ÖPNV-Finanzierung: Gutachten untersucht

ÖPNV-Finanzierung: Gutachten untersucht
Bürgerticket und ÖPNV-Taxe
Wie kann der Nahverkehr in der Region Halle-Leipzig auch in Zukunft in der
jetzigen Form aufrecht erhalten werden, und das angesichts sinkender
Zuschüsse und steigender Kosten? Genau mit dieser Frage hat sich der
Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) befasst.
Zusammen mit dem Berliner Ingenieurbüro ETC wurden deshalb Wege erarbeitet,
wie die Kosten auf mehrere Schultern verteilt werden können. Die tragende
Säule dabei sind alternative Finanzierungsmöglichkeiten. Sechs verschiedene
Varianten wurden dabei erarbeitet und nun auf ihre Machbarkeit hin
untersucht. Am Ende müssten letztendlich die Politiker entscheiden, ob sie am
jetzigen Finanzierungssystem festhalten oder Alternativen umsetzen.
Eine Variante war der flächenbezogener ÖPNV-Beitrag. Grundstückseigentümer
und -nutzer entlang von ÖPNV-Trassen sollten zur Finanzierung herangezogen
werden, beispielsweise für den Unterhalt der Gleistrassen oder die
Anschaffung von Fahrzeugen. Immerhin könnten so im gesamten MDV-Gebiet bis zu
66 Millionen Euro eingespielt werden. Für Halle wurde dabei das Beispiel
Trothaer Straße durchgerechnet. Grundstücke mit einer hohen
Anbindungsqualität und Nähe zur Haltestelle sollten 16 Cent je Quadratmeter
Nutzfläche für den ÖPNV abdrücken. Ein Gutachten hält eine Umsetzung
hauptsächlich in den Großstädten Halle und Leipzig für denkbar, jedoch seien
derzeit dafür die rechtlichen Voraussetzungen noch nicht gegeben. Zunächst
sei eine Ermächtigungsgrundlage in den kommunalen Abgabegesetzen (KAG) oder
den ÖPNV-Gesetzen der Länder erforderlich, im Anschluss müsse eineSatzung
aufgestellt werden.
Ebenfalls untersucht wurde ein Arbeitgeberbeitrag. Schließlich könnten Kunden
und Angestellten die Firmen durch Festsetzungen im Nahverkehrsplan besser
erreichen. Für ein Gewerbegebiet in Halle wurde ausgerechnet, dass die Firmen
78,44 € je Arbeitnehmer und Jahr zahlen müssten. Ein Gutachten hierzu warnt
aber vor der Komplexität, zudem sei diese Lösung nicht kurz- und
mittelfristig umsetzbar. Auch entstehe ein erhöhter Bürokratieaufwand. Zwar
müssten noch Gesetze und Satzungen geändert werden. Doch würden rechtlich
eher positive Chancen auf Realisierung bestehen, so das Gutachten.
Ebenfalls geprüft wurde die Variante, Anwohner in der Nähe von Haltestellen
zusätzlich heranzuziehen. Wer im 600 m Radius einen 2h-Takt im
Regionalverkehrsnetz oder im 150 m Radius eine halbstündliche Verbindung im
Stadtverkehrsnetz, müsste in dieser Variante zahlen. „Über den Beitrag kann
eine bessere Erschließung/Mobilität der Bürger des ländlichen Raums
finanziell ermöglicht werden“, sagt das Gutachten aus. Es rechnet ebenfalls
mit erhöhter Bürokratie und bemerkt, dass im aktuellen Rechtsrahmen eine
Umsetzung nicht möglich ist.
Als vierte Variante wurde untersucht, die Grundsteuer und Kreisumlage
heranzuziehen. Grundstückseigentümer müssten damit mehr bezahlen, um Busse
und Straßenbahnen zu finanzieren. Um jährlich 5,2 Millionen Euro zusätzlich
für den ÖPNV aus der Grundsteuer zu pressen, müsste diese in Halle um 2,4
Prozent steigen. Zudem wäre ein weiterer jährliche Anstieg nötig. Diese
Variante wäre laut Gutachten kurzfristig umsetzbar, es sei auch keine
Gesetzesänderung nötig. Das Gutachten verweist dabei auf eine
höchstrichterliche Rechtsprechung: „bei der Ausübung des
Hebesatzbestimmungsrechts steht den Kommunen ein weiter
Entscheidungsspielraum zu (Art. 28 II GG). Die Rechtsprechung legt keine
absoluten Höchstsätze fest.“
Und auch das Bürgerticket wurde untersucht. Jeder Bürger müsste damit einen
bestimmten Betrag im Monat zahlen, egal ob er Busse und Straßenbahnen nutzt
oder nicht. Dafür wären aber keine Fahrscheine mehr nötig. In der
Beispielrechnung werden alle Hallenser zwischen 20 und 75 Jahren
herangezogen. Zwischen 24 und 32 müsste jeder von ihnen berappen. Das wäre in
etwa halb soviel, wie aktuell eine Monatskarte in Halle kostet. Weil aber die
Kosten steigen, wird auch das Bürgerticket teurer. Zwischen 39 und 48 Euro
wären in zehn Jahren monatlich fällig. Mit einem Bürgerticket könnten mehr
Hallenser auf den ÖPNV umsteigen, der CO2-Verbrauch werde gesenkt. Doch sei
es bei den derzeit geltenden rechtlichen Voraussetzungen nicht umsetzbar,
warnt das Gutachten und verweist auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts.
Zu guter letzt wurde noch eine „ÖPNV-Taxe“ untersucht, die Gäste zahlen
müssten. Wer in Hotels und Pensionen übernachtet, zahl zusätzlich 1 bis 2
Euro pro Übernachtung, ähnlich einer Kurtaxe. Mehr als 100 Millionen Euro in
zehn Jahren könnten so abgeschöpft werden. Diese Variante wäre
verfassungsrechtlich zulässig, jedoch müssten zuvor Gesetze angepasst werden.
Sobald dies geschehen sei, wäre laut Gutachten eine schnelle Realisierung
denkbar.