SWR2 Tagesgespräch

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner
Sicherheitskonferenz, gab heute, 03.01.17,
dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema:
„Herausforderungen der internationalen Politik 2017“.
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Rudolf Geissler.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
03.01.2017
Ischinger sieht in 2017 ein Jahr "maximaler Unberechenbarkeit"
Baden-Baden: Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sieht die
internationale Ausgangslage 2017 von "maximaler Unberechenbarkeit" gekennzeichnet. Im
SWR-Tagesgespräch sagte Ischinger, in den zurückliegenden Jahrzehnten habe es so viele
"Krisen, die wir weder beherrschen noch überblicken" können, niemals gegeben. Zwar werde es
wohl nicht " so dicke" kommen, dass der neu gewählte US-Präsident Trump von Europa die
"schützende Hand einfach wegzieht". Allerdings hätten die gegenüber Russland "angsterfüllten
Mittel- und Osteuropäer" Sorge, dass ein grundsätzlich wünschenswertes gutes Verhältnis
zwischen Trump und Präsident Putin zu ihren Lasten ausgehe. Auch deshalb müsse die
Europäische Union Trump gegenüber "künftig stärker mit einer Stimme" und nicht in einer
"Kakophonie von 27 oder 28 europäischen Staats-und Regierungschefs" sprechen, verlangte
Ischinger. Es komme darauf an, dem neuen Mann im Weißen Haus zu sagen, "was Europa von
dir, Donald Trump, erwartet."
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Geissler: Was meinen Sie, kommt es nun erst richtig dicke mit der großen Unsicherheit,
oder sehen Sie auch Chancen, dass sich manches wieder fügen könnte?
Ischinger: Also richtig ist sicher, dass alles, fast alles darauf hindeutet, dass wir es 2017 mit
einem außenpolitisch, sicherheitspolitisch gesehenen Jahr maximaler Unberechenbarkeit zu tun
haben werden. So viele Dinge, die wir jetzt am 2. oder 3. Januar noch gar nicht richtig
einschätzen können, so viele Krisen, die wir weder beherrschen, noch überblicken hat es in der
Zeit, in denen Jahrzehnten die ich überblicke, nie gegeben. Das ist neu, das ist historisch so
noch nicht dagewesen.
Geissler: Maximale Unberechenbarkeit sagen Sie. Wo sehen Sie denn sozusagen Licht
am Horizont, oder bedeutet das, dass es kein Licht gibt?
Ischinger: Doch, doch. Ich sehe, man sagt ja, in jeder Krise nicht wahr, liegt auch eine gewisse
Chance und in der Tat sehe ich hier auch Chancen. Ich sehe Chancen, dass die Europäische
Union, die sich ja selbst in einer tiefen Krise befindet, nicht nur wegen der Euro-Krise, sondern
auch sicherheitspolitisch. - sie hat sich in Syrien ja völlig ins Abseits manövriert. Die Flüchtlinge
kommen alle zu uns nach Europa. Wir haben aber nichts zu sagen, wenn es um die Frage
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Krieg oder Frieden in Syrien geht. - also, dass die Europäische Union sich jetzt mal
zusammenrauft und sich sicherheitspolitisch dazu durchringt, künftig stärker mit einer Stimme
zu sprechen. Sich auch handlungsfähig macht. Jetzt reden wir von Rüstung, von
Verteidigungsunion. Da sehe ich schon eine gewisse Chance. Und ich glaube auch, dass ich
eine gewisse Chance dafür sehe, dass die Bürger, die ja in weiten Teilen, nicht nur in
Deutschland, der europäischen Union etwas überdrüssig geworden sind, man neigt dazu, die
EU eher als Teil des Problems, als Teil der Lösung, als Teil der Zukunft zu sehen…
Geissler: Lassen Sie uns das vielleicht gleich vertiefen. Sie haben Syrien erwähnt.
Gerade nochmal dabei bleiben. Von dort kommt heute Morgen die Nachricht, dass die
Rebellen, die ja auch mit den USA verbündet sind, nicht an den Friedensgesprächen
demnächst in Kasachstan teilnehmen wollen. Wer oder welche Umstände sollten die da
möglicherweise noch umstimmen können?
Ischinger: Also, ich wäre skeptisch, was die Dauerhaftigkeit der jetzt von Russland und der
Türkei inszenierten Friedensoperationen angeht. Es ist doch so: Was hier stattfindet, ist ein
möglicherweise kurzfristiger, taktischer Erfolg der russischen Syrien- oder russischen
Außenpolitik. Aber man muss natürlich wissen, dass die große Mehrheit der syrischen
Bevölkerung ja nicht hinter Assad steht. Die große Mehrheit sind Sunniten, die große Mehrheit
in der ganzen arabischen Welt sind Sunniten. Das letzte, was die wollen ist, dass Russland sich
jetzt als Protektor des gehassten Diktators Assad durchsetzt. Ich glaube also, Russland hat sich
da eine Bürde ins eigene Nest gesetzt, mit dem es noch große Schwierigkeiten haben wird. Ich
beneide die russische Außenpolitik da nicht. Man kann Putin dazu gratulieren, dass er sich
kurzfristig durchgesetzt hat, aber langfristig sehe ich nicht, dass Russland einen dauerhaften
Frieden in und um Syrien hinkriegt.
Geissler: Es scheint sich aber so eine Art Männerbündnis abzuzeichnen zwischen Putin
und dem nächsten großen Unsicherheitsfaktor, der am 20. Januar in die Weltpolitik
kommt – Donald Trump im Weißen Haus. Haben Sie denn, Sie waren ja mal Deutschlands
Spitzendiplomat in den USA, eine exaktere Vorstellung schon von dem, was er vorhat?
Ischinger: Also zunächst einmal muss man sagen, dass es natürlich im Prinzip aus
europäischer Sicht wünschenswert wäre, wenn es zwischen dem Weißen Haus einerseits und
dem Kreml andererseits wieder zu regelmäßigen, ich nenn es jetzt mal „Spitzengesprächen“
kommen würde. Die hat es in den letzten Jahren zwischen Obama und Putin leider nicht
gegeben. Also es wäre im Grunde durchaus wünschenswert. Wir wollen ja Dialog mit Russland.
Das Problem ist, dass jetzt die große Sorge herrscht bei vielen unserer eigenen Partner und
Verbündeten, dass möglicherweise die Verständigung zwischen Trump und Putin auf dem
Rücken, oder Rücksichtnahme auf etwa die Balten, die Polen, die angsterfüllten Mittel- und
Osteuropäer stattfinden könnte.
Geissler: Könnten wir dem was als Europäer entgegensetzen, wenn die schützende Hand
der USA entzogen wird?
Ischinger: Militärisch sicher nicht. Wir brauchen für unsere militärische Sicherheit die USA.
Darauf wäre die Europäische Union oder wären die europäischen Nato-Mitglieder nicht
eingestellt. Ich glaube auch nicht, dass es so dick, so sagten Sie das vorhin, dass es so dicke
kommt, dass die Trump-Administration hier sozusagen ihre schützende Hand einfach wegzieht.
Aber was wir machen müssen ist natürlich, dass wir Europäer mit großer Einigkeit und
Entschlossenheit dem künftigen Präsidenten Trump mitteilen müssen, was unsere Erwartungen
an ihn sind. Der darf sich nicht einer Kakofonie von 27 oder 28 europäischen Staats- und
Regierungschefs gegenüber sehen, sondern der muss eine Stimme hören: Hier ist das, was
Europa von dir Donald Trump erwartet.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)