Attentat auf Berliner Weihnachtsmarkt

NDR Kultur und NDR Info
Die Morgenandacht
Heiko von Kiedrowski, Pastor in Lübeck
Mittwoch, 21. Dezember 2016
Die Nachricht vom Attentat auf einen Berliner Weihnachtsmarkt hat mich getroffen
wie ein Schlag. Mich überfällt das Gefühl: Die Welt in der ich lebe, rutscht immer
weiter, Stück um Stück, auf einen unvorstellbaren Abgrund zu. Die grausame Gewalt
und der blinde Hass, die aus dem Anschlag in Berlin sprechen, schnüren mir die
Kehle zu. Schlimmer noch: ich merke, ich werde eher verzweifelter als
zuversichtlicher. Es ist kein halbes Jahr her, dass ein Attentäter in Nizza seinen LKW
zu einer tödlichen Waffe verwandelte. Der Anschlag von Nizza war für mich ein
Anschlag auf die Demokratie und die Freiheit. Der Anschlag in Berlin erscheint mir
wie ein Angriff auf die Liebe zwischen den Menschen.
Wenn ich ehrlich bin: Ich fühle mich am Ende mit meinem Latein. Und gleichzeitig
soll ich die Gottesdienste für den Heiligabend in meiner Gemeinde vorbereiten, die
Kerzen sollen leuchten, der Tannenbaum geschmückt sein und die
Gottesdienstbesucher wollen mit Texten und Liedern daran erinnert werden, dass
Gott uns nahe ist – und dass das Gute am Ende siegt.
Eines meiner liebsten Adventslieder klingt auf einmal ganz anders. „Die Nacht ist
vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen
Morgenstern“: 1938 beschreibt der Journalist und Liederdichter Jochen Klepper
seine Sicht auf die Krippe – und auf die finstere Zeit, in der er selbst lebt. Klepper
und seine Familie hatten schwer unter den Nationalsozialisten zu leiden, so schwer,
dass sie vier Jahre später keinen Ausweg mehr wussten als den Suizid.
„Auch wer zur Nacht geweinet, der Stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.“ An Kleppers Text bewegt mich vor allem, dass er Leid
und Zuversicht gleichzeitig nennt. „Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid
und schuld“, stellt Jochen Klepper fest. Angst und Schrecken sind ein Teil der Welt.
Aber er ist sich sicher: Sie haben nicht das letzte Wort. Weil wir von Gott geliebt sind,
kann die Dunkelheit uns nicht mehr besiegen. Auch wenn Jochen Klepper selbst der
Mut und die Kraft verließen, gab er das Vertrauen in die Liebe Gottes zu uns nicht
auf: „Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt“. Vielleicht wird sich dieses
Weihnachten für mich oder für uns anders anfühlen als in anderen Jahren. Bedroht,
in einer Zeit voller Angst und Unruhe. Vielleicht wird mir aber auch klar: Das ist nah
dran an der Geschichte in Bethlehem. In unsicheren Zeiten, bedroht von Gewalt und
Hass, traut sich Gott in die Welt – als schutzloses Kind. „beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.“
Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche
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