Presseunterlage - Österreichische Ärztekammer

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Österreichische Ärztekammer
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DER ÖSTERREICHISCHEN
ÄRZTEKAMMER
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PRESSEKONFERENZ
Thema:
Streik- und Aktionstag gegen Verschlechterungen in der
Gesundheitsversorgung
Ärzte wehren sich gegen Maßnahmenpaket der Politik –
Start einer parlamentarischen Bürgerinitiative gegen Sparkurs
und zentralistische Planung
Teilnehmer:
Dr. Johannes Steinhart
Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte
Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer
Zeit:
Donnerstag, 1. Dezember 2016, 09.30 Uhr
Ort:
Österreichische Ärztekammer
Weihburggasse 10-12
1010 Wien
Die Österreichischen Ärztinnen und Ärzte
Aktiv für Ihre Gesundheit
Streik- und Aktionstag gegen Verschlechterungen in der
Gesundheitsversorgung
Der von der Bundeskurie niedergelassene Ärzte der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK)
am 23. November einstimmig beschlossene „Streik- und Aktionstag“ wird am 14. Dezember
österreichweit stattfinden. An diesem Tag wird auch eine parlamentarische Bürgerinitiative
gestartet, sagte der Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und ÖÄKVizepräsident Johannes Steinhart heute im Rahmen einer Pressekonferenz.
Konkreter Auslöser für die Aktivitäten der Ärztekammer ist ein Bündel von Maßnahmen, das
die Regierung unter harmlos klingenden Titeln wie „Finanzausgleich“ oder „Artikel 15aVereinbarun g“ plant und das gestern im Gesundheitsausschuss auch so zur Weiterleitung
ans Parlament beschlossen worden sei. „Diese Maßnahmen haben allerdings das Potenzial,
Verschlechterungen im Gesundheitssystem bis hin zu dessen radikalem Umbau einzuleiten“,
so Steinhart: „Sie knüpfen an den mehrjährigen Bemühungen des Gesundheitsministeriums
an, unter der Chiffre Primärversorgungszentrum das bewährte System der wohnortnahen
Versorgung durch Haus- und Vertrauensärzte auszuhebeln und die Ärzte stattdessen in
Zentren zu konzentrieren“, so Steinhart. „Das würde das Ende der ärztlichen
Freiberuflichkeit, das Ende der freien Arztwahl und wohl auch das Ende der sozialen Medizin
einläuten, weil solche Zentren für Großkonzerne sehr interessant wären.“
Weil dieses fragwürdige PHC-Gesetz nicht so recht vom Fleck gekommen sei, probiere man
es jetzt über die im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen getroffenen Art. 15aVereinbarungen und das dazugehörende „Vereinbarungsumsetzungsgesetz.“ Beide wurden
sowohl im Ministerrat als auch gestern im Gesundheitsausschuss bereits fixiert. Noch im
Dezember soll dieses Gesetz im Parlament beschlossen werden.
„Aus diesem Anlass bereitet die Ärztekammer eine Reihe parlamentarischer und
außerparlamentarischer Maßnahmen vor“, so Steinhart. „Um die Öffentlichkeit über die
geplanten Verschlechterungen in der Versorgung aufzuklären und um Parlamentarier
hoffentlich davon zu überzeugen, ihr Abstimmungsverhalten nicht der Parteidisziplin zu
unterwerfen, sondern an den Bedürfnissen der Bürger zu orientieren.“
Erster zentraler Kritikpunkt: Die „Kostendämpfung“ ist eine Mogelpackung
Die Politik wolle den Anschein erwecken, dass es keine Einsparungen geben und die
Versorgungsqualität dennoch gleich hoch bleiben werde. Sie vermeide peinlich den Begriff
„Einsparen“ und spreche lieber von „Kostendämpfung“, was natürlich das Gleiche bedeute.
Maßstab für die Entwicklung des Gesundheitsbudgets sei nicht der reale Bedarf der
Bevölkerung, sondern das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dieses sei allerdings
in den vergangenen Jahren bescheiden ausgefallen: „Von 2012 bis 2014 lag es jeweils
deutlich unter einem Prozent, 2015 bei einem Prozent. Für 2016 liegen die Prognosen
zwischen 1,5 und 1,7 Prozent. Dem steht gegenüber, dass heute 360.000 Menschen mehr in
Österreich leben als 2012 und medizinisch versorgt werden müssen“, so Steinhart.
Die Gesundheitsausgaben von Industrieländern würden aber auch steigen, weil unsere
Gesellschaft immer älter und damit betreuungsbedürftiger werde. „Wir wissen, dass die reale
Steigerung bei knapp fünf Prozent pro Jahr liegen müsste, wenn man das
Versorgungsniveau halten will. So gerechnet, werden den Patienten in den kommenden
Jahren 4,3 Milliarden Euro für die Gesundheit vorenthalten“, betont Steinhart. „Vieles ist hier
eine Mogelpackung: Jene 200 Millionen Euro, die von der Politik in den Ausbau der
Primärversorgung gesteckt werden sollen, sind kein zusätzliches Geld. Diese 200 Millionen
Euro werden aus dem Budget der Krankenversicherung herausgenommen. Um diese Lücke
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zu füllen, wird bei anderen Kassenleistungen gespart werden, und das werden die Patienten
zu spüren bekommen.“
Zweiter zentraler Kritikpunkt: Vorrang von niedergelassenen Praxen soll fallen
Derzeit sieht das Krankenanstaltenrecht einen Vorrang für niedergelassene Arzte gegenüber
Ambulatorien vor. Offensichtlich soll es pro futuro möglich sein, (insbesondere
kasseneigene) Ambulatorien als Ersatz für die niedergelassene Ärzteschaft auch ohne die
bisher vorgesehene spezielle Bedarfsprüfung einzurichten. Gerade die Leistungserbringung
in den niedergelassenen Praxen war jahrzehntelang aufgrund ihrer Flächendeckung,
Flexibilität und Patientennähe das Erfolgskonzept unserer Gesundheitsversorgung.
Dritter zentraler Kritikpunkt: Die Politik glaubt, bei Entscheidungen auf die
Sachkenntnis der Ärzteschaft verzichten zu können
Am Beispiel der Kassenstellen: Bisher hätten Krankenkasse und Ärztekammer die
Versorgungsplanung des niedergelassenen Bereichs einvernehmlich im Wege von
Stellenplänen vorgenommen. Diese seien ein wesentlicher Bestandteil der Gesamtverträge.
„Ich weise mit Nachdruck darauf hin, dass es bisher stets die Ärztekammern waren, die –
häufig gegen den Willen der Kassen – eine bessere, patientenorientierte Versorgung
eingemahnt und durchgesetzt haben. Dennoch sind schon jetzt aufgrund der Spartendenzen
der Kassen Ausbaudefizite deutlich spürbar“, sagt Steinhart. „Künftig will die Politik aber auf
die Expertise der Ärzteschaft völlig verzichten. Das ist so, als würde der Bund mit der
Wirtschaftskammer einen Kollektivvertrag aushandeln, ohne die Gewerkschaft einzubinden.
In Zukunft will man die Planung des niedergelassenen Bereiches offensichtlich nur noch
nach ökonomischen, anstatt nach medizinisch notwendigen Gesichtspunkten vornehmen.“
Was die Ärztekammer konkret fordert:
1. Keine weiteren Einsparungen. Das Gesundheitsbudget muss sich am realen Bedarf
der Bevölkerung orientieren.
2. Breites, wohnortnahes Angebot und individuelle Wahlmöglichkeiten statt einheitlicher
Staatsmedizin.
3. Ärztinnen und Ärzte in die Planung einbinden – für ein patientenfreundliches
medizinisches Angebot.
4. Vorrang für ambulante Versorgung in (Gruppen-)Praxen niedergelassener Ärztinnen
und Ärzte. Primärversorgungszentren müssen auf ärztlichen Gruppenpraxen
basieren und von Ärzten geleitet werden.
5. Funktionierende Versorgungssysteme weiter ausbauen und weiterentwickeln.
Geplante Aktionen und Appell an Parlamentsabgeordnete
In den Bundesländern werde es am 14. Dezember einen Streik- und Aktionstag mit
unterschiedlichen Aktivitäten geben. Auch eine parlamentarische Bürgerinitiative sei geplant.
Darüber hinaus, ergänzte Steinhart, werde sich auch der heurige „Tag der Allgemeinmedizin“
mit den geplanten Umwälzungen im Gesundheitssystem befassen, insbesondere den
Auswirkungen auf die Hausärzte.
Den Parlamentsabgeordneten will Steinhart noch etwas „mit auf den Weg geben“: „Wir
werden sehr genau darauf achten, welche Nationalratsabgeordneten für dieses Gesetz
stimmen. Mit ihrer Zustimmung tragen sie zu einer weiteren Bürokratisierung des
Gesundheitssystems und zu einer Verschlechterung der Versorgung bei. Außerdem öffnen
sie Großkonzernen das Tor zu unserem solidarischen System, sodass diese dann die neu
geschaffenen Versorgungszentren übernehmen und nach dem Prinzip der
Gewinnmaximierung führen können. Genau diese Abgeordneten werden wir dafür
verantwortlich machen, wenn es keinen wohnortnahen Hausarzt mehr gibt.“
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