Trump setzt auf „China

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Trump setzt auf „China-Bashing“
Handelsdefizit: Die USA importieren für über 800 Milliarden Dollar mehr als sie
exportieren / Auch der deutsche Milliarden-Überschuß wird zum Problem
Elliot Neaman
Bis vor kurzem kannten Peter Navarro nur Insider. Außer für seine Forschungen in der
Umwelt- und Energiepolitik war der Ökonomieprofessor von der Irvine University in
Südkalifornien als ein scharfer Kritiker der chinesischen Regierung bekannt, der er mit
harschen Worten Währungsmanipulation, Produktpiraterie und die Mißhandlung von
Häftlingen und Arbeitern in der Wirtschaft vorwarf. Der 67jährige verfaßte reißerische
Bücher mit Titeln wie „The Coming China Wars“ (2006) oder „Crouching Tiger“ (2015).
Im Präsidentschaftswahlkampf wurde Navarro informeller Berater von Donald Trump,
inzwischen stieg er zum Leiter des neuen Handelsrats (White House National Trade Council)
auf. Wie manch andere hat er vermutlich nicht mit dem Sieg von Trump gerechnet und wurde
unverhofft aus seinem Schattendasein herausgerissen, um in der neuen Administration eine
bedeutende Rolle einzunehmen – ein „Outsider“, der plötzlich in die Rolle eines „Insiders“
gedrängt wird.
Kampf gegen den Verlust von Industriearbeitsplätzen
Trumps Kritiker behaupten oft, daß er keine schlüssigen Konzepte habe, aus der Hüfte
schieße und Fragen erst später stelle. Ob das stimmt, wird sich ab 20. Januar zeigen, doch die
Wahl von Navarro als Handelsberater zeigt, daß Trump in den vergangenen Jahren bei diesem
Thema sehr konsequent war. Wie viele kritisierte Trump in den 1980ern scharf Japans
Vormachtstellung auf dem US-Markt. Jetzt betrachtet er China nicht nur als ökonomische,
sondern auch politische und militärische Bedrohung.
Der Unterschied ist, daß Trump nun etwas gegen das unternehmen kann, was er als
strategische Gefahr ansieht. Als Trump im Dezember mit Tsai Ing-wen, der Präsidentin
Taiwans, telefonierte und so mit fast vier Jahrzehnten diplomatischer Gepflogenheiten brach,
hielten einige dies für die Aktion eines Politamateurs. Andere erkannten darin einen ersten
strategischen Zug in einem Schachspiel, dessen Ziel es sein soll, die rotchinesische Königin
zu stürzen.
Bekanntermaßen ist Trump ein visueller Lerntyp. Der 70jährige liest keine Bücher und hat
wenig Achtung vor Intellektuellen und Akademikern. Während einer TV-Diskussion im
Wahlkampf gab er ungeniert zu, daß er sich seine Informationen aus dem Kabelfernsehen
holt. 2012 setzte Navarro sein mit Greg Autry verfaßtes Buch „Death by China“ mit Hilfe des
Hollywood-Schauspielers Martin Sheen („Apocalypse Now“, „Gandhi“, „Gettysburg“) zu
einer Netflix-Dokumentation um. Im nachhinein kann man sehen, wieviel von Trumps
Weltanschauung in dem Film eingefangen ist.
Navarro kopierte die Methode von Filmemachern wie Michael Moore, als er normale
Amerikaner interviewte, die in kleinen Städten im Mittleren Westen leben und die durch den
Verlust von Industriearbeitsplätzen am Boden zerstört sind. Er zoomt ihren leiderfüllten
Gesichtsausdruck heran, um ihre Mutlosigkeit, aber auch ihre Wut auf die Washingtoner
Eliten aufzuzeigen, die sie im Stich gelassen haben.
Er interviewte auch Geschäftsführer großer Firmen, die für die Jobverlagerung keine
Verantwortung übernehmen. So führte er ein Gespräch mit dem Inhaber einer kleinen Firma,
die Sperrholz für Möbel herstellt. Wenn alle seine Konkurrenten nach China umziehen, so
erklärt der Geschäftsmann, habe er keine andere Wahl, entweder die Firma zu schließen oder
ihnen ins Ausland zu folgen. Doch die Geschäftsführer großer Unternehmen, bemerkt er
bitter, hätten sehr wohl eine Wahl: Sie können ihre Produktionsstätten in Amerika behalten,
etwas weniger Profit machen, aber dem nationalen Interesse dienen.
Der Film beschreibt vorausschauend die Trump-Wähler von 2016, die nicht den Eindruck von
Fanatikern oder Rassisten machen, sondern eher den von desillusionierten Normalbürgern auf
der Suche nach einer Erklärung für ihre Misere. Viele von ihnen haben 2008 Barack Obama
unterstützt. An einer Stelle in dem Film interviewt Navarro einen Bürger, der kundtut, daß
eine neue Tea Party nottue – nicht eine, die zwischen rechts und links unterscheidet, sondern
vielmehr zwischen richtig und falsch.
Ein anderer Mann mit Anzug und Krawatte, der auf der Straße irgendeiner US-Großstadt
befragt wird, sagt, daß es eine gesamtgesellschaftliche Leistung der Bürger sein müsse,
Arbeitsplätze zu schaffen, da sich diese nicht zufällig einstellten. Der Schlüssel zum
Verständnis des Phänomens Trump ist, daß er der einzige Kandidat war, der erkannt hatte,
daß der Washington-Konsens zu Fragen wie Handel und Immigration aufgekündigt war.
Navarros Film enthält ebenso viele Interviews mit über die Menschenrechte in China
besorgten Liberalen, linken Aktivisten und Gewerkschaftsführern, wie er aufgebrachte
Konservative miteinbezieht.
Wirtschaftswissenschaftler haben Navarros China-Analyse als vereinfachend und einseitig
kritisiert. Der ehemalige Präsident der Harvard University und frühere Finanzminister Larry
Summers hat Navarro als „Voodoo-Ökonom“ mit Hang zum Kreationismus abgetan. Die
Anspielung auf „Voodoo-Ökonomie“ ist aufschlußreich: So beschrieb George Bush Ronald
Reagans Wirtschaftskonzepte im Präsidentschaftswahlkampf 1980. Reagan gewann, Bush
verlor und mußte als dessen Vizepräsident seine Einstellung ändern. Trumps explizites Chinaund das besonders lautstarke Mexiko-„Bashing“ (der südliche Nachbar erzielt wegen des
Freihandelsabkommens Nafta jährlich einen Handelsüberschuß in zweistelliger
Milliardenhöhe, JF 51/16) und eine Anti-Einwanderungspolitik sind keinesfalls neu in der
US-Politik. Doch Trump fügte eine entscheidende Zutat hinzu: Liberale Großstädter waren
entsetzt über Trumps aggressive Sprache und seine frauen- und fremdenfeindlichen Ausfälle.
Doch seine Unterstützer interpretieren sein Alphamännchen-Verhalten als Zusicherung, daß
er nicht einfach nur redet, sondern tatsächlich den Mumm aufbringt, viel Gutes für sie zu
bewirken.
Heißt der deutsche Peter Navarro Wolfgang Streeck?
Die alt- und neokonservativen Intellektuellen waren weitgehend ebenso entsetzt über Trumps
ungehobeltes Verhalten. Doch indem er die Eliten auf beiden Seiten schockierte, verkörperte
er die Hoffnungen einer reformistischen, ökonomischen und kulturellen patriotischen
Bewegung, die im amerikanischen System bereits schon einmal erprobt wurde (Ross Perot,
Pat Buchanan), doch erst 2016 zum Durchbruch kam.
Jetzt sind einige konservative Intellektuelle aufgewacht und erkennen die Vorteile Trumps.
Unter dem antik-römischen Pseudonym Publius Decius Mus veröffentlichte das Magazin The
Claremont Review einen inzwischen weitverbreiteten Artikel mit dem Titel „The Flight 93
Election“, in dem der anonyme Verfasser sein Verlassen des „Never Trump“-Lagers
verkündet und sich den „Trumpismus“ als „Politik der sicheren Grenzen, eines
wirtschaftlichen Patriotismus und einer ’Amerika zuerst‘-Außenpolitik“ zu eigen macht.
Dieser Angriff auf die Werte der internationalen kosmopolitischen Elite ist weder links noch
rechts. Das vorletzte Buch von Wolfgang Streeck heißt „Gekaufte Zeit“. Der neomarxistische
Euro-Kritiker vertritt die Ansicht, daß der Kapitalismus wieder unter die Kontrolle des
Nationalstaates gebracht werden müsse, denn nur dort könnten sich die Bürger wehren. Schon
2013 hatte Jürgen Habermas ihm vorgeworfen, sich der Nostalgie für eine nationale Festung
hinzugeben.
Diese Beispiele und der Aufstieg von Navarro demonstrieren, daß die nach dem Zweiten
Weltkrieg etablierten finanziellen und politischen Rahmenbedingungen mit der großen
Rezession von 2008 mehr als in Frage gestellt wurden. Auch für Deutschland dürfte es schwer
werden, weiterhin für 114 Milliarden Euro in die USA zu liefern, aber nur Waren für 59
Milliarden von dort zu beziehen. Nur nur die deutsche Autolieferung aus Mexiko muß unter
Trump wohl ganz neu kalkuliert werden.
Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco.
US-Dokumentarfilm „Death
Base“: www.youtube.com
By
China:
How
America
Lost
Its
Manufacturing