Steinmeier im Dschungelcamp

XXII. Internationale
Rosa Luxemburg
Konferenz
www.jungewelt.de/rlk2017
GEGRÜNDET 1947 · FREITAG, 13. JANUAR 2017 · NR. 11 · 1,50 EURO (DE), 1,70 EURO (AT), 2,20 CHF (CH) · PVST A11002 · ENTGELT BEZAHLT
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Pokerrunde
Putschalarm
Geberlaune
Geschäftsführung
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Die Bundesregierung schweigt zur
Beseitigung von Demokratie in
der Türkei. Ein Interview
Mehrheit des Parlaments in Venezuela erklärt Präsident Maduro für
abgesetzt. Von André Scheer
China treibt Investitionen in Afrika wei- Mitregieren linker Parteien hat im
ter voran, zum Beispiel in Nigeria.
Kapitalismus meist üble
Von Christian Selz
Folgen. Von Patrik Köbele
Türkei: Höchststrafe für
Kochefin der HDP gefordert
CETA auf dem Vormarsch
Letzte Hürden für Handelsabkommen aus dem Weg geräumt: Karlsruhe weist
Eilklagen zurück. Grünes Licht auch vom EU-Umweltausschuss. Von Ralf Wurzbacher
N
ach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat die Bundesregierung alle Auflagen
Karlsruhes für die deutsche Zustimmung zum Handelsabkommen CETA
(Comprehensive Economic and Trade
Agreement) erfüllt. Das stellte das
höchste deutsche Gericht in einem
am Donnerstag veröffentlichten Entscheid fest. Damit wies es mehrere
Eilanträge von Gegnern des geplanten Handelspaktes zwischen der Europäischen Union (EU) und Kanada
zurück. Grünes Licht für die Vereinbarung gab es gestern auch vom
Umweltausschuss im EU-Parlament.
Wenn im Februar das Plenum der
Strasbourger Volksvertretung ebenfalls pro CETA votiert, tritt das Vertragswerk zunächst provisorisch und
damit noch vor der Ratifikation durch
die nationalen Parlamente in Kraft.
Spitzenvertreter der EU und Kanadas hatten den Kontrakt bereits Ende Oktober gegen viele Widerstände
unterzeichnet. Schon damals hatte
Karlsruhe den Versuch von Kritikern,
die deutsche Unterschrift per Eilverfahren zu verhindern, vereitelt. In ihrem Urteil formulierten die Richter allerdings Bedingungen: Unter anderem
musste die Regierung sicherstellen,
dass Deutschland im Zweifel von dem
Abkommen zurücktreten kann. Dies
sollte etwa gelten, wenn Berlin nicht
das Einstimmigkeitsprinzip bei künftigen Vertragsänderungen in Brüssel
durchsetzen sollte. Zudem müssten
Bereiche, die nicht in die Zuständigkeit der EU fallen, von der vorläufigen
Anwendung ausgenommen bleiben.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel
(SPD) versprach den Richtern seinerzeit die Einhaltung der Vorgaben.
Die Kläger – darunter die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke und
das Aktionsbündnis »Nein zu CETA« –
legten mit neuen Eilanträgen wegen der
Nichterfüllung der Auflagen nach. Insbesondere beanstandeten sie, mit dem
Ende Oktober beim EU-Kanada-Gipfel
gefassten Beschluss sei nicht sichergestellt, dass nur solche Vertragsinhalte
vorläufig zur Anwendung kommen, die
in die ausschließliche EU-Zuständigkeit fallen. Dem widersprechen nun die
Karlsruher Richter: »Die Bundesregierung hat die Maßgaben, von denen der
Senat in dem Urteil (vom 13. Oktober,
jW) ausgegangen ist, vor der Zustimmung zu den genannten Beschlüssen
umgesetzt.«
Ob das Abkommen mit dem Grundgesetz im Einklang steht, wird das
Gericht in einem späteren Hauptsacheverfahren zu klären haben. Unter
anderem hatte im August ein Aktionsbündnis eine Verfassungsbeschwerde
mit mehr als 125.000 Unterstützern
gegen das neoliberale Projekt eingereicht. Anne Dänner, Sprecherin
von »Mehr Demokratie e. V.«, hält
den Ausgang dieser Überprüfung für
»völlig offen«. Die Ausführungen der
Richter wirkten so, als unterstellten
sie der Regierung »so etwas wie guten Willen, dass ihre Vorgaben auch
eingehalten werden«, befand sie am
Donnerstag gegenüber junge Welt.
»Natürlich sind wir nicht erfreut über
den Beschluss, das ist aber keine Vorentscheidung.« Auch laut Klaus Ernst
von der Linksfraktion im Bundestag
»bleiben viele Rechtsfragen weiter
offen«. Der Vizefraktionsvorsitzende
kündigte an, einen Antrag beim Europäischen Gerichtshof einzureichen,
um die Vereinbarkeit von CETA mit
dem Europarecht zu überprüfen.
Auf EU-Ebene hat CETA durch
die gestrige Zustimmung im Strasbourger Umweltausschuss indes eine
weitere Hürde genommen. Für die Beschlussempfehlung votierten 40 Abgeordnete, 24 dagegen, es gab eine
Enthaltung. Ursprünglich hatte sich
eine Ablehnung abgezeichnet, vor allem wegen Bedenken, das sogenannte
Vorsorgeprinzip sei nicht klar genug
im Vertrag verankert.
Steinmeier im Dschungelcamp
Bundesaußenminister zu Gesprächen in Kolumbien. Besuch in FARC-Lager geplant
D
er deutsche Bundesaußenminister und designierte Bundespräsident, Frank-Walter
Steinmeier (SPD), besucht Kolumbien und will auch der Guerillaorganisation FARC seine Aufwartung
machen. Wie die kolumbianische Außenministerin María Ángela Holguín
am Dienstag im Radiosender RCN
bestätigte, wird Steinmeier am heutigen Freitag in der Hauptstadt Bogotá
zunächst mit Staatschef Juan Manuel
Santos zusammentreffen, bevor er im
Department Meta ein Camp besuchen
wird, in dem sich Kämpfer der Re-
volutionären Streitkräfte Kolumbiens
(FARC) auf die Abgabe der Waffen
und ihre Eingliederung in das zivile
Leben vorbereiten.
Entsprechend dem zwischen der
Regierung und der Guerilla abgeschlossenen Friedensvertrag werden
die etwa 5.800 Rebellen derzeit in 26
Zonen im ganzen Land zusammengezogen. Überwacht werden diese Lager
durch die Vereinten Nationen, die dazu eine Beobachtermission entsandt
haben.
Steinmeier ist nicht der einzige ausländische Gast in den Camps. Obwohl
die FARC von der Europäischen Union bis vor wenigen Wochen als »terroristische Organisation« geführt wurden, will auch der französische Präsident François Hollande Ende des
Monats im Department Cauca eines
der Lager besuchen. Pablo Catatumbo, einer der führenden Comandantes der Guerilla, begrüßte diese Ankündigung: »Wir sind absolut zuversichtlich, dass dies ein Impuls für die
Umsetzung der Vereinbarungen sein
wird«, erklärte er. Es sei den FARC
»eine Ehre«, den französischen Präsidenten zu empfangen. Auch Rodrigo
Londoño alias Timochenko, oberster
Chef der Rebellenorganisation, begrüßte über Twitter die ausländischen
Visiten: »Wir danken der Regierung
Frankreichs für ihre Unterstützung
bei der Umsetzung der Abkommen
von Havanna. Die Welt unterstützt
den Frieden in Kolumbien.«
Bei der Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen Welt am Sonnabend
in Berlin wird ein kolumbianischer
Vertreter über die aktuelle Situation
des Friedensprozesses in dem südamerikanischen Land berichten.
(dpa/ANNCOL/jW)
NIGEL TREBLIN/REUTERS
UMIT BEKTAS/REUTERS
Rund um das Trojanische
Pferd werden alle Hindernisse niedergerissen –
Protest gegen TTIP im
April 2016 in Hannover
Istanbul. Die Oberstaatsanwaltschaft
in der türkischen Stadt Van hat eine
lebenslange Haftstrafe sowie zusätzliche siebeneinhalb Jahre Gefängnis
für Figen Yüksekdag, die Kovorsitzende der linken und prokurdischen
Partei HDP, gefordert. Dies berichtete die kurdische Nachrichtenagentur Firat am Donnerstag. Die im
Hochsicherheitsgefängnis in Kandira gefangengehaltene Parlamentsabgeordnete war am 3. November
gemeinsam mit mehreren weiteren
HDP-Mandatsträgern festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft
wirft ihr eine »Störung der staatlichen Einheit« der Türkei sowie
die »Verbreitung terroristischer
Propaganda« vor. Von der islamischkonservativen Regierung in Ankara
wird die HDP einer vermeintlichen
Nähe zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK bezichtigt.
(jW)
Schäuble meldet
Haushaltsplus für 2016
Berlin. Zum zweite Mal in Folge verkündete Finanzminister
Wolfgang Schäuble (CDU) am
Donnerstag nach Ablauf eines
Haushaltsjahres einen Milliardenübeschuß im Etat. Die errechneten
6,2 Milliarden Euro will er zum
Schuldenabbau nutzen. Die SPD
will das Geld indes lieber für neue
Investitionen ausgeben und die
Bürger »entlasten« – schließlich ist
Wahlkampfzeit.
Das Plus kam vor allem deshalb
zustande, weil der Bund für seine
enormen Verbindlichkeiten von
rund 1,270 Billionen Euro kaum
Zinsen zahlen muss – dank der
EZB-Geldpolitik. Zudem scheinen Behörden immer weniger in
der Lage, geplante Mittel auch
auszugeben. Trotz Milliarden von
Schlaglöchern, maroden Schulen
und Tausenden rostigen Brücken.
(dpa/jW)
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