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SWR2 MANUSKRIPT
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SWR2 Zeitwort
12.12.1958:
Benny Golson nimmt "I remember Clifford" auf
Von Kilian Pfeffer
Sendung: 12.12.2016
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2016
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Musik: I remember Clifford
Autor:
„I remember Clifford“ ist eine der ergreifendsten und gefühlvollsten Songs der
Jazzgeschichte – eine Totenklage, die aus einem Moment der tiefen Trauer heraus
entstand. Glaubt man der Legende, dann komponierte Tenorsaxophonist Benny
Golson die Melodie, als er während eines Auftritts über sein eigenes Stück „Whisper
not“ improvisierte – kurz nachdem er erfahren hatte, dass der Trompeter Clifford
Brown auf tragische Weise ums Leben gekommen war.
Musik: I remember Clifford
Autor:
Es war der Abend des 27. Juni 1956. Golson spielte mit der Big Band des
Trompeters Dizzy Gillespie im New Yorker Apollo Theater. Die Musiker bereiteten
sich gerade darauf vor, zum zweiten Mal aufzutreten, als der Pianist Walter Davis Jr.
weinend auf die Bühne stürzte. Er berichtete erschüttert, Clifford Brown sei auf dem
Weg zu einem Auftritt gemeinsam mit dem Pianisten Richie Powell und dessen Frau
Nancy bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Golson berichtete er habe sich
gefühlt, als würde er in Ohnmacht fallen.
O-Ton von Benny Golson: (nachgesprochen)
Die Musiker waren zutiefst geschockt, niemand bewegte sich. Dann rief der
Bühnenmanager: „Leute, es wird Zeit. Spielt weiter!“ Dizzy versuchte, uns Mut zu
machen. Wir setzten uns zwar hin, aber natürlich konnten wir nicht normal spielen.
Viele der Musiker weinten, und das Konzert stand ständig kurz davor, abgebrochen
zu werden. Ich sagte immer wieder vor mich hin: „ Das ist ein Alptraum, das ist ein
Alptraum“. Und ich versuchte aufzuwachen. Aber am nächsten Morgen las ich über
Brownies Tod in der Zeitung.
Autor:
Benny Golson kannte Clifford Brown gut, die beiden hatten zusammen in einer Band
gespielt.
Musik: Joy spring
Autor:
Browns Komposition „Joy Spring“ zeigt, warum er einer der vielversprechendsten
Musiker seiner Generation war. Sein warmer Ton, sein lebhaften Improvisationen
und seine brillante Technik beeinflussten zahlreiche Trompeter nach ihm. Ein Vorbild
war Clifford Brown aber noch in ganz anderer Hinsicht. In der New Yorker Szene der
40er und 50er Jahre waren Drogen und Jazz eine zerstörerische Ehe eingegangen.
Zahlreiche Größen wie Charlie Parker, John Coltrane oder Sonny Rollins waren
schwer drogenabhängig. Clifford Brown dagegen war clean. Als einer der wenigen
herausragenden Musiker in der Szene lehnte er Drogen ab. Der Tenorsaxofonist
Sunny Rollins erzählte später, wie sehr ihn diese Haltung beeindruckt hatte.
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O-Ton Sonny Rollins:
Clifford Brown beeinflusste mich und meine Lebensführung nachhaltig. Er führte vor,
dass es möglich war, ein gutes, sauberes Leben zu führen und trotzdem ein guter
Jazz-Musiker zu sein.
Autor:
All diese Überlegungen und Erinnerungen, so berichtet es Benny Golson, flossen an
jenem Abend durch ihn hindurch, als die Melodie von „I remember Clifford“ in seinem
Kopf entstand. Die Komposition arbeitete er in den Wochen danach aus, sie wurde
schnell zu einem Jazz Standard. Von Stan Getz über Oscar Peterson bis hin zu
Quincy Jones: es gab kaum einen Musiker, der das Stück nicht einspielte, um sich so
musikalisch vor Clifford Brown zu verbeugen.
Gewissermaßen die Standardversion wurde die Aufnahme von Art Blakey und den
Jazz Messengers mit Benny Golson am Saxofon und Lee Morgan an der Trompete.
Als Bandleader nahm Benny Golson „I remember Clifford“ dann am 12. Dezember
1958 in Paris auf – als Bonus Track auf seinem Album „Benny Golson & the
Philadelphians“. Clifford Brown starb zwar viel zu früh, um die musikalischen Höhen
zu erreichen, die ihm vorhergesagt wurden. Doch Benny Golson setzte ihm mit
seiner Komposition ein musikalisches Denkmal und sorgte so dafür, dass sich die
Jazzwelt immer an Clifford Brown erinnern wird.
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