1. vwBrief_016

Spirituelle Gemeinschaft
1. (vor)weihnachtlicher Brief 2016
Von der Scham zur Schau
Wieder strahlt mir das Licht.
Wieder schaue ich das Licht in Klarheit.
Wieder öffnet es den Himmel, vertreibt es die Nacht.
Und der über allen Himmeln ist,
den keiner der Menschen je erblickte,
kehrt aufs Neue in meinen Geist ein, ohne den Himmel zu verlassen,
die Nacht zu zerteilen, das Dach des Hauses einzuschlagen,
ohne irgendetwas zu durchdringen.
Symeon der Neue Theologe, Mystiker der Ostkirche, um 1000 n. Chr.
1. (VOR)WEIHNACHTLICHER BRIEF ______________________________________________________________________________________ -2VON DER SCHAM ZUR SCHAU
© PETER F. BOCK, KAIROS 2016
ZEICHEN FÜR DEN NEUEN
Der 1. Adventsonntag markiert den Beginn des neuen Kirchenjahres und eröffnet als Advent die „weihnachtliche Festzeit“. Dieser doppelte Anfang macht uns darauf aufmerksam, dass „Neues“ beginnen will.
Deshalb haben wir am 1. Adventsonntag im großen Kreis den XXII. KAIROS-Tag gefeiert.
Auch das tägliche Beten der Spirituellen Gemeinschaft KAIROS prägt dieses `Neue´: Der vierwöchige
Rhythmus der ALL(e)TAGSLITURGIE wird aufgebrochen: wir beginnen das neue Kirchenjahr mit der ersten Woche, schalten gleichsam mit der Reset-Taste auf die `Werkseinstellungen´ zurück: um danach zu
fragen, wie wir von IHM ursprünglich und schlussendlich gedacht sind. Danach richten wir uns neu aus.
Darauf weisen uns auch die Eigentexte für die Hymnen und die Meditationsimpulse zur Advent- und Weihnachtszeit. Wer diese nicht mehr oder noch nicht zur Hand hat, kann sie gerne anfordern (mail).
Spirituelle Traditionen der Glaubensgemeinschaften nennen diese Reset-Einstellung „Fasten“. Juden und
Moslems pflegen es. Christen stimmen sich jährlich in zwei langen, prägenden Erfahrungsräumen auf das
Geheimnis ein, das uns entgegenkommt: im Advent, und in der vorösterlichen Fastenzeit.
LEBENSLICHT
Das Geheimnis dieser Begegnung skizziert Patricks Bild (S 1), das ihm in einer Meditation kam: Da ist
„LICHT“, glühend, die Augenkraft überfordernd, blendend. JHWHs Glanz kann kein Mensch ertragen. Ungefiltert, ungebremst würden ER uns verglühen. Deshalb stellt sich der MENSCHENSOHN dazwischen.
G´TTes Licht durchstrahlt IHN. ER wird uns zur `Membran´ – durch IHN können wir G´TT schauen.
Wer das JESUS-Antlitz sucht, steht damit in JHWHs Lichtglanz – doch nun abgemildert, weich geworden,
heilsam wärmend. ER leuchtet uns aus. Im `gefilterten´ G´TTeslicht können wir uns selbst ansehen, auch
unsere Schatten. ER stärkt so unsere `Introspektionsfähigkeit´: diese ist Voraussetzung jeder gelingenden
Therapie; Basis auch des Prozesses1, den wir Buße nennen.
VERÄNDERUNG WAGEN
Die Advent-Texte behaupten, Veränderung sei angesagt: eine beunruhigende Provokation angesichts der
politisch-soziologischen Großwetterlage. „Alles soll bleiben, wie es war. Keine Veränderung“, dieses Motto
hat in Deutschland die AfD, in den USA Trump, im österreichischen Bundespräsidentenwahlkampf die
FPÖ, in der Schweiz (Atomausstieg; Flüchtlingsfrage), in Frankreich, in Ungarn, … auch in der Kirche
(Streit um die Familienenzyklika von Papst Franziskus) skeptische Richtungen gestärkt. Vieles davon können wir verstehen; dennoch können und wollen wir uns nicht mit allem solidarisieren.
Ist Angst das neue Grundgefühl unserer Gesellschaft? Aus Furcht, in der politischen Auseinandersetzung
nicht bestehen zu können, rücken die „Volksparteien“ um vermeintlicher Wahlchancen willen nach
„rechts“ – und verlieren damit erst recht Glaub-würdig-keit.
Wo kämen wir hin,
wenn alle sagten, wo kämen wir hin
und keiner ginge, um zu sehen,
wohin wir kämen, wenn wir gingen.
Kurt Marti (* 1921)
Die Neuerscheinung „Scham und Ehre“2 fiel mir in die Hand. Darum geht es in den adventlichen Wochen:
um die Grundgefühle Scham, Schuld, Sehnsucht, Vertrauen und Ehre. Daran haben wir auch gemeinsam
am KAIROS-Tag gearbeitet. Gedanken und Bilder aus den Facetten des Tages:
1 „Prozess“
2
– vom lt. „procedere“ – den Weg ins Positive weiter gehen oder wenden.
Klaas Huinzing, Scham und Ehre – eine theologische Ethik, Gütersloher Verlagshaus, ISBN 978 35 790 82394, 544 S, € 39,99.
1. (VOR)WEIHNACHTLICHER BRIEF ______________________________________________________________________________________ -3VON DER SCHAM ZUR SCHAU
© PETER F. BOCK, KAIROS 2016
… DASS WIR NIE URTEILEN (MÜSSEN)
„Die Sonne wird sich verfinstern, der Mond nicht mehr scheinen“ (Mt 24,29). An wem sollen wir uns dann
orientieren, wohin uns ausrichten, wenn selbst die kosmischen Koordinaten ausfallen? Ideologie, Selbstoptimierung oder Konsumorientierung bringen es jedenfalls nicht. Und keiner von uns weiß es besser´.
Wo Menschen meinen, es
besser zu wissen, richten
zu dürfen, wird es fürchterlich. Das zeigen die Bilder
des Montags: Über Fidel
Castro (1926 - 25.XI. 2016)
kann man streiten; ihm die
Hölle zu wünschen, ist widerlich. Wir sind Suchende.
JESUS entlastet uns endgültig vom Richten.
SCHAM, WEIL ZURÜCKGELASSENEN
Das Wort, „eine/r werde mitgenommen … eine/r zurückgelassen“ (Mt 24,41) irritiert. Oft fühlten wir uns
aussortiert, nicht gut genug, und finden uns selbst nicht gut genug: Kosmetik, Schönheitschirurgie, Mode,
Fortbildungsstress, … leben vom Anspruch, „besser“ zu werden, um konkurrenzfähig zu bleiben: Scham
als Verkaufsstrategie. So hören wir den Text mit verwundeten Ohren, sind unsere eigenen Ankläger und
Richter. Schambesetzt hören wir dieses JESUS-Wort als beschämend. Das soll „Frohe Botschaft“ sein?
So überlesen wir das Gleichnis vom Feigenbaum (Mt 24,32-36) davor. Der Feigenbaum trägt bis zu drei
Ernten pro Jahr. Bei der ersten Ernte nicht ausgereifte Feigen bleiben am Baum. Sie haben so Zeit, zu ihrer vollen Süße auszureifen; „zurückgelassen“ kommen sie zur Reife zu. Ermutigend ist JESU Wort.
ZEICHEN DES MENSCHENSOHNES – BILDER AUS DEM KAIROS-TAG
1. (VOR)WEIHNACHTLICHER BRIEF ______________________________________________________________________________________ -4VON DER SCHAM ZUR SCHAU
© PETER F. BOCK, KAIROS 2016
Zu Beginn des Lebens sind wir ein unbeschriebenes Blatt. Sorgsam wird uns ein Zeichen eingeprägt, anvertraut. Dann knittern
und formen uns Glück, Sorge, Angst und Sehnsucht. Diese Lebensspuren bergen Licht und Schatten, Glanz und Tränen. In
ihnen entdecken wir das besondere, uns vom Anfang an vertraute „Zeichen des Menschensohnes“.
Mit diesen Gedanken und Bildern laden wir ein zu einem frohen Advent. Über Deine/Ihre Antwort – gemailt
oder geschrieben – freuen wir uns. Mut und Segen wünschen wir Dir/Ihnen für die erste Adventwoche!
SPIRITUELLE GEMEINSCHAFT KAIROS E. V., Friedrich-Dürr-Straße 2, D 85221 Dachau; Geistlicher Leiter: Peter F. Bock; Für Antworten und Stellungnahmen: Tel.: 08131/27 77
557; e-mail: [email protected]; Homepage: www.kairos-forum-bock.de; Bildnachweis: S 3 – © google; alle übrigen Fotos: © Peter F. Bock 2015; KAIROS e. V. München.
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