Vertragsrecht II Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 1 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Gattungsschulden (§ 243 BGB) Stückschuld: Beschränkung der Schuld auf einen bestimmten Gegenstand Gattungsschuld: Gattungsmäßige Bestimmung des Leistungsgegenstandes nach Art und Menge nicht auf vertretbare Sachen iSd. § 91BGB beschränkt Wortlaut des § 254 BGB: „Sachen“ Aber: über Wortlaut hinaus entsprechend anwendbar auf beliebige Leistungsgegenstände (Rechte, Forderungen, Handlungen, Dienstleistungen) Begründung: teleologische Erwägungen sowie § 279 BGB a.F. („Gegenstand) Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 2 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Gattungsschulden (§ 243 BGB) Auswahlrecht des Schuldners § 243 Abs. 1 BGB: Sachen mittlerer Art und Güte (Maßstab: Parteivereinbarung, sonst durchschnittliche Beschaffenheit) Beschaffungspflicht des Schuldners unbeschränkte marktbezogene Gattungsschuld: Beschaffung auf dem relevanten Markt Vorratsschuld: Beschaffung aus dem Vorrat Konkretisierung Voraussetzungen: der „Schuldner muss das zur Leistung einer solchen Sache seinerseits Erforderliche getan“ haben (§ 243 Abs. 2 BGB) Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 3 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Gattungsschulden (§ 243 BGB) Konkretisierung „seinerseits erforderliche“ Handlungen: 1. Auswahl: § 243 Abs. 1 BGB („mittlere Art und Güte“) 2. Aussonderung 3. nach der Art der Schuld gebotene Handlungen Bringschuld: erfüllungstaugliches Stück zum Gläubiger bringen und dem Gläubiger tatsächlich anbieten Holschuld: erfüllungstaugliches Stück dem Gläubiger zur Abholung bereitstellen und ihn zur Abholung auffordern (h.M.) Schickschuld: erfüllungstaugliches Stück dem Gläubiger schicken (Konkretisierung erfolgt mit der Übergabe an die Transportperson) Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 4 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Gattungsschulden (§ 243 BGB) Zurückweisungsrecht des Gläubigers wenn Leistungsgegenstand nicht „mittlerer Art und Güte“ entspricht Gläubiger gerät durch berechtigte Zurückweisung nicht in Annahmeverzug P: Bindungswirkung der Konkretisierung h.M.: Konkretisierung ist für den Schuldner verbindlich Schuldner kann eine einmal vorgenommene Konkretisierung nicht mehr rückgängig machen Begründung: dem Recht zur Auswahl von Sachen mittlerer Art und Güte entspricht die Verpflichtung zur Verbindlichkeit der Auswahl a.A.: Konkretisierung ist für den Schuldner nicht verbindlich Schutzvorschrift zugunsten des Schuldners Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 5 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Klassiker zur Gattungsschuld Der Galizische Eierfall (RGZ 99, 1 ff.) Mitte Oktober 1914 haben die Parteien in Berlin vereinbart, daß der Beklagte dem Kläger in der Zeit vom 4. Bis 12. November 1914 115 Kisten Kalkeier franko Berlin für 5,20 M per Schock liefern sollte. Die Lieferung ist nicht erfolgt. Kläger beansprucht Schadensersatz. Beklagter beruft sich darauf, daß ihm die Lieferung nicht möglich gewesen sei. Als er am 4. November 1914 von Berlin abgereist und am 5. November in seiner Heimat Bochnia in Galizien eingetroffen sei, sei wegen drohenden Einfalls der Russen der Zivilfrachtverkehr schon gänzlich eingestellt gewesen. Am 8. November habe er mit seiner Familie nach Krakau flüchten müssen. Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 6 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Klassiker zur Gattungsschuld Der Galizische Eierfall (RGZ 99, 1 ff.) Kernproblem: Reichweite der Einstands- und Beschaffungspflicht des Schuldners Bestimmung nach § 242 BGB „wirtschaftliche Unmöglichkeit“ bloße Beschaffungsschwierigkeiten reichen nicht aus Beschaffung muss mit so großen, außergewöhnlichen Schwierigkeiten verbunden sein, sie nach Auffassung des Verkehrs der Unmöglichkeit gleichkommen Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 7 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Klassiker zur Gattungsschuld Der Galizische Eierfall (RGZ 99, 1 ff.) „Wenn § 279 BGB [a.F.] bestimmt, daß bei Gattungsschulden der Schuldner solange die Leistung aus der Gattung möglich ist, sein Unvermögen zur Leistung auch dann zu vertreten habe, wenn ihm ein Verschulden nicht zur Last fällt, so schließt er die Berücksichtigung des unvorhergesehenen Eintritts höherer Gewalt aber ähnlicher Umstände nicht aus, welche nach dem Grundsatze des § 242 BGB das Verlangen der Leistung als unbillig und ungerechtfertigt erscheinen lassen. Dies kann insbesondere bei dem Gattungsverkäufer dann zutreffen, wenn er bei normalem Verlaufe durchaus erfüllungsbereit und erfüllungsfähig gewesen wäre und nur durch einen unerwarteten Zufall an der beabsichtigten Erfüllung persönlich gehindert wird.“! Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 8 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Klassiker zur Gattungsschuld Der Galizische Eierfall (RGZ 99, 1 ff.) „Angesichts der Umstände, unter welchen der Beklagte nach Krakau gekommen war und dort lebte, drängt sich nichts so sehr auf, wie die Zweifel, ob es ihm damals möglich gewesen ist, seine geschäftliche Tätigkeit fortzusetzen, ja überhaupt eine geschäftliche Tätigkeit aufzunehmen, geschweige denn, sich die Erfüllung seiner laufenden Verbindlichkeiten gleichviel ob Gattungsschulden oder nicht - angelegen sein zu lassen. Dem näher nachzugehen, wäre Sache des Instanzrichters gewesen.“ Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 9 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Klassiker zur Gattungsschuld Der Galizische Eierfall (RGZ 99, 1 ff.) Angesichts der Umstände, unter welchen der Beklagte nach Krakau gekommen war und dort lebte, drängt sich nichts so sehr auf, wie die Zweifel, ob es ihm damals möglich gewesen ist, seine geschäftliche Tätigkeit fortzusetzen, ja überhaupt eine geschäftliche Tätigkeit aufzunehmen, geschweige denn, sich die Erfüllung seiner laufenden Verbindlichkeiten - gleichviel ob Gattungsschulden oder nicht - angelegen sein zu lassen. Dem näher nachzugehen, wäre Sache des Instanzrichters gewesen. Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 10 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Wahlschuld Inhalt der Schuldner schuldet mehrere verschiedene Leistungen Allerdings muss nur eine dieser Leistungen erbracht werden Zuweisung des Wahlrechts vorrangig: Parteivereinbarung vorrangig: Vertragszweck sonst: im Zweifel steht das Wahlrecht dem Schuldner zu Ausübung des Wahlrechts durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung (Gestaltungsrecht) allerdings: keine Pflicht zur Ausübung Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 11 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Wahlschuld Folgen im Fall der Verzögerung greift § 264 BGB Im fall der Unmöglichkeit greift § 265 BGB die gewählte Leistung gilt gem. § 262 Abs. 2 BGB als von Anfang an allein geschuldet Rechtspraxis in der Rechtspraxis durch Ersetzungsbefugnis verdrängt sonst: Verwendung im Rahmen von Wahlvermächtnissen gem. § 2154 BGB Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 12 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Ersetzungsbefugnis Begriff: Schuldner ist trotz vertraglicher Leistungsbestimmung berechtigt, die geschuldete Leistung durch eine andere zu ersetzen Zuständigkeit: sie kann entweder dem Schuldner oder auch dem Gläubiger zustehen teilweise gesetzlich geregelt (§ 249 BGB) Leistungsstörungen ist die Leistung unmöglich, entfällt mit der Leistungspflicht (§ 275 Abs. 1 BGB) auch die Ersetzungsbefugnis Verbindlichkeit der Ersetzungsbefugnis nach Vornahme ist die ausgeübte Ersetzungsbefugnis bindend Ausnahme: § 242 BGB Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 13 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Sonderfall: Geldschulden Begriff BGH: Geld ist „jedes vom Staat oder einer durch ihn ermächtigten Stelle als Wertträger beglaubigte, zum Umlauf im öffentlichen Verkehr bestimmtes Zahlungsmittel ohne Rücksicht auf einen allgemeinen Annahmezwang“ Erfüllung Art der Erfüllung: grundsätzlich durch Bezahlung Bezahlung: Übereignung von Geldscheinen oder Münzen gem. §§ 929 ff. BGB Begrenzung der Annahmepflicht durch EU-Recht „mit Ausnahme der ausgebenden Behörde ist niemand verpflichtet, mehr als fünfzig Münzen bei einer einzelnen Zahlung anzunehmen“ (Art. 11 S. 3 der Verordnung Nr. 974/98 Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 14 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Sonderfall: Geldschulden Erfüllung Alternativ (und in der Praxis der Regelfall): Bezahlung mit Buchgeld Buchgeld: Geldforderung gegen ein Kreditinstitut Achtung: kein Gesetzliches Zahlungsmittel steht zur Disposition der Banken kann von den Banken nach Belieben geschaffen oder aber auch verweigert werden Konsequenz: Zahlung an Erfüllungs statt gem. § 364 Abs. 1 BGB Voraussetzung: Einverständnis des Gläubigers allerdings: häufig konkludente Erteilung Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 15 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Sonderfall: Geldschulden Wesen eigentlich Gattungsschuld aber: von den Rechtsfolgen her passt Qualifikation Als Gattungsschuld häufig nicht (§ 243 Abs. 1 BGB: „mittlerer Art und Güte) deshalb: durch Sonderregelungen spezialgesetzlich geregelt (§ 270 BGB) Keine Unmöglichkeit bei Geldschulden kein Erlöschen von Geldschulden bei Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB Grundsatz: „Geld hat man zu haben“ Schuldner unterliegt einer Beschaffungspflicht Option im Fall „subjektiver Unmöglichkeit“: Restschuldbefreiung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens (auch Privatinsolvenz möglich) Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 16 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Sonderfall: Geldschulden Arten Geldsortenschuld Vereinbarung einer bestimmten Münzsorte gem. § 254 BGB allerdings: auf gesetzliche Zahlungsmittel beschränkt (erfasst nicht Sammlermünzen) Fremdwährungsschuld gesetzlich geregelt in § 244 BGB (Abs. 1: Zulässigkeit, Abs. 2: Kurs) Differenzierung 1. unechte Fremdwährungsschuld: Zahlung kann auch in Heimatwährung erfolgen 2. echte Fremdwährungsschuld: Zahlung ist nur in vereinbarter Währung möglich (ausdrückliche Vereinbarung erforderlich) Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 17 Vertragsrecht II § 3 Inhalt von Schuldverhältnissen Zinsen Begriff Zinsen stelle eine Vergütung des Gläubigers für die Überlassung von Kapital an den Schuldner Zinsen sind daher notwendig akzessorisch mit Blick auf Existenz und Höhe mit der Kapitalschuld verknüpft Entstehungstatbestände Rechtsgeschäft (v.a. bei Krediten = Gelddarlehen iSv. § 488 BGB) Gesetz Verzugszinsen (§ 288 BGB) Prozesszinsen (§ 291 BGB) Fälligkeitszinsen bei Handelsgeschäften von Kaufleuten (§ 353 HGB) Privatdozent Dr. Matthias Wendland, LL.M. (Harvard) 18
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