Drucksache 16/13934

LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN
16. Wahlperiode
Drucksache
16/13934
09.01.2017
Antwort
der Landesregierung
auf die Kleine Anfrage 5438 vom 14. Dezember 2016
der Abgeordneten Henning Höne und Marc Lürbke FDP
Drucksache 16/13796
Kommunalpolitiker kapitulieren und ziehen sich aus Angst aus der Politik zurück – Ein
Alarmzeichen mit Signalfunktion!?
Vorbemerkung der Kleinen Anfrage
Jetzt hat der Vorsitzende der Bocholter Sozialdemokraten Konsequenzen aus den seit Monaten anhaltenden und auf ihn gerichteten Hassmails gezogen und angekündigt, sich aus der
Kommunalpolitik zurückzuziehen.
Als Stadtverbandsvorsitzender der Bocholter SPD sah er sich schon in der Vergangenheit
gezwungen, einen örtlichen Parteitag abzusagen, da ihm gedroht wurde, dass ihm sein „Judenschädel abgeschlagen“ (ZEIT ONLINE, 7. Oktober 2016) werde. Innen- und Kommunalminister Ralf Jäger (SPD) erklärte daraufhin auf seiner Facebook-Seite am
7. Oktober 2016: „Wir werden nicht zulassen, dass die Errungenschaften unserer freiheitlich
demokratischen Grundordnung mit Füßen getreten werden. Thomas, du hast meine absolute
Solidarität.“
Bereits im April diesen Jahres haben sich Abgeordnete der FDP-Landtagsfraktion nach dem
Ausmaß der Gewalt gegenüber Kommunalpolitikern in Nordrhein-Westfalen bei der Landesregierung erkundigt (vgl. Kleine Anfrage 4646 vom 6. April 2016). In der Antwort auf die Kleine
Anfrage erklärte Minister Ralf Jäger, dass mit Stichtag 8. April 2016 für das Jahr 2016 „zwei
Bedrohungen zum Nachteil von Amts- und Mandatsträgern“ (Drs. 16/11928) gemeldet wurden.
„Bedarf an einem Aktionsplan von Bund und Ländern wird […] derzeit nicht gesehen“ (Drs.
16/11928), führt der Minister auf Nachfrage aus und erteilt damit entsprechenden Forderungen
aus der kommunalen Familie eine Absage.
Zur Sitzung des Ausschusses für Kommunalpolitik am 4. November 2016 hat die FDP-Landtagsfraktion einen weiteren schriftlichen Bericht der Landesregierung zum Ausmaß der Gewalt
gegenüber kommunalen Amts- und Mandatsträgern beantragt. In dem dargelegten Bericht erklärt Minister Jäger, dass mit Stichtag 12. September 2016 bereits 20 Meldungen mit Bezug
Datum des Originals: 09.01.2017/Ausgegeben: 12.01.2017
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zu Gewalt und Bedrohungen gegenüber kommunalen Amts- und Mandatsträgern in diesem
Jahr zu verzeichnen waren (vgl. Vorlage 16/4403).
„In Nordrhein-Westfalen erörtern die Sicherheitsbehörden und das Justizministerium gemeinsam das Thema Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger und prüfen fortwährend, ob über
die bereits bestehenden Maßnahmen hinaus weiterer konzeptioneller Handlungsbedarf besteht“ (Vorlage 16/4403).
Der Rücktritt des engagierten Kommunalpolitikers ist ein erneutes Alarmsignal für alle Demokraten und muss Anlass dafür geben, über die Strategie zum Schutz der Kommunalpolitiker in
Nordrhein-Westfalen nachzudenken. Denn die Grundwerte der Demokratie stehen auf dem
Spiel. Insbesondere in den Kommunen engagieren sich zahlreiche Bürger ehrenamtlich und
zumeist mit sehr viel Herzblut für bessere Lebensbedingungen in ihrem direkten Lebensumfeld.
Der SPD-Kommunalpolitiker begründet den Rücktritt auch mit Verweis auf seine Verantwortung gegenüber seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter:
„Die Verfasser der Hassmails haben aber nunmehr eine Grenze überschritten, die ich so auf
keinen Fall hinnehmen kann“ (Westfälische Nachrichten, 13. Dezember 2016), so der Bocholter. Nach seinen Angaben haben sich die Hassmails auch auf seine Lebensgefährtin und seine
Tochter bezogen: „Da habe ich als Familienvater gegenüber meiner kleinen und jungen Familie eine besondere Pflicht und Verantwortung“ (Westfälische Nachrichten, 13. Dezember
2016).
Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 5438 mit Schreiben vom
9. Januar 2017 namens der Landesregierung beantwortet.
1.
Welche Entwicklungen sind hinsichtlich der Gewalt und Bedrohungslage gegenüber Kommunalpolitikern in Nordrhein-Westfalen seit dem 12. September 2016 zu
verzeichnen? (Bitte detailliert angeben.)
Im Hinblick auf die wiederkehrenden Straftaten in Form von Hassmails gegen den Bürgermeister sowie weitere Mitglieder der Stadtverwaltung Bocholt verweise ich auf den Bericht des Ministeriums für Inneres und Kommunales zur Sitzung des Ausschusses für Kommunalpolitik am
4.11.2016 zum Antrag der Fraktion der FDP „Gewalt gegenüber Amts- und Mandatsträgern in
Nordrhein-Westfalen“ (Vorlage 16/4403). Seit dem 12.9.2016 sind weitere Strafanzeigen im
Zusammenhang mit den Hassmails gegen Mitglieder der Stadtverwaltung Bocholt eingegangen.
Darüber hinaus sind in Nordrhein-Westfalen jedoch keine weiteren Straftaten bekannt geworden.
2.
Wie bewertet die Landesregierung die vorgetragene Argumentation, dass ein
Rücktritt vom kommunalpolitischen Ehrenamt auch aus Vorsorge zum Schutz der
Familie begründet wird?
Die Landesregierung respektiert die Entscheidung einer jeden Inhaberin/ eines jeden Inhabers
eines kommunalpolitischen Ehrenamtes, das Amt aus persönlichen Gründen niederzulegen.
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Die Motivforschung und eine Bewertung der Motive gehören nicht zur Aufgabe der Landesregierung.
Davon unabhängig verurteilt die Landesregierung jede Form von Gewalt, Bedrohungen und
Beleidigungen gegen kommunale Amts- und Mandatsträgerinnen oder Mandatsträger sowie
gegen Bürgerinnen und Bürger, die sich kommunalpolitisch oder in anderer Weise ehrenamtlich für das Gemeinwohl engagieren, auf das Schärfste. Sie setzt sich mit unterschiedlichen
Maßnahmen für eine nachhaltige Strafverfolgung im Zusammenhang mit Hassmails und Hasspostings ein. In diesem Zusammenhang wird z.B. auf den Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen im Bundesrat vom 30.11.2016, Drs. 706/16, verwiesen.
Die Sicherheitsbehörden handeln mit rechtsstaatlichen Mitteln konsequent gegenüber Anfeindungen von Politikerinnen und Politikern. Hierzu wird Bezug genommen auf den Bericht des
Ministeriums für Inneres und Kommunales zur Sitzung des Ausschusses für Kommunalpolitik
am 4.11.2016 zum Antrag der Fraktion der FDP „Gewalt gegenüber Amts- und Mandatsträgern
in Nordrhein-Westfalen“ (Vorlage 16/4403).
3.
Inwiefern nimmt die Landesregierung den Rücktritt als Alarmzeichen mit Signalfunktion für die Demokratie wahr, dass sich auch andere ehrenamtlich Aktive in
Nordrhein-Westfalen aus Angst vor Übergriffen auf die eigene Person oder das
persönliche Umfeld womöglich gänzlich aus dem Ehrenamt zurückziehen?
Der Landesregierung liegen dazu keine Erkenntnisse vor.
4.
Inwiefern steht die Landesregierung mit den kommunalen Spitzenverbänden kontinuierlich im Austausch, um sich über die Entwicklungen hinsichtlich der Gewalt
und Bedrohungslage gegenüber kommunalen Amts- und Mandatsträgern auszutauschen bzw. erkennbaren Handlungsbedarf zu konkretisieren?
Das Ministerium für Inneres und Kommunales befindet sich mit den Kommunalen Spitzenverbänden in einem regelmäßigen und kontinuierlichen Dialog über alle gegenseitig interessierenden Fragestellungen.
5.
Inwiefern sieht die Landesregierung konzeptionellen Handlungsbedarf vor dem
Hintergrund der Entwicklungen in der politisch motivierten Kriminalitätsstatistik
in Nordrhein-Westfalen?
Im Bereich der Gewaltdelikte gegenüber Politikerinnen und Politikern, worunter auch verbale
Gewalt subsumiert wird, agiert die Landesregierung proaktiv und konzeptionell umfassend.
Die Sicherheitsbehörden des Landes schützen und sichern im Rahmen ihrer Aufgaben die
Rechtsordnung und handeln mit rechtsstaatlichen Mitteln konsequent gegenüber Anfeindungen von Politikerinnen und Politikern. Nicht zuletzt aufgrund der Zunahme von Straftaten der
politisch motivierten Kriminalität hat die Landesregierung die Kriminalinspektionen Staatsschutz in den Kriminalhauptstellen bereits personell verstärkt.
Darüber hinaus hat die Landesregierung eine Gemeinsame Arbeitsgruppe von Polizei und
Justiz eingerichtet, die sich speziell mit dem Phänomen der „Hasspostings“ befasst. Im September 2016 wurde dazu eine Handreichung für Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden
zur Ermittlungsunterstützung veröffentlicht. Zudem hatte das Landeskriminalamt NordrheinWestfalen von Oktober 2015 zunächst bis April 2016 eine Task Force zur Bekämpfung rechter
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Hetze in sozialen Medien eingerichtet, die anschließend als dauerhaft wahrzunehmende Aufgabe in die Alltagsorganisation überführt wurde.
Die Sicherheitsbehörden und das Justizministerium in Nordrhein-Westfalen erörtern gemeinsam das Thema Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger und prüfen fortwährend, ob über
die bereits bestehenden Maßnahmen hinaus weiterer konzeptioneller Handlungsbedarf besteht.
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