SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Meinen Chef wähl' ich mir selbst! Neue Formen der Mitbestimmung Von Michael Risel Sendung: Dienstag, 22. November 2016, 8.30 Uhr Redaktion: Martin Gramlich Regie: Autorenproduktion Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. 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Also warum sollte man das nicht auch im Betrieb zur Anwendung bringen.“ Musik (Raus aus diesem Büro / Rein in die Welt / Also halt deine Augen offen) Atmo Hinterhof Ansage: Meinen Chef wähl' ich mir selbst! – Neue Formen der Mitbestimmung. Eine Sendung von Michael Risel. Sprecher: Berlin – ein Hinterhof im Szeneviertel Prenzlauer Berg. Hier, im vierten Stock eines Backsteingebäudes, hat die Firma Qudosoft ihren Sitz. Rund dreißig Beschäftigte entwickeln Computer-Software – seit knapp zwei Jahren ist auch Pablo Rustige als Programmierer mit dabei. O-Ton Pablo Rustige: Demokratie für mich bedeutet, dass das Individuum Einfluss aufs Ganze hat, letztendlich. In unserem Fall jetzt der Mitarbeiter Einfluss aufs gesamte Unternehmen hat. Sprecher: Bei Qudosoft entscheiden die Mitarbeiter viele Dinge mit. Wer neu eingestellt wird, welche Strategie das Unternehmen verfolgt und auch, wer wie viel verdient. 2 O-Ton Pablo Rustige: Wir haben uns für ein Modell entschieden, dass wir ein Gremium haben, das gewählt ist. Das besteht aus drei Leuten. Und dieses Gremium wird eben dann engagiert, wenn man übers Gehalt beispielsweise reden möchte, also wenn man eine Gehaltserhöhung haben möchte, geht man eben zu denen und handelt das mit diesen Leuten aus. So ein Gremium kann meiner Meinung nach besser beurteilen, was jemand verdient zu bekommen, was ihm zusteht. Sprecher: Wer über die Gehälter entscheidet, muss aber auch die sonstigen Finanzen der Firma im Blick haben. Rustige selbst ist Mitglied in der dafür zuständigen Arbeitsgemeinschaft, der Controlling AG: Der 35-Jährige überwacht zusammen mit anderen, was bei Qudosoft an Geld reinkommt und was rausgeht. Entsteht eine Schieflage, schlägt die Gruppe Alarm. Dreißig Prozent ihrer Arbeitszeit – so steht es in ihrem Vertrag - können die Mitarbeiter von Qudosoft dafür nutzen, sich an den verschiedenen AGs zu beteiligen und so das Unternehmen mitzugestalten – freiwillig, nicht als Pflicht. Jeder kann also Verantwortung übernehmen – nicht aufgrund einer bestimmten Position in der Hierarchie, sondern weil er oder sie es will. O-Ton Pablo Rustige: Das klingt jetzt so, als wären wir alle total wahnsinnig, weil wir alle die Verantwortung für das Unternehmen tragen. Es gestaltet sich für viele aber oftmals auch leichter, weil Verantwortung auch wechselbar ist. Das heißt, man kann Verantwortung für bestimmte Bereiche übernehmen, für sich selbst oder die Gruppe, man kann die aber auch wieder weiterreichen an andere Leute. Und das heißt letztendlich ist es vom Stressfaktor her, nehme ich an, für alle ein Leichteres. Sprecher: Formal gibt es bei Qudosoft auch noch einen Geschäftsführer – doch der hält sich bei den meisten Fragen raus. Andere Firmen gehen bei der Mitbestimmung noch einen Schritt weiter und lassen auch die Unternehmensleitung durch die Mitarbeiter wählen. Verlässliche Zahlen darüber, wie viele Betriebe in Deutschland solche demokratischen Elemente ausprobieren, gibt es nicht. Fachleute schätzen, dass die Zahl in die Tausende geht – Tendenz steigend. O-Ton Andranik Tumasjan: Demokratie in Unternehmen ist ein Trend, der sehr stark an Aufwind gewinnt und wir merken, dass das einfach ein Thema ist, das viele Unternehmen bewegt und wo auch ein Umdenken stattgefunden hat in den letzten Jahren. Sprecher: Andranik Tumasjan forscht an der Technischen Universität München zur Frage, wie Unternehmen sich demokratisch organisieren. Dass das Thema von vielen Firmen aufgriffen wird, liegt seiner Meinung nach auch daran, dass gerade eine neue Generation auf den Arbeitsmarkt kommt – und die kann mit der klassischen Rolle des Befehlsempfängers innerhalb einer betrieblichen Hierarchie gar nicht viel anfangen. 3 O-Ton Andranik Tumasjan: Der Wertewandel zeigt einfach, dass gerade jüngere Arbeitnehmer sehr starken Wert darauf legen, autonom zu sein, autonom zu arbeiten, auch mitzugestalten und stellen sich diese Frage immer mehr, nach dem Sinn: Warum sollte ich überhaupt für ein Unternehmen arbeiten? Und da ist Demokratisierung einfach ein Trend, weil er ermöglicht überhaupt, dass man einen Sinn in seiner Arbeit sieht, weil man mitbestimmen kann. Zum Beispiel Mitbestimmung der Unternehmensstrategie bis hin zu Mitbestimmung, wer soll in meinem Team arbeiten oder wer soll mein Chef sein.“ Sprecher: Vor allem kleine Start-Up-Unternehmen verstehen Mitbestimmung als eine Chance, junge, talentierte Leute zu sich zu holen. Doch damit es mit der Demokratie am Arbeitsplatz auch wirklich klappt, reicht es nicht, flache Hierarchien einzuführen und die Mitarbeiter abstimmen zu lassen. Wer so an die Sache rangeht, wird schnell enttäuscht. Die amerikanische Beratungsagentur WorldBlu erstellt jedes Jahr eine Liste mit Firmen, die besonders demokratisch organisiert sind. Dabei zeigt sich: Ein allgemein gültiges Erfolgsrezept für demokratische Unternehmen gibt es zwar nicht – aber immerhin einige Grundregeln. Sprecherin: Regel Nummer 1: Transparenz Sprecher: Wer mitentscheiden soll, braucht Informationen. Wenn es um die Unternehmensstrategie geht, um die Frage, welche Produkte hergestellt werden oder zur Abstimmung steht, wie viel ein Mitarbeiter verdienen soll, bringt es nichts, wenn nur ein kleiner Kreis über die dafür notwendigen Fakten verfügt. Geheimniskrämerei ist Gift – stattdessen braucht es einen Informationsfluss. Auch bei Qudosoft hat man das erkannt. O-Ton Pablo Rustige: Wir versuchen, Geheimnisse zu vermeiden. Wir versuchen möglichst, die Transparenz voranzutreiben. Das kommt dann auch zur Sprache, wenn man jetzt der Meinung ist, dass jemand vergisst, transparent zu sein oder Informationen weiterzutragen, dann wird das auch direkt angesprochen: Nächstes Mal kannst du mehr Bescheid geben. Sprecherin: Regel Nummer 2: Verbindlichkeit Sprecher: Ein Fehler, der häufiger passiert: Das Management will die Meinung der Mitarbeiter zu einer bestimmten Frage wissen, es wird abgestimmt, aber: Danach passiert nichts, die Befragung hat keine Konsequenzen. Das Ergebnis verpufft. Die Folge: Frustration statt Motivation in der Belegschaft. Klassischer Fehler meint Andranik Tumasjan von der TU München. 4 O-Ton Andranik Tumasjan: Es nützt nichts, demokratische Strukturen zu etablieren und dann nicht nach ihnen zu handeln. Es darf keine Alibi-Handlung sein. Es sollte eine klare Institutionalisierung geben. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Demokratie funktioniert. Und das Management muss sich nach diesen Entscheidungen auch richten und sich daran halten. Sprecher: Anders formuliert: Es muss klar sein, wer wann worüber mitentscheiden darf – und mit welchen Folgen. Ein Mittel, um das sicherzustellen sind regelmäßige Treffen, wie es sie bei Qudosoft gibt. O-Ton Pablo Rustige: „Wir haben beispielsweise etwas, was wir den QSN nennen: Der QudosoftStrategische-Nachmittag, wo wir uns einfach mal einen Nachmittag Zeit nehmen, um tatsächlich über Punkte, die gerade offen liegen, reden, versuchen, eine Lösung zu finden oder dann eine Gruppe an Mitarbeitern zu finden, die sich dieses Problems annimmt.“ Sprecherin: Regel Nummer 3: Lernbereitschaft Sprecher: Demokratie ist kein abgeschlossenes Projekt, sondern entwickelt sich ständig weiter. Und es gibt verschiedene Ausprägungen. Welches Modell sich am besten eignet und auch wie viel Demokratie ein Unternehmen verträgt, hängt vom Einzelfall ab. O-Ton Andranik Tumasjan: Man muss auch für das Unternehmen, für das Produkt, für die Branche einen entsprechenden Grad an Demokratisierung finden, der passt. Und das ist für Unternehmen eine Herausforderung, das über die Zeit zu merken. Sie können ja durchaus basisdemokratisch einsteigen. Aber sie müssen dann eben auch merken: Wo funktioniert das, wo geht das schief. Sprecher: Aber nicht nur das ganze Unternehmen – auch die einzelnen Mitarbeiter müssen dazu lernen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Prozesse zu optimieren: O-Ton Pablo Rustige: Wenn etwas nicht funktioniert ist dann bei uns zumindest eher die Frage: Was lief falsch, was machen wir anders. Und nicht: Wer hat es verbockt? Das wäre dann der falsche Fokus natürlich, weil das führt dann zu Angst und Angst blockiert und das wollen wir ja vermeiden. Die Leute sollen ja nicht Angst haben, sie sollen ja frei gute Entscheidungen treffen können. Und dann auch natürlich die Möglichkeit haben, sich falsch zu entscheiden oder auch Fehler zu machen. Die Frage ist, wenn man einen Fehler macht, eher: Hat man daraus gelernt um es beim nächsten Mal nicht falsch zu machen. Don’t fear to fail, sagt man ja so schön auf Englisch. 5 Sprecher: Lernbereitschaft, Verbindlichkeit, Transparenz – Regeln, die die Chance erhöhen, dass es mit der Demokratie im Unternehmen klappt. Bisher wird der Wunsch nach mehr Beteiligung in der Mehrzahl der Unternehmen allerdings oft mit dem Argument abgeschmettert, dass sei zwar in der Theorie sehr schön, aber untauglich für die Praxis. Demokratische Prozesse ziehen Entscheidungen in die Länge, heißt es aus den Führungsetagen, sie kosten Zeit – etwas, dass sich kein Unternehmen im globalen Wettbewerb leisten kann. Mit der Digitalisierung zeichnet sich aber auch für dieses Problem eine Lösung ab. Dank Internet und Smartphone, meint Organisationsforscher Tumasjan. O-Ton Andranik Tumasjan: Wenn sie jetzt an die Demokratisierung von vor 30 Jahren denken, vor dem digitalen Zeitalter, dann wäre das nur möglich gewesen über Handabstimmung oder über einen Urnengang. Das heißt sie müssen eine Versammlung einberufen und so weiter. Heute können sie eine Entscheidung per Mobiltelefon, per Smartphone zur Disposition stellen und die Personen können innerhalb von wenigen Minuten weltweit auf diese Entscheidung reagieren mit einem JA oder NEIN. Und das beschleunigt diese demokratischen Prozesse ungemein. Sprecher: Um die Mitarbeiter besser miteinander zu vernetzen, setzen einige Unternehmen auch auf offene Kommunikations-Plattformen. In solchen digitalen Foren kann jeder äußern, wo der Schuh ihn drückt oder was besser laufen soll. Die direkte Partizipation in Unternehmen wird so um einiges leichter – und auch die Möglichkeit, das Arbeitsleben anders als bisher zu gestalten, findet der Soziologe Andreas Boes vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung in München. O-Ton Andreas Boes: Ich glaube tatsächlich, dass wir über eine neue Humanisierung der Arbeit nachdenken sollten. Also eine Idee neu auflegen sollten, nämlich dass man eine bewusste, auf den Menschen und seine Bedürfnisse gerichtete Form des Wirtschaftens braucht. Sprecher: In der kapitalistischen Wirtschaftsordnung verbirgt sich hinter dem Tausch von Arbeitskraft und Lohn eine grundlegende Machtasymmetrie – mit anderen Worten: ein Herrschaftsverhältnis. Das bekommen viele Beschäftigte in ihrem Job Tag für Tag zu spüren. Auch Spitzenmanager. O-Ton Andreas Boes: Letztens mit einem gesprochen, der hatte ein Lebenskonzept, der wollte mit seiner Partnerin für einen bestimmte Zeit in einer Position bleiben, um gemeinsam das Neugeborene großziehen zu können. Da hat sein Chef-Chef gesagt: Sie wechseln jetzt die Funktion, sie gehen jetzt in eine internationale Position und das ist keine Bitte, sondern das ist eine Anordnung. Das muss sich ein Mensch mit vielleicht 250.000 Jahreseinkommen bieten lassen. Wenn man jetzt mal die normaleren Menschen unten drunter sich angucken würde, dann hat man eine Vorstellung davon, was das bedeutet. Das ist ja nicht einfach nur: Naja, so ein bisschen 6 Herrschaft hat man immer im Leben! Sondern das heißt ja, dass man sich im Inneren darauf einrichten muss, damit umzugehen, dass man das verarbeiten können muss, dass einem andere Menschen das Lebenskonzept kaputt machen können, weil ihnen das wichtig ist. Sprecher: Die Suche nach Alternativen zu solchen Herrschaftsverhältnissen und nach neuen Formen des Wirtschaftens ist deshalb nicht neu: Inspiriert von der Genossenschaftsidee und getragen von der Studentenbewegung der 68er, wurden in Deutschland Anfang der 1970er-Jahren zahlreiche selbstverwaltete Betriebe gegründet: Kinos, Buchhandlungen, Druckereien. Basisdemokratisch organisiert war ihr gemeinsames Ziel: Weg von der entfremdeten Arbeit im Kapitalismus, hin zu einer herrschaftsfreien Gesellschaft. So radikal ist die heutige Demokratie-Bewegung in Unternehmen bei weitem nicht. Weder geht es darum, Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen, noch darum den Kapitalismus abzuschaffen. Stattdessen stehen die Unternehmen heute unter einem großen Veränderungsdruck, sagt Soziologe Andreas Boes: O-Ton Andreas Boes: Die Unternehmen erfinden sich im Moment regelrecht neu. Die gehen raus aus dieser alten bürokratischen Struktur, mit starken Hierarchien und einer entsprechenden Verfügungsgewalt der Führungskräfte über alles und jedes und versuchen schon stärker in Richtung vernetzte, agile Organisation zu gehen und damit natürlich auch die Entscheidungsprozesse zu verändern, auch die Art und Weise, wie kommuniziert wird, zu verändern. Sprecher: Denn statt Arbeit am Fließband zählen heute Ideen. In der alten Befehls-Pyramide hieß es noch: Einer sagt, wo’s lang geht, alle anderen folgen. Schöpferische Potentiale lassen sich da nur schwer entfalten. Doch In der Wissensgesellschaft ist Kreativität der Produktionsfaktor Nummer Eins. Dazu muss man die Mitarbeiter von der Leine lassen und ihnen mehr Freiräume geben. Und das machen auch immer mehr Unternehmen. O-Ton Andreas Boes: Sie nennen das dann häufig „agilen Mitarbeiter“ oder einen „empowerten Mitarbeiter“, also einen, wenn man es wörtlich übersetzt, einen ermächtigten Mitarbeiter, der vereinfacht gesagt, mitdenkt, der sich verantwortlich verhält, der agil ist, also der sich ständig verändert, wenn das notwendig ist und dementsprechend gemeinsam mit dem Unternehmen an einem Strang zieht. Und diesem Mitarbeiter muss man Angebote machen. Und dieser Prozess, also einen neuen Mitarbeiter für eine neue Organisation zu schaffen, der gipfelt im Moment in einer allgemeinen Stimmung nach mehr Beteiligung der Mitarbeiter. Sprecher: Diese Beteiligung verantwortlicher, agiler, mitdenkender Mitarbeiter am Unternehmensprozess kann von existentieller Bedeutung sein: Beispiele wie die des Filmherstellers Kodak oder des Handyproduzenten Nokia zeigen, wie schnell auch große Firmen vom Markt verschwinden können, wenn sie neue Entwicklungen 7 verschlafen. Flache Hierarchien und mehr Mitsprache der Mitarbeiter sollen das verhindern. O-Ton Andranik Tumasjan: Denken sie an große Konzerne. Da ist oft das Problem, dass sie zu weit weg vom Kunden sind. Sie haben dann vielleicht neun oder zehn Hierarchiestufen und jemand auf der sechsten Hierarchiestufe der bündelt dann quasi viele Abteilungen ist aber mittendrin in der Organisation und ist vielleicht viel zu weit weg vom Kunden. Und dann stellt ein großes Problem dar. Dann können sie nicht mehr agil sein. Und wenn sie das rein hierarchisch organisieren, gerät ihre Unternehmen in Schwierigkeiten. Sprecher: Das hat auch Detlef Lohmann erkannt. Er ist Mitinhaber und Geschäftsführer von Allsafe Jungfalk – einem klassischen mittelständischen Unternehmen mit 180 Mitarbeitern. Der Betrieb in der Nähe vom Bodensee stellt Gurte und Schienen her, mit denen die Ladung für den Transport auf LKWs und in Flugzeugen sicher befestigt werden kann. Als Detlef Lohmann die Firma 1999 übernommen hat, wollte er die Abläufe im Betrieb verbessern. Seine Idee: Die Mitarbeiter nicht mehr in festen Abteilungen arbeiten lassen, sondern stattdessen immer wieder neue Projekt-Teams ins Leben rufen – je nachdem, welcher Auftrag gerade reingekommen ist bzw. welches Problem sich gerade in einem Projekt ergeben hat. Lohmann vergleicht dieses Vorgehen mit der Organisation bei Katastrophen-Einsätzen. O-Ton Detlef Lohmann: Wenn sie eine Katastrophe haben, bilden sie einen Katastrophen-Stab. Und dort, in diesem Katastrophen-Stab, in so einer Task-Force fassen sie auch alle Experten zusammen, die sie jetzt brauche, um diese Krise zu lösen. Und in der Regel sind dann während so einer Krisen-Situation dann all die üblichen hierarchischen Strukturen außer Kraft gesetzt und die Menschen die dann dort als Gruppe zusammen arbeiten, können ad-hoc, zielorientiert an diesem einen Problem arbeiten und dürfen in der Regel auch alles sofort entscheiden, was nämlich notwendig ist, damit man die Krise überwindet. Und nach dem gleichen Prinzip, nach dem gleichen Gedankenprinzip, sind wir hier bei uns organisiert und haben dann solche TaskForce anhand unserer Prozesslandschaft gebildet. Sprecher: In ihren Teams entscheiden die Mitarbeiter etwa selbst, welche Geräte angeschafft werden müssen, um einen Auftrag zu erledigen und viel Geld sie dafür ausgeben wollen – Demokratie im Kleinen, sozusagen. Detlef Lohmann ist zwar der Chef – ins operative Geschäft mischt er sich aber in der Regel nicht ein. Denn Mitbestimmung im Betrieb bedeutet für ihn, dass die Unternehmens-Spitze bereit sein muss, Macht abzugeben. Was nicht immer einfach ist. O-Ton Detlef Lohmann: Was muss ich selber lernen ist tatsächlich diese Demut. Den Respekt vor dem Mut, dass jemand eine Entscheidung getroffen hat. Und wenn die anders ausfällt als meine eigene und ich auch glaube meine eigene wäre die besser, dann ist es schon schwer das auszuhalten und dann eben solche eine Entscheidung nicht zu revidieren, weil dann würde das gesamte System ad absurdum führen und die 8 Entwicklungsarbeit von Jahren wäre innerhalb von einer Minute oder einer Sekunde, wo ich das nämlich mache, zerstört. Und das macht ja keinen Sinn. Sprecher: Umgekehrt bedeutet mehr Mitbestimmung für die Mitarbeiter aber auch: mehr Verantwortung. O-Ton Detlef Lohmann: Und Verantwortung tatsächlich zu tragen und zu leben ist ein anstrengenderer Prozess. Ich kann auch auf niemanden mehr so einfach schimpfen: Der blöde Chef, der hat das angewiesen. Sondern, in dem Moment, wo ich das mache, mache ich es aus eigenem Antrieb. Ich hab das entschieden. Und so etwas ist durchaus ein anstrengender Prozess. Menschen sind erfüllter von ihrer Arbeit, aber es ist auch etwas, was dem ein oder anderen nicht so passt, einfach weil er mehr denken muss. Das andere ist halt bequemer. Sprecher: Nicht immer sind die Mitarbeiter von der Idee, in einem Unternehmen mehr Demokratie zu wagen, sofort begeistert. Soziologe Andreas Boes weiß aus Gesprächen mit Managern, wie viel Überzeugungsarbeit manche Führungskräfte in ihren Unternehmen leisten müssen: O-Ton Andreas Boes: Der Punkt wird dahin gehen, dass natürlich auch auf Seiten der Mitarbeiter sich das erst nach und nach entwickeln wird und auch erst dann entwickeln wird, wenn man merkt, dass es tatsächlich ehrlich gemeint ist. Also dass diese Beteiligungsrechte tatsächlich ernst gemeint sind und dass sie wirklich bestehen und dass es auch einen Sinn macht für die Beschäftigten, sich wirklich einzubringen in diese Entscheidungen und sich zu beteiligen. Das wird nicht von heute auf morgen gehen. Sprecher: Aber nicht nur die Mitarbeiter sind häufig skeptisch – sondern auch die Kapitalgeber. O-Ton Andreas Boes: Wenn sie sich heutzutage aktiennotierte Unternehmen anschauen und sie überlegen sich, sie haben einen Streubesitz und irgendwelche Banken und irgendwelche Investmentfonds und was weiß ich haben ihr Geld da drin. Und sie versprechen denen jetzt, die Mitarbeiter dürfen bei mir bestimmen was wir verkaufen, welche Strategie wir wählen, mit wem wir merchen – ich will mal sehen, wie lang die dann noch ihre Aktien halten werden. Da muss man sich schon darüber klar werden. Sprecher: Wie ernst meinen es Unternehmen also mit der Demokratie? O-Ton Britta Rehder: Ich glaube, dass es dann, wenn es konkret wird, sehr schnell nicht mehr so viele Freunde gibt. 9 Sprecher: Britta Rehder ist Professorin für Politikwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und forscht seit langem zum Thema betriebliche Mitbestimmung. Wenn Manager von flachen Hierarchien und direkter Partizipation sprechen, sind das aus ihrer Sicht oft Sonntagsreden. Sie klingen zwar schön – wenn es aber an die Umsetzung geht, ebbt die Euphorie oft schon bald wieder ab. Zudem seien Experimente mit direkter Demokratie bisher immer beschränkt auf einzelne Unternehmen. Freiwillige Zugeständnisse der Arbeitgeber an die Arbeitnehmer – die im Zweifel auch wieder kassiert werden können. O-Ton Britta Rehder: „Also die Arbeitgeberseite hat sicherlich ein Interesse daran, dieses Instrument manchmal zu nutzen, um eben ein Wissen anzuzapfen in der Belegschaft, dass sie von allein nicht bekommen. Die scheuen aber sicherlich die Institutionalisierung und die rechtliche Verbriefung dieser Instrumente. Weil das ja quasi eine Mitbestimmung 2.0 ist.“ Sprecher: Regulär findet Mitbestimmung bisher vor allem über den Betriebsrat statt. Der wird gewählt und soll die Interessen der Beschäftigten vertreten - etwa bei den Arbeitszeiten oder beim Aushandeln von Tarifverträgen. In größeren Firmen gibt es außerdem einen Aufsichtsrat, der auch bei strategischen Fragen mitreden darf. All das wird geregelt im Betriebsverfassungsgesetz. Von einer basisdemokratischen Wahl des Chefs oder einer Mitsprache der Mitarbeiter beim Gehalt steht da nichts. O-Ton Britta Rehder: Das ändert sich, wenn man das Betriebsverfassungsgesetz ergänzt, modifiziert oder Tarifverträge ergänzt oder modifiziert um solche direktdemokratischen Elemente. Aber bisher passiert das alles ja eher in so einem informellen Bereich. Und da ist eben nichts erzwingbar. Das macht diese Instrumente nicht schlecht, es ist wunderbar wenn sie funktionieren. Aber die interessante Frage ist ja, was passiert, wenn sie nicht mehr funktionieren. Sprecher: Aus Sicht der Politikwissenschaftlerin stellt die Mitbestimmung 2.0 vor allem größere Betriebe mit tausenden von Mitarbeitern vor enorme Herausforderungen. Nur ein Beispiel: Wenn ein Autobauer in seinen Produktionshallen Leiharbeiter beschäftigt, die nur für begrenzte Zeit im Unternehmen tätig sind – haben die dann bei Abstimmungen das gleiche Stimmrecht wie die Stammbelegschaft? O-Ton Britta Rehder: Das ist eine prozedurale Frage, die geklärt werden muss, wenn man da einsteigen will, ist das erst mal ein gigantischer Aufwand an der Produktion neuer Regeln und wahrscheinlich auch ein gigantischer Aufwand an administrativen Dingen. Schon eine normale Betriebsratswahl, das ist eine Heidenarbeit. Und wenn sie das immer mal wieder machen müssen für einzelne Abstimmungen, dann erhöht das in ziemlich rasanter Art und Weise die Verwaltungskosten und den Verwaltungsaufwand. 10 Sprecher: Höhere Kosten und höherer Aufwand, nicht unbedingt etwas, was Unternehmen sich wünschen. Dazu kommen Fragen wie: Welches Interesse haben Arbeitgeber an direkter Partizipation? In welchem Maße sind sie tatsächlich bereit, Macht abzugeben? Und wenn es so weit kommt, dass Mitarbeiter individuell mehr Mitsprache haben – wie geht es dann weiter mit den alten Formen der Mitbestimmung wie etwa den Betriebsräten? Der Soziologe Andreas Boes sieht da unter Managern gerade zwei gegenläufige Strömungen: O-Ton Andreas Boes: Die einen, die sehr stark versuchen, tatsächlich eine wirkliche Demokratisierung zu bereiten und die hat immer auch was mit verfassten Rechten zu tun und nicht nur mit gewährten Rechten. Also, wenn es dem Unternehmen passt, dann gibt man sie und wenn es dem Unternehmen nicht passt, hat man sie eben nicht. Also Demokratie hat immer gewährte Rechte, die lassen sich nicht veräußern. Das ist die eine Seite und die anderer Seite geht meines Erachtens in die Richtung, zu sagen, wenn wir doch diese tolle neue Selbstbestimmung haben, wofür brauchen wir denn noch diese alte muffige Mitbestimmung mit Betriebsräten und Rechten und Verfassungen und so weiter. Sprecher: Wer sich am Ende durchsetzen wird, ist heute noch nicht abzusehen. Klar ist: Das Interesse der Unternehmen an mehr Mitsprache von unten ist kein Akt freiwilliger Nächstenliebe und auch kein Selbstzweck, sondern eine ökonomische Notwendigkeit. Partizipation sorgt für Innovation und soll sich dadurch rechnen. Wenn die Mitarbeiter mehr zu sagen haben, erhöht das aus wirtschaftlicher Sicht die Produktivität. Klar ist aber auch: Die Arbeitswelt verändert sich. Straffe Hierarchien sind ein Auslaufmodell. Und: Wer am Markt überleben will, muss nach neuen Wegen suchen, um seine Mitarbeiter zufrieden zu stellen. O-Ton Andreas Boes: Meine Analyse wäre: Da entsteht ein neuer Möglichkeitsraum, mehr Demokratie in die Wirtschaft, in die Unternehmen hineinzutragen und aus einer prinzipiellen Frage des Beteiligens, der Transparenz, des Wissen-Teilens, was die Unternehmen brauchen und wollen, eine Frage auch von mehr Demokratie zu machen. Musik (Interpret: Tilman Rossmy, Titel: Raus aus diesem Büro] (Hey Schatz ich wünsch dir so/dass du deinen Weg rausfindest aus diesem Büro) ***** 11
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