WDR 3 Kulturfeature Mein Indien - Karthographie eines Sehnsuchtsorts Musik-Intro Sprecher (Zitate) „Mein Indien ist eine Erfindung. Es hat mit Erfinden, mit Fingieren oder mit Wiederfinden zu tun.“ O-Ton Peter Herbert Indien: viele Farben, und viele Gerüche… Sprecher (Zitate) „Mein Indien ist ein Land, das weit zurückreicht. Es liegt in meiner Kindheit.“ O-Ton Wolfgang Herbert … die Yogis, die heroischen, religiösen Virtuosen, die tollkühne Geisteserkundungen machen. Sprecher (Zitate) „Indien ist ein Kontinent, heißt es. Er harrte und harrt meiner Entdeckung. Es ist ein innerer Kontinent.“ Herbert 2014: 4. O-Ton Peter Herbert Eine Sehnsucht war sicher bei ihm ident, wie bei mir, das ist eben dieses Studieren und dieses Kennenlernen wollen von neuen Dingen und Kulturen, bei ihm ist es Wissen, bei mir ist es vielleicht eher geografisch und musikalisch, aber dort gibt es eine absolut idente Sehnsucht. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Wolfgang Herbert Jeder Tag gibt neue Lernmöglichkeiten. Sowohl in der Kunst des Karate, wo ich selbst in meinem hohen Alter jeden Tag neue Sachen entdecken kann, und in der Meditation, auch dort sind die Tiefen nie, nie, nie ausgeschöpft. Auch das, was mich da hin zieht, dass ich meditieren will, das ist ja auch eine Form von Sehnsucht, und die wird mich nie verlassen. Titel Mein Indien – Kartographie eines Sehnsuchtsorts. Ein Feature von Merzouga. O-Ton Wolfgang Herbert Indien hat mich nicht enttäuscht. Dieser Magnetismus, der ist überhaupt nicht verloren, im Gegenteil. Ich möchte unbedingt wieder und so oft es geht, nach Indien gehen. Ich glaube die Sehnsucht wird mir bleiben bis zum letzten Atemzug. Das hängt damit zusammen, dass der Weg, den ich beschreite völlig unabgeschlossen ist. O-Ton Alexandra Freund Sehnsüchte erfüllen sich nicht. Das ist genau der Knackpunkt an den Sehnsüchten. Sie sind Utopien und als solche nie komplett umsetzbar. O-Ton Wolfgang Herbert Weil wir unsere Wege sehr konsequent gegangen sind, haben wir uns an Orte der Sehnsucht begeben, die ein Versprechen dargestellt haben. O-Ton Alexandra Freund Wir sehnen uns symbolhaft nach etwas, und dieses Symbol kann immer nur teilweise das erfüllen, worum es geht. O-Ton Wolfgang Herbert Für Peter war das New York als Jazzmusiker. Das Versprechen war, dass dort die besten Musiker seiner Generation versammelt sind, und dass er dort musikalisch 2/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. unglaublich imprägniert wird, und etwas für sein Leben mitnehmen kann, und für mich war die Sehnsucht nach Asien zu gehen und in Japan zu leben und zu wirken. Autorin Schwarzweißfotografie 2001. Zwei Männer in dunklen Jeans und nacktem Oberkörper posieren vor einer weißen Leinwand. Peter Herbert blickt selbstbewusst in die Kamera. Das Gesicht glattrasiert. Schulterlanges, leicht gewelltes Haar. Marokkanischer Silberschmuck an beiden Handgelenken, den er auch benutzt, um seinem Kontrabass neue Klangfarben zu entlocken. Er ist gerade aus New York nach Wien geflogen, um den „Hans-Koller-Preis“ in Empfang zu nehmen, den renommiertesten Jazzpreis, der in seiner Heimat verliehen wird. Dicht hinter Peter Wolfgang Herbert. Er hat den athletischeren Körper des Karatekas. Aus Japan ist er nach Wien gekommen, um seinem Zwillingsbruder zu gratulieren. Kurzes Haar, offener Blick. Er lächelt. Sie sind 41 Jahre alt. Bei beiden krümmen sich über Bizeps und Schulter zwei identische Drachen. Ein ZenMeister aus Osaka hat sie in die Haut der Zwillinge gestochen. Die Schlange steht in Japan für das Element Erde. Der Drache, des Fliegens mächtig, verbindet die Erde mit dem Himmel. O-Ton Peter Herbert Mein Name ist Peter Herbert, ich bin Musiker, vornehmlich Kontrabassist und Komponist, Weltreisender mithilfe der Musik, ich hab viele Länder gesehen und viele Sprachen gelernt, auch musikalischer Natur. O-Ton Wolfgang Herbert Mein Name ist Wolfgang Herbert, ich bin von Beruf mit einem Lehrstuhl ausgestattet für Vergleichende Kulturwissenschaften, das ist ein weites Gebiet, wo ich meine vielen Interessen unterbringen kann, ich lebe und arbeite in Japan seit über 25 Jahren... 3/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Alexandra Freund Mein Name ist Alexandra Freund, ich bin Entwicklungspsychologin und als Professorin an der Universität Zürich tätig. Autorin Vorarlberg. Das Haus, in dem die Zwillingsbrüder Wolfgang und Peter Herbert in den frühen 1970er Jahren aufwachsen, liegt im Schatten eines schroffen Berges. Darüber ein Stückchen Himmel, scharf umgrenzt von schwarzen Felsen. O-Ton Peter Herbert (auf Amerikanisch) I was born in the middle of the Alps in Bludenz, and looking at the sky, the sky was very narrow, and all I saw was mountains. For that reason I became a mountain-climber in order to see more of the sky. O-Ton Wolfgang Herbert (auf Japanisch) Sprecher (Voice-Over) Ich komme aus Vorarlberg in Österreich, dem Land, aus dem Mozart kommt, nicht aus dem Land mit den Kängurus. Ich habe lange in Wien gelebt, aber ursprünglich komme ich aus den Bergen. O-Ton Wolfgang Herbert (auf Japanisch bis Ende) Autorin Der unverstellte Blick in die Ferne steht nur demjenigen offen, der sich hinauswagt aus dem Schutz des Tals, dem Kletterer und dem Wanderer. Zuhause wird musiziert, sonntags geht man in die Kirche. Die Mutter ist Geigenlehrerin, der Vater ein ambitionierter Hobbypianist. Es gibt keinen Fernseher. Dafür wird jeden Abend gemeinsam ein Violinkonzert gehört. 4/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Peter Herbert In unserem Elternhaus gab es auch Bücher über Indien, eines ist mir in Erinnerung von Paul Brunton... O-Ton Wolfgang Herbert ... „Von Yogis, Magiern und Fakiren“... O-Ton Peter Herbert ... das hab ich schon als Jugendlicher gelesen. O-Ton Wolfgang Herbert ... der Titel allein war anziehend genug, um alle möglichen Fantasien auszulösen. Autorin Auch in dem Buch von Paul Brunton, in das die beiden Brüder sich vertiefen, ist von einem Berg die Rede. Von dem Heiligen Berg Arunachala in Süd-Indien, von dem Asketen Ramana Maharishi, der dort in einer Höhle gelebt haben soll. In Meditation versunken. Jahrelang. Sprecher (Zitate) „Eine der Anweisungen, die Paul Brunton zum geistigen Wachstum gab, war die sogenannte ‚Erweckung und Pflege höherer Gefühle‘. Dazu zählte er die Beschäftigung mit den schönen Künsten, vorab mit Poesie und Musik. Letztere war in meinem Elternhaus allgegenwärtig und so begann ich, in den Stunden, in denen ich alleine zuhause war, die Schallplatten meiner Eltern aufzulegen.“ Autorin Als Studentin, hatte die Mutter der beiden eine Zeit lang in England gelebt. Das war viele Jahre her. Damals hatte sie einen indischen Freund, der ihr Yogaübungen zeigte, und bei dem sie lernte, wie man Curries kocht. 5/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Wolfgang Herbert Auch meine Mutter dürfte eine Infektion mit Indien mitgebracht haben. Sie hat jeden Morgen Yoga gemacht, das haben wir natürlich mitbekommen. Sie hat aber zu mir gesagt: das ist zu früh für dich, und eine Aussage, wie diese, macht die Sache natürlich doppelt reizvoll. Sprecher (Zitate) „Mendelssohn Bartholdy, Sibelius, Tschaikowsky und Bruch…“ O-Ton Wolfgang Herbert Deshalb habe ich dieses Buch von Paul Brunton auch heimlich aus der elterlichen Bibliothek entführt und gelesen. Und seit ich dieses Buch gelesen habe, kann ich sagen, dass ich Richtung Orient orientiert worden bin. Diese Asien-Umpolung ist in meiner späten Pubertät passiert, und die ist auch geblieben. Autorin Während die Mutter nebenan Yoga macht, versucht Wolfgang morgens auf dem Kopfkissen zu meditieren. Sprecher (Zitate) „Ich ließ mich ganz von der Musik umhüllen und erfüllen, ließ mich schmelzen und verschmelzen mit den Tönen. Ich schwelgte in diesen Gefühlsüberschwemmungen und vermeinte, sie seien Ausdruck eines mystischen Verlangens nach Vereinigung mit dem Göttlichen.“ Herbert 2014: 15. Autorin Kurze Zeit später beginnt er mit Karate. 6/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Alexandra Freund Warum haben wir Sehnsucht? Eine Funktion und auch ein Ursprung der Sehnsucht aus unserer Sicht ist, dass Sehnsucht eine Form ist, zu versuchen die Unvollkommenheit, die wir immer haben, in jedem Leben, zu transzendieren und mit der Sehnsucht vollkommen zu machen. Autorin Farbfotografie 1978. Blick ins Wohnzimmer. Orange- und Brauntöne. Am Ende der schmalen Zimmerflucht ein schwarzes Klavier. Stapel von Büchern und Noten. Eine Lampe mit schief sitzendem Schirm. Vor dem Klavier ein Sofa, gehäkelte Decke, die sorgfältig arrangierten Zierkissen zitronengelb. Das Tischtuch des Sofatischchens im selben Blümchen-Muster wie die Tapete. Auf dem Tisch eine Uhr und frische Glockenblumen aus dem Garten. Im Vordergrund: Wolfgang Herbert. Der 18-Jährige ist Junior Staatsmeister im Karate. Den nackten Oberkörper leicht zur Seite gedreht, jeden Muskel angespannt, steht er mitten im Raum. Entschlossener Blick, die Augenbrauen zusammengezogen. Ruhe strahlt aus diesem Gesicht und höchste Konzentration. Der ausgestreckte Arm schnellt durch das Bild. Am schärfsten Punkt des Fotos die geballte Faust, die eine unsichtbare Ziegelwand durchschlägt. O-Ton Alexandra Freund Aufgrund der kognitiven Komplexität, die Sehnsucht impliziert, kann man davon ausgehen, dass Sehnsüchte erst im Jugendalter auftreten. In der Kindheit sind es eher Fantasien, Wünsche, Träume. Aber diese Form des Bitter-Süßen, das Gefühl „Mir fehlt etwas“, die tritt erst auf, wenn man das, was wir in der Psychologie „kontrafaktisches Denken“ nennen, entwickelt hat. Ich muss wissen, dass es eine Realität geben könnte, die nicht die tatsächlich gegenwärtige ist. Und die muss ich dagegensetzen können, und daraus ergibt sich dieses Gefühl, das wir Sehnsucht nennen. 7/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Autorin Peter Herbert widmet jede freie Minute dem Klettern. Drei, vier Stunden täglich trainiert er, keine Wand ist ihm zu steil. Er klettert ohne Seil und Haken. Free-Climbing wird seine Obsession. Bis er eines Tages in einer Steilwand danebengreift und abrutscht. Zwanzig Meter stürzt er in die Tiefe. Er ist 20 Jahre alt. Unverletzt übersteht er den freien Fall. Er wird nie wieder klettern. Stattdessen widmet er seine ganze Aufmerksamkeit dem Kontrabass, schafft die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule in Graz. Fokussiert und diszipliniert wie beim Klettern widmet er sich der Musik, um sich neue Horizonte zu erschließen. MUSIK-INTERMEZZO „Klettern zu Kontrabass“ O-Ton Alexandra Freund Es gab lange das Diktum, dass so um die dreißig unsere Persönlichkeit feststeht, wir uns eigentlich nicht (mehr) entwickeln, und dann gibt es im hohen Alter Abbauprozesse. Paul Baltes, damaliger Direktor des Max-Planck-Instituts, hat dieses Diktum angezweifelt und umgedreht: Nein, wir entwickeln uns das ganze Leben lang weiter, ganz hegelianisch, es gibt gewisse dialektische Figuren, an denen wir uns abarbeiten, und Sehnsüchte sind solche dialektische Figuren, die uns als Menschen individuell weiterbringen in unserer Persönlichkeitsentwicklung, vielleicht hin zur Weisheit, und die ein Stückchen der Perfektion auch in die Gegenwart hineinbringen können. O-Ton Peter Herbert Ich kenne niemanden so lange wie meinen Zwillingsbruder, wir waren lange gemeinsam in der Schule, haben von unserer Mutter verordnet sehr lange die identischen Kleider getragen, wir wurden oft verwechselt. Mein Bruder hat sogar, nachdem er in der Schule viel besser war, als ich, auch mündliche Prüfungen für mich gemacht, weil der Lehrer uns nicht unterscheiden konnte. Unsere Wege haben sich dann getrennt, er war sportlich sehr intensiv mit Karate beschäftigt, ich war sportlich sehr mit Klettern beschäftigt, zwei diametral entgegengesetzte Tätigkeiten. 8/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Alexandra Freund Das Jugendalter ist auch das Alter, wo man dann Autonomie anstrebt, wo man seine Identität gerade als Teil eines Zwillingspaares durch Abgrenzung versucht zu etablieren, und ich könnte mir vorstellen, dass man dann entweder auf dieser gemeinsamen Trajektorie weitergeht, oder auch genau das Gegenteil macht, sich ganz stark davon abgrenzt, und den Sehnsuchtstopos vielleicht einem von beiden überlässt, aber nicht unbedingt gemeinsam weitergeht. O-Ton Peter Herbert Unsere Lokalitäten sind sehr weit auseinandergedriftet, bei ihm Japan und bei mir ganz lange New York, und da gab es aber doch Momente, nachdem wir uns monatelang nicht gehört haben, meldet man sich intuitiv wieder und findet heraus, dass es dem einen oder dem anderen gerade nicht so gut geht. Das war fast telepathisch. Oder so Kleinigkeiten: man geht am selben Tag zum Friseur, zum Beispiel, ohne sich abzusprechen, der eine in New York, der andere in Osaka. Autorin Schwarzweißfotografie 1962. Sepiafarben leuchten die weißen Strickjäckchen der Zwillinge in der Frühlingssonne. Sie sind zwei, vielleicht zweieinhalb und stehen im Garten vor einem Schaukelpferd. Beide in Lederhosen und Gummistiefeln. Die Hufe des Holzpferds, das Peter am Zügel hält, sind fest mit einem Brett auf zwei Kufen verschraubt. Es überragt den Kopf des Jungen um ein paar Zentimeter. O-Ton Wolfgang Herbert Mein Bruder ist im Wesentlichen ein Seelenbruder. Egal, was wir äußerlich treiben, er ist Musiker, ich bin Wissenschaftler, und, wenn wir von Sehnsucht reden, vermute ich, dass wir dasselbe Ziel haben. Sein Interesse an Indien war auch immer da, und wir haben uns über Meditation und all diese Dinge immer sehr intensiv ausgetauscht. Es gibt viele Dinge, die uns auf seelischer Ebene verbinden und ewig verbinden werden. 9/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Autorin Die Mähne vom Wind zerzaust, blickt das Holzpferd in Peters Richtung über den akkurat gemähten Rasen. Peters Blick konzentriert, seine Hand, die das Zaumzeug führt, ist in Bewegung. Sein Zwillingsbruder Wolfgang blickt auf einen Strohhalm in seiner Hand - Futter für das Holzpferd. Hinter dem Gartenzaun läuft eine Häuserzeile – Spitzdach an Spitzdach - auf den dunklen Bergrücken zu. MUSIK-INTERMEZZO „Sehnsucht“ O-Ton Alexandra Freund Sehnsucht ist ein umfassendes und breites Phänomen des menschlichen Erlebens, das wir aus einer wissenschaftlichen Perspektive versucht haben, anhand von verschiedenen Kriterien zu definieren, und zwar als ein Gefühl, das sehr intensiv sein kann, das bitter-süß ist, das sich auf perfekte Zustände bezieht, auf die Vorstellung oder eine Utopie, wie das Leben, wenn es perfekt wäre, aussehen würde. O-Ton Peter Herbert Ich war gerade vor einem Monat in Marokko, habe Aufnahmen mit meinem guten Freund Loy Ehrlich gemacht. Bei diesen Aufnahmen hat er hauptsächlich Rabab gespielt, das ist dieses einsaitige Geigen-Instrument, das wahrscheinlich dem Sound der Sahara am nächsten kommt - wenn man Musik damit verbindet, mit dieser Stille, mit dieser Weite, mit dieser Kälte, mit dieser Hitze. Die Rabab hat eine wahnsinnige Magie. Das ist tatsächlich ein absolutes Sehnsuchtsinstrument. O-Ton Alexandra Freund Auf der imaginären Ebene erlaubt uns die Sehnsucht für einen vorübergehenden kurzen Zustand ein perfektes Leben zu haben, dann kommen wir da leider wieder heraus, und dann ist das Leben wieder imperfekt. Aber für diesen Moment haben wir’s, in dem wir in dieser Sehnsucht schwelgen. Das ist der Grund, warum Personen Sehnsüchte willentlich herbeiführen, sich in bestimmte Stimmungen versetzen, sich bestimmte Fotografien anschauen, Musik anhören, also ganz bewusst solche Sehnsüchte aufsuchen, weil es ihnen diesen Moment des Eintauchens in dieses Ganze gibt, was das Leben sein könnte. 10/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Peter Herbert Ich habe die Wüste oft erlebt, und wahrscheinlich ist es diese Stille, die dort herrscht, und dieses komplett auf-sich-gestellt-sein, oder mit-sich-sein - das hat eine wahnsinnige Anziehung, und eine irritierende Entschleunigung. Es dauert ein paar Stunden, wo man seine europäische Unruhe ablegen kann, und nach ein, zwei Tagen braucht man gar nichts mehr. Weder Internet, noch Handy, noch sonst irgendwas, dann ist man völlig glücklich mit dieser Stille und mit dieser Einsamkeit. O-Ton Alexandra Freund Die Sehnsucht ist im Unterschied zur Nostalgie, beispielsweise, oder auch zum Bedauern nicht nur auf die Vergangenheit bezogen, sondern hat etwas, je nachdem wie man es sehen will, entweder Zeitloses, oder umfasst Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. O-Ton Peter Herbert Manchmal gibt es auch die Sehnsucht nach Melancholie, zum Beispiel. Und dann schreibt man ein Stück Musik, das diese Melancholie reflektiert. Oder es gibt die Sehnsucht nach Ausgelassenheit. Das sind emotionale Sehnsüchte, die man eins zu eins in die Musik verarbeiten kann. O-Ton Wolfgang Herbert Ich habe beschrieben, dass es diese spirituelle oder religiöse Sehnsucht gibt, und das ist, glaube ich, die sublimste Form davon, und die manifestiert sich auf unserer Ebene in allen möglichen anderen Sehnsüchten. O-Ton Alexandra Freund Die Funktion ist, glaube ich, wirklich diese Richtungsgebung. Was ist mir so zentral, dass ich darüber Sehnsüchte habe, von dem ich versuchen sollte mehr in mein Leben einzubringen. Und wohin sollte ich mich orientieren? Das gibt keine konkreten Handlungsschritte vor, sondern ganz allgemeine Richtungen. Es ist ja häufig auch so, dass Sehnsucht beschrieben wird als so ein drängendes Gefühl, mich drängt es irgendwo hin. 11/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Autorin Filmsequenz: „Peter Herbert – A Portrait in Music“ 1999. Rhythmisches Kontrabass-Ostinato. Leere Quinten. Peter Herbert vor einem rostig, silbergrauen 1976er – Cadillac. Er blickt auf das Auto und lacht. Schwarzes T-Shirt, schwarze Jeans. Der tätowierte Drache auf dem rechten Oberarm. „FOR SALE“ steht auf der Windschutzscheibe. Schnitt. O-Ton Wolfgang Herbert Sehnsucht kann sich in sehr verschiedenen Formen manifestieren, das ist ein Hingezogen sein, ein Hingedrängt werden zu Menschen, Ideen, Künsten, Schönheit und anderen abstrakten Dingen, die einem das Leben verschönern. Autorin Schnitt. Peter Herbert am Steuer des Cadillacs. Die Linke lenkt, mit der Rechten zündet er sich eine Zigarette an. Schnitt. Fahrt über die Brooklynbridge. Die Lichter der entgegenkommenden Autokolonnen wie Lampions vor dem silbergrauen Abendhimmel. O-Ton Alexandra Freund Sehnsucht ist ein Phänomen, bei dem viele sagen würden, man weiß, wenn man sie hat, man spürt sie, aber sie zu definieren ist ganz schwierig. O-Ton Wolfgang Herbert Das zu definieren ist deshalb schwierig, weil das ein Gefühl ist, das dich irgendwo hin zieht, und oft sogar den reflexiven Begleiter auf der Strecke lässt. Das kann passieren, 12/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. wenn man sich verliebt, und das passiert in anderer Weise in der mystischen Sehnsucht. Nur geht es da eben nicht darum, die Rationalität abzulegen, sondern die Rationalität zu überschreiten, und aufzuheben im Hegelschen Sinne, d.h. man ist auf einer anderen Stufe, aber die Rationalität ist immer noch verfügbar. Autorin Schnitt. Heller Tag. Blick über die Dächer. In der Ferne die Twin-Towers des World Trade Center. Schnitt. In der Mitte eines Flachdachs, von Schornsteinen umgeben, spielt Peter Herbert seinen Kontrabass. Um ihn herum: der Lärm der Großstadt. O-Ton Alexandra Freund Ziele beschreiben bestimmte Endzustände, die man erreichen oder vermeiden möchte, durch bestimmte Handlungen. Bei einer Sehnsucht ist es letztendlich nie erreichbar, es ist die Utopie dessen, was ich damit verbinde, es ist vager, insofern, als, selbst wenn ich diesen Zustand erreicht habe, habe ich immer noch nicht meinen Utopie Sehnsuchtszustand erreicht. Autorin Schnitt. New Mexico. Eine asphaltierte Straße, schnurgerade bis zum Horizont. Links und rechts davon die Wüste. Schnitt. Er schleppt seinen Kontrabass über das dürre Steppengras. Schnitt. Gelb und Beigetöne. In der Ferne ein einsamer Berg. Verloren in der Leere der Landschaft spielt Peter Herbert seinen dunkelbraunen Kontrabass. 13/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Um ihn herum: die Stille der Wüste. O-Ton Alexandra Freund Ziele sind nicht ambivalent, sondern eindeutig positiv besetzt, das sind Zustände, die will ich wirklich erreichen. Sehnsüchte haben dieses bittersüße, dieses Ziehen, das ich gleichzeitig in der Brust spüre. Autorin Peter Herbert studiert mit einem Fulbright-Stipendium an der renommierten Berklee School of Music in Boston. Nach seinem Abschluss zieht er weiter nach New York, damals das Epizentrum zeitgenössischer Jazzmusik. 15 Jahre lebt er an der Lower- East-Side in Manhattan, entwickelt sich zu einem gefragten Musiker der Downtown-Szene. Er spielt auf über Hundert Alben, unter anderem mit Art Blakey oder Paul Simon und tourt auf der ganzen Welt. Bis die Begegnung mit dem arabischen Musiker und Komponisten Marcel Khalifé seine Sehnsucht nach dem Orient erneut anfacht. O-Ton Peter Herbert Die Tournee war in zwei Wochen, und ich krieg einen Anruf von Simon Shaheen, „Hey Peter, can you play with us? Rehearsal is tomorrow in Brooklyn.“ Und dann bin ich in dieses Wohnzimmer in Brooklyn gegangen, und dort war eben dieser Simon Shaheen und Marcel Khalifé und sein Sohn Bashar. Marcel hat kein Wort Englisch gesprochen, und dann ging gleich die Probe los, auch mit den ganzen Vierteltönen. Ich hatte keine Ahnung, und es war eigentlich ein Desaster, aber mit dem Marcel hab ich mich intuitiv sofort großartig verstanden. Er sagt immer „la langue des yeux et du coeur“, also „die Sprache der Augen und des Herzens“. Ich konnte wirklich nur ein paar Worte französisch, ich bin im dem Bus neben Marcel gesessen, und der Marcel hat mir seine ganze Geschichte erzählt. Also Bürgerkrieg, Flucht und Exil nach Paris. Ich konnte nur sagen, „ah, oui?“, „c‘est vrai?“ und „c’est ne pas possible“, das war mein Vokabular damals. Aber dieses Geschichtenerzählen hat uns sehr verbunden. Und nach dieser Konzert-Tournee war ich der ständige Bassist von Marcel Khalifé bis vor zwei Jahren, als diese ganzen Revolutionen wieder begonnen haben in all den Ländern, in denen wir sehr oft waren, also Syrien inklusive und Ägypten, Tunesien und Jemen. 14/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Autorin Peter Herbert lernt französisch, zieht nach Paris, wo auch Marcel Khalifé lebt. Mit dem Trio Khalifés spielt er in arabischen Ländern vor Hunderttausenden in Stadien und Arenen. MUSIK-INTERMEZZO „Orient“ Autorin Wolfgang vertieft seine meditativen Experimente, die er als Jugendlicher im Schneidersitz auf dem Kopfkissen begann, und praktiziert weiterhin täglich Karate. Sprecher (Zitate) „Das Wort Meditation stammt aus einer Wortwurzel, die im deutschen messen steckt. Den Raum des Geistes ausmessen, die Grenzen des Denkens ermessen, bis ins Unermessliche vorstoßen, das alles ist Meditation.“ Herbert 2014: 2. Autorin Er zieht von zuhause aus, beginnt in Wien Philosophie zu studieren... Sprecher (Zitate) „Philosophie nährt sich vom Staunen, vom skeptischen Blick auf das Gegebene, dem Zweifel am Hergebrachten und auch von der Scheu oder gar Ohnmacht, die einen befällt angesichts der Dimensionen des Kosmos und der – im Vergleich dazu – radikalen Hinfälligkeit des Menschseins.“ Herbert 2014: 1. Autorin Er versucht es mit katholischer Theologie… 15/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Sprecher (Zitate) „Es sind die Fragen nach den letzten Dingen, die uns keine Ruhe lassen, und auf die eine ehrliche Wissenschaft nur mit Agnostizismus antworten kann: dem Eingeständnis des Nicht-Wissen-Könnens.“ Herbert 2014: 2. Autorin Er schreibt sich für Vergleichende Kulturwissenschaften ein… Sprecher (Zitate) „Ich höre Vorlesungen über die vedische Religion. Ich lese die Bhagavad Gita. Ich lasse mich vom Leben und von der Lehre Buddhas beeindrucken.“ Herbert 2014: 6. Autorin … landet schließlich bei der Japanologie und promoviert. Am Institut für Ostasienwissenschaften verliebt sich Wolfgang Herbert in eine Japanerin. Sie bekommen ein Kind, und beschließen nach Japan zu ziehen. Dort setzt er seine kulturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem fernen Osten fort, arbeitet an der Universität von Tokushima über japanische Themen, wie Zen und Tattoo. Buddhismus wird einer seiner Forschungs-Schwerpunkte. Jetzt lebt er auf einer Insel, um ihn herum das weite Meer. Sein Sehnsuchtskontinent und der heilige Berg Arunachala, der Sehnsuchtsort seiner Jugend, liegen nun im Westen. O-Ton Wolfgang Herbert Dieses Schlüsselwerk von Paul Brunton hat meinen ganzen Kompass nach dem Orient umgepolt. Und diese Umpolung war von massiver Natur, und die ist geblieben. Das war immer mein Leitfaden. Das Karate war ein anderes Moment, das die Polung dann noch etwas weiter, in den Fernen Osten mit sich gebracht hat, wodurch ich in Japan gelandet bin. Aber meine 16/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. wissenschaftlichen Dinge, die ich über Japan mache, vor allem meine Beschäftigung mit dem Buddhismus, ist eine, die ja wiederum nach Indien zurückführt, weil der Buddhismus von dort kommt. Autorin Jahrelang scheitert der Versuch, gemeinsam nach Indien zu fahren, an den dichten Terminkalendern der beiden. Sie geben den Wunsch nicht auf, und schließlich gelingt es den Zwillingsbrüdern gemeinsam den Sehnsuchtsort ihrer Jugend, den Heiligen Berg aus Paul Bruntons Buch mit den „Yogis, Magiern und Fakiren“, zu besuchen. O-Ton Wolfgang Herbert Und das ist in der Tat mein Sehnsuchtsort gewesen und geblieben, dieser Arunachala oder Annamalai, dieser Heilige Berg, wo der archetypische Weise Ramana Maharishi gelebt und gewirkt hat. Diese mächtige Anziehungskraft hat Indien nie verloren. Autorin Eine Farbfotografie. Die Reisenden vor einer hellblau gestrichenen Wand. Peter lehnt sich an die rechte Schulter seines Zwillingsbruders. Das T-Shirt hellgrün und ausgebleicht von der Sonne, die Ärmel hoch geschoben. Sein ungekämmtes Haar im Ansatz grau, silbern hebt sich der kurze Bart ab vor der tiefbraunen Haut. Die buschigen Augenbrauen verraten seine alpenländische Herkunft. Das Gesicht ernst und entspannt, die blau-grünen Augen lächeln. Wolfgangs Haar, zurückgekämmt, ist länger und grauer, als das seines Bruders. Der Kragen des mangofarbenen Polo-Shirts ist gebügelt. Er lächelt, und sein Blick verrät Wachheit, Offenheit, Neugier. Man sieht, dass sie Brüder sind, aber man würde sie nicht mehr verwechseln. O-Ton Peter Herbert Wir haben uns in Chennai getroffen, er kam aus Japan, ich kam aus Paris, glaube ich, wir trafen uns in einem Hotel, und am nächsten Morgen sind wir mit dem Bus nach 17/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Tiruvannamalai gefahren und sind jeden Tag in diesen Ashram gegangen zum sogenannten „Sitzen“, also einfach meditieren. Und von dem Hotel in den Ashram war es ein Fußweg von einem Kilometer, und dieser Fußweg alleine war schon ein Universum für sich. Man geht an anderen Tempeln vorbei, es sitzen viele „Sanyassins“ an der Straße, und die ganzen Tiere, Kühe und Affen, die laufen unbekümmert frei herum. Und auch sehr viel Müll. Ja, diese vielen bunten Farben. Alleine dieser Fußweg war umwerfend. Sprecher (Zitate) „Tiruvannamalai - Eine Tempelstadt am Fuße des Arunachala, eines, den Indern hochheiligen Berges von imposanter Gestalt. Dort hat der als großer Weiser verehrte Shri Ramana den Großteil seines Lebens verbracht. Nach Jahren des In-Sich-gekehrtSeins hauste er vorerst in der Höhle eines Heiligen aus dem Mittelalter. Später errichteten ihm seine Anhänger eine Wohnstätte wenige Meter über dieser Höhle mit einem Baumhain und einer Quelle. Shri Ramana hingegen lehnte jede Überhöhung seiner Gestalt ab, nicht einmal ein Guru wollte er sein. ‚Der wahre Guru liegt in Euch selbst‘, pflegte er zu sagen.“ Herbert 2014: 57f O-Ton Wolfgang Herbert Wie kleine Lichtlein am Sternenhimmel ist Indien übersät mit diesen Ashrams, wo irgendwelche lokale, kleine Gurus und Lehrer wirken. Und es gibt diese alte Tradition, die so lebendig ist, nämlich der Welt zu entsagen. Es gibt eben diese Millionen von Saddhus in Indien, nach wie vor, viele sind einfach Bettler, oder nicht unbedingt einer sehr, sehr strengen Askese oder spirituellen Übung verpflichtet. Trotzdem habe ich viele Saddhus erlebt, die ein Blitzen in den Augen haben, die eine Form von Freiheit ausstrahlen, die verführerisch wirkt auf mich. Das war immer schon eine Fantasie, dass ich einmal das mönchische Wanderleben ausprobieren möchte. Das ist ein ganz gefährliches Berufsbild für mich (lacht). O-Ton Peter Herbert Das hat sämtliche Erwartungen übertroffen. Diese Kombination aus Gerüchen, dieses „Liveelement“ hat so eine Intensität, so eine Dichte, so eine Fülle und Buntheit, die ist einzigartig. Ich kenne kein einziges Land, wo das so ausgeprägt ist, wie in Indien. Die Großstadt ist extrem laut, der Verkehr ist ein komplettes Chaos. Das macht auch das aurale Spektrum viel bunter als in New York oder in Istanbul. Und dieser Aspekt hat 18/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. mich immer interessiert: Wie klingen verschiedene Städte und wie klingen diese Kulturen? Sprecher (Zitate) „Abends nach dem raschen und nahezu dämmerungslosen Einbruch von Dunkelheit gehen wir durch die Straßen und durch das Getümmel in den Märkten. Eigenartig, aber ich fühle mich bei weitem weniger fremd, als in Japan. Der Weiße ist halt auch da. So wie der Nordinder, der sein Hemd säuberlich in die von einem Gürtel gehaltene Hose gesteckt hat, wie der Muslim, mit seinem weißen, fein gestickten Käppi, wie der Wandermönch mit seinem Stock, dem Essgeschirr und dem grimmigen Blick. Indien ist so reich, so vielfältig, so ‚Multi Kulti‘, dass wir unter der Auffälligkeitsschwelle bleiben.“ O-Ton Wolfgang Herbert Bei Indien scheitert man nahezu an der Sprache, wenn man diese Fülle – rein optisch – einfangen möchte, und dann diese unglaubliche Geistestradition, die so viele Facetten in sich trägt. Sprecher (Zitate) „Ich gehe jeden Tag in den Ashram, setze mich dort hin und kontempliere. Ein ruhiges Behagen erfüllt mich. Nur morgens werden die Veden von jungen Brahmanen rezitiert, (...) sonst herrschen Stille und Einkehr.“ O-Ton Wolfgang Herbert Indien ist eine Chiffre. Für mich für alles, was mit tiefem religiösen Erleben, mit Mystik und mit experimenteller Religionswissenschaft zusammenhängt. Es gibt ein paar stereotype Bilder, die seit der Antike wiederkehren, und die von den verschiedensten Autoren aufgegriffen und ausgeschmückt worden sind, von vielen, die gar nicht im Lande waren. Das heißt, das war immer mit Erfindungen, Fiktionen und Fantasien verbunden, dieses Imago, das Indien darstellt. Und von diesem Imago, also eigentlich nicht vom wirklichen Indien, bin ich ursprünglich angezogen worden. Das war die große Attraktion. 19/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Sprecher (Zitate) „Mein Indien ist eine Erfindung. Es hat mit Erfinden, mit Fingieren oder mit Wiederfinden zu tun. Mein Indien ist ein Land, das weit zurückreicht. Es liegt in meiner Kindheit.“ Herbert 2014: 4. O-Ton Wolfgang Herbert Aber es waren nicht nur die Bilder. Die Bilder waren natürlich ein wichtiger Teil. Die Tatsache, dass ich mit diesen meditativen Wegen begonnen habe zu experimentieren, das hat mir diesen spirituellen oder religiösen oder letztlich romantischen Teil Indiens erschlossen. Sprecher (Zitate) „Indien ist ein Kontinent, heißt es. Er harrte und harrt meiner Entdeckung. Es ist ein innerer Kontinent.“ O-Ton Wolfgang Herbert Ich sage immer im Scherz, dass ich beruflich und familiär mit Japan verheiratet bin, aber meine Mätresse ist immer Indien geblieben. Und über diese meditativen Experimente hinaus war es mir auch ein Anliegen diesen Berg zu besuchen, der mich dazu angestiftet hat und zu sehen, was das mit mir macht. Autorin Es wird ein bunt bemalter, verbeulter Bus gewesen sein, der die Reisenden bis an die äußerste Südspitze des Subkontinents gebracht hat, bis an Indiens „Land’s End“. Man kann sie sich vorstellen: Verschwitzt und müde steigen sie aus. Nachmittagshitze. Die staubige Straße leergefegt. Gemächlichen Schrittes ziehen sie los. Schwarz-weiß gefleckte Ziegen im Schatten eines Banyan-Baums, die verstreuten Müll nach Essbarem durchsuchen. Die Straße im Rücken bleiben sie stehen. Vor ihnen: der Ozean, der Himmel, das unermessliche Blau. 20/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Sprecher (Zitate) „Die Südspitze Indiens gleicht einem Schiffsbug: Ringsum Wasser, Weite, Wind. Der Indische Ozean, die Arabische See und der Golf von Bengalen finden hier zusammen. Das Ineinanderströmen dieser drei Meere ist ein Schauplatz von gigantischer Schönheit. Die Weite, die sich auftut, lässt etwas von Unendlichkeit erahnen. Ich werde von einer sonderbaren Stimmung des Angekommen- und zugleich Ausgesetztseins erfasst: hier geht es endgültig nicht mehr weiter, die hier Gelandeten sind Gestrandete, es gibt nur noch ein Zurück, aber kein Voran mehr.“ O-Ton Peter Herbert Früher oder später stellt sich die eigene Identität zur Debatte. Du studierst irgendetwas, oder du begibst dich hundertprozentig in ein anderes kulturelles Umfeld. Vielleicht schreibt man Musik in diesem Genre und kann das ganz gut kopieren, aber irgendwann stellt sich der Moment ein, wo man anfängt nachzudenken: Wo komme ich eigentlich her? Autorin Wien 2015. Der plötzliche Tod des Vaters hat die Brüder in Österreich zusammengebracht. Es ist ein spontaner Moment des Innehaltens, des Reflektierens. Verabredung zum Interview in verschiedenen Kaffeehäusern. Noch so ein Sehnsuchtsort. Wenn man so lange in New York und in Japan gelebt hat, trifft man sich in Wien natürlich im Kaffeehaus. Aber auch die sprichwörtliche Ruhe des Wiener Cafés entpuppt sich als Utopie. Es ist voll, hektisch und laut. „Das passt zu Indien“, sagt Wolfgang Herbert, „man sucht die Stille und findet den Lärm.“ O-Ton Wolfgang Herbert Wie soll ich das beschreiben, mit den Ländern, das gilt ja auch für Indien, diese Faszination, die man mit einem exotischen oder fremden Land in sich trägt, die führt wie bei einer Verliebtheit - dazu, dass man im Anfangsstadium alles im rosigen Licht sieht, und die negativen Seiten überhaupt nicht wahrnimmt. Das ist wunderschön, aber der Zustand hält natürlich nicht an. 21/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Alexandra Freund Entweder kommt dieses Gefühl der Ernüchterung, dass es nicht diese Erfüllung gibt, von der ich dachte, dass es sie mir gibt, also ich habe eben nicht das perfekte Leben, ich habe meine Utopie nicht erreicht. Es gibt dann zwei Möglichkeiten, entweder ich transformiere diese Sehnsucht, dann hefte ich die Sehnsucht an das nächste Sehnsuchtsobjekt. Dann ändert sich im Prinzip relativ wenig. Oder man kommt durch die Konfrontation mit der Realität dazu, nochmal zu reflektieren: Worum ging es hier eigentlich? Das ist ja auch in Beziehungen oft so, nach der ersten Verliebtheit diese Ernüchterungsphase, der andere macht mein Leben auch nicht perfekt,… O-Ton Wolfgang Herbert Das erste Jahr in Japan war für mich alles so glänzend und faszinierend, und irgendwann wie ich mit den Realitäten des Alltags konfrontiert war, ist der Glanz immer matter geworden. Und dann gibt es einen Realitätsschock, einen Blues, weil diese Verliebtheit sich auflöst, und viele Dinge sich nicht eingelöst haben. O-Ton Peter Herbert Grundsätzlich geht es darum, dass man sich über längere Zeit mit einem anderen Kulturraum auseinandersetzt, sich in diesen Kulturraum begibt, die Sprache lernt, den Humor lernt, das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil von Kultur, die Gerüche vor allem und die Speisen und überhaupt, wie leben die Menschen dort? Was gibt es dort für soziale Systeme? Und wie funktionieren sie? Das finde ich extrem spannend. Diese Suche nach der eigenen Identität und auch das, was die anderen Kulturen mit dir machen und an dir verändern. O-Ton Alexandra Freund Die Idee der Narrative stammt von Dan McAdams, und ich stimme ihm zu in dieser Konzeptualisierung von Identität. McAdams geht davon aus, dass die Lebensgeschichte eine ganz wichtige Ebene von Identität darstellt. Wer bin ich eigentlich? Ich bin der oder die, zu der ich geworden bin, durch meine spezifische Lebensgeschichte. 22/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Auch hier geht man davon aus, dass es nicht die tatsächlich objektive Lebensgeschichte ist, sondern die von mir rekonstruierte, oder sogar konstruierte Lebensgeschichte. Und die folgt ganz bestimmten Figuren, die nachher meine Identität ausmachen. O-Ton Wolfgang Herbert Unterm Strich ist die Wahl, dass ich in Japan lebe sicher die richtige gewesen. Und ich genieße auch meinen Status des Nichtjapaners, also des Fremden. Ich werde natürlich als Ausländer wahrgenommen, nachdem die ethnische Homogenität in Japan ja sehr hoch ist. Das ist ein Schwebezustand, den ich sehr mag. In vielen Lebensgewohnheiten und vielleicht auch Denkgewohnheiten gibt es tatsächlich Abfärbungen, die mich stark prägen. O-Ton Alexandra Freund Eine ganz klassische Figur dieses Narrativs ist, dass schmerzhafte Erfahrungen ins Positive gewendet werden, und das ist eine kulturell stark verankerte Figur, die aus dem Christentum stammt: Durch Leiden entsteht etwas Positives, und ich kann etwas Negatives in etwas Positives ändern. McAdams geht davon aus, dass wir diese Lebensgeschichte nicht nur anderen Personen erzählen, sondern dass wir uns die auch selbst erzählen. O-Ton Wolfgang Herbert Es ist völlig unmöglich als weißer Ausländer in Japan unterzutauchen oder auch völlig akzeptiert zu werden. Eine volle Assimilation ist nicht möglich, weil die Japaner es nicht zulassen, und auch von mir gar nicht gewünscht. Diese gesunde Distanz möchte ich immer behalten. Es gibt gewisse Denkformen, Traditionen, aus meinem kulturellen Umfeld mitgenommene Gewohnheiten, die ich unter keinen Umständen ablegen möchte. O-Ton Alexandra Freund Selbstreflexion wird häufig durch Sehnsucht angeregt. Warum denke ich mir fehlt da was? 23/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Wolfgang Herbert Ich brauche meinen jährlichen Europa-Aufenthalt aus psychischen Gründen, um die Balance zu halten. Wenn ich in Japan gestrandet und festgelegt wäre, das wäre schlimm. Da krieg ich schon einen Koller. Und im Spaß sage ich „Escape from Alcatraz“, wenn ich nachhause fahre (lacht). O-Ton Peter Herbert Die Sehnsucht war eher musikalischer Natur. Vorarlberg nie. In Amerika gab’s irgendwann einen Punkt, wo ich wieder sehr Sehnsucht nach europäischer klassischer Musik, sprich Wiener Schule, gehabt habe. Da habe ich viel Strawinsky und Alban Berg studiert. Das war intuitiv meine Identität, und das habe ich dann wieder einfließen lassen in meine eigenen Projekte und Kompositionen. O-Ton Wolfgang Herbert Es ist inzwischen so, dass ich mich, wenn ich nach Österreich zurückkomme, auch zu einem großen Grade fremd fühle. Das heißt diese Fremdheit ist jetzt auf beiden Seiten gegeben. O-Ton Peter Herbert Sehnsucht verbinde ich am meisten mit Menschen, und nicht mit Orten. Da spielt für mich auch der Heimatbegriff hinein. O-Ton Wolfgang Herbert Dieses Fremdsein bringt gleichzeitig mit sich, dass ich auf der ganzen Welt zuhause bin. Wenn ich nach Indien gehe, dass ich dort von den Leuten angeschaut werde und nicht wirklich hineinpasse, das ist mir völlig vertraut. Ich gehe überall hin und bin überall zuhause, weil dieses Gefühl mich permanent begleitet. O-Ton Peter Herbert Die Orte, nach denen ich mich sehne sind tatsächlich die Orte, wo Menschen sind, die mir sehr wichtig sind. 24/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Autorin Farbfotografie 2015. Ein Schnappschuss: die Zwillingsbrüder stehen vor dem Bücherregal in einer Wiener Altbauwohnung, die sie seit Studententagen mieten. Sie neigen sich über das Buch „Von Yogis, Magiern und Fakiren“, das Wolfgang gerade aus dem Regal gezogen hat. Sie sind 55 Jahre alt. Ihr Haar ist grau und lichtet sich. Sie lächeln. Angeschnitten im Bildvordergrund Peters Kontrabass. Kabel. Ein Mikrophon. Rechts Wolfgangs Schreibtisch. In einem aufklappbaren Medaillon ein kleines Foto von Ramana Maharishi, dem Weisen vom Arunachala. Den Sehnsuchtsort seiner Kindheit, oder das, wofür er steht, führt stets mit sich, egal ob er in Japan unterwegs ist, in Österreich, Indien oder sonst wo auf der Welt. Sein Koffer steht bereit. Morgen geht es zurück nach Japan. O-Ton Wolfgang Herbert Es gibt keine Sehnsüchte in materieller Form, dass man sagt, ich habe nie einen Mercedes gefahren, und das muss ich noch haben, bevor ich sterbe. Aber was meine Wissbegier und meine Neugier, und auch die Erforschung des inneren Kontinents, also diese ganze Geistesakrobatik angeht (lacht), das ist eine unauslöschliche Sehnsucht, die mich bis zum Schluss antreiben wird. O-Ton Peter Herbert Mir war immer extrem wichtig das zu tun, und die richtigen Entscheidungen zu treffen, was mir im Moment am wichtigsten war. Und das unabhängig von persönlichen Umständen und finanziellen Umständen. Dieses konzentrierte Tun und Suchen in eine Richtung, das war meine ganz große Sehnsucht, und die möchte ich mir beibehalten, bis ich umfalle. Ich bin dafür nicht reich, aber glücklich. O-Ton Wolfgang Herbert Diese grundlegende Sehnsucht mit Transzendentem in Verbindung zu geraten, ist etwas, das in uns Menschen ganz tief drinnen sitzt. Und das große Problem der Moderne liegt eben darin, dass wir uns von dieser Transzendenz abgekappt haben. Diese Sehnsucht gehört zur conditio humana, das ist das, was mich antreibt, ich lasse das zu, und ich versuche kleine Zipfel der Transzendenz zu erhaschen, (lacht), und Indien hat mir da einige Wegweiser aufgestellt. 25/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. O-Ton Peter Herbert Ich glaube das ist ein ganz wichtiger Aspekt im Leben, dass man zusieht, dass man seinen Sehnsüchten so treu wie möglich bleibt, und auch Entscheidungen trifft, die gesellschaftspolitisch vielleicht nicht anerkannt sind. Aber das ist der Grund, warum ich jetzt dort bin, wo ich bin, und ich kann das nur jedem ans Herz legen. O-Ton Wolfgang Herbert Ich möchte, - Sehnsucht, unerfüllte -, ein Buch schreiben über Kampfkunst und Meditation und damit die beiden Stränge bündeln, die mich ein ganzes Leben angetrieben haben. O-Ton Peter Herbert Rajasthan! Absage „Mein Indien – Kartographie eines Sehnsuchtsorts“ – Ein Feature von Merzouga. Mit Auszügen aus dem Buch „Mein Indien – Reisenotizen, Meditationen, philosophische Exkursionen“ von Wolfgang Herbert. Es sprachen Katharina Schmalenberg und Robert Dölle. Technische Realisation: Dirk Hülsenbusch und Sebastian Nohl. Kontrabass: Peter Herbert. Regie und Komposition: Merzouga. Redaktion: Dorothea Runge. Eine Produktion des Westdeutschen Rundfunks 2016. 26/26 © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.
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