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Erscheinungsdatum:
01.12.2016
Erscheinungsweise:
vierzehntäglich
Bezugspreis:
10,- € monatlich
zzgl. MwSt.
Norbert Eisenschmid, RA
24/2016
Inhaltsübersicht:
Anm.
1
Mangel der Mietsache bei negativer Veränderung des Wohnumfeldes?
Anmerkung zu AG Dresden, Urteil vom 04.03.2016, 141 C 1707/15
von Hans-Jürgen Bieber, Vors. RiKG a.D.
Anm.
2
Ausweisung von Betriebsstromkosten für zentrale Heizungsanlage in
Gesamt- und Einzelabrechnung einer WEG
Anmerkung zu BGH, Urteil vom 03.06.2016, V ZR 166/15
von Dietmar Wall, RA
Anm.
3
Ausschluss der fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs und formelle
Ordnungsgemäßheit der Heizkostenabrechnung
Anmerkung zu BGH, Urteil vom 24.08.2016, VIII ZR 261/15
von Klaus Schach, RA, Vors. RiLG a.D.
Anm.
4
Rechtmissbräuchliche Kündigung wegen Eigenbedarfs bei freier
"Alternativwohnung" für Bedarfsperson
Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 23.08.2016, VIII ZR 178/15
von Dr. Dietrich Beyer, RiBGH a.D.
Anm.
5
Anfechtung eines Wohnungseigentümerbeschlusses: Maßgeblicher
Zeitpunkt für Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit einer
Verwaltungsmaßnahme
Anmerkung zu LG Itzehoe, Urteil vom 20.05.2016, 11 S 78/15
von Wolfgang Dötsch, RiOLG
Anm.
6
Verschulden des Mieters am Zahlungsverzug bei
Kostenübernahmeerklärung einer öffentlichen Stelle
Anmerkung zu AG Hamburg-St. Georg, Urteil vom 26.02.2016, 911 C 310/15
von Claudia Theesfeld, Ass. jur.
Zitiervorschlag: Bieber, jurisPR-MietR 24/2016 Anm. 1
ISSN 1860-157X
juris GmbH, Gutenbergstraße 23, D-66117 Saarbrücken, Tel.: 0681/5866-0, Internet: www.juris.de, E-Mail: [email protected]
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© juris GmbH 2016
jurisPR-MietR 24/2016
1
Mangel der Mietsache bei negativer
Veränderung des Wohnumfeldes?
Orientierungssatz:
Die Verlagerung einer Drogenszene in das
unmittelbare Umfeld einer Mietwohnung begründet in der Regel noch keinen Mangel der
Mietsache i.S.v. § 536 BGB.
Anmerkung zu AG Dresden,
04.03.2016, 141 C 1707/15
Urteil
vom
geln Einlass zu verschaffen, dass drogensüchtige Personen wegen der leicht zu öffnenden
Hauseingangstür in das Haus eingedrungen seien, um im Keller zu übernachten bzw. einzubrechen und der Wohnungseingangsbereich anderer Mietparteien beschmiert und mit Farbe verunstaltet worden sei. Sie habe es deshalb nicht
mehr gewagt, die Fenster geöffnet und ihr Kind
auch nur kurzfristig in einem Raum der Wohnung unbeaufsichtigt zu lassen.
Das AG Dresden hat der auf rückständige Miete
gerichteten Klage stattgegeben.
von Hans-Jürgen Bieber, Vors. RiKG a.D.
A. Problemstellung
Unter den Mangelbegriff des § 536 BGB fallen bekanntlich nicht nur die dem Mietgegenstand unmittelbar anhaftenden Fehler, sondern
auch solche Umstände, die von außerhalb auf
die Mietsache einwirken, sofern hierdurch der
vertragsgemäße Gebrauch beeinträchtigt wird.
Umweltfehler wie z.B. Lärmimmissionen oder
Zugangsbehinderungen können deshalb eine
Mietminderung rechtfertigen, möglicherweise
auch die Verlagerung der „Drogenszene“ in die
unmittelbare Umgebung der gemieteten Wohnung, wenn hierdurch eine Gebrauchsbeeinträchtigung verursacht wird.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Im Dezember 2012 schlossen die Parteien über
eine in Dresden gelegene Erdgeschosswohnung
einen inzwischen beendeten Mietvertrag, in
dem es unter § 6 Ziff. 2 u.a. wie folgt hieß: „Der
Vermieter gewährt den Gebrauch der Mietsache
in dem Zustand, in welchem sich die Mietsache
bei Übergabe befindet. Der Zustand der Mietsache bei Übergabe stellt den vertragsgemäßen Zustand dar …“. Ab November 2013 kürzte die Beklagte, die die Wohnung zusammen
mit ihrem Säugling bewohnte, die Miete u.a. unter Hinweis darauf, dass sich eine bis dahin am
Neustädter Bahnhof befindliche Drogenszene in
die unmittelbare Umgebung ihrer Wohnung verlagert hätte. Das hätte z.B. dazu geführt, dass
Drogensüchtige vor ihrer Wohnungstür gestanden hätten, um sich durch Klopfen und Klin-
Nachteilige Veränderungen des Wohnumfeldes
begründeten einen Mangel nur, soweit hierdurch der Gebrauch der Wohnung zu Mietzwecken unmittelbar und erheblich beeinträchtigt
werde. Eine unmittelbare und erhebliche Gebrauchsbeeinträchtigung in Bezug auf die von
der Beklagten gemietete Wohnung ergebe sich
aus ihrem Vorbringen „noch nicht“. Weder
aus dem Mietvertragstext noch aus „üblichen
Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs auf dem
Dresdner Wohnungsmarkt“ lasse sich ableiten,
dass die Kläger bei Abschluss des Mietvertrages
das Risiko einer „von ihnen nicht provozierten“
und nicht beherrschbaren Verlagerung von Kriminalitätsschwerpunkten und Drogenszenen in
das Wohnumfeld auf sich nehmen wollten. Befürchtungen und Verunsicherungen der Beklagten, auch wenn diese noch so verständlich und
begründet gewesen sein sollten, führten nicht
zu einer die Kläger bindenden Beschaffenheitsvereinbarung.
C. Kontext der Entscheidung
Es ging doch nicht um irgendwelche Gepflogenheiten auf dem Dresdner Wohnungsmarkt oder
die Übernahme von nicht provozierten (!) Verlagerungen, sondern schlicht und einfach darum, ob der behauptete derzeitige Zustand innerhalb und außerhalb des Hauses zu einer Beeinträchtigung des Mietgebrauchs der Beklagten geführt hatte. Deshalb war es an sich völlig
egal, ob die handelnden Personen der Drogenszene, der Pegida-Bewegung oder den „Reichsbürgern“ oder wem auch immer zuzurechnen
waren: Entscheidend für die Beurteilung, ob ein
Mangel i.S.d. § 536 BGB vorlag, war die Frage,
welcher Zustand der Mietsache bei Abschluss
des Vertrages nach den Vorstellungen der Mietvertragsschließenden als vertragsgemäß gelten
jurisPR-MietR 24/2016
sollte (vgl. Eisenschmid in: Schmidt-Futterer,
Mietrecht, 12. Aufl., § 535 Rn. 2; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 11. Aufl., § 536 Rn. 14). Einen Anhaltspunkt hierfür bietet der mitgeteilte Vertragstext, wonach der damalige Zustand
der vertragsgemäße sein sollte: Weil zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sicherlich keine Einbrüche in Kellerräume, keine Schmierereien im Treppenhaus und keine Übernachtungen
fremder Personen im Kellerbereich – wie von der
Beklagten behauptet – zu verzeichnen gewesen waren, wird dieser Zustand als der vertragsgemäße anzusehen sein. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass die von der Beklagten
behaupteten Vorkommnisse einen Mangel i.S.d.
§ 536 BGB darstellen; der Mangelbegriff erfasst eben nicht nur unmittelbar die Wohnung,
sondern sämtliche vom Mietgebrauch mitumfassten Gebäudeteile wie Keller, Treppenhaus,
Dachboden usw. (Eisenschmid in: Schmidt-Futterer, a.a.O., § 535 Rn. 43).
D. Auswirkungen für die Praxis
Auf die Frage, ob sich die Drogenszene in
die unmittelbare Umgebung des Wohnhauses
verlagert hatte, kam es überhaupt nicht an,
auch nicht darauf, ob – anders, als in den der
sog. Baulückenrechtsprechung zugrundeliegenden Fällen – für die Mieterin erkennbar sein
musste, dass ihr Mietgebrauch durch Außeneinwirkung beeinträchtigt werden könnte. Weil
das dem § 535 BGB innewohnende Äquivalenzprinzip verletzt worden war, also Vermieterleistung und Mietverpflichtung nicht mehr in einem ausgewogenen Verhältnis standen, blieb
nur noch die Überlegung, ob etwa § 242 BGB
unter dem Gesichtspunkt eines von der Mieterin
zu tragenden allgemeinen Lebensrisikos einer
Mietminderung entgegengestanden hätte. Davon könnte man allerdings nur dann ausgehen,
wenn der Vermieter seinerseits alles ihm Zumutbare unternommen hätte, um Vorfälle der
von der Beklagten behaupteten Art zu verhindern: Nach deren Vortrag soll das gerade nicht
der Fall gewesen sein, weil z.B. die Hauseingangstür leicht geöffnet werden konnte (vgl.
zur Notwendigkeit des Einbaus eines Schnappschlosses AG Hamburg, Urt. v. 14.10.1993 - 48 C
932/93 - WuM 1994, 676). Das Amtsgericht hätte also Beweis erheben müssen über die von der
Beklagten aufgestellten Behauptungen; deren
Nichtberücksichtigung stellt sich als Verstoß gegen das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs dar.
Ausweisung von Betriebsstromkosten für
zentrale Heizungsanlage in Gesamt- und
Einzelabrechnung einer WEG
Auswirkungen für die Praxis dürfte diese Entscheidung nicht haben; negative Veränderungen des Wohnumfeldes als solche begründen
(vorbehaltlich einer etwaigen, allerdings eher
unwahrscheinlichen Vereinbarung der Parteien)
keinen Mangel, weil keine unmittelbare Einwirkung auf die Mietsache vorliegt (vgl. BGH,
Urt. v. 26.09.2012 - XII ZR 122/11 - Grundeigentum 2012, 1553 zum Anspruch des (Geschäftsraum-)Mieters auf „Milieuschutz“). Erst
dann, wenn der Mietgebrauch unmittelbar beeinträchtigt wird, kommt eine Minderung in Betracht; hierfür ist es aber an sich völlig unerheblich, ob diese Beeinträchtigungen irgendwelchen „Szenen“, politischen Bewegungen oder
sozialen Strukturen zuzuordnen sind.
2
Leitsatz:
In der Jahresabrechnung einer Wohnungseigentümergemeinschaft müssen die Kosten
des Betriebsstroms der zentralen Heizungsanlage nach Maßgabe der Heizkostenverordnung verteilt werden; wird der Betriebsstrom nicht über einen Zwischenzähler, sondern über den allgemeinen Stromzähler erfasst, muss geschätzt werden, welcher Anteil an dem Allgemeinstrom hierauf entfällt.
Anmerkung zu BGH, Urteil vom 03.06.2016,
V ZR 166/15
von Dietmar Wall, RA
A. Problemstellung
Zu den Kosten des Betriebs einer zentralen Heizungsanlage zählen nach § 2 Nr. 4a BetrKV,
§ 7 Abs. 2 HeizkV die Kosten des zum Betrieb
der Heizungsanlage benötigten Stroms. In den
meisten Gebäuden ist kein Stromzähler installiert, der diesen Stromverbrauch gesondert erfasst. Es lässt sich dann nicht bestimmen, wie
hoch diese Kosten sind. In der Abrechnung ei-
jurisPR-MietR 24/2016
ner Wohnungseigentümergemeinschaft gingen
diese Kosten deshalb in den Stromkosten für
das Gemeinschaftseigentum auf. Die Problematik besteht darin, dass die Allgemeinstromkosten nach einem anderen Umlagemaßstab verteilt werden als die Heizkosten, hier nach Miteigentumsanteilen. Die Heizkosten sind hingegen nach den Vorgaben der Heizkostenverordnung teilweise verbrauchsabhängig abzurechnen. Der BGH hatte zu klären, ob die Eigentümergemeinschaft auf die Abrechnung der Betriebsstromkosten verzichten durfte und wie zu
verfahren ist, wenn der auf die Heizungsanlage entfallende Stromverbrauch nicht gemessen
wurde.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger sind Teil einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie wenden sich gegen die
fehlende Einbeziehung der Betriebsstromkosten in die Heizkostenabrechnung für das Jahr
2012. Deshalb erhoben sie Anfechtungsklage
gegen den Beschluss der Eigentümergemeinschaft, diese Abrechnung zu genehmigen. Sie
beantragten, die Gesamtjahresabrechnung für
das Jahr 2012 sowie die sie betreffende Einzelabrechnung hinsichtlich der Heizkostenabrechnung für ungültig zu erklären.
Das LG Saarbrücken hatte in zweiter Instanz
entschieden, dass die angefochtene Abrechnung ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche.
Es sei zwar zutreffend, dass die Betriebsstromkosten grundsätzlich im Rahmen der Heizkostenabrechnung zu verteilen seien. Das Landgericht sei aber der Auffassung, dass die Kosten
für den Betriebsstrom zusammen mit den Allgemeinstromkosten nach dem allgemeinem Umlagemaßstab auf die Wohnungseigentümer verteilt werden dürften, wenn der Stromverbrauch
für die Heizungsanlage nicht gesondert erfasst
wurde.
Der BGH hat die Rechtslage anders beurteilt
und den Beschluss der Eigentümerversammlung insoweit für ungültig erklärt.
Der Klageantrag sei auslegungsbedürftig. Es sei
ausgeschlossen, nur die Einzelabrechnung anzufechten. Falls die Klage erfolgreich sei, wären zwangsläufig alle Einzelabrechnungen insoweit für ungültig zu erklären, da sich ein Fehler
in einer Einzelabrechnung auf die Abrechnun-
gen der anderen Eigentümer auswirke. Außerdem sei es nicht zulässig, sich nur gegen die
Gültigkeit der Heizkostenabrechnung zu wenden. Wenn der Betriebsstrom in die Heizkostenabrechnung einzubeziehen sei, verringerten
sich notwendigerweise die Kosten für den Allgemeinstrom. Der Antrag müsse dahingehend
ausgelegt werden, was als vernünftig gelte und
der wohlverstandenen Interessenlage entspreche. Demnach sei der Antrag so zu verstehen, dass in der Gesamtabrechnung und in
den Einzelabrechnungen jeweils die Positionen
„Heizkosten“ sowie „Allgemeinstrom“ angegriffen werden.
Es sei unzulässig, die den Heizkosten zuzuordnenden Stromkosten für die Heizungsanlage als
Teil des Allgemeinstroms abzurechnen. Nach § 7
Abs. 1 HeizkV seien die Heizkosten teilweise
verbrauchsabhängig zu verteilen. Dazu zählten
gemäß § 7 Abs. 2 HeizkV auch die Kosten des
Betriebsstroms. Wenn der Betriebsstrom nicht
über einen Zwischenzähler, sondern über den
allgemeinen Stromzähler erfasst werde, müsse geschätzt werden, welcher Anteil an dem
Allgemeinstrom hierauf entfalle. Die Schätzung
könne sich entweder auf einen Bruchteil der
Brennstoffkosten stützen oder an einer Berechnung orientieren, die auf dem Stromverbrauchswert der angeschlossenen Geräte und den –
ggf. geschätzten – Heiztagen beruhe. Die Auswahl der Schätzmethode stehe im Ermessen
der Wohnungseigentümergemeinschaft, solange sie nicht auf einen offenkundig ungeeigneten
Maßstab zurückgreife.
C. Kontext der Entscheidung
a) Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zum Mietrecht
Wie in den Entscheidungsgründen erwähnt,
liegt dieses Urteil auf der Linie des für Wohnraummietrecht zuständigen VIII. Zivilsenats des
BGH (BGH, Urt. v. 20.02.2008 - VIII ZR 27/07 NZM 2008, 403). Es entspricht der nahezu einhelligen Meinung, dass die Kosten für den Betriebsstrom der Heizungsanlage in jedem Fall
mit den Heizkosten abzurechnen sind (BayObLG, Beschl. v. 10.01.1997 - 2Z BR 35/96 - WuM
1997, 234; AG Berlin-Mitte, Urt. v. 09.06.2015
- 5 C 443/14 - Grundeigentum 2015, 1296; AG
Hamburg, Urt. v. 26.02.1988 - 44 C 1275/87 WuM 1991, 50; LG Hannover, Urt. v. 19.04.1991
jurisPR-MietR 24/2016
- 8 S 53/90 - WuM 1991, 540). Eine abweichende Auffassung hat – soweit ersichtlich – nur
das BayObLG vertreten (BayObLG, Beschl. v.
23.12.2003 - 2Z BR 236/03 - ZMR 2004, 359
ebenfalls in den Urteilsgründen zitiert).
Bemerkenswerterweise hat sich auch das BSG
bereits mehrfach mit dieser Thematik befasst
(BSG, Urt. v. 03.12.2015 - B 4 AS 47/14 R - NJW
2016, 1982; BSG, Urt. v. 20.08.2009 - B 14 AS
41/08 R; BSG, Urt. v. 07.07.2011 - B 14 AS 51/10
R). Hintergrund ist, dass der Sozialhilfeträger im
Rahmen von zu gewährenden Leistungen – „Arbeitslosengeld II“ oder „Hartz IV“ – die Heizkosten in voller Höhe zahlen muss, sofern sie nicht
unangemessen hoch sind. Die Kosten für den
Allgemeinstrom sind hingegen vom Sozialhilfeempfänger als Teil der „kalten“ Betriebskosten
aus dem Regelsatz aufzubringen. Um die Höhe
der Geldleistung zu berechnen, muss deshalb
möglichst genau ermittelt werden, wie hoch
die Betriebsstromkosten für die Heizungsanlage sind. Dabei folgen die Sozialgerichte der von
den Zivilgerichten vorgegebenen Marschroute.
Ist der zugrunde liegende Stromverbrauch nicht
gemessen worden, muss er geschätzt werden.
Dabei wird die zivilprozessrechtliche Vorschrift
zur Schätzung nach § 287 ZPO entsprechend
herangezogen.
b) Wie ist die Schätzung vorzunehmen?
Der BGH hat vorliegend zwei Wege angedeutet, wie die Betriebsstromkosten überschlägig
bestimmt werden können. Möglich ist eine Berechnung anhand der Stromverbrauchswerte
der angeschlossenen Geräte und den Heiztagen oder die Zugrundelegung eines Bruchteils der Brennstoffkosten. Der Ansatz, den Betriebsstrom mit einem Bruchteil des gesamten Stromverbrauchs im Gemeinschaftseigentum zu bestimmen, ist demgegenüber nicht als
sachgerecht anzusehen (OLG Hamm, Beschl. v.
22.12.2005 - 15 W 375/04 - ZMR 2006, 630).
aa) Überschlägige Berechnung
Es wird vorgeschlagen, die Kosten anhand
der Stromverbrauchswerte in kWh, der Anzahl der Heiztage im Abrechnungsjahr und
des Strompreises zu bestimmen (LG Berlin,
Urt. v. 28.06.1983 - 65 S 457/82 - Grundeigentum 1984, 83; Lammel, Heizkostenverordnung,
4. Aufl., § 7 Rn. 91).
Beispiel: 500 Watt x 24 Stunden täglich x 200
Heiztage x 0,27 €/kWh = 648 Euro.
Diese Berechnungsmethode beruht auf einer älteren Rechtsprechung. Sie kann unmittelbar nur
angewendet werden auf ungeregelte Umwälzpumpen, die früher Standard waren und unabhängig vom Wärmebedarf im Dauerbetrieb
mit derselben Leistung laufen. Bei einstellbaren Leistungsstufen müsste die gewählte Leistung in kWh bekannt sein. Dieser Wert lässt sich
noch relativ einfach in Erfahrung bringen. Auf
den meisten Pumpen ist ein Schild angebracht,
das in einer Tabelle die Leistungsaufnahme der
jeweiligen Stufe wiedergibt. Ggf. müsste zusätzlich berücksichtigt werden, dass die Pumpe
nicht an allen Heiztagen ständig in Betrieb ist,
sondern zeit- und temperaturabhängig läuft.
Auf diese Weise kann jedoch nicht ohne weiteres bei neueren Umwälzpumpen verfahren werden. Sie passen ihre Leistung automatisch dem
Wärmebedarf an (vgl. dazu die sog. bedingten
Anforderungen an eine Ersetzung der Pumpe
gemäß § 14 Abs. 3 EnEV). Hier kann allenfalls
ein ungefährer Mittelwert in Ansatz gebracht
werden. Für weitere stromverbrauchende Aggregate, die der Wärmeerzeugung und -verteilung dienen, müsste entsprechend verfahren
werden. Betriebsstrom wird ggf. auch benötigt
für den Brenner, die Regelungsanlage, die Ölpumpe und Kompressoren. Erzeugt die zentrale
Anlage – wie in den meisten Liegenschaften –
zusätzlich Wärme für die Warmwasseraufbereitung (sog. verbunden Anlage), ist zumeist eine
Warmwasser-Zirkulationsleitung installiert, für
die eine eigene Pumpe notwendig ist. Für diese
Pumpenleistung wird zusätzlicher Strom benötigt.
Es wird deutlich, dass diese Berechnungsmethode mit einem nicht unerheblichen Aufwand
verbunden ist. Zudem ist das Berechnungsergebnis auch bei nicht regelbaren Pumpen sehr
ungenau. Das gilt erst recht, wenn die Anzahl
der jährlichen Heiztage geschätzt werden muss.
Damit erweist sich diese Methode als wenig
praktikabel.
bb) Ansatz eines Bruchteils an den Brennstoffkosten
Einfacher lassen sich die Stromkosten abschätzen, indem ein Prozentsatz von den Brennstoff-
jurisPR-MietR 24/2016
oder Wärmelieferkosten zugrunde gelegt wird.
In den Entscheidungsgründen finden sich hierzu unter Rn. 14 verschiedene Angaben aus der
Rechtsprechung und Literatur. Insgesamt ergibt
sich eine Bandbreite von 3% bis 10%.
tes kleines Haus mit zentraler Warmwasseraufbereitung und älterer Pumpentechnik.
Dabei weist der BGH darauf hin, dass ein gewisser Ermessensspielraum besteht. Es ist aber
zu beachten, dass Schätzungen nachvollziehbar sein müssen. Bei einer gerichtlichen Schätzung nach § 287 ZPO gelten strengere Maßstäbe. Zwar entscheidet das Gericht nach freier Überzeugung. Die Schätzung muss aber auf
einer realistischen Grundlage basieren. Dabei
muss das Gericht alle Umstände des Einzelfalls
würdigen und begründen, welche Umstände es
der Schätzung zugrunde gelegt hat (BSG, Urt. v.
03.12.2015 - B 4 AS 47/14 R - NJW 2016, 1982;
BSG, Urt. v. 07.07.2011 - B 14 AS 51/10 R,
für die hier vorliegende Fallkonstellation, dass
die Betriebsstromkosten überschlägig zu ermitteln sind). Für eine fundierte Schätzung der Betriebsstromkosten sind mehrere Parameter zu
beachten. Der Verbrauch an Betriebsstrom ist
u.a. abhängig:
Ein hier vorgeschlagener anderer Ansatz besteht darin, den Stromverbrauch je Quadratmeter Gebäudewohnfläche zugrunde zu legen (vgl.
dazu die von CO2-Online erstellte Statistik zum
Betriebsstromverbrauch für das Jahr 2007 in
WuM 2008, 523). Danach ist in den meisten Gebäuden ein Betriebsstromverbrauch zwischen
1,5 kWh/m² und 2,5 kWh/m² zutreffend. Das
entspricht bei einem Strompreis von 27 Cent/
kWh einem Betrag von 41 Cent/m² bis 68 Cent/
m² Gebäudewohnfläche. Für ein Gebäude mit
1.000 m² sind das demnach Betriebsstromkosten von 410 Euro bis 680 Euro jährlich. In Ausnahmefällen kann der anzusetzende Verbrauch
deutlich höher oder niedriger sein als die angegebenen Durchschnittswerte zwischen 1,5 kWh/
m² und 2,5 kWh/m².
- von der Anlagentechnik: Das Alter der Heizungsanlage und die Art der Pumpentechnik haben einen erheblichen Einfluss auf den Stromverbrauch (vgl. oben).
- von der Art der Anlage: Erzeugt sie zusätzlich Wärme für die Warmwasseraufbereitung
(verbundene Anlage), wird zumeist zusätzlicher
Strom für eine Zirkulationspumpe benötigt.
- von der Art des Energieträgers: In fernwärmebeheizten Häusern sind die Betriebsstromkosten niedriger als in solchen mit Kesselanlagen
(betrieben mit Öl, Gas, Pellets etc.), da u.a. der
Stromverbrauch für den Brenner entfällt.
- von der Einbindung erneuerbarer Energien: Eine Solaranlage z.B. benötigt zusätzlich Betriebsstrom.
Diese Gesichtspunkte sollten bei der Auswahl
eines Prozentwertes innerhalb der genannten
Marge von 3% bis 10% Berücksichtigung finden.
Der niedrigste Wert von 3% ist angemessen für
ein fernwärmebeheiztes Gebäude ohne zentrale
Warmwassererwärmung mit einer hocheffizienten Umwälzpumpe. Der höchste Wert von 10%
ist anzusetzen für ein älteres öl- oder gasbeheiz-
cc) Zugrundelegung eines Stromverbrauchs je Quadratmeter Gebäudefläche
D. Auswirkungen für die Praxis
Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Betriebsstromkosten einer zentralen Heizungsanlage zu ermitteln sind. Heizkostenabrechnungen einer Eigentümergemeinschaft, die diese
Kosten nicht ausweisen, sind angreifbar. Dasselbe gilt für die Abrechnungen eines Vermieters.
Am einfachsten und genauesten lässt sich der
beim Betrieb der Heizungsanlage verbrauchte Strom mithilfe eines separaten Stromzählers
bestimmen. Fehlt ein solches Messgerät, müssen die Kosten geschätzt werden. Die Schätzung sollte möglichst fundiert sein. Es empfiehlt
sich, sie auf sachgerechte Kriterien zu stützen,
um dem Vorwurf entgegenzuwirken, die Stromkosten seien willkürlich festgelegt worden.
jurisPR-MietR 24/2016
A. Problemstellung
3
Ausschluss der fristlosen Kündigung
wegen Zahlungsverzugs und
formelle Ordnungsgemäßheit der
Heizkostenabrechnung
Leitsätze:
1a. Ist durch Auflauf eines Rückstands in
der in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a
oder Nr. 3 Buchst. b BGB genannten Höhe ein Recht des Vermieters zur fristlosen
Kündigung des Mietverhältnisses entstanden, wird dieses nach § 543 Abs. 2 Satz 2
BGB nur durch eine vollständige Zahlung des
Rückstandes vor Zugang der Kündigung ausgeschlossen (Bestätigung des Senatsurteils
vom 14.07.1970 - VIII ZR 12/69 - ZMR 1971,
27, unter II 4).
1b. Nach § 543 Abs. 2 Satz 3 BGB wird die
Kündigung des Vermieters nur unwirksam,
wenn durch unverzügliche Aufrechnung die
gesamten Rückstände getilgt werden.
1c. Die Schonfristzahlung nach § 569 Abs. 3
Nr. 2 BGB setzt eine vollständige Tilgung
der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a BGB innerhalb der dort
genannten Frist voraus.
2. Für die formelle Ordnungsgemäßheit einer Heizkostenabrechnung ist es ohne Bedeutung, ob die der Abrechnung zugrunde gelegten Verbrauchswerte auf abgelesenen Messwerten oder auf einer Schätzung
beruhen und ob eine vom Vermieter vorgenommene Schätzung den Anforderungen
des § 9a HeizkostenV entspricht. Es bedarf
deshalb weder einer Erläuterung, auf welche
Weise eine Schätzung vorgenommen wurde noch der Beifügung von Unterlagen, aus
denen der Mieter die Schätzung nachvollziehen kann (Bestätigung des Senatsurteils
vom 12.11.2014 - VIII ZR 112/14 - NJW 2015,
406 Rn. 18).
Anmerkung zu BGH, Urteil vom 24.08.2016,
VIII ZR 261/15
von Klaus Schach, RA, Vors. RiLG a.D.
Man könnte meinen, die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs nach den §§ 543 Abs. 1,
Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2, 569 Abs. 3 BGB sei ein
Buch mit sieben Siegeln; teilweise ist das in der
außergerichtlichen, aber auch in der gerichtlichen Praxis tatsächlich der Fall. Der vorliegende
Fall mit rückständigen Mietzahlungen und vielen Verrechnungen von Betriebskosten und entsprechenden Nachforderungen war Anlass für
den BGH, eine „Lehrstunde“ zu geben, die sich
auch auf die Abgrenzung von formeller und materieller Ordnungsmäßigkeit einer Betriebskostenabrechnung bezieht.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Vermieter führte umfangreiche Sanierungsmaßnahmen in der Wohnanlage durch, wobei
u.a. eine zentrale Heizungsanlage eingebaut
und die Fenster erneuert wurden. Er begehrte
von dem Mieter eine Mieterhöhung und zusätzliche monatliche Heiz-und Warmwasserkostenvorauszahlungen. Der Mieter hielt die Mieterhöhung für ungerechtfertigt und zahlte in der Folgezeit nur einen Teil der nunmehr geforderten
Miete. Der Vermieter kündigte das Mietverhältnis wegen Zahlungsverzugs fristlos und hilfsweise ordentlich und bezifferte die Rückstände, wobei ein Betrag auf (restliche) Nachforderungen aus Heiz-und Wasserkostenabrechnungen entfiel. Bereits vorher hatte er eine Verrechnung der Guthaben und Forderungen aus verschiedenen Nebenkostenabrechnungen vorgenommen und dabei zulasten des Mieters eine
Nachforderung errechnet. Vorprozessual erklärte er erneut die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs und
stützte sodann die Klage auch auf diese Kündigung, die mit einem errechneten Zahlungsrückstand von 1381,37 Euro begründet wurde.
Das Amtsgericht gab der erhobenen Räumungsklage statt, das Landgericht wies sie unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils ab. Mit
der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrte der Vermieter die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben
und die Sache in die Instanz zurückverwiesen.
jurisPR-MietR 24/2016
Im Zeitpunkt der ersten Kündigung habe ein
Mietrückstand bestanden, der zur fristlosen
Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs berechtigte. Dabei komme es
nicht darauf an, ob ein Rückstand in der nach
§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3b BGB vorausgesetzten Höhe auch noch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Räumungsklage
bestehe. Das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die grundsätzlich gerechtfertigte Kündigung nur unter bestimmten, vom Gesetz im Einzelnen aufgeführten Voraussetzungen ausgeschlossen sei oder unwirksam werde. Nach § 543 Abs. 2 Satz 2 BGB sei eine
Kündigung nach Satz 1 Nr. 3 ausgeschlossen,
wenn der Vermieter vorher – d.h. vor dem Zugang der Kündigung – befriedigt werde. Nach
§ 543 Abs. 2 Satz 3 BGB werde die Kündigung
unwirksam, wenn sich der Schuldner von seiner Schuld durch Aufrechnung befreien konnte
und unverzüglich nach der Kündigung die Aufrechnung erkläre. Schließlich werde die Kündigung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB auch dann
unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis
zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der
Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete befriedigt werde oder
sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichte (Schonfristzahlung). Sämtliche genannten Vorschriften setzten allerdings eine vollständige Befriedigung des Vermieters voraus,
an der es vorliegend fehle. Denn durch die Aufrechnung des Mieters habe sich der Mietrückstand nur auf einen Betrag von 921,26 Euro verringert, so dass von einer auch nur annähernd
vollständigen Befriedigung des Vermieters nicht
die Rede sein könne. Davon abgesehen habe
der Mieter die Aufrechnung gegenüber den mit
der ersten Kündigung bezeichneten Mietrückständen erst in der Klageerwiderung und deshalb nicht unverzüglich erklärt.
Die von dem Vermieter zur Aufrechnung gestellten Nachforderungen aus den Heizkostenabrechnungen seien nicht daran gescheitert,
dass die Abrechnungen mangels näherer Angaben zu den durchgeführten Schätzverfahren
aus formellen Gründen unwirksam gewesen wären. Der Vermieter müsse nicht bereits auf
der Ebene der formellen Ordnungsgemäßheit
darlegen und erläutern, auf welche Weise er
bei unterbliebener Verbrauchsablesung die als
Verbrauchswerte dieser Wohnung angesetzten
Werte im Einzelnen ermittelt bzw. welches Ver-
fahren er gemäß § 9a HeizKV angewendet habe. Für die formelle Ordnungsgemäßheit einer
Heizkostenabrechnung sei es ohne Bedeutung,
ob die dort für den jeweiligen Mieter angesetzten Kosten auf abgelesenen Messwerten oder
einer Schätzung beruhten und ob eine eventuell vom Vermieter vorgenommene Schätzung
den Anforderungen des § 9a HeizKV entspräche
(BGH, Urt. v. 12.11.2014 - VIII ZR 112/14 Rn. 18
- NJW 2015,406). Zu Unrecht habe das Berufungsgericht gemeint, die von dem Vermieter
im Wege der Schätzung auf der Grundlage des
Durchschnittsverbrauchs des Gebäudes vorgenommene Abrechnung sei aus formellen Gründen unwirksam, weil in ihr nicht angegeben sei,
dass der Durchschnittsverbrauch des Gebäudes
und der Wohnung des Mieters geschätzt worden
sei; es hätte einer Erläuterung bedurft, dass es
sich bei dem als Gesamtverbrauch angegebenen Wert um den durchschnittlichen Verbrauch
gehandelt habe, der auf der Grundlage des erfassten Verbrauchs von acht der zehn Wohneinheiten ermittelt worden sei. Damit habe das Berufungsgericht zu weitgehende Anforderungen
an die formelle Ordnungsgemäßheit einer Heizkostenabrechnung gestellt. Die unzutreffende
Beurteilung der Heizkostenabrechnung betreffe
sämtliche Kündigungen des Vermieters.
Bei der Beurteilung der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen habe das Berufungsgericht zudem zu Unrecht weitere Guthaben
des Mieters zugrunde gelegt. Aus den (vermeintlich) unwirksamen Heizkostenabrechnungen folge nicht, dass der Mieter nunmehr seine für diese erbrachten Vorauszahlungen zurückfordern könne. Zum einen würden formelle Abrechnungsmängel, wie bereits ausgeführt,
nicht vorliegen. Zum anderen könne der Mieter,
dem innerhalb der Abrechnungsfrist keine oder
nur eine aus formellen Gründen unwirksame Abrechnung erteilt worden sei, im fortbestehendem Mietverhältnis nicht die erbrachten Vorauszahlungen zurückfordern (zuletzt BGH, Urt. v.
26.09.2012 - VIII ZR 315/11 Rn. 9 - NJW 2012,
3508), sondern nur die laufenden Vorauszahlungen einbehalten, um auf den Vermieter Druck
zur Vorlage einer wirksamen Abrechnung auszuüben.
Die Sache sei nicht zur Endentscheidung reif,
weil das Berufungsgericht offengelassen habe,
ob die Miete wegen Mängeln gemindert gewesen sei und der Mietrückstand sich dadurch weiter reduziert habe. Dem Berufungsurteil ließen
jurisPR-MietR 24/2016
sich insoweit schon nicht entnehmen, welche
Mängel der Mieter geltend gemacht und welche Minderung er beansprucht habe. Für die Beurteilung der zweiten Kündigung dürfte es zudem auf die materielle Berechtigung der Heizkostennachforderungen des Vermieters ankommen, zu der das Berufungsgericht gleichfalls
keine Feststellungen getroffen habe.
hat der BGH nicht von der Möglichkeit des § 563
Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
C. Kontext der Entscheidung
Leitsatz:
Das zugrundeliegende Berufungsurteil weist im
Weiteren drei Fehler auf:
Unterstellt ein Gericht nur einen unwesentlichen Teil eines zusammenhängenden
Vortrags einer Partei als wahr, während
es den wesentlichen, entscheidungserheblichen Vortrag und den hierzu erfolgten Beweisantritt übergeht, liegt darin eine Gehörsverletzung.
1. Eine grundsätzlich gerechtfertigte fristlose
Kündigung kann überhaupt nur dann unwirksam
sein oder werden, wenn der Mieter als Schuldner den Rückstand vollständig tilgt. Das gilt allerdings cum grano salis und unterliegt im Ausnahmefall auch einer Wertung nach § 242 BGB.
Fehlt an der Tilgung lediglich eine geringe Summe (was z.B. durch einen Zahlendreher bei der
Überweisung passieren kann) und hat der Mieter alles Erdenkliche getan, um den Rückstand
auszugleichen und tut das unverzüglich nach
Erkennen des Fehlers, kann das schon einmal
zu seinen Gunsten berücksichtigt werden.
2. Der BGH hat inzwischen die formellen Anforderungen an eine Betriebskostenabrechnung
ganz erheblich zurückgefahren und belässt es
bei den grundsätzlichen Anforderungen (vgl.
z.B. BGH, Urt. v. 11.08.2010 - VIII ZR 45/10 - NJW
2010, 3363). Maßgeblich ist vielmehr die materielle Begründetheit der Abrechnung – die jetzt
auch vorliegend in der Instanz im Hinblick auf
die Schätzung in der Heizkostenabrechnung geprüft werden muss.
3. Die Rechtsprechung zur Rückforderung von
Betriebskostenvorschüssen im fortbestehenden
Mietverhältnis ist schon etwas betagter (BGH,
Urt. v. 29.03.2006 - VIII ZR 191/05 - NJW 2006,
2552; BGH, Urt. v. 26.09.2012 - VIII ZR 315/11 NJW 2012, 3508) mit dem Ergebnis, dass lediglich ein Zurückbehaltungsrecht des Mieters an
den laufenden Vorauszahlungen besteht.
D. Auswirkungen für die Praxis
Keine! Die anstehenden Rechtsprobleme hätten
wohl bekannt gewesen sein dürfen. Immerhin
4
Rechtmissbräuchliche Kündigung
wegen Eigenbedarfs bei freier
"Alternativwohnung" für Bedarfsperson
Orientierungssatz zur Anmerkung:
Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ist
rechtsmissbräuchlich und deshalb unwirksam, wenn für die Bedarfsperson in dem
Zeitpunkt, in dem sie den Nutzungswunsch
konkret fasst, eine vergleichbare Wohnung
("Alternativwohnung") zur Verfügung steht
und sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht.
Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 23.08.2016,
VIII ZR 178/15
von Dr. Dietrich Beyer, RiBGH a.D.
A. Problemstellung
Kündigungen wegen Eigenbedarfs sind, wenn
der Eindruck nicht täuscht, zu einem Massenphänomen geworden. Bei der Prüfung solcher
Kündigungen ist die Rechtsprechung des BGH
sowohl hinsichtlich der formellen Anforderungen – etwa der Angaben zu der Bedarfsperson
und ihres Interesses an der Nutzung der Wohnung (BGH, Urt. v. 30.04.2014 - VIII ZR 284/13
- NJW 2014, 2102) als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht – z.B. bezüglich des „privilegierten“ Personenkreises (BGH, Urt. v. 27.01.2010
- VIII ZR 159/09 - BGHZ 134, 138) – recht großzügig.
jurisPR-MietR 24/2016
Ein anderes Beispiel bietet der aktuelle Fall, der
bereits Gegenstand eines Grundsatzurteils des
BGH vom 04.03.2015 (VIII ZR 166/14 - BGHZ
204, 216) war; damals ging es um die Frage, wer den „angemessenen Wohnbedarf“ der
Bedarfsperson bestimmt, wie viele Quadratmeter und wie viele Zimmer es sein dürfen, zumal dann, wenn die betreffende Wohnung künftig „nur“ von einem Studenten genutzt werden soll. In jener Entscheidung hat der BGH
klargestellt, dass die Gerichte grundsätzlich zu
respektieren haben, welchen Wohnbedarf der
Vermieter als angemessen ansieht, dass nur
die Geltendmachung eines „weit überhöhten“
Bedarfs als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist
und letztlich stets die Umstände des Einzelfalls ausschlaggebend sind. Da das Berufungsgericht damals diesen Grundsätzen nicht entsprochen hatte, vielmehr die Räumungsklage
wegen des seiner Auffassung nach „überhöhten“ geltend gemachten Raumbedarfs abgewiesen hatte, hat der BGH das Urteil aufgehoben
und das Verfahren an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Andererseits hat der BGH seit jeher anerkannt,
dass die Kündigung von Wohnraum in die Lebensführung eines Mieters besonders stark eingreift und der Vermieter deshalb gehalten ist,
diesen Eingriff abzumildern, soweit ihm dies
möglich ist – insbesondere etwa dadurch, dass
er ihm im Fall einer Eigenbedarfskündigung eine andere, ihm – dem Vermieter gehörende –
verfügbare und vergleichbare Wohnung anbietet (BGH, Urt. v. 09.07.2003 - VIII ZR 276/02
- NJW 2003, 2604). Kommt er dieser „Anbietpflicht“ nicht nach, so ist die Eigenbedarfskündigung wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam.
Im vorliegenden Fall ging es gleichfalls um eine
Alternativwohnung, allerdings um deren mögliche Nutzung durch die vom Vermieter benannte Bedarfsperson mit der Folge, dass die Eigenbedarfskündigung rechtsmissbräuchlich wäre,
falls die freie Wohnung „ohne wesentliche Abstriche“ von der Bedarfsperson genutzt werden
könnte.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In seinem Urteil vom 04.03.2015 hatte der BGH
dem Berufungsgericht u.a. aufgegeben, Feststellungen zu treffen zur Ernsthaftigkeit des
Nutzungswunsches des Sohnes des Vermieters
und zu dem Einwand des Mieters, für den
Wohnbedarf des Sohnes habe eine vor dem
01.05.2012 freigewordene baugleiche Vierzimmerwohnung im Erdgeschoss desselben Anwesens zur Verfügung gestanden. Dazu haben
die Mieter im neuen Berufungsverfahren ergänzend vorgetragen, nach der erstinstanzlichen
Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass
der Sohn des Vermieters schon längere Zeit
vor dem Freiwerden der Erdgeschosswohnung
entschlossen gewesen sei, zusammen mit seinem – als Zeuge benannten – Freund eine Wohnung zu beziehen. Das Berufungsgericht hatte in der neuen Verhandlung jedoch von einer Beweisaufnahme abgesehen und die Berufung der Mieter gegen das amtsgerichtliche
Räumungsurteil zurückgewiesen (LG Karlsruhe,
Urt. v. 10.07.2015 - 7 S 35/15, nicht veröffentlicht). Die Revision hatte es nicht zugelassen.
Der BGH hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Mieter das Berufungsurteil aufgehoben
und das Verfahren zur erneuten (nunmehr: dritten Berufungs-)Verhandlung zurückverwiesen.
Anlass hierfür war die Verletzung des rechtlichen Gehörs der Mieter (Art. 103 Abs. 1 GG).
Das Berufungsgericht hatte von der Vernehmung des von den Mietern benannten Zeugen M. abgesehen, weil es die in dessen Wissen gestellten Umstände zur Entstehung des
Nutzungswunsches des Sohnes des Vermieters
„offenbar als wahr unterstellt“, aber für unerheblich gehalten hatte (Rn. 11). Dies sei,
wie der BGH mit eingehender Darlegung der
Grundsätze für die Auslegung eines Beweisantrages und der Voraussetzungen einer zulässigen Wahrunterstellung ausführt, verfahrensfehlerhaft (Rn. 12-14); auf die verfahrensrechtlichen Einzelheiten könne hier verzichtet werden.
Im Mittelpunkt der materiell-rechtlichen Erwägungen des BGH steht die Frage, ob und
ggf. wann eine Kündigung wegen Eigenbedarfs
rechtsmissbräuchlich und deshalb unwirksam
sei, wenn in dem Zeitpunkt, in dem der Nutzungswunsch des Vermieters oder eines Angehörigen konkrete Formen annehme, für die betreffende Person eine vergleichbare, freie Wohnung zur Verfügung stehe.
1. Der Grundsatz: Die Entscheidungsfreiheit des Vermieters
jurisPR-MietR 24/2016
Grundsätzlich ist der Vermieter in seiner Entscheidung frei, von welchem Zeitpunkt an ein
Wohnbedarf „Anlass für eine Eigenbedarfskündigung“ geben soll, zumal sich dieser Wunsch
nicht ausschließlich oder in erster Linie an objektiven Kriterien messen lässt. Davon geht
auch der BGH – unter Bezugnahme auf die
Rechtsprechung des BVerfG – aus (ebenso bereits BGH, Urt. v. 04.02.2015 - VIII ZR 154/14
Rn. 31 - BGHZ 204, 145) (bei dem Wort „ausschließen“ statt „ausschließlich“ im aktuellen
BGH-Beschluss Rn. 15 handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler, vgl. dazu
BVerfG, Urt. v. 14.02.1989 - 1 BvR 308/88, 1 BvR
336/88, 1 BvR 356/88 Rn. 30 - BVerfGE 79, 292,
305).
2. Die Ausnahme: Nutzungsmöglichkeit einer freien „Alternativwohnung“
Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH
ist der Vermieter nach dem Gebot von Treu und
Glauben (§ 242 BGB) gehalten, generell und insbesondere bei der Kündigung wegen Eigenbedarfs auf die Belange des Mieters Rücksicht zu
nehmen. Steht dem Vermieter (oder einer anderen privilegierten Person i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2
BGB) in dem Zeitpunkt, in dem er den Nutzungswunsch konkret fasst, eine Wohnung zur Verfügung, die mit der vermieteten Wohnung vergleichbar ist, so handelt er in aller Regel rechtsmissbräuchlich, wenn er jenes Mietverhältnis
wegen Eigenbedarfs kündigt anstatt die freie,
vergleichbare Wohnung („Alternativwohnung“)
zu nutzen. Eine derartige Vergleichbarkeit war
hier zweifelsfrei gegeben: Die in Betracht kommende Wohnung im Erdgeschoss war nach Größe und Zuschnitt identisch mit der vermieteten
Wohnung im ersten Obergeschoss, und sie war
bis zu ihrer Neuvermietung am 01.05.2012 frei
verfügbar. Es lag deshalb auf der Hand, dass
der Sohn des Vermieters seinen Wohnbedarf
(zusammen mit seinem Freund) in der EG-Wohnung „ohne wesentliche Abstriche“ (Rn. 15) befriedigen konnte.
Dass diese Wohnung aus irgendwelchen sachlichen Gründen für den Wohnbedarf des Studenten nicht in Betracht gekommen sei, sei
vom Vermieter ersichtlich nicht geltend gemacht worden.
3. Der entscheidende Zeitpunkt: Entstehung des konkreten Nutzungswunsches
Unter diesen Umständen kommt es für die Beurteilung der Eigenbedarfskündigung (hinsichtlich der Wohnung im Obergeschoss) entscheidend darauf an, wann der Sohn des Vermieters sich entschlossen hatte, zusammen mit seinem Freund eine gemeinsame Wohnung („WG“)
zu beziehen. War dies, wie die Mieter behauptet haben, bereits vor der Weitervermietung der
EG-Wohnung der Fall, dann erscheint es treuwidrig und rechtsmissbräuchlich, wenn der Vermieter nicht die freie EG-Wohnung seinem Sohn
zur Verfügung stellen wollte, sondern erst nach
deren Weitervermietung den Wohnbedarf des
Sohnes gegenüber den Mietern der OG-Wohnung als Kündigungsgrund geltend machte.
Nur dann, wenn es plausible Gründe für das
Hinausschieben der Umsetzung des ernsthaften Nutzungswunsches geben würde, wäre die
„späte“ Kündigung ausnahmsweise hinnehmbar. Gleiches gilt naturgemäß und erst recht
dann, wenn der konkrete Nutzungswunsch bei
dem Sohn überhaupt erst nach dem „Wegfall“
der EG-Wohnung infolge ihrer Weitervermietung entstanden wäre, was der Vermieter geltend gemacht hat.
Abgesehen davon könne der Umstand, dass der
Vermieter erst nach der Weitervermietung der
EG-Wohnung die Eigenbedarfskündigung für die
Wohnung im OG ausgesprochen habe, Zweifel
an der Ernsthaftigkeit des Nutzungswunsches
des Sohnes begründen. Die Beweislast für die
beiden maßgebenden Faktoren – Ernsthaftigkeit des Nutzungswunsches und Zeitpunkt seiner Entstehung – treffe den Vermieter, was der
BGH in diesem Zusammenhang ausdrücklich
klarstelle.
Die möglichst genaue Klärung des Zeitpunktes,
zu dem der Nutzungswunsch des studierenden
Sohnes des Vermieters konkrete Formen angenommen habe, sei nun in der – etwas ungewöhnlichen – dritten „Auflage“ des Berufungsverfahrens Aufgabe der zuständigen Kammer
des LG Karlsruhe.
jurisPR-MietR 24/2016
C. Kontext der Entscheidung
Der Beschluss vom 23.08.2016 ist die konsequente Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung zum Komplex Eigenbedarfskündigung
und Alternativwohnung, die der VIII. Senat des
BGH mit dem Urteil vom 09.07.2003 (VIII ZR
276/02 - NJW 2003, 2604) begründet hat. Neu
ist jedoch die Verweisung des Vermieters (bzw.
der von ihm benannten Bedarfsperson) auf die
mögliche Nutzung der Alternativwohnung, was
im Ergebnis den Schutz des Mieters stärkt.
1. Grundsätze für die Begründung einer
Kündigung (§ 573 Abs. 3 Satz 1 BGB)
Bei der Prüfung der formellen Seite einer Kündigung ist der BGH relativ großzügig. Erforderlich, aber auch ausreichend ist nach der gefestigten Rechtsprechung des VIII. Senats des
BGH, dass der Kündigungsgrund so genau beschrieben wird, dass er von anderen Gründen
unterschieden werden kann und der Mieter Klarheit über seine Rechtsposition, insbesondere also über die Erfolgsaussicht eines etwaigen Widerspruchs gegen die Kündigung erhält (BGH,
Urt. v. 30.04.2014 - VIII ZR 284/13 Rn. 7 - NJW
2014, 2102).
2. Begründung einer Eigenbedarfskündigung
Für die Kündigung wegen Eigenbedarfs genügt
in formeller Hinsicht „die identifizierbare Benennung der Eigenbedarfsperson“ und die Darlegung des Interesses, das diese Person an
der Erlangung der Wohnung hat (BGH, Urt. v.
30.04.2014 - VIII ZR 284/13). Wird die Kündigung kurz nach der Vermietung der betreffenden Wohnung ausgesprochen, wird man als formelle Voraussetzung für die Wirksamkeit der
Kündigung wohl auch die Angabe verlangen
müssen, dass der Bedarfsgrund erst nach der
Vermietung entstanden ist. Alles Weitere ist
dann eine Frage der materiell-rechtlichen Prüfung der Kündigung, ggf. verbunden mit einer
Beweisaufnahme. Bezogen auf den Zeitpunkt
der Kündigung bedeutet dies beispielsweise,
dass eine Kündigung wegen Eigenbedarfs für
einen Familienangehörigen nicht rechtsmissbräuchlich ist, wenn der Eigenbedarf zwar nur
kurze Zeit nach Abschluss des Mietvertrages
entstanden ist, bei Abschluss des Mietvertra-
ges aber noch nicht absehbar war (BGH, Urt. v.
20.03.2013 - VIII ZR 233/12 - NJW 2013, 1596).
Bemerkenswert erscheint in diesem Zusammenhang, dass der BGH auch in anderen Entscheidungen der Ernsthaftigkeit des geltend gemachten Eigenbedarfs besondere Bedeutung
beigemessen hat. So hat er in einem Urteil v.
23.09.2015 (VIII ZR 297/14 - NJW 2015, 3368)
klargestellt, dass nur ein ernsthafter, bereits
hinreichend bestimmter und konkretisierter Eigennutzungswunsch die Kündigung wegen Eigenbedarfs rechtfertigt (keine „Vorratskündigung“). In einem Beschluss vom 10.05.2016
(VIII ZR 214/15 - NZM 2016, 718) hat er den von
den ehemaligen Mietern im Rahmen einer Schadensersatzklage geäußerten Verdacht eines nur
vorgetäuschten Eigenbedarfs jedenfalls als naheliegend angesehen, auf die Nichtzulassungsbeschwerde der ehemaligen Mieter das Berufungsurteil aufgehoben und für die neue Verhandlung dem Berufungsgericht aufgegeben,
die entsprechenden Indizien neu zu würdigen
und ggf. hierzu Beweis zu erheben.
3. Kündigung wegen Eigenbedarfs und Angebot einer Alternativwohnung für den
Mieter
In der Vergangenheit hat sich der BGH, wie erwähnt, bereits mit einer anderen Fallgestaltung
des Komplexes Eigenbedarfskündigung und Alternativwohnung befasst. In jenen Entscheidungen ging es darum, dass der Vermieter ein Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs gekündigt, es
aber versäumt hatte, dem Mieter den Abschluss
eines Mietvertrages für eine freie, ihm – dem
Vermieter – gehörende Wohnung anzubieten,
die nach Lage, Größe und Ausstattung mit der
gekündigten Wohnung vergleichbar war. Steht
dem Vermieter eine solche Alternativwohnung
zur Verfügung, so „muss“ er sie dem Mieter zur
Anmietung anbieten – wobei es sich rechtlich
gesehen nicht um eine Pflicht, sondern um eine Obliegenheit des Vermieters handelt. Kommt
der Vermieter dieser „Anbietpflicht“ nicht nach,
so ist die ausgesprochene Eigenbedarfskündigung rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam (BGH, Urt. v. 09.07.2003 - VIII ZR 276/02 NJW 2003, 2604).
Nicht ganz unbedenklich erscheint allerdings
die in dem Urteil von 2003 enthaltene Einschränkung, die Anbietpflicht beziehe sich nur
auf eine Wohnung im selben Haus oder in der-
jurisPR-MietR 24/2016
selben Wohnanlage. Nach dem weit gefassten
Grundsatz von Treu und Glauben und dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme, dem
gerade in einem Wohnraummietverhältnis – in
beiden Richtungen – besondere Bedeutung zukommt, liegt es nahe, die Anbietpflicht auch
auf Alternativwohnungen zu erstrecken, die sich
zwar nicht in derselben Wohnanlage wie die
gekündigte Wohnung, aber in ihrer räumlichen
Nähe befinden (ähnlich Schnabel, BGHReport
2003, 925; wie hier Blank in: Schmidt-Futterer,
Mietrecht, 12. Aufl., § 573 Rn. 122). Es sollte dem Mieter (bzw. seiner Familie) überlassen
bleiben, ob er von einem solchen Angebot Gebrauch macht oder die Umstände eines Umzuges in eine andere Umgebung in Kauf nimmt.
Von dem in dem aktuellen Beschluss vom
23.08.2016 behandelten Sachverhalt unterscheidet sich der Fall einer „Anbietpflicht“ also dadurch, dass im Zeitpunkt der Kündigung
eine Alternativwohnung für den Mieter zur Verfügung steht, während im vorliegenden Fall es
darum ging, ob die Eigenbedarfsperson (der
Vermieter oder ein Angehöriger) im Zeitpunkt
der Entstehung des Nutzungswunsches ihren
Wohnbedarf in einer Alternativwohnung hätte
befriedigen können. Das Ergebnis – Unwirksamkeit der Kündigung wegen Rechtsmissbrauchs
– ist dasselbe, wenn für den Mieter bzw. die Eigenbedarfsperson im maßgebenden Zeitpunkt
eine Alternativwohnung zur Verfügung gestanden hat, diese Möglichkeit aber vom Vermieter (bzw. der Eigenbedarfsperson) nicht genutzt
worden ist.
D. Auswirkungen für die Praxis
1. Hinweise für den Vermieter
Für den Vermieter empfiehlt es sich deshalb,
zur Vermeidung von Unklarheiten und unnötigen Auseinandersetzungen mit dem Mieter eine
Eigenbedarfskündigung zumindest mit folgenden Angaben zu begründen (§ 573 Abs. 3 Satz
1 BGB):
•
Identifizierbare Bezeichnung der „Bedarfsperson“; dazu kann auch die namentliche
Benennung gehören, etwa dann, wenn der
Bedarf für eines von mehreren Kindern des
Vermieters oder für andere Angehörige (z.B.
Neffen, Nichten oder Schwager) geltend gemacht wird;
•
•
Angabe des Interesses der Bedarfsperson,
etwa Eheschließung, Bildung einer Lebensgemeinschaft oder – wie im vorliegenden
Fall – ein besonderer Raumbedarf (studienbedingte praktische Arbeiten in der Wohnung);
Angabe des Zeitpunktes der Entstehung
des konkreten Nutzungswunsches/Wohnbedarfs, wenn die Kündigung in einer gewissen
zeitlichen Nähe zum Abschluss des Mietvertrages mit dem derzeitigen Mieter der Wohnung erfolgt.
2. Hinweise für den Mieter
Aus formellen Gründen wird eine Eigenbedarfskündigung nach der BGH-Rechtsprechung nur
in den seltensten Fällen scheitern. Hat der Mieter Zweifel an den tatsächlichen Angaben des
Vermieters, sollte er zunächst versuchen, diese Unklarheiten durch Rückfrage beim Vermieter zu klären. Erscheint nach den Erläuterungen
des Vermieters die Eigenbedarfskündigung begründet, bleibt dem Mieter immer noch der Einwand der unzumutbaren Härte nach der Sozialklausel des § 574 BGB.
3. Zur Bedeutung des Kündigungstermins
Der BGH hatte im Urteil vom 09.11.2005 (VIII ZR
339/04 - NJW 2006, 220) grundsätzlich klargestellt, dass bei einer Eigenbedarfskündigung der
nachträgliche Wegfall des Bedarfsgrundes nur
bis zum Zeitpunkt des Kündigungstermins zu
berücksichtigen ist; verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Einschränkung bestehen
nicht (BVerfG, Beschl. v. 18.04.2006 - 1 BvR
31/06 - NJW 2006, 2033). Später eingetretene
Umstände berühren entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung (Blank in:
Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Aufl., § 573
Rn. 121) die Wirksamkeit der Eigenbedarfskündigung nicht.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Als prozessuale „Vorfrage“ hat der BGH in dem
Beschluss vom 13.08.2016 eingehend die – hier
nicht näher dargestellten – Voraussetzungen
und Konsequenzen einer Wahrunterstellung erörtert (Rn. 12 bis 14, 19 ff.).
jurisPR-MietR 24/2016
5
Anfechtung eines
Wohnungseigentümerbeschlusses:
Maßgeblicher Zeitpunkt für Beurteilung
der Ordnungsmäßigkeit einer
Verwaltungsmaßnahme
Leitsatz:
Für die Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme ist auf die
im Zeitpunkt der Beschlussfassung zugrundeliegenden Verhältnisse abzustellen. Maßgebend ist dabei der Kenntnisstand, den
ein besonnener Wohnungseigentümer unter
Ausschöpfung aller zu diesem Zeitpunkt zugänglichen Erkenntnisquellen ermittelt haben kann.
Anmerkung zu LG Itzehoe,
20.05.2016, 11 S 78/15
Urteil
vom
von Wolfgang Dötsch, RiOLG
A. Problemstellung
Das viel beschworene „Ermessen“ der Wohnungseigentümer bzw. ihr „Beurteilungsspielraum“ ist ein weites, aber leider auch dunkles Feld. Juristen sind nicht selten geneigt, Wissen oder gar Halbwissen aus oft lange vergangenen öffentlich-rechtlichen Ausbildungstagen „hervorzukramen“ und verkennen dann
schnell, dass das jedenfalls im hiesigen Bereich
nur selten wirklich weiterhelfen wird. Sinn und
Zweck der Anerkennung gewisser „Spielräume“
im WEG ist vielmehr das gerichtliche Bemühen, Wohnungseigentümer in ihrem (idealerweise) demokratischen Meinungsbildungsprozess nicht unnötig staatlich zu bevormunden
und nur in erforderlichen Maße einzugreifen –
was sich auch sehr schön an der zurückhaltenden Handhabung des § 21 Abs. 8 WEG durch
den BGH ablesen lässt (zur Subsidiarität zuletzt
BGH, Urt. v. 08.04.2016 - V ZR 191/15 Rn. 31).
Eine der immer wieder virulent werdenden Fragen aus diesem Dunstkreis ist die nach dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Ordnungsgemäßheit einer Verwaltungsmaßnahme, die das LG Itzehoe hier weiter
vertieft hat. Es ist zu hoffen, dass die zugelassene Revision eingelegt worden ist, damit der
V. Zivilsenat des BGH ggf. Gelegenheit zur weiteren Aufhellung der Problematik erhält – wobei
der Fall noch andere Fragen aufwerfen kann.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In einer WEG-Anlage mit einem achtgeschossigen Hochhaus waren die Balkone ursprünglich
nicht verglast. Die Fassade des Gebäudes war
mit vorgehängten Waschbetonplatten verkleidet, wobei sich hinter den Platten eine Dämmung befand. 1990 wurde die Genehmigung
für Balkonverglasungen im Beschlusswege erteilt; der Beschluss wurde bestandskräftig. Unter anderem die Kläger brachten im Folgenden
eine Verglasung an ihrem Balkon an und bauten
u.a. die Innenseite der Balkonbrüstung noch mit
Wandverkleidungen aus und verklinkerten Außenwände teilweise mit Bauplatten und Riemchen. Es kam bei ihnen zu Schimmelpilzbildungen im Innenbereich der nunmehr geschlossenen Balkone. Bei einigen Wohnungen kam es infolgedessen schon zum Rückbau. In diesem Zusammenhang sollen Substanzschäden am Gemeinschaftseigentum festgestellt worden sein,
woraufhin die WEG die Einholung eines Gutachtens beschloss. Auf einer außerordentlichen Eigentümerversammlung beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich „dass die im Bereich des Gemeinschaftseigentums angebrachten Verkleidungen im Bereich der Decken, Wände und Fußböden der verglasten Balkone/Loggien bis zum 28.02.2014 fachgerecht entfernt
werden. Soweit die betroffenen Wohnungseigentümer die Entfernung selbstständig vornehmen, so ist dies kostenneutral. Anderenfalls
wird der Verwalter beauftragt bzw. ermächtigt, die Entfernung durch ein Unternehmen
zu Lasten des jeweiligen Eigentümers im Rahmen der Ersatzvornahme zu veranlassen. Die
anfallenden Kosten werden zu Lasten der Instandhaltungsrücklage verauslagt. Soweit einzelne Eigentümer die Beseitigung nicht dulden,
wird der Verwalter ermächtigt, entsprechende
Duldungsansprüche mit Hilfe eines Rechtsanwalts und gegebenenfalls mit gerichtlicher Hilfe
durchzusetzen.“
Ferner wurde beschlossen, „nach Beseitigung
der angebrachten Verkleidungen einen Sachverständigen mit der Überprüfung von etwaigen Substanzschäden im Bereich des Gemeinschaftseigentums sowie die Überprüfung der
Geländerhöhen in Bezug auf die gesetzlichen
jurisPR-MietR 24/2016
Vorgaben zu beauftragen (jeweils nur bei den
Wohnungen mit verglasten Balkonen/Loggien).
Das weitere Vorgehen bei Feststellung von
Schäden soll anlässlich der kommenden Eigentümerversammlung besprochen und festgelegt
werden. …“
Die Kläger erhoben dagegen fristgerecht Beschlussmängelklage und behaupteten unter
Verweis auf ein von ihnen eingeholtes Privatgutachten, dass keine Hinweise auf Substanzschäden am Gemeinschaftseigentum durch die
Innenverkleidungen bestünden, weswegen die
Beschlussfassung in ihren Auswirkungen – nämlich der substantiellen Zerstörung der Innenverkleidungen – unverhältnismäßig sei. Die Beklagten meinen, aus dem von der WEG eingeholten
Gutachten ergebe sich, dass Substanzschäden
zu befürchten seien und zur weiteren Abklärung
bedürfe es nunmehr weiterer Untersuchungen,
die nur durchgeführt werden könnten, wenn die
Verkleidungen jedenfalls teilweise entfernt würden.
Das Amtsgericht hatte nach Vernehmung der
beiden Sachverständigen als Zeugen der Anfechtungsklage stattgegeben, weil weder die
Verglasung der Balkone noch die Verkleidung
der Balkonbrüstungen durch die Kläger geeignet sei, Schäden am Gemeinschaftseigentum
hervorzurufen. Dass sich dies erst durch die
gerichtliche Beweisaufnahme gezeigt habe, ändere nichts, weil es für die Begründetheit der
Anfechtungsklage allein auf die im Zeitpunkt
der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung
feststehenden Tatsachen ankomme. Hatte die
Berufung der übrigen Wohnungseigentümer Erfolg?
Nein! Zwar stehe Wohnungseigentümern im
Rahmen ihrer Verwaltungsbefugnis nach § 21
WEG und insbesondere im Hinblick auf die
Instandsetzung und Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums ein weites Ermessen zu
(BGH, Urt. v. 13.07.2012 - V ZR 94/11 Rn. 8 NZM 2012, 685). Die streitgegenständlichen Beschlüsse verließen jedoch die Grenzen dieses
Ermessens, weil im Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht festgestanden habe, dass die darin
bestimmten, in den Nutzungsbereich der Sondereigentümer erheblich eingreifenden Maßnahmen für Substanzschäden im Bereich des
Gemeinschaftseigentums ursächlich gewesen
seien. Nach der wegen § 529 Abs. 1 ZPO bindenden Beweiswürdigung des Amtsgerichts stelle
die von den Klägern angebrachte Balkonverglasung sogar eine Verbesserung des Schutzes
des Gemeinschaftseigentums vor Witterungseinflüssen dar.
Das Gericht verkenne nicht, dass in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten werde,
dass es bei der Prüfung der Ordnungsmäßigkeit
von Verwaltungsmaßnahmen auf den Kenntnisstand der beschließenden Wohnungseigentümergemeinschaft ankomme (so etwa KG, Beschl. v. 25.02.2004 - 24 W 285/01 - NJW-RR
2004, 1089 = ZMR 2005, 470). Spätere Erkenntnisse über die Angemessenheit der Verwaltungsmaßnahme könnten danach weder eine ursprünglich ordnungsgemäße Maßnahme
als ordnungswidrig erscheinen lassen noch könne umgekehrt eine zunächst ordnungswidrig erscheinende Maßnahme angesichts der weiteren tatsächlichen Entwicklung ordnungsgemäß
werden.
Dem möchte das Landgericht jedoch nicht uneingeschränkt folgen. Es vertritt zwar ebenfalls die Ansicht, dass für die Ordnungsmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme auf den
Zeitpunkt der Beschlussfassung abzustellen sei
(so auch BayObLG, Beschl. v. 20.10.2000 - 2Z
BR 77/00 - NJW-RR 2001, 446; OLG Köln, Beschl. v. 20.10.2006 - 16 Wx 189/06 - NZM 2007,
603). Sofern sich die Umstände, die der Beschlussfassung zugrunde gelegen haben, nachträglich ändern, stehe den Wohnungseigentümern zunächst das Recht zu, sich selbst damit zu befassen, bevor ein Gericht darüber entscheide (OLG Köln, a.a.O.). Die Gegenansicht,
nach der es jedenfalls seit der Einbeziehung
des Wohnungseigentumsrechts in das ZPO-Verfahren für die Frage, ob der angefochtene Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung entspreche, nicht auf den Zeitpunkt seiner Fassung,
sondern auf den der mündlichen Verhandlung
im Anfechtungsprozess ankomme (AG Hamburg, Urt. v. 15.02.2011 - 102D C 79/10 - ZMR
2011, 758), vermag das Gericht nicht zu überzeugen. Zur Begründung weise diese Auffassung auf das in § 91a ZPO geregelte Institut der
Erledigung der Hauptsache hin; eine solche könne jedoch bei Anfechtungsklagen gar nicht eintreten, sollte es auf den Zeitpunkt der Eigentümerversammlung ankommen. Dem sei jedoch
entgegenzuhalten, dass eine Erledigung der Anfechtungsklage insbesondere daraus resultieren könne, dass das Rechtsschutzbedürfnis später entfalle, weil der angefochtene Beschluss
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mittlerweile durch einen neuen bestandskräftigen Beschluss ersetzt worden sei (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.03.1999 - 3 Wx 26/99 WuM 1999, 482) oder die beschlossene Maßnahme mittlerweile durchgeführt worden und
eine Rückgängigmachung ausgeschlossen sei
(BayObLG, Beschl. v. 20.05.1998 - 2Z BR 25/98
- NJW-RR 1999, 164). Ob der angefochtene Beschluss im Zeitpunkt seiner Fassung ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen habe, sei hier
für die Frage der Erledigung ohne Belang.
Sei nach alledem für die Ordnungsgemäßheit einer Verwaltungsmaßnahme auf den Zeitpunkt
der Beschlussfassung aufzustellen, könne es für
die entscheidungserhebliche Tatsachengrundlage nicht auf den mehr oder weniger zufälligen subjektiven Kenntnisstand der beschließenden Wohnungseigentümer ankommen. Maßgebend könne nur ein verobjektivierter Kenntnisstand sein, also ein solcher, den besonnene
Wohnungseigentümer unter Ausschöpfung aller zu diesen Zeitpunkt zugänglichen Erkenntnisquellen ermittelt haben. Allein diese Sichtweise harmoniere mit den für die Auslegung
von Wohnungseigentümerbeschlüssen geltenden Grundsätzen; auch diese habe objektiv,
nämlich nach dem Wortlaut der Regelung und
ihrem Sinn zu erfolgen, wie er sich für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung erschließe (BGH, Beschl. v. 10.09.1998
- V ZB 11/98 - NJW 1998, 3713, 3714; OLG München, Beschl. v. 20.03.2008 - 34 Wx 46/07 - NZM
2009, 548, 549). Dann aber liege es nahe, auch
hinsichtlich der dem Beschluss zugrunde liegenden Tatsachenbasis auf einen objektiven Kenntnishorizont abzustellen.
Das bedeute, dass die Wohnungseigentümer,
sofern sie über technische Fragen zu entscheiden haben, die sie nicht selbst beurteilen könnten, vor der Beschlussfassung sachverständigen Rat einholen müssten. Das haben die Wohnungseigentümer hier auch getan. Allerdings
müsse die in Auftrag gegebene Expertise den
maßgeblichen Sachverhalt zutreffend und umfassend bewerten. Das sei bei dem Gutachten des Sachverständigen nicht der Fall gewesen. Die darin ausgesprochene Empfehlung,
die baulichen Gegebenheiten zu entfernen und
den Ursprungszustand der Loggien wiederherzustellen, nehme sich zu apodiktisch aus. Letztlich habe der Gutachter bei seiner Vernehmung
als sachverständiger Zeuge einräumen müssen,
dass die Anbringung der Balkonverglasung, so-
fern sie fachgerecht erfolge, einen substantiellen Schaden ausschließe. Hingegen sei der andere sachverständige Zeuge mit nachvollziehbaren Argumenten zu dem Schluss gelangt,
dass die Verglasung letztlich sogar zu einem
besseren Schutz vor Witterungseinflüssen führe als der ursprüngliche Zustand. Hätten die
Wohnungseigentümer diesen Erkenntnisstand
bei vollständiger Berücksichtigung aller Gegebenheiten bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung haben können, sei auf diesen abzustellen.
Anders würde es sich verhalten, wenn die Beschlussfassung auf einen in diesem Zeitpunkt
zutreffend ermittelten Sachverhalt beruhe und
später neue Erkenntnisse hinzuträten, die im
Zeitpunkt der Beschlussfassung noch gar nicht
zu erlangen gewesen seien. Dann würde die ursprüngliche Beschlussfassung einer ordnungsgemäßen Verwaltung entsprechen. So lägen die
Dinge hier aber nicht. Der nach Durchführung
der gerichtlichen Beweisaufnahme erreichte Erkenntnisstand hätte – etwa bei Beauftragung eines anderen Sachverständigen mit der Untersuchung – auch schon bei Beschlussfassung vorliegen können. Sei dies jedoch nicht der Fall gewesen, habe die Beschlussfassung den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Verwaltung widersprochen.
C. Kontext der Entscheidung
Die Ausführungen zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt lassen sich hören – entscheiden
muss die Frage für die Praxis ohnehin der V.
Zivilsenat des BGH. Beim Nachvollziehen der
Fundstellen ist nur darauf zu achten, dass die
zitierte Entscheidung des KG Berlin in den meisten Veröffentlichungen gekürzt ist und die vom
Landgericht gefundene Passage so nicht hergibt.
Ob es wirklich auf die vom Landgericht diskutierte (spannende) Frage ankommen wird,
ist fraglich: Die vom LG Itzehoe nachvollzogene Prüfung der konkreten Auswirkungen (allein) der Verglasung auf dem klägerischen Balkon scheinen nach dem mitgeteilten Sachverhalt bei den Eigentümern weniger Thema gewesen zu sein als die – vom Gericht gar nicht
in ihren Auswirkungen diskutierten – konkreten
Folgen der hier zusätzlich (ohne Genehmigung)
noch angebrachten (Innen-)Verkleidungen. Ge-
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rade diese dürften aber etwaige Feuchtigkeitserscheinungen wegen der Taupunktverlagerung begünstigt haben, zumal teilweise noch
eine Dämmung angebracht worden sein soll.
Die amtsgerichtliche Beweisaufnahme geht daher unter Umständen am Fall vorbei. Die Mehrheit hat hier aber ersichtlich die Verglasung als
solches (zumindest bis auf weiteres) akzeptieren wollen und das erscheint folgerichtig. Denn
der Umbau der Balkone durch mögliches Anbringen einer Verglasung war durch einen – als
Mehrheitsbeschluss wegen der erheblichen optischen Auswirkungen für das Gebäude zwar
greifbar rechtswidrigen, aber hier bestandskräftig gewordenen – Mehrheitsbeschluss nach § 22
Abs. 1 WEG genehmigt. Folge eines solchen bestandskräftigen Mehrheitsbeschlusses ist zwar
nicht, dass die Zustimmung fingiert wird, sondern (nur), dass eine Duldungspflicht entsteht
(BGH, Urt. v. 11.11.2011 - V ZR 65/11 Rn. 8 MDR 2012, 80), aber immerhin. Der mitgeteilte Sachverhalt lässt allerdings keine sichere Beurteilung der Frage zu, ob der Genehmigungsbeschluss hinreichend bestimmt war. Bei der
Genehmigung baulicher Veränderungen ist man
da zwar bekanntlich weniger streng, aber eigentlich nur, wenn es um die spätere Genehmigung bereits erfolgter baulicher Veränderungen
geht (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.11.2004 - I3 Wx 234/04 - ZMR 2005, 143). Ist – wie hier offenbar – die Genehmigung im Vorfeld der Baumaßnahme erfolgt, muss man nach der reinen
Lehre wohl etwas strenger sein, um nicht im
schlimmsten Fall sogar die Nichtigkeit des Beschlusses zu riskieren (allg. zu den Anforderungen Jennißen/Hogenschurz, WEG, 4. Aufl. 2015,
§ 22 Rn. 18).
Blendet man diese Frage aus, spricht dann einiges dafür, dass die Verglasung – immerhin
Außenhülle des Gebäudes und zum Verschluss
der angebrachten Bohrlöcher wohl auch zwingend – mit ihrer Anbringung kraft Gesetzes Bestandteil des Gemeinschaftseigentums geworden ist (vgl. § 946 BGB, § 5 WEG). Ungeachtet dessen könnte ein „Abriss“ in einem solchen Fall ohnehin schwerlich nur mehrheitlich
beschlossen werden (zumindest ohne Zustimmung der betroffenen Kläger). Zwar wird der
„Widerruf“ der Zustimmung zu einer mehrheitlich genehmigten baulichen Veränderung diskutiert, doch müssten anerkanntermaßen dann
die allgemeinen Anforderungen an einen sog.
Zweitbeschluss beachtet werden. Bei der Genehmigung einer baulichen Veränderung be-
deutet dies zumindest nach der tatsächlichen
Umsetzung der Maßnahme, dass ein Widerruf
nur zulässig sein kann, wenn ein sachlicher
Grund vorliegt und der betroffene Wohnungseigentümer gegenüber dem bisherigen Zustand
nicht unbillig benachteiligt wird (BayObLG, Beschl. v. 03.11.1994 - 2Z BR 58/94 - BayObLGZ
1995, 339; OLG Köln, Beschl. v. 01.02.2002 16 Wx 10/02 - NZM 2002, 454; Jennißen/Hogenschurz, WEG, 4. Aufl. 2015, § 22 Rn. 19). Ansonsten besteht ein Anspruch auf Abänderung
oder Aufhebung eines bestandskräftigen Eigentümerbeschlusses, durch den eine bauliche Veränderung genehmigt wurde, nur, wenn das
Festhalten an der bestehenden Regelung wegen ganz außergewöhnlicher neu hinzugetretener Umstände als grob unbillig und damit gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßend
erscheint (BayObLG, Beschl. v. 29.03.2000 - 2Z
BR 159/99 - NJW-RR 2000, 1399). Das passt wiederum gut dazu, dass ein Wohnungseigentümer
grundsätzlich auch keinen Anspruch darauf hat,
dass die Ausführung eines bestandskräftigen
Beschlusses unterbleibt; etwas anders gilt nur
dann, wenn schwerwiegende Gründe – etwa bei
einer erheblichen Änderung der tatsächlichen
Verhältnisse – die Durchführung der bestandskräftig beschlossenen Maßnahme als treuwidrig (§ 242 BGB) erscheinen lassen (BGH, Urt. v.
28.09.2012 - V ZR 251/11 Rn. 17 - NJW 2012,
3719; vgl. auch BayObLG, Beschl. v. 21.02.1991
- BReg. 2 Z 7/91 - MDR 1991, 762; BayObLG,
Beschl. v. 15.03.1984 - BReg. 2 Z 75/83 - BayObLGZ 1984, 50). In all diesen Fällen stellt sich
die Frage, ob heute die (geringe) „Abmilderung“
in § 10 Abs. 2 Satz 2 WEG Berücksichtigung finden sollte (dazu Dötsch, ZWE 2013, 18, 20), was
für die Praxis aber wenig ändern wird.
Angesichts des Vorgenannten verwundert es
aber nicht, dass sich der angegriffene Beschluss
nur zu den Innenverkleidungen verhält und gerade nicht auch zur Verglasung. Diese Verkleidungen stehen – jedenfalls wenn man unterstellt, dass die Innenseite der Balkone hier dem
Sondereigentum zuzurechnen war (zum Problem, ob und wie dies auch ohne Regelung in
TE/GO – wozu der Sachverhalt schweigt – „kraft
Natur der Sache“ bei Balkonen denkbar ist, OLG
München, Beschl. v. 23.09.2011 - 34 Wx 247/11
- ZWE 2012, 37 einerseits und Schultzky in: BeckOGK-WEG, § 5 Rn. 51 andererseits) – im Sondereigentum der Kläger. Die Innenverkleidung
ist jedoch ungeachtet der Eigentumsverhältnisse jedenfalls fest am Gemeinschaftseigentum
jurisPR-MietR 24/2016
angebracht und verändert dieses und durfte
daher wegen § 14 Nr. 1 WEG allenfalls ohne
Gefahr für Gemeinschaftseigentum angebracht
werden. Die Maßnahme war zudem klar zustimmungspflichtig, denn ungeachtet der (hier unter Umständen schwierigen) Frage der von außen erkennbaren optischen Veränderung der
Außengestaltung des Hauses, kann ein Nachteil
i.S.d. §§ 14 Nr. 1, 22 Abs. 1 WEG schon zu bejahen sein, wenn die eigenmächtig vorgenommene bauliche Maßnahme die weitere Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums erschwert (BGH, Urt. v. 07.02.2014 - V ZR 25/13
Rn. 12 ff. - NZM 2014, 245) – was der Fall hier
mit Blick auf die Balkonbrüstungen gerade deutlich zeigt. Der damit bestehende Rückbauanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB bzw. § 15 Abs. 3
WEG war indes hier mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon lange verjährt
(§§ 195, 199 BGB). Das ändert auf Rechtsfolgenseite zwar nichts an der Rechtswidrigkeit
der Baumaßnahme, doch kann die Wohnungseigentümergemeinschaft dann allenfalls einen
Rückbau auf eigene Kosten (!) beschließen, den
der ursprüngliche Störer bzw. dessen Rechtsnachfolger (nur) dulden muss (statt aller Jennißen/Hogenschutz, WEG, 4. Aufl. 2015, § 22
Rn. 57 m.w.N.). Dem trägt der Beschluss keinesfalls Rechnung.
Nichts anderes folgt aus § 14 Nr. 4 WEG: Zwar
kann die Gemeinschaft unter Umständen – gerade auch bei unklarer Schadensursache an der
Schnittstelle von Sonder- und Gemeinschaftseigentum – bei konkreten Anhaltspunkten auch
vorsorgliche Untersuchungen von möglichen
Schäden am Gemeinschaftseigentum beschließen (instruktiv BayObLG, Beschl. v. 27.06.1996
- 2Z BR 16/96 - NJWE-MietR 1996, 229) – was
ein Fall der Instandsetzung i.S.d. § 21 Abs. 5
Nr. 2 WEG wäre. Nach § 14 Nr. 4 WEG hat der
Wohnungseigentümer dann kraft Gesetzes das
Betreten und die „Benutzung“ der im Sondereigentum stehenden Gebäudeteile zu gestatten,
soweit dies zur Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums „erforderlich“ ist; der hierdurch entstehende „Schaden“ ist (aufopferungsähnlich) zu ersetzen. Die
„Benutzung“ kann durchaus auch die Zerstörung des Sondereigentums sein, doch trifft den
Eigentümer nur eine Duldungspflicht, keinesfalls – wie hier faktisch beschlossen – eine Rückbaupflicht (Details bei Dötsch in: BeckOK-WEG,
Ed. 28, § 14 Rn. 177, 178 m.w.N.) und schon gar
nicht eine solche auf eigene Kosten, die nur im
Wege der „Ersatzvornahme“ aus der Instandhaltungsrücklage vorfinanziert werden kann.
Fragt man dann aber konkret, ob wirklich für die
Überprüfung der Balkonbrüstungen der Komplettabriss aller Innenverkleidungen (!) „erforderlich“ war i.S.d. § 14 Nr. 4 WEG, liegt auf
der Hand, dass die beschlossene „Radikalmaßnahme“ wohl schon allein deswegen keinen Bestand haben kann. Denn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wären Überprüfungen mittels kleiner Bauteilöffnungen oder endoskopischer Maßnahmen erst einmal denkbar gewesen – ohne dass es dann noch auf die Frage
des entscheidungserheblichen Zeitpunkts ankommen dürfte. Dies gilt umso mehr deswegen,
als man sich seinerzeit dazu offenbar gar keine
Gedanken gemacht hat.
D. Auswirkungen für die Praxis
Das Thema „entscheidungserheblicher Zeitpunkt“ ist dennoch spannend. Es spielt auch an
anderer Stelle eine Rolle, insbesondere bei der
Anfechtung der Verwalterbestellung. Auf den
ersten Blick spricht da einiges dafür, dass es
für die dabei im Zuge der Beschlussmängelklage zu überprüfende Prognoseentscheidung
der Wohnungseigentümer ausschließlich auf die
bei Beschlussfassung vorliegenden Tatsachen
(= objektive Tatsachenlage) und ggf. auch – was
man aber ausdrücklich nicht zwingend parallel entscheiden muss (!) – die (subjektiven) Erwägungen im Zeitpunkt der Beschlussfassung
ankommt (= subjektiver Kenntnisstand). Zwischenzeitlich erst entstandene neue Gründe
und/oder auch nur spätere bessere Erkenntnisse der Eigentümer wären dann unerheblich. Jedenfalls ersteres liegt durchaus auf der Linie
des V. Zivilsenates des BGH (vgl. zur erforderlichen „Tatsachengrundlage“ für die Bewertung
der Verwaltereignung BGH, Urt. v. 22.06.2012
- V ZR 190/11 - ZWE 2012, 427) – ist aber
natürlich umstritten (vertiefend Greiner in: BeckOGK-WEG, § 26 Rn. 111 ff. m.w.N.). Man kann
in der Tat kritisch hinterfragen, ob mit dem
Urteil des LG Stuttgart vom 29.07.2015 (10 S
68/14 - Dötsch, jurisPR-MietR 23/2015 Anm. 4
„Laie als Verwalter“) wirklich stur nur auf die
Prognoseentscheidung im Zeitpunkt der Bestellung abzustellen ist und darauf, ob die Bestellung mit dem damaligen Kenntnisstand gerade noch vertretbar war. Ist nicht im Ergebnis
doch zu berücksichtigen, wenn aufgrund zwi-
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schenzeitlich eingetretener (bzw. auch nur zwischenzeitlich bekannt gewordener, früher aber
schon vorliegender) Umstände jedenfalls im
Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung
für alle hinreichend sicher feststeht, dass der
Verwalter unzuverlässig ist und jedenfalls heute daher nicht mehr zu bestellen wäre. Betont
man allein den Prognosecharakter der Bestellung, bei der nur die zu ermittelnden Tatsachen ermessensfehlerfrei zu bewerten sind, wäre wohl ersteres eher richtig. Das dürfte auch
der (noch) h.M. entsprechen: Die Anfechtung
kann danach nur auf Gründe gestützt werden,
die zeitlich vor der (Wieder-)Wahl des Verwalters vorlagen. Ein Nachschieben von Gründen
im Sinne einer Berücksichtigung von Vorkommnissen, die erst nach der Wahl stattgefunden
haben, ist nicht zulässig (BayObLG, Beschl. v.
22.12.2004 - 2Z BR 173/04; OLG Frankfurt, Beschl. v. 13.10.2004 - 20 W 133/03; LG Düsseldorf, Urt. v. 18.10.2013 - 25 S 7/13). Diese
Beschränkung wird u.a. auch damit begründet,
dass dem Beschluss über die (Wieder-)Wahl des
Verwalters immer eine Prognose über dessen
künftige Fähigkeiten und Leistungen zugrunde
liegt. Die Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses
sei folglich allein ex ante zu beurteilen; der Beschluss werde nicht dadurch fehlerhaft, dass
sich die Prognose aus später bekannt werdenden Gründen (ex post) als unzutreffend erweise.
Die zwischenzeitlich eingetretenen Tatsachen
wären dann allenfalls nunmehr ein (neuer) Abberufungsgrund und könnten – ggf. unter Beachtung des sog. Vorbefassungsgebots (!) – zur
Abberufung führen, wenn nicht in den Grenzen
des sog. „Verzeihungsermessens“ die Mehrheit
ermessensfehlerfrei doch noch das Festhalten
am ungewollten Verwalter beschließen kann.
ges“ und „wider besseres Wissen“ zurückzuweisen und den Kläger allein darauf zu verweisen,
die neuen Erkenntnisse zur Grundlage eines
(mühsamen und zeitaufwändigen) Verfahrens
auf Abberufung des Verwalters zu machen. Prozessökonomisch wäre das in der Tat alles nicht.
Deshalb will Greiner auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellen: Tatsachenvortrag, der bis zu diesem Zeitpunkt ohne
Verspätung (§ 296 ZPO, § 46 WEG) vorgebracht
worden sei, sei zu berücksichtigen. Denn genauso verhalte es sich auch in dem umgekehrten Fall, in dem statt der Ungültigerklärung eines Beschlusses gemäß § 21 Abs. 4 oder 8 WEG
der „Erlass“ verlangt wird: Ob auf den beantragten Beschluss ein Anspruch besteht, bestimmt
sich – hier weitgehend unstreitig - allein nach
dem Kenntnisstand im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, mag die Beschlussfassung
der Wohnungseigentümer auf Basis des damaligen Kenntnisstandes auch vielleicht noch ermessensfehlerfrei gewesen sein. Ein Problem
stellt sich dann bei der Anfechtung allenfalls
noch in Bezug auf die Begründungsfrist des § 46
Abs. 1 Satz 2 WEG (Verbot des „Nachschiebens
von Gründen“); hier hilft unter Umständen aber
bei wirklich erst später auftretenden Gründen
§ 46 Abs. 1 Satz 3 WEG.
Greiner (a.a.O.) will – unter Verweis auf die h.M.
zur verwaltungsgerichtlichen Anfechtungsklage
(allerdings auch dort sehr str., vgl. bei Bedarf
Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 35 ff. m.w.N.) –
das Nachschieben später entstandener Gründe
frei zulassen. Ein Beschluss sei für ungültig zu
erklären, wenn er ordnungsmäßiger Verwaltung
i.S.v. § 21 Abs. 4 WEG widerspricht. Dass diese Beurteilung „ex ante“ zu erfolgen habe, lasse sich weder dem Wortlaut des Gesetzes noch
seinem Sinn und Zweck entnehmen. Wenn im
Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Ungeeignetheit eines Verwalters feststeht, sei es
wenig sinnvoll, die gegen seine Bestellung gerichtete – im materiellen Ergebnis ja sachlich
begründete – Anfechtungsklage „sehenden Au-
Das Verschulden des Mieters am Zahlungsverzug entfällt nicht deshalb, weil das Jobcenter innerhalb der Schonfrist eine Kostenübernahme erklärt hat, wenn der Mieter aus
persönlichen Gründen gar nicht gehindert
war, sich um die Beantragung staatlicher
Leistungen rechtzeitig zu kümmern. Für die
ordentliche Kündigung ist eine Abmahnung
nicht Voraussetzung. Bei fristloser, hilfsweise ordentlicher Kündigung, kann auch auf
künftige Räumung geklagt werden.
6
Verschulden des Mieters
am Zahlungsverzug bei
Kostenübernahmeerklärung einer
öffentlichen Stelle
Leitsatz:
Anmerkung zu AG Hamburg-St. Georg, Urteil
vom 26.02.2016, 911 C 310/15
jurisPR-MietR 24/2016
von Claudia Theesfeld, Ass. jur.
A. Problemstellung
Das AG Hamburg-St. Georg hatte darüber zu
entscheiden, ob ein Vermieter einem im Leistungsbezug nach dem SGB II stehenden Mieter
auch dann kündigen darf, wenn der Leistungsträger ohne dessen Verschulden den Mietzins
nicht überwiesen hat.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien stritten um die Räumung einer
Mietwohnung. Der Kläger ist Vermieter der
Wohnung des Beklagten. Der Beklagte beantragte nach Aufgabe einer Selbstständigkeit
Leistungen nach dem SGB II. Da er bereits eine Rente bezog, wurde sein Antrag vom Jobcenter wegen dessen Unzuständigkeit mit dem Hinweis abgelehnt, unverzüglich Leistungen nach
dem SGB XII zu beantragen, um seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Dennoch verzögerte
sich die Beantragung der Grundsicherung durch
den Beklagten erheblich. Wegen Zahlungsverzuges kündigte der Vermieter das Mietverhältnis über die Wohnung des Beklagten fristlos
sowie hilfsweise fristgemäß und erhob im August 2015 schließlich Räumungsklage. Der Kläger meinte, der Beklagte habe die Wohnung zu
räumen. Seine außerordentliche fristlose Kündigung sei zwar durch die zwischenzeitlich abgegebene Verpflichtungserklärung des Bezirksamtes unwirksam geworden, nicht aber seine
ordentliche Kündigung; diese sei wirksam, weil
der Beklagte sich – schuldhaft – im Zahlungsverzug mit mindestens zwei Monatsmieten befunden habe. Für den Beklagten sei auch frühzeitig absehbar gewesen, dass er die Miete an ihn
nicht mehr werde zahlen können. Gleichwohl
habe der Beklagte gegen den drohenden Mietausfall nichts unternommen. Das werde auch
dadurch deutlich, dass sich das Amt erst im Oktober 2015 zur Zahlung an ihn verpflichtet habe.
Der Beklagte forderte, ihm eine Räumungsfrist
von zehn Monaten einzuräumen. Er machte geltend, dass durch die nachträgliche Zahlung der
aufgelaufenen Mieten durch das Amt und der
fortlaufenden Gewährung von Leistungen der
Grundsicherung einschließlich der Übernahme
des Mietzinses das Mietverhältnis – auch wegen
seiner eigenen Situation – nicht derart zerrüttet sei, dass dem Kläger nicht ein Festhalten an
dem Mietvertrag zugemutet werden könne.
Das AG Hamburg-St. Georg hat der Klage des
Vermieters stattgegeben.
Eine Beendigung des Mietverhältnisses folge
zwar nicht schon aus der seinerzeit vorrangig erklärten außerordentlichen fristlosen Kündigung. Diese sei durch die Verpflichtungserklärung des Fachamtes für Grundsicherung und Soziales aus Oktober 2015 unwirksam geworden.
Diese Erklärung sei binnen zwei Monaten nach
Zustellung der Räumungsklage, die im August
2015 erfolgt sei, abgegeben worden. Nach § 573
Abs. 1 BGB könne der Vermieter das Mietverhältnis – ordentlich – aber auch dann kündigen,
wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses habe. Dieses Interesse liegt insbesondere dann vor, wenn der
Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft
nicht unerheblich verletzt hat (vgl. § 573 Abs. 2
Nr. 1 BGB). Eine solche schuldhafte Pflichtverletzung liege hier vor.
Anerkannt sei, dass eine nicht unerhebliche
Pflichtverletzung im vorgenannten Sinne u.a.
dann gegeben sein könne, wenn der Mieter mit
der Zahlung der Miete oder der Betriebskosten
in Höhe eines Betrages, der die Bruttomiete für
zwei Monate erreicht, über einen Zeitraum von
mehr als zwei Zahlungsterminen hinweg in Verzug gerate (vgl. BGH, Urt. v. 14.07.2010 - VIII ZR
267/09 Rn. 15 - NZM 2010, 696). Dies sei hier
im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung der
Fall, weil der Beklagte – unstreitig – weder die
spätestens am dritten Werktag der Monate Juni
und Juli 2015 zu entrichtende Miete gezahlt habe.
Die Pflichtverletzung sei auch schuldhaft, denn
der Beklagte habe nicht dargelegt und bewiesen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten habe (arg. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Dass er die vereinbarten und fälligen Mietzahlungen nicht an den Kläger geleistet habe, beruhe zumindest auf Fahrlässigkeit. Das Verschulden des Beklagten entfalle nicht schon deshalb,
weil innerhalb der sog. Schonfrist des § 569
Abs. 3 Nr. 2 BGB die Verpflichtungserklärung
des Amtes abgegeben worden sei; eine analoge
Anwendung dieser Norm auf die Fälle des § 573
Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB scheide aus (vgl. BGH,
jurisPR-MietR 24/2016
Urt. v. 10.10.2012 - VIII ZR 107/12 Rn. 27 ff. NZM 2013, 20, 22). Hinzu komme, dass der Beklagte zwar durch die Aufgabe seines Gewerbebetriebes spätestens Anfang März 2015 in wirtschaftliche Not geraten sei, er aber gleichwohl
mit der Sicherung der Befriedigung des Klägers
zu lange zugewartet habe. Zudem habe er bereits im Mai 2015 gewusst, dass er lediglich eine monatliche Rente von ca. 140 Euro zu erwarten habe. Auch sei er in dem ablehnenden Bescheid des Jobcenters darauf hingewiesen worden, dass er „zeitnah einen Antrag beim Grundsicherungs- und Sozialamt“ stellen solle, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Dass der Beklagte dies unverzüglich getan habe, sei nicht
ersichtlich. Erst am Ende der o.g. Schonfrist, also zwei Monate nach Zustellung der Räumungsklage, habe das Amt die Verpflichtungserklärung abgegeben. Demgemäß hätte es dem Beklagten oblegen, sich frühzeitig darum zu bemühen, dass die Forderungen des Klägers bedient
werden; sein Unvermögen, die Miete zu zahlen,
sei absehbar gewesen.
C. Kontext der Entscheidung
Auch der BGH hat bereits über derart gelagerte Fälle entschieden (vgl. u.a. BGH, Urt. v.
04.02.2015 - VIII ZR 175/14).
Dass ein Mieter nur deshalb die Miete nicht zahlen kann, weil das Sozialamt oder das Jobcenter
seinen Antrag unberechtigt abgelehnt hat oder
es zu einer verzögerten Bearbeitung kommt,
ändert nichts am Vorliegen des Kündigungsgrundes. Mietschulden fallen in den Verantwortungsbereich des Mieters, der sich das Verschulden des Sozialleistungsträgers nach § 276 BGB
zurechnen lassen muss. In dem vom AG Hamburg-St. Georg entschiedenen Fall traf den Mieter darüber hinaus ein erhebliches Verschulden,
weil der Antrag auf Grundsicherung erheblich
verspätet gestellt wurde, nämlich erst, als der
Mieter bereits zahlungsunfähig war.
D. Auswirkungen für die Praxis
Mieter müssen ohne Rücksicht auf ein Verschulden für ihre finanzielle Leistungsfähigkeit
einstehen. Der BGH umschreibt dies mit dem
Grundsatz: „Geld hat man zu haben“. Dieses
Prinzip gilt auch für Mietschulden, ohne dass es
einer weiteren Abwägung bedarf. Die in § 543
Abs. 2 BGB genannten Fälle, u.a. die Nichtzahlung des Mietzinses, stellen gesetzlich typisierte Fälle dar, in denen es dem Vermieter nicht
zuzumuten ist, das Mietverhältnis fortzusetzen.