NDR Kultur und NDR Info Die Morgenandacht

NDR Kultur und NDR Info
Die Morgenandacht
Redlef Neubert-Stegemann
Donnerstag, 22. Dezember 2016
Seit Tagen hören wir neue Nachrichten über den Anschlag in Berlin. Auch ein
„bloßer“ Unfall wäre schlimm genug gewesen, das war mein erster Gedanke. Aber
ein Anschlag steigert doch nur weiter die Stimmung in unserem Land ins NegativeUnd das Leben wird noch angstvoller und unfreier. Ich merke: Ich fürchte mich.
Und dann ist da eine große Wut: „Was sind das nur für Menschen, die sich zu
solchen Taten hinreißen lassen!“ Und die Fragen: „Wie verzweifelt und hoffnungslos
muss jemand sein, der nicht nur willens ist, sein eigenes Leben wegzuwerfen,
sondern auch bereit ist, 100 oder 1000 andere Menschen zu vernichten!“ Da ist ein
pures Unverständnis. Ich kenne das weder von mir selbst – Gott sei Dank – noch von
anderen Menschen: Ein so großes Ausmaß an Verzweiflung, dass man alles kaputt
machen möchte. Alles Lebendige. Alles Fröhliche. Alles Ausgelassene, das einem
auf den Weihnachtsmärkten begegnen kann. Das Lachen glücklicher Menschen in
einer Freundesgruppe: weg damit! Das Staunen und Wundern in den glitzernden
Augen der aufgeregten Kinder: nie mehr! Die zarten oder unbeholfenen Küsse frisch
verliebter Jugendlicher: ausradiert! Der träumerische Blick der Älteren, die sich durch
die Gerüche und Geräusche des Marktes an ihre Kindheit erinnern: weggewischt!
Ich merke, wie mein Vertrauen in die Verlässlichkeit der Welt erschüttert wird. Es will
nicht in mein Weltbild passen: dass der Tod so einfach dazwischentreten und alles
auslöschen kann, weil Menschen so unglaublich grausam werden können. So
unempfindlich und unempfänglich für die Zartheit des Lebens. So hoffnungslos!
Umso viel kostbarer wird mir in diesem Moment das Bild vom wehrlosen
schutzbedürftigen Kind im Stall. Umso bedeutsamer wird mir die Friedensbotschaft
der Engel, die nachts auf dem Felde den Hirten die frohe Botschaft bringen: Euch ist
heute der Heiland geboren. Das Toben der Gewalt um uns herum macht den
verletzlichen Lichtschein dieser Nacht so unendlich kostbar: „Sind so kleine Hände,
winz´ge Finger dran. Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann“. Dieses alte
Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche
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Die Morgenandacht
Redlef Neubert-Stegemann
Donnerstag, 22. Dezember 2016
Lied von Bettina Wegner geht mir seit Montag durch den Kopf. In zwei Tagen feiern
wir Weihnachten – feiern das Zarte und Friedvolle. Trotzdem!
Bettina Wegner:
Sind so kleine Hände
winz´ge Finger dran.
Darf man nie drauf schlagen
die zerbrechen dann.
Sind so kleine Füße
mit so kleinen Zehn.
Darf man nie drauf treten
könn´ sie sonst nicht gehn.
Sind so kleine Ohren
scharf, und ihr erlaubt.
Darf man nie zerbrüllen
werden davon taub.
Sind so kleine Münder
sprechen alles aus.
Darf man nie verbieten
kommt sonst nichts mehr raus.
Sind so klare Augen
die noch alles sehn.
Darf man nie verbinden
könn´ sie nichts mehr sehn.
Sind so kleine Seelen
offen ganz und frei.
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Die Morgenandacht
Redlef Neubert-Stegemann
Donnerstag, 22. Dezember 2016
Darf man niemals quälen
gehn kaputt dabei.
Ist so´n kleines Rückgrat
sieht man fast noch nicht.
Darf man niemals beugen
weil es sonst zerbricht.
Grade, klare Menschen
wär´n ein schönes Ziel.
Leute ohne Rückgrat
hab´n wir schon zuviel.
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