Radiogottesdienst am 11. Dezember 2016

Radiogottesdienst am 11. Dezember 2016
Christuskirche in Bremerhaven
Predigt von Superintendentin Susanne Wendorf-Von Blumröder
Kantate - Teil 1: Meine Seel erhebt den Herren Johann Sebastian Bach (1724)
1. Meine Seel erhebt den Herren,
Und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes;
Denn er hat seine elende Magd angesehen.
Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
Predigt Teil I
Gnade sei mit euch und Friede von dem der da ist, der da war und der da kommt. Liebe
Gemeinde, heute Morgen haben wir die dritte Kerze angezündet. Unser Adventskranz leuchtet
immer heller. Er erzählt, dass Zeit vergeht. Wir warten auf das große Licht. Und wir spüren, mit
der Zeit wird es immer heller. Im Schein der kleinen Kerzen kommt Gott uns näher. Ist das der
richtige Weg? Die Texte, die wir in diesem Gottesdienst hören, führen uns in eine ungemütliche
Welt, ins Gefängnis. Dort sitzt Johannes der Täufer. Sein ganzes Leben - ein Warten. Dafür hat
er einst in der Wüste gepredigt, zur Umkehr aufgerufen. Er sendet seine Jünger zu Jesus mit
der Frage: „Bist du es der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“
Ein klares Ja bekommen sie nicht zur Antwort. Jesus erinnert an die alten Prophezeiungen.
Texte, Verheißungen, die alle kennen. Er macht deutlich, die Zeit ist reif, der Messias ist da:
„Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf
und Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.“ Wenn ihr
darauf wartet, wenn ihr das auch so seht, sagt, dann hat euer Warten ein Ende. Mit welchen
Gedanken sind die Johannes-Jünger wohl zurückgegangen nach dieser Botschaft? Natürlich
mit Freude. So viele werden geheilt, sogar „Tote stehen auf“ und hiermit gleichbedeutend
„Armen wird das Evangelium gepredigt“- wunderbar. Aber sie hören auch: „Selig ist, wer sich
nicht an mir ärgert.“ In der Adventszeit will sich niemand ärgern. Friedlich, gemütlich, besinnlich
soll es zugehen. Alles andere versuchen wir auszublenden. Tut das nicht! Dazu fordert uns die
Geschichte der Johannes-Jünger auf - und auch die der Maria, ihre Lobgesang.
Der Advent auch hat eine ungemütliche Seite. Der Blick auf die Realität ist ungemütlich. Auch in
unserem Land. Wir wollen Menschen in Not helfen. Aber wir merken auch, wie viel Kraft das
kostet. Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Gruppen, Parteien, Kirchen ringen um den
richtigen Weg. Aber die Menschen aus den anderen Teilen der Welt dürfen wir nicht vergessen.
Von den Armen dieser Welt sind in diesem Jahr wieder Tausende im Mittelmeer ertrunken.
Gerade ihnen gilt doch das Evangelium, daran erinnert unser Predigttext. Jetzt in der
Adventszeit. Gut, dass es die biblischen Texte zum Advent gibt. Sie klammern die ungemütliche
Realität nicht aus. Sie tun nicht so, als ob alles in Ordnung wäre, sondern benennen die
wunden Punkte mit klarem Blick.
Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein. Wie viele Menschen protestieren in den
Evangelien, dass Jesus sich denen zugewendet hat und nicht ihnen? Selig ist, wer sich nicht
daran ärgert. Auch die Geschichte von Maria bedeutet und beinhaltet ein Ärgernis insbesondere für die etablierten Theologen und Priester am damaligen Jerusalemer Tempel
und die Herrscher, die Eliten der Gesellschaft. Eine junge Frau aus der jüdischen Provinz soll
den Messias gebären? Zum anderen überrascht es, welche Worte aus ihrem Mund kommen.
Hören wir den zweiten Teil unserer Kantate.
Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche
2
Kantate - Teil 2: Meine Seel erhebt den Herren Johann Sebastian Bach (1724)
2. Arie Sopran
Herr, der du stark und mächtig bist,
Gott, dessen Name heilig ist,
Wie wunderbar sind deine Werke!
Du siehest mich Elenden an,
Du hast an mir so viel getan,
Dass ich nicht alles zähl und merke.
3. Recitativ Tenor
Des Höchsten Güt und Treu
Wird alle Morgen neu
Und währet immer für und für
Bei denen, die allhier
Auf seine Hilfe schaun
Und ihm in wahrer Furcht vertraun.
Hingegen übt er auch Gewalt
Mit seinem Arm
An denen, welche weder kalt
Noch warm
Im Glauben und im Lieben sein;
Die nacket, bloß und blind,
Die voller Stolz und Hoffart sind,
Will seine Hand wie Spreu zerstreun.
Predigt - Teil II
„Hingegen übt er auch Gewalt mit seinem Arm an denen, welche weder kalt noch warm im
Glauben und im Lieben sein; die nacket, bloß und blind, die voller Stolz und Hoffart sind, will
seine Hand wie Spreu zerstreun.“ Ein ungewöhnlicher Text. Das klingt anders als das biblische
Magnifikat, lieblicher. In der Bibel heißt es nur: „Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die
hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn“, so nach Luther. Wörtlich: „Er zerstreut, die im Herzen voll
Hochmut sind, die in ihrer Gesinnung überheblich und stolz sind, die andere von oben herab
behandeln. Die ihr Herz darauf gerichtet haben, sich über andere zu erheben.“ Die Kantate
fordert zunächst tatkräftigen Glauben, im zweiten Satz spricht sie vom Zerstreuen der Stolzen
und Hoffärtigen. So haben beide Versionen doch ein gemeinsames Ziel: Der Lobgesang Marias
ist Lied der Freude und zugleich eine Warnung. Ungemütlich, wie es eben auch zum Advent
gehört. Den Überheblichen gilt Marias Warnung. Denen, die sich die Wahrheit zu Recht biegen.
Die laut und schnell, einfache Lösungen für komplizierte Probleme versprechen. Maria ruft all
jene zur Vorsicht, die Fakten verdrehen und Stimmungen schüren. Und sie warnt diejenigen, die
sogar lügen, um ihre Ziele zu erreichen. Wie viele Vorurteile werden geschürt, um Menschen
Angst zu machen, damit man die eigenen Ziele besser erreicht? Marias Loblied fordert uns auf,
genau hinzusehen, bei allem, was wir tun. Wir sollten uns fragen, warum kommen Menschen zu
uns und wie können wir die Ursachen dafür verändern? Dieses Miteinander verschiedener
Kulturen bringt Probleme mit sich. Wir müssen ganz und gar nicht alles gutheißen. Das
Zusammenleben erfordert Geduld, aber wenn wir es einüben, dann haben wir die Chance,
Gottes Idee zu folgen. Auch viele Christinnen und Christen haben Angst vor diesen
Veränderungen. Aber wir wissen, dass auch Fremde Gottes geliebte Menschen sind, egal
welchen Glauben sie haben. Marias Lied kann uns helfen, unsere Ängste wahrzunehmen und
genauer auf die Herausforderungen zu blicken.
Warten wir darauf, dass unser Zusammenleben gelingt? Das Magnifikat ist ein Lied von und für
Menschen, die sich auf Veränderungen einlassen, die warten können auf Gottes Hilfe - auch
wenn es ungemütlich wird. Martin Luther hat es übrigens sehr geschätzt und ihm ein ganzes
Buch gewidmet.
Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche
3
Er tat dies zu einem Zeitpunkt, als seine theologischen Erkenntnisse den Unmut der Römischen
Kirche hervorriefen. Luther war bereits mit dem päpstlichen Bann bedroht. Im Dezember 1520
verbrannte er die Bannandrohungsbulle, die Reise zum Reichstag nach Worms folgte und
endete mit der ihn schützenden Gefangennahme auf der Wartburg. Hier beendete er im Mai
1521 seine Auslegung des Magnifikats. Marias Worte schenkten ihm Vertrauen in den Wirren
seines Lebens. Hören wir den dritten Teil der Kantate von Johann Sebastian Bach zum
Magnifikat, dem Lobgesang Marias.
Kantate - Teil 3: Meine Seel erhebt den Herren Johann Sebastian Bach (1724)
4. Aria Bass
Gewaltige stößt Gott vom Stuhl
Hinunter in den Schwefelpfuhl;
Die Niedern pflegt Gott zu erhöhen,
Dass sie wie Stern am Himmel stehen.
Die Reichen lässt Gott bloß und leer,
Die Hungrigen füllt er mit Gaben,
Dass sie auf seinem Gnadenmeer
Stets Reichtum und die Fülle haben.
5. Duett Alt, Tenor und Chorral
Er denket der Barmherzigkeit
Und hilft seinem Diener Israel auf.
Predigt - Teil III
Liebe Gemeinde, welch eine Bewegung! Stoßen und erhöhen, leer lassen und füllen, schließlich
gedenken und helfen. Der Lobgesang der Maria erweist sich als ein Lied, das Verhältnisse auf
den Kopf stellt. Aus der Perspektive der Maria stellt Gott sich eindeutig auf die Seite der
Hungrigen, der Gedemütigten, der Kleinen, der Randfiguren, der Armen. Auch aus dem
Matthäus-Evangelium hören wir als Erkennungszeichen: „Armen wird das Evangelium
gepredigt“. Mögen wir darauf warten? Wenn wir das Magnifikat beten, dann beten wir kritisch:
Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Das sind nicht nur
übermütige Worte einer einfachen jungen Frau aus der Provinz. Die Kritik an jenen, die satt
sind, und die dabei die Bedürfnisse der anderen Menschen aus dem Blick verlieren, ist eine
Grundmelodie der Verkündigung Jesu. „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“, sagte Jesus den
Johannes-Jüngern im Evangelium des heutigen Sonntags. Jesus weiß, dass seine Botschaft
sperrig ist und ungemütlich.
Trotzdem gilt seine Botschaft grundsätzlich allen. Einen reichen jungen Mann fordert er einmal
auf: „Verkaufe alles, was du hast und gibt's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel
haben, und komm und folge mir nach!“ Diese Worte Jesu machen den jungen Mann traurig. Er
seufzt, wie schwer das ist. Und die Menschen, die um sie herumstehen und diese Worte hören
fragen: „Wer kann dann selig werden?“ Jesu Antwort: „Was bei den Menschen unmöglich ist,
das ist bei Gott möglich.“ Mögen wir darauf warten? Genau das ist aber auch die Kernaussage
des Magnifikats. Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich. Eine junge
Frau aus der Provinz kann schwanger werden mit dem göttlichen Kind. Die Hoffnung bleibt,
dass die Armen satt werden. Der Lobgesang der Maria ist das Lied derer, die gegen die
Ungerechtigkeit dieser Welt aufbegehren. Singen wir es mit, so, wie es von Generation zu
Generation gesungen wird und halten wir damit die Erinnerung an Gottes Gerechtigkeit wach.
Singen wir es mit und warten wir auf ihn.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft erhalte und bewahre unsere Herzen und
Sinne in Jesus Christus. Amen.
Evangelische Kirche im NDR – www.ndr.de/kirche