Melken auf einem „Tambo“

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Melken auf
einem „Tambo“
Mehrere Kilometer bis zur Asphaltstraße und monatelang kein Regen: Milch-Profis
in Argentinien trotzen den widrigen Bedingungen und steigern die Milchmenge.
Nina Dreher berichtet über einen typischen Milchviehbetrieb – einen „Tambo“.
B
ei Argentinien denkt man eher an
saftige Steaks als an Milch und
Käse. Das Land hat jedoch in kurzer Zeit eine florierende Milchwirtschaft entwickelt. Es ist mittlerweile
das größte Milch-Land Südamerikas.
Aufstieg zum Milch-Land:Noch vor
Fotos: Dreher
hundert Jahren gab es nur nahe der
Stadt Buenos Aires einige Milchviehbetriebe. Heute erzeugen knapp 11 000 Betriebe jährlich über 11 Mio. l Milch. Über
900 große und kleine Molkereien verarbeiten diese Menge. Mit Ausnahme
Uruguays konsumiert kein anderes Land
Lateinamerikas so viel Milch und Milchprodukte: 211 l pro Kopf und Jahr. Gut
ein Viertel der Produktion geht in den
Export, vor allem an den großen Nachbarn Brasilien, aber auch an Mexiko, Venezuela, Nordafrika und Asien.
Die „Tambos“ (Milchviehbetriebe)
konzentrieren sich auf die vier zentralen
Provinzen des Landes. Hier ermöglichen
ein mildes Klima und fruchtbare Böden
den ertragreichen Anbau der wichtigsten Futterpflanzen Luzerne, Weidelgras
und Mais sowie eine ganzjährige Weidehaltung. Die Herdengröße der meisten
Betriebe liegt zwischen 100 und 500 Kühen. Die Milchleistung liegt im Schnitt
bei ca. 5 000 l/Kuh/Jahr.
Insgesamt ist die Betriebsstruktur
sehr vielfältig: Es gibt kleine Familienbetriebe ebenso wie riesige Farmen, sehr
gut geführte ebenso wie weniger professionell bewirtschaftete Höfe. In der Fütterung gibt es eine große Spannbreite,
angefangen vom reinen Vollweidesystem fast ohne Zufütterung bis zum intensiven Feed-Lot.
Im Umland der Kleinstadt Esperanza
befindet sich auch die traditionsreichste
Milchregion des Landes. Es herrscht
subtropisches Klima mit heißen Sommern und trockenen, milden Wintern.
Dem Tierarzt Oscar Garnero (links) gehört der Tambo „Dos Soles“, ein typischer
Milchviehbetrieb in Argentinien. Cristian Fleyta ist Betriebsleiter.
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Im Jahresschnitt liegen die Temperaturen bei 17 °C, die gut 900 mm Niederschlag fallen zum Großteil im Sommer.
Tierarzt pachtet Betriebe.In dieser
Milch-Hochburg lebt der Tierarzt Oscar
Garnero, ehemaliger Leiter des Lehrstuhls für Milchwirtschaft an der örtlichen Fakultät. Garnero hat von seinen
Eltern einen kleineren Betrieb übernommen und in den letzten Jahren zusammen mit seinem Bruder zwei weitere Milchviehbetriebe dazu gepachtet.
Der größte davon ist der Tambo „Dos
Soles“. Garnero kannte den Betrieb von
seiner Tätigkeit als Tierarzt. Vor acht
Jahren bot sich schließlich die Möglichkeit, den Betrieb für monatlich umgerechnet 5 300 € zu pachten. Zusammen
mit seinem Bruder und einem anderen
Investor gründete der Tierarzt dafür
eine Aktiengesellschaft.
Die rund 280 Holstein-Kühe wurden
zunächst „gepachtet“ und nach und
nach gekauft, ebenso wie die Maschinen. Der Betrieb hat 463 ha Fläche, von
denen 330 genutzt werden. Die restlichen Flächen sind den Überschwemmungen des nahegelegenen Rio Salado
ausgesetzt und mit einem niedrigen
Dornwald bewachsen, der nur dem
Nachbarn als Extensivweide dient.
Auf den anderen 330 ha betreibt Garnero das klassische „gemischte“ System
der argentinischen Milchviehbetriebe:
Gut die Hälfte des Futters stammt von
der Weide, auf der Luzerne, Weidelgras
oder Hafer steht. Das restliche Futter
aus Konserven und Kraftfutter, vor allem Silage aus Mais und Sorghumhirse,
aber auch Heu, Körnermais, Weizen
und Soja.
Die am weitesten vom Melkhaus entfernten 90 ha sind für den Ackerbau bestimmt. Im Direktsaatverfahren werden hier auf drei großen Schlägen Weizen, Soja und Mais angebaut, bis auf
wenige Pflegemaßnahmen ist die Arbeit
an Lohnunternehmer ausgelagert. Soja
wird teils verkauft, teils gegen Soja-Ex-
Typisch für Argentinien: Angepflockte Kälber ohne Schutz vor der Witterung. Das kann zu hohen Kälberverlusten führen.
traktionsschrot eingetauscht. An Futtermitteln müssen so lediglich Kälberstarter, Biertreber und Mineralfutter
zugekauft werden.
Als Betriebsleiter ist Cristian Fleyta
auf „Dos Soles“ zuständig für Fütterung,
Weide- und Herdenmanagement und
vier weitere Mitarbeiter. Für alle auf
dem Betrieb beschäftigten Personen gilt
eine Sechs-Tage-Woche. Der niedrigste
Monatslohn liegt bei 430 €, was knapp
dem Doppelten des argentinischen Mindestlohns entspricht. Wohnungen in
zwei Häusern, Strom, Gas und Wasser
werden den Mitarbeitern gestellt.
Gemolken wird zu zweit jeweils um
5.00 und 15.00 Uhr in einem Doppel16er-Fischgrätenmelkstand mit Swing
Over-Technik. Die gut 230 melkenden
Kühe sind in zwei Leistungsgruppen
eingeteilt, kranke und behandelte Tiere
bilden eine extra Herde und kommen
erst zum Schluss dran. In zwei Stunden
sind in der Regel alle Tiere gemolken.
20 Cent Milchpreis: Jeden Tag gehen
gut 6 000 l Milch an die zum französischen Konzern Bongrain gehörende
Molkerei Milkaut. Der Milchpreis in der
Region liegt momentan bei 19 bis
21 €-Cent. Wie jede Molkerei führt Milkaut seine Qualitätskontrollen selber
unangekündigt zwei- bis dreimal im
Monat durch. Bei über 100 000 Keimen
oder über 400 000 somatischen Zellen
pro ml Milch droht Abzug beim Milchgeld. Der Fett- und Eiweißgehalt der
Milch wird bislang nicht in der Bezahlung berücksichtigt. Der Staat bemüht
sich aber, dies über das neue System
„Bezahlung nach Qualität“ zu ändern.
Als Mitglied der staatlich organisierten „offiziellen Milchkontrolle“ erhält
Garnero monatlich einen Laktationsbericht. Momentan liegt der Herdendurchschnitt bei 7 300 l Milch/Kuh/
Jahr, die Zellzahlen bei 200 000/ml.
Dieser Service, den etwa ein Viertel der
argentinischen Milchviehbetriebe nutzen, kostet ihn jährlich etwa 200 €.
Wie auf vielen Betrieben ist auch auf
„Dos Soles“ durch die schlechte Verkehrsanbindung der Milchtransport oft
problematisch. Bis zur nächsten Asphaltstraße geht es 9 km über einen unbefestigten Feldweg. Bei Regen ist für
den Tanklaster kein Durchkommen
mehr, die Milch muss mit dem Traktor
in einem Kunststofffass bis zur Straße
gebracht werden.
Dabei wird jedes Mal der Weg durch
die Fahrspuren aufgerissen und der
Keimgehalt der Milch steigt durch den
Transport kritisch an. Eine der ersten
Anschaffungen Garneros war daher
Unsere Autorin
Nina Dreher
hat nach dem
Agrar-Bachelorstudium an der
Technischen
Universität
München von
2006 bis 2011 in
Rafaela in der
Provinz Santa
Fe gelebt. Sie
hat an einer landwirtschaftlichen
Versuchsstation gearbeitet. Von
2009 bis 2011 hat sie ihren Master
an der Uni Rosario absolviert. Jetzt
arbeitet sie als Lehrerin an der
Tierhaltungsschule LVFZ Spitalhof
in Kempten. Sie ist mit einem
argentinischen Tierarzt verheiratet.
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Fotos: Dreher
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Das Melkhaus: Um die Kühe vor der Sonne zu schützen, ist der
Vorwartehof überdacht. Zudem sind Ventilatoren installiert.
ein 16 000 l-Milchtank, um zumindest
einen Regentag überbrücken zu können.
Ausgetüftelte Fütterung:Beide Fütte-
rungsgruppen erhalten zweimal am Tag
eine Ration aus Maissilage, Sojaschrot,
Körnermais, Biertreber und Mineralfutter. Die Trockensteher erhalten eine extra Ration mit einem hohen Anteil von
Haferheu. Das Jungvieh bekommt zusätzlich zur Weide Sojaschrot und Körnermais aus dem Trog und Sorghumsilage zur Selbstbedienung.
Die Weideflächen für die verschiedenen Kuhgruppen werden jeden Tag
nach Bestimmung des Aufwuchses neu
zugeteilt. Um die Weideführung zu vereinfachen, wurde die Zahl der Felder
Ausbildung
und Beratung
Um einen Betrieb zu führen, ist
in Argentinien kein landwirtschaftlicher Berufsabschluss erforderlich. Die über 470 Landwirtschaftsschulen und 30 Agrarwirtschaftlichen Fakultäten bieten
jedoch eine sehr gute Ausbildung.
Als Berater für die Landwirtschaft
fungiert das „Nationale Institut für
Landwirtschaft und Viehzucht“
mit 51 Versuchsstationen und
330 Regionalzentren. Zwei Kompetenzzentren für Milch sind die Versuchsstation INTA Rafaela und die
Universidad Nacional del Litoral.
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Die Melkschicht im Swing Over-Melkstand teilen sich immer zwei
Mitarbeiter. Eine Melkzeit für 230 Kühe dauert ca. zwei Stunden.
von 45 auf 20 reduziert und der Stacheldraht durch einfachen Draht ersetzt. Im
Spätherbst weiden beide Herden morgens auf einer mit Weidelgras bestandenen Fläche, die altmelkenden Kühe zusätzlich nachmittags auf Luzerne.
Diese bringt in der Region im Jahr
etwa 150 dt TM/ha Ertrag. Nach dem
zweiten Jahr geht der Ertrag zurück, daher wird in der Regel nach drei bis vier
Jahren neu eingesät oder auf Weidelgras
gewechselt. Das Futtergras liefert hier
jährlich etwa 90 dt TM/ha, den Großteil davon in den kühleren Monaten.
Wasser für die Weidetiere wird mit von
Windrädern angetriebenen Pumpen
hochgefördert und in großen Rundtanks gespeichert.
Die wichtigsten gesundheitlichen
Probleme der Herde sind Garnero zufolge Eutererkrankungen und Fruchtbarkeitsstörungen. Auch mit Leukose
gibt es immer wieder Probleme. Im letzten Jahr verendeten neunzehn Tiere an
der in Deutschland anzeigepflichtigen
Tierseuche. Auch Erkrankungen und
Verletzungen der Klauen müssen behandelt werden, allerdings erübrigt sich
durch die ganzjährige Weidehaltung
eine regelmäßige funktionelle Klauenpflege.
Bei sommerlichen Höchsttemperaturen von über 45 °C und hoher Luftfeuchtigkeit ist Hitzestress mit all seinen Folgen ein großes Problem für die
Kühe. Im Melkstand sorgen zwei große
Ventilatoren für Abkühlung. Der Wartebereich ist überdacht und mit Tränkebecken und Sprinklern versehen. Im
Hochsommer werden die Tiere nur auf
Weidekoppeln getrieben, auf denen
große Bäume Schatten spenden. Damit
keine Abkalbungen in den heißesten
Monat Januar fallen, wird im April
grundsätzlich nicht besamt.
Kälber an Pflöcke gebunden:Bei der
Übernahme des Betriebs gab es Schwierigkeiten bei der Aufzucht. Die Kälbersterblichkeit lag bei 19 %.
Für Garnero lag dies vor allem an den
bisherigen Haltungsbedingungen: Wie
in Argentinien üblich, wurden die Kälber bis zum Absetzen mit sechs bis acht
Wochen an einzeln stehenden Pflöcken
angebunden. Das verhinderte zwar gegenseitiges Besaugen und die Übertragung von Krankheiten. Die Tiere waren
dafür aber in ihrer Bewegung eingeschränkt und vor der Witterung ungeschützt. Auch an der Tierbetreuung
und der Hygiene haperte es oft, da die
Schnell gelesen
• Mit 11 Mio. l Milch ist Argen-
tinien zum größten Milchland
Südamerikas aufgestiegen.
• Die meisten Milchviehbetriebe
(„Tambos“) liegen im Zentrum
des Landes. Hier gibt es gute
Bedingungen zum Anbau von
Luzerne, Gras und Mais.
• Tierarzt Oscar Garnero hat
den elterlichen Betrieb übernommen und weitere Betriebe gepachtet. Jetzt hat er
280 Kühe und 463 ha Land.
• Er hat die Milchleistung auf
7 300 l erhöht, die Aufzuchtverluste auf 4 % gesenkt.
• Vom Staat wünscht er sich
mehr Unterstützung.
Selbstbedienung: Die Färsen haben auf der Weide Zugang zu
einem Futterschlauch. Dort ist Sorghum einsiliert.
Milcheimer bei sengender Sonne oder
im strömenden Regen von Pflock zu
Pflock geschleppt werden mussten.
Der Betriebsleiter ist deshalb dazu
übergegangen, die Kälber bereits ab
dem zweiten Lebenstag in Gruppen zu
halten. Nun stehen die Tiere in fünf
langen, schmalen Weidekoppeln mit einem überdachten Laufgang mit Seitenwand an der Stirnseite, der Mensch und
Tier Schutz vor der Witterung bietet.
Von dort aus bekommen die Kälber
pasteurisierte Milch aus 5er-Gruppentränken, außerdem Kälberkraftfutter
und Luzerneheu. Zweimal im Jahr werden Mutterschutzimpfungen durchgeführt, Biestmilch im Notfall auch mit
der Flasche oder über eine Schlund-
Garnero stallt die Kälber jetzt am zweiten Lebenstag in
Weide-Koppeln auf. Dadurch hat er die Verluste reduziert.
sonde verabreicht. Der Nabel der neugeborenen Kälber wird zweimal mit Jod
desinfiziert und danach mit einem
trocknenden Zinkpulver behandelt.
Die Kombination dieser Maßnahmen
ist wirksam: Mittlerweile liegen die
Aufzuchtverluste nur noch bei 4 %.
Flächen überschwemmt:Auf „Mundo
Nuevo“, Garneros kleinerem Pachtbetrieb, herrschen weniger günstige Bedingungen: Die Flächen liegen viel tiefer
und wurden in den letzten zwölf Jahren
bereits dreimal überschwemmt. Deshalb
hat er die Investition in einen neuen
Melkstand bisher verschoben. Noch
werden die 160 Kühe ebenerdig in einer
einfachen Anbindevorrichtung gemol-
ken. Anstelle einer reinen Holsteinherde setzt Garnero für den extensiver
geführten Betrieb auf Gebrauchskreuzungen zwischen Holsteins und Jerseys.
Wie geht’s weiter?Argentiniens Milch-
wirtschaft hat, auch wegen der weltweit steigenden Nachfrage nach Milchprodukten, ein großes Wachstumspotenzial. Von der Regierung wünschen
sich die argentinischen Milchbauern daher mehr Unterstützung für Investitionen sowie für den Ausbau der Infrastruktur (Wege, Stromleitungen).
Außerdem fordern sie ein System, um
sich gegen Futterausfälle aufgrund von
Überschwemmungen und Dürre versichern zu können.
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