handel über den Tisch ziehen. Beweisstück Nummer Eins ist
hierbei stets der Handelsbilanzsaldo, zuletzt gerne die bilaterale Version, also z.B. mit China oder
Mexiko. Die USA weisen seit Jahrzehnten ein Defizit in der globalen Handelsbilanz aus. Aktuell ist
es aber relativ zur Größe der US-Wirtschaft nicht einmal besonders groß. Um die erforderliche
politische Aufregung zu generieren, müssen daher bilaterale Zahlen bemüht werden.
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Ökonomen sind sich grundsätzlich einig, dass ein globales Außenhandelsdefizit primär ein Ungleichgewicht von inländischer Ersparnis und Investition widerspiegelt. Dieser scheinbar simple
Zusammenhang täuscht aber über die wahre Komplexität hinweg: Ersparnis und Investitionen
hängen nämlich ihrerseits von unzähligen Faktoren wie Demografie, Einkommensentwicklung,
Zinsen usw. ab. Ein Land, das mehr investiert als es spart (z.B. weil der Staat hohe Defizite erwirtschaftet oder weil der Bau boomt), muss jedoch zwingend ein außenwirtschaftliches Defizit ausweisen – und damit Kapital importieren. Präferenzen, Wettbewerbsbedingungen, bilaterale Wachstumsdifferenzen und Wechselkurse erklären dann vor allem die Verteilung dieses Defizits auf die
einzelnen Handelspartner. Anders formuliert: Wenn China, Mexiko und Deutschland keinen Handelsüberschuss mit den USA hätten, dann wären es eben andere Nationen.
US-Handelsbilanzdefizit mit rund 3 % nicht besonders hoch
Handelsbilanzsaldo der USA, % am Bruttoinlandsprodukt
2
2
Dienstleistungen
1
1
0
0
-1
-1
-2
-3
-2
Insgesamt
-3
Waren
-4
-4
-5
-5
-6
-6
-7
1980
-7
1985
1990
1995
2000
2005
2010
2015
Letzter Wert: Q3 2016. Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
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USA AKTUELL
Geringere US-Defizite auf Wertschöpfungsbasis, vor allem inkl. der Dienstleistungen
Handelsbilanzsaldo Januar bis November 2016,* Mrd. USD
China
Mexiko
0
0
-50
-50
-100
-100
-150
-150
Auf Wertschöpfungsbasis
(Waren und Dienstleistungen)
-200
-250
-300
-350
Auf Wertschöpfungsbasis
(Waren)
Brutto (Waren)
-200
-250
-300
-350
* Dienstleistungen für Oktober und November geschätzt. Quellen: Macrobond, WTO, BEA, Helaba Volkswirtschaft/Research
Bilaterale Handelsbilanzsalden: Verzerrte Realität
Eine grundsätzliche Diskussion der eigentlich seit dem 18. Jahrhundert überholten merkantilistischen Idee („Exporte = gut, Importe = schlecht“) wäre zwar wohl angesichts des aktuellen intellektuellen Klimas durchaus angebracht, würde aber den Rahmen dieser Publikation sprengen. Die
„offiziellen“ bilateralen Handelssalden als Indikator für eine „unfaire“ Politik seitens des Handelspartners zu interpretieren, ist aber noch aus ganz anderen, praktischen Gründen wenig sinnvoll.
Wertschöpfung
entscheidend
Diese bilateralen Daten bieten nämlich Anlass zur Kritik, weil sie nur Bruttoströme und nicht die
inländischen Wertschöpfungsanteile abbilden. Der gemessene chinesische Überschuss im Warenhandel mit den USA lag in den ersten elf Monaten des Jahres 2016 zum Beispiel bei über
300 Mrd. Dollar. Bereinigt man diese Größe aber um den ausländischen Wertschöpfungsanteil
(also importierte Vorleistungen), der in den zugrundeliegenden Warenströmen jeweils enthalten ist,
reduziert sich der Überschuss, der wirklich als Wertschöpfung und damit als Einkommen „im Land
1
verbleibt“, massiv auf nur etwa 190 Mrd. Dollar. Ähnlich sieht die Situation beim Handel mit Mexiko aus. Der Unterschied ist im Fall von Mexiko sogar besonders krass, da von den drei wichtigsten
Exportindustrien des Landes zwei extrem hohe ausländische (d.h. in erster Linie USamerikanische) Wertschöpfungsanteile aufweisen, nämlich der Fahrzeugbau (mit ca. 50 %) und
die Elektrotechnik (mit ca. 65 %). Ein Kappen der transnationalen Wertschöpfungsketten innerhalb
der NAFTA hätte daher nicht nur spürbar negative Auswirkungen auf die Kostensituation, preisliche Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität wichtiger US-Unternehmen – er würde indirekt auch
ihre zahlreichen Zulieferer (einschließlich Dienstleister) im Inland treffen.
Hierbei ist zudem zu beachten, dass diese Größen nur die bilateralen Warenströme reflektieren.
Bei den Dienstleistungen haben die USA in den ersten drei Quartalen 2016 einen deutlichen Handelsüberschuss von rund 30 Mrd. Dollar (China) bzw. 8 Mrd. Dollar (Mexiko) erzielt. Selbst wenn
man hier eine Schätzung für die enthaltenen ausländischen Wertschöpfungsanteile abzieht, verbleiben auf den Zeitraum bis November hochgerechnet Überschüsse seitens der USA von 26 Mrd.
bzw. 6 Mrd. Dollar. Damit ist die angebliche „Übervorteilung“ der USA durch China deutlich kleiner
als die Bruttozahlen suggerieren. Im Fall von Mexiko löst sich der „Vorteil“ fast vollkommen auf.
Setzt Trump nur einen protektionistischen Trend fort?
Die WTO stellt für ihre Mitgliedsländer zusammen, wie viele handelsbeschränkende Maßnahmen
sie neu einführen und wie hoch deren Bestand ist. Für die USA lässt sich hier kein klarer Trend zu
einer protektionistischeren Politik erkennen. Die besonders relevanten „Antidumping“-Maßnahmen,
mit denen temporär vor allem gegen chinesische Hersteller vorgegangen wurde, waren mal mehr,
1
Die Berechnung beruht auf Wertschöpfungsanteilen für 2011, den aktuellsten Werten. Diese Anteile dürften,
wenn auch langsamer als in den Jahren zuvor, seitdem weiter gestiegen sein. Die genannten Zahlen sollten
daher eher als Untergrenzen für den aktuellen ausländischen Wertschöpfungsanteil interpretiert werden.
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mal weniger zahlreich. Einen eindeutigen Aufwärtstrend gab es unter allen Maßnahmenkategorein
lediglich bei der Zahl der „technischen Handelshemmnisse“. Diese sind zwar von der Wirkung her
weniger drastisch als Straffzölle in „Antidumping“-Fällen. Ihre starke Zunahme stützt allerdings die
These, dass ein Abschluss von Handelsabkommen wie dem transatlantischen TTIP, die ebensolche Hindernisse abbauen sollen, besonders hilfreich sein könnte.
Kein Aufwärtstrend beim „Antidumping“ – bislang
Mehr Output trotz weniger Jobs
USA, Zahl der Maßnahmen, Bestandsgrößen
Verarbeitendes Gewerbe, Q1 1987 = 100
60
300
50
250
40
40
200
30
30
150
20
20
100
10
50
60
Technische Hindernisse
50
10
"Antidumping"-Maßnahmen
0
0
2014
2015
2016
Quellen: WTO, Helaba Volkswirtschaft/Research
Verarbeitendes Gewerbe, Mio.
+160 %
Beschäftigte
(RS)
-30 %
Output pro Beschäftigtem
(LS)
0
1987
1992
1997
2002
2007
20
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0
2012
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
5 Mio. zusätzliche Stellen in der US-Industrie?
Eine andere Frage stellt sich im Zusammenhang mit der angestrebten „Rückverlagerung“ von
Arbeitsplätzen im Verarbeitenden Gewerbe. Abstrahieren wir einmal von der Frage, wie realistisch
ein Transfer von mehreren Millionen Stellen wirklich ist. Die Wahnvorstellung, man könne einfach
zum „status quo ante“ von 2000 oder 1990 zurückkehren, blendet aber u.a. völlig den seitdem
erfolgten Produktivitätszuwachs in der Industrie aus. Dieser war wegen des technologischen Fortschritts und des verstärkten Einsatzes von Kapital gerade in diesem Sektor sehr hoch.
Die Produktivität eines Beschäftigten im Verarbeitenden Gewerbe in den USA lag 2014 nach
McKinsey-Schätzungen im Schnitt 40 % über dem eines Mexikaners. Würde man nun die sektorale Stellenzahl in den Vereinigten Staaten von aktuell 12 auf 17 Mio. (den Stand des Jahres 2000)
erhöhen, indem man die Jobs von Mexiko in die USA verlagert, und sie würden dort den durchschnittlichen Output von rund 180.000 Dollar pro Jahr und Beschäftigtem erzeugen, so wäre der
sektorale Output in den USA um fast 1 Bio. Dollar pro Jahr (und damit rund 50 %) höher. Verglichen mit der vorherigen Situation (Produktion durch Mexikaner) wären dann aber zusätzliche Pro2
dukte im Wert von 365 Mrd. Dollar abzusetzen. Wo genau in der Weltwirtschaft sollte diese Nachfrage herkommen? Sicher nicht aus Mexiko…
Realistischer wäre, dass ein Abbau von 5 Mio. Stellen in Mexiko mit dem Aufbau einer deutlich
geringeren Anzahl von (produktiveren) Stellen in den USA verbunden wäre. Der globale Nettobeschäftigungseffekt wäre also zunächst klar negativ. Gleichzeitig würde der Weltmarkt ein zusätzliches Angebot eben nicht komplett absorbieren. Stattdessen wäre, je nach Höhe der Zusatzproduktion, mit einem Preisverfall zu rechnen, der die Faktoreinkommen in der US-Industrie (Gewinne
und/oder Löhne) entsprechend drücken würde. Dies wäre wohl kaum im Sinne des Erfinders.
Wie geht es nun weiter?
Was macht Trump
am „Tag 1“?
Die Handelspolitik ist ein zentrales Anliegen des neuen Präsidenten. Donald Trump hat bereits für
seinen ersten Tag im Amt drastische Schritte auch in dieser Hinsicht angekündigt. Dies könnte
zeigen, wie ernst seine Äußerungen zu diesem Thema insgesamt zu nehmen sind. Wir werden
dazu in der kommenden Woche ein „USA Aktuell“ veröffentlichen. 
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Allerdings sind die für den Export produzierenden „maquiladoras“ in Mexiko überdurchschnittlich produktiv,
was diesen Output-steigernden Effekt tendenziell etwas dämpfen würde.
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