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MA-Verlag
POLITIK / REPORT
Aufbruch demokratisch Rechtsruck verhindern ...
Sören Altstädt im Gespräch
Die Zukunft einer progressiven
Linken
Interview am 15. November 2016
in Hamburg
(SB) ­ Sören Altstädt studiert am
Institut für Soziologie an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität
Hamburg. Er ist Aktivist der paneuropäischen "Bewegung Demokratie in Europa 2015", kurz
DiEM25, die sich die Demokratisierung ... (Seite 6)
IMPRESSUM
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Donnerstag, 24. November 2016
Aufbruch demokratisch - kleinster Nenner ...
Ein Licht in der Finsternis droht zu blenden
"Die gegenwärtige Europapolitik
und die Demokratisierung der EU"
DiEM25­Podiumsdiskussion
am 15. November 2016 in Hamburg
Yanis Varoufakis
Foto: © 2016 by Schattenblick
(SB) 23. November 2016 ­ Die pa-
neuropäische Demokratiebewegung DiEM25 hat sich auf ihre
Fahnen geschrieben, die Desintegration der Europäischen Union
aufzuhalten, dem Aufstieg der
Rechten etwas entgegenzusetzen
und eine radikale Demokratisierung der EU und ihrer Institutionen herbeizuführen. Inspiriert
von ihrem Hoffnungsträger Yanis
Varoufakis will sie dem "europäischen Geist" zur Durchsetzung
verhelfen, der internationalistisch
sei und sich überall zu Hause fühle. Getragen von einem breiten
Bündnis fortschrittlicher Kräfte,
die sich grenzübergreifend und
ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit zusammenschließen, um eine
progressive Internationale ins Leben zu rufen, sollen Wut, Furcht,
Unsicherheit und Perspektivlosigkeit wiedergewonnener Zuversicht weichen, Verwirrung und
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Zerfall durch Rationalität und kratisch verfaßte europäische sei daher keine linksgerichtete InEinheit aus dem Feld geschlagen Konstitution ins Leben rufen und itiative, sondern eine temporäre
in Kraft setzen soll.
werden:
Allianz mit Liberalen, progressiven Konservativen, Grünen und
Ich kann euch sagen, es ist ein un- Wie Varoufakis hervorhebt, anderen Kräften, die das Interesglaubliches Gefühl, während einer zeichneten sich unabweisliche se verbinde, die Talfahrt zu stopDiEM25-Versammlung zu mer- Parallelen zur epochalen Wirt- pen und Europa zu stabilisieren.
ken, wie alle diese Lager unter dem schaftskrise zu Beginn der 1930er Sei das erst einmal gelungen,
Banner der Demokratie zusam- Jahre und deren verhängnisvollen könne man sich ausgiebig streimenkommen und an einem Strang Folgen ab. Damals habe der Zu- ten. Progressive Linke wie er
ziehen. Meine Frustration über sammenbruch der Wall Street zu selbst hätten die Schuld für ihr
konstant bestehende Verhältnisse einem Verfall des Währungssy- Scheitern stets bei der Übermacht
hat sich in Hoffnung aufbaldigen stems geführt, der Europa in den des Systems oder den Leitmedien
Wandel umgekehrt. Meine Angst Abgrund stürzen ließ. Wachsende gesucht, nicht aber bei ihrem eivor einer ungewissen Zukunft hat Fremdenfeindlichkeit und aufbre- genen Versagen, eine Position zu
sich in Zuversicht verwandelt, und chender Rassismus hätten den artikulieren, die von der Mehrheit
dieses widerliche Gefühl der Isola- Aufstieg des Faschismus beflü- unterstützt werde. DiEM25 wertion wurde zur Verbundenheit. Ich gelt. Heute befördere die systemi- de nur dann signifikant, wenn es
möchte euch dazu einladen, Teil sche Strukturkrise eine Konstella- gelinge, über den Standard linker
dieser Bewegung, dieses Netz- tion, in der sich eine stolze Nati- Rhetorik, Praxis und Illusion hinwerks zu werden. Bringt euch ein, on gegen die andere wende und auszugehen. Trump und Farage
organisiert euch, gründet DiEM- eine nationalistische Internationa- hätten demonstriert, daß es mögKollektive in dieser Stadt und ver- le überall in der westlichen Welt lich ist, sich gegen das Establishdie Konfrontation mit dem politi- ment durchzusetzen, jedoch mit
netzt euch mit uns!
schen Establishment suche. Dabei einer falschen, menschenfeindliDiese mit stürmischem Beifall handle es sich jedoch um einen chen Agenda. "Es ist unsere Aufaufgenommenen einleitenden Scheinwiderspruch: Zwar habe gabe, eine radikale, humanistiWorte Sören Altstädts, des Koor- das Establishment nicht die ge- sche Agenda zu etablieren, um
dinators von DiEM25 in Ham- ringste Ahnung, wie es den euro- Europa wiederzugewinnen!"
burg, brachten das zentrale Mo- päischen Kapitalismus stabilisiement der Bewegung wie auch die ren könne, und nähre damit die Eine entschiedene Absage erteilt
Stimmung im mit gut 800 zumeist rechtsgerichteten Kräfte, doch DiEM25 allen Diskursen und PläStudierenden randvoll gefüllten versuche es zugleich, seinen Vor- nen, die Eurozone oder die EU
größten Hörsaal des Hauptgebäu- teil daraus zu ziehen. Daher seien aus eigenem Antrieb zu verlassen:
des der Universität auf den Punkt. das Establishment und die Natio- Dies forcierte den Zerfall und
Unter dem Eindruck unabwend- nalisten de facto Komplizen, die spiele den Rechten in die Hände.
bar erscheinender multipler Kri- einen finsteren Tango tanzten.
Es gelte vielmehr, in der EU zu
sen, zerfallender Ordnungsstrukbleiben, sie aber von innen heraus
turen und Werte wie auch drama- Es sei ein historischer Fehler der zu kritisieren und zu demokratitisch anwachsender Ungewißheit Sozialdemokraten und Kommu- sieren. Wie soll das vonstatten geder Lebensverhältnisse mutet der nisten in den frühen 1930er Jah- hen? DiEM stehe für Konfrontamit dezidierter Zuversicht vorge- ren gewesen, sich nicht gegen den tion mit den Institutionen, nicht
tragene Weckruf wie ein kaum Faschismus zu verbünden, den um sie zu zerstören, sondern in einoch für möglich gehaltener fort- man nicht wiederholen dürfe, so nem Prozeß radikaler Schritte daschrittlicher Aufbruch mit greif- Varoufakis. Perioden der Deflati- zu zu bewegen, die wohlüberlegbaren Erfolgsaussichten in über- on seien keine revolutionären ten Einwände anzuerkennen und
schaubaren Fristen an. Die Agen- Zeiten, welche die Linke begün- sich rekalibrieren zu lassen. Dem
da sieht eine Schrittfolge zu ab- stigten, den Kapitalismus zu de- Konzept konstruktiven Ungehorsolvierender Etappen vor, die bis stabilisieren. Sie begünstigten sams folgend, entwickle man mo2025 das Technokratenregime der vielmehr Rassisten, Ultranationa- derate Vorschläge und fordere das
EU überwinden und eine demo- listen und Faschisten. DiEM25 Establishment auf, sich dem anSeite 2
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Do, 24. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
zuschließen. "Doch wenn es auf
eine menschenfeindliche, gescheiterte Politik beharrt, müssen wir
ungehorsam sein. Wie das durchzuführen ist, müssen wir dringend
diskutieren", so Varoufakis.
Die progressive Agenda formuliere eine Wirtschaftspolitik für ganz
Europa, die Vorschläge zu Banken, Steuern, Investitionen, Sozialökonomie, Migration, grüner
Transition und einem verfassunggebenden Prozeß enthalte. Ende
Februar in Paris beginnend, wolle man dieses Konzept vor allen
anstehenden Wahlen in europäischen Ländern präsentieren. Ein
paneuropäischer New Deal, der in
grüne Technologien investierte
und von der EZB unterstützt würde, könnte wie Roosevelt 1933
das Klima von grundauf ändern
und die EU stabilisieren. Sobald
das gelungen sei, könne man die
alten Verträge durch eine neu ausdiskutierte Verfassung ersetzen.
Es gelte, den Traum gemeinsamen Wohlstands wiederzubeleben, wie er nach 1945 existiert habe, diesmal jedoch eines grünen
Wohlstands, der die Kapazitäten
der Technologie nutze, ohne den
Planeten und unsere Seele zu
schädigen.
Do, 24. November 2016
Yanis Varoufakis, Philip Liste,
Siri Keil (Moderatorin),
Rahel (Moderatorin),
Martin Sauber, Lisa Knoll
Foto: © 2016 by Schattenblick
Mitdiskutierende wohlwollend
skeptisch
Die weiteren Diskutantinnen und
Diskutanten auf dem Podium standen DiEM wohlwollend gegenüber, wiesen aber mit ihren ergänzenden bis skeptischen Beiträgen
auf die eklatanten Lücken im Entwurf dieser Bewegung hin. Die
Soziologin Lisa Knoll führte die
Depolitisierung vieler Linker nicht
zuletzt auf deren strikte Trennung
von Staat und Markt zurück, als
sei letzterer eine freie und natürliche Entität, die nicht bürokratisch
organisiert werde. Der Sozialstaat
werde abgebaut und durch eine
Technokratie ersetzt, die Anreizstrukturen, Systeme der Leistungsmessung und Vergleichsinstrumente installiere. Die Marktförmigkeit bringe den Diskurs hervor, daß die Verhältnisse, in denen
wir leben, unveränderbar seien.
sungsgebenden Prozesses ein, der
im Manifesto von DiEM formuliert wird. Wie die amerikanische
Unabhängigkeitserklärung oder
die UN-Charta zeige, wurden diese Dokumente im Namen eines
Volkes oder einer Völkergemeinschaft unterzeichnet, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existierten. Dieser Zirkelschluß werde allenfalls in der Präambel der
UN-Charta durchbrochen, wo von
einer Übereinkunft der Regierungen die Rede ist. Die Frage des
Referenten, was der von DiEM25
immer wieder gern zitierte Demos
sei, in dessen Hände die politische
Entscheidungsgewalt und Kontrolle zurückkehren müsse, blieb
auf der Veranstaltung leider unbeantwortet. Ebensowenig Resonanz rief Listes Verweis auf den
Ausnahmezustand wach, der bereits in der Türkei und in Frankreich verhängt wurde.
Die weitreichendsten Einwände
brachte der Ökonom Martin Sauber zum Ausdruck, der auf den
Zusammenhang von Kapitalakkumulation und Verschuldung in
der EU einging. Er thematisierte
Privateigentum, WarenproduktiDer Politologe Philip Liste ging on und Ausbeutung von Arbeit
auf die Problematik des verfas- und Natur aufgrund der kapitaliwww.schattenblick.de
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stischen Produktionsweise und
imperialen Lebensweise. Wenngleich eine Demokratisierung der
EU notwendig sei, schließe er
aus, daß man zuerst den Kapitalismus stabilisieren und anschließend ökologische Probleme bewältigen könne. Er wünsche sich
keinen neuen Klassenkompromiß, denn wenn der Kapitalismus
durch reformierte europäische Institutionen stabilisiert werde, legitimiere dies die grundlegenden
Machtstrukturen. Statt dessen favorisiere er die Selbstermächtigung frei assoziierter Menschen
einschließlich einer Demokratisierung der Produktion und trete
für eine sozioökologische Bestärkung ein, die über eine parlamentarische Demokratie, den Kapitalismus und Europa hinausgehe.
Keim eines neuen Demos?
Foto: © 2016 by Schattenblick
Sammlungsbewegung auf der
Suche nach dem Demos
Obgleich Sauber damit fast schon
eine Grundsatzkritik am Konzept
von DiEM25 formulierte, versagSeite 4
te ihm das Publikum ausgiebigen
Beifall ebensowenig wie anderen
Stimmen auf dem Podium oder
bei der relativ kurzen Diskussion
im Plenum. Die Begeisterung
schlug an diesem Abend hohe
Wogen, immer wieder angespornt
durch Einlassungen von Yanis
Varoufakis oder den Moderatorinnen, die Erwartungen auf erleuchtende Augenblicke schürten und
die Gefühlslage im Saal erfragten.
Der emotionsgetragene Schwung
der Bewegung ist offensichtlich,
die sich einen Parforceritt über alle Klippen und Klüfte leidiger
Widerspruchslagen, mißlicher
Kontroversen und insbesondere
zu erwartender Hindernisse auszumalen scheint. Wo ein radikales, aber zugleich moderates Vorgehen postuliert wird und man
niemandem in Feindschaft begegne, sondern an die Einsicht appelliere, ohne im Zweifelsfall auf
Ungehorsam zu verzichten, verschwimmen die unüberbrückbaren Widersprüche einer Klassengesellschaft, die forciert ausgebaute Repression der Staatsgewalt und die herrschaftssichernden Entwürfe gesellschaftlicher
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Eliten zum Fahrwasser einer
hoffnungsvoll gestimmten Bewegung, die unter der Flagge des
nicht näher geklärten Demokratiebegriffs segelt.
Das Fanal der Demokratisierung
beschwört in seiner Beliebigkeit
einen Konsens, dem sich kein
fortschrittlich denkender und für
vernünftige Argumente offener
Mensch entziehen könne: "Die
wahre Opposition dagegen seid
ihr!", riefVaroufakis seinem Publikum zu. "Wir sind nicht als
Griechen, Franzosen oder Deutsche hier, nicht als Marxisten oder
Liberale, progressive Konservative oder Grüne, sondern als geschichtsbewußte Menschen und
Europäer, die verstehen, daß dies
das 1930 unserer Generation ist."
Zugleich schrumpft das Feindbild
auf ein Technokratenregime in
Brüssel zusammen, genannt die
Institutionen, von deren Neukalibrierung man das Establishment
überzeugen werde, dem der Boden unter den Füßen weggezogen
worden sei. Mittels der Suggestion, man könne gesellschaftliche
Mehrheiten gegen die für unfähig
erklärte EU-Administration mobilisieren, wird die Frage ausgeblendet, wie es um die tatsächlichen Kräfteverhältnisse bestellt
ist und der Kampf konkret zu führen sei.
Wenn Varoufakis versichert, er
habe gemeinsam mit Wolfgang
Schäuble festgestellt, wie furchtbar die Troika für Griechenland,
Deutschland und Europa sei, doch
sei man gleichermaßen machtlos
gewesen, ihr Einhalt zu gebieten,
deutet er die Interessen und Einflußmöglichkeiten in seinem Sinne um. In seiner verkürzten Analyse der EU ist diese nicht ihrem
Wesen nach ein Projekt der fühDo, 24. November 2016
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renden Nationalstaaten und Kapitalfraktionen, sondern vor allem
deshalb keine integrative Union
geworden, weil seit ihren Anfängen mit der Montanunion ein Kartell den Ton angegeben habe. Unter dem makroökonomischen
Schutzschirm des hegemonialen
Systems der USA habe das in guten Zeiten funktioniert. Kartelle
seien jedoch nicht in der Lage,
mit Krisen umzugehen, weil ihre
Mitglieder einander dann heftig
bekämpften. Mit Hilfe dieses Erklärungsmodells wird im vorgeblich begrüßenswerten Entwurf
des europäischen Zusammenschlusses ein Kardinalfehler
konstatiert, der sich gemeinsam
mit den nationalen Regierungen
und womöglich sogar den Brüsseler Institutionen beheben lasse,
zumal eine praktikable Lösung
der Krise in Reichweite liege.
Wenngleich Wirtschaftswissenschaftler und sogar Marxist, wie
es Varoufakis für sich in Anspruch nimmt, überführt er eine
aus Staatstheorie und politischer
Ökonomie abzuleitende Analyse
der EU und der Krise in ein Konstrukt angeblich falscher Weichenstellungen in Händen inkompetenter Bürokraten, was zwangsläufig zu unzulänglichen Schlußfolgerungen in Gestalt fiktiver
Lösungsmöglichkeiten führt. Indem er die fortgesetzt an ihre
Grenzen stoßende Kapitalverwertung, die daraus resultierenden
Krisen wie auch die expansiven
Strategien aggressiver Bestandssicherung und innovativer Fortschreibung der Herrschaftsverhältnisse und Wirtschaftsweise
ausblendet, unterstellt er einen
begrenzten Schadensfall, dessen
Reparatur er für machbar erklärt
und zugleich zum umfassenden
Befreiungsschlag in Richtung eiDo, 24. November 2016
nes humanen und prosperieren- Verhältnisse vor, wie ihn freilich
den Europa verklärt.
jene, welche die Farbe im Parteinamen tragen, längst weitaus
Was sich als genuin neue und fri- entschiedener vorgedacht haben.
sche Bewegung präsentiert, welche die für gescheitert erklärte Der "europäische Geist" als KosLinke zurückläßt, um auf den mopolit hat sicher seinen Reiz,
kleinsten Nenner gebracht alle zumal für eine Bewegung, die
Demokraten ins Boot zu holen, sich selbst erschafft und ihren Dehausiert doch nur mit aufpolierten mos noch nicht gefunden hat. Im
Versatzstücken sattsam bekannter Stile einer säkularen EvangelisaEntwürfe. Die Vorstellung, man tion wird sie uns sicher noch eine
könne mit den Institutionen der Weile begleiten, Mitstreiter geEU die Konditionen neu ausdis- winnen und nicht zuletzt promikutieren und eine vernünftige Lö- nente Andockstellen suchen und
sung im Interesse aller herbeifüh- finden. Ob Hoffnung jedoch ein
ren, erinnert fatal an das Schick- wünschenswerter Ratgeber ist,
sal Syrizas. Deren Verhängnis, die wo mehr denn je ein unverzögerFrage möglicher Druckmittel von ter und entschiedener Schultervornherein auszublenden, scheint schluß der Schwachen das Gebot
sich bei DiEM25 zu wiederholen, der Stunde ist, darf bezweifelt
das sich von der Debatte um einen werden.
Plan B in Gestalt eines geordneten Rückzugs aus der Eurozone
explizit distanziert. Auch der aus- Siehe auch die weiteren
drückliche Verzicht auf linke Po- Beiträge zu der Veranstaltung
sitionen in der Bündnispolitik im im Schattenblick unter
Namen einer antifaschistischen www.schattenblick.de →
Allianz ist aus der jüngeren Ver- INFOPOOL → POLITIK →
gangenheit der Linken als einer REPORT:
ihrer maßgeblichen Aufweichungsprozesse bekannt. Wer Ge- INTERVIEW/329: Aufbruch deschichtsbewußtsein für sich rekla- mokratisch - Rechtsruck verhinmiert, sollte zudem nicht versäu- dern ... Sören Altstädt im Gemen, Roosevelts New Deal kri- spräch (SB)
tisch unter die Lupe zu nehmen. http://www.schattenblick.de/infAls vorgeblicher Klassenkompro- opool/politik/report/
miß durchaus geeignet, das wach- prin0329.html
sende Aufbegehren zu befrieden,
hatte sich sein ökonomisches Po- INTERVIEW/330: Aufbruch detential längst erschöpft, als die mokratisch - wohin soll's gehen ...
Kriegswirtschaft den entschei- Martin Sauber im Gespräch (SB)
denden Schub herbeiführte, der http://www.schattenblick.de/infdie USA in die Position der Welt- opool/politik/repormacht katapultierte. Bliebe noch t/prin0330.html
der technologiegestützte Entwurf
grünen Wohlstands zu erwähnen, http://www.schattenblick.de/
der befürchten läßt, DiEM25
infopool/politik/report/
schwebe nichts anderes als ein
prbe0252.html
Konzept des grünen Kapitalismus
zur Rettung der herrschenden
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POLITIK / REPORT / INTERVIEW
Aufbruch demokratisch - Rechtsruck verhindern ...
Sören Altstädt im Gespräch
Die Zukunft einer progressiven Linken
Interview am 15. November 2016 in Hamburg
Sören Altstädt
Foto: © 2016 by Schattenblick
(SB) 23. November 2016 ­ Sören
Altstädt studiert am Institut für
Soziologie an der Fakultät für
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Er ist Aktivist der paneuropäischen "Bewegung Demokratie
in Europa 2015", kurz DiEM25,
die sich die Demokratisierung der
Europäischen Union auf die Fahnen geschrieben hat. [1] In Berlin
im Februar von Yanis Varoufakis
und anderen gegründet, hat sich
die Bewegung innerhalb Deutschlands wie auch anderer EU-Staaten weiterentwickelt, so auch seit
April in Hamburg, wo Sören Altstädt seitdem die Aktivitäten und
Bemühungen koordiniert.
Seite 6
Sören Altstädt (SÖ): Mein Eindruck war, daß es insgesamt eine
sehr gelungene Veranstaltung war.
Wir haben hier versucht, DiEM
sozusagen eine größere diskursive Reichweite zu verschaffen.
Meiner Meinung nach sind Unis
aufgrund ihrer gesellschaftlichen
Funktion eine ideale Institution,
um diese Reichweite zu erzeugen,
und ich glaube, das ist uns auch
ganz gut gelungen. Wir konnten
DiEM ein seriöseres Ansehen verleihen, was es auf jeden Fall verdient hat und was es bisher - zumindest in der deutschen Medienlandschaft - einfach nicht bekommen hat. Nach meinem Eindruck
Am 15. November fand in einem haben wir das heute abend auf jeHörsaal der Universität eine den Fall ein Stück weit geschafft.
DiEM25-Verstaltung zum Thema "Die gegenwärtige Europa- SB: War denn DiEM in Hamburg
politik und die Demokratisie- schon vor der heutigen Veranstalrung der EU" statt. [2] Im Mittel- tung verankert?
punkt des Interesses stand zweifellos Yanis Varoufakis. An der SÖ: Auf jeden Fall. Wir sind hier
Podiumsdiskussion vor vollbe- seit April am Netzwerken, am Orsetztem Haus nahmen aber auch ganisieren, am Tun. Ich koordiwissenschaftliche Mitarbeiter niere das seitdem, also seit sieben
der Universität Hamburg teil. Monaten.
Sören Altstädt sprach die Begrüßungs- und Einleitungsworte SB: Wie ist denn die Entwicklung
und stellte sich dem Schatten- von DiEM europaweit einzublick im Anschluß an die Veran- schätzen? Gibt es die Bewegung
staltung zu einem kurzen Ge- auch schon in den anderen EUspräch zur Verfügung.
Staaten und wie ist die Beteiligung?
Schattenblick (SB): Die erste Frage lautet natürlich: Wie war denn SÖ: Wenn wir jetzt nach den AnIhr Eindruck heute abend?
meldungen auf unserer Website
www.schattenblick.de
Do, 24. November 2016
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gehen, sind das rund 30.000 Menschen aus ganz Europa, die sich
beteiligen oder sich zumindest für
DiEM interessieren. Aber ich
glaube, daß die Reichweite deutlich größer ist, weil sich manche
Leute einfach nicht anmelden
oder das aufgrund irgendwelcher
Vorbehalte nicht wollen. Meiner
Meinung nach ist die internationale Entwicklung von DiEM auf
jeden Fall so, daß die Bewegung
wächst und expandiert, interessanterweise auch in Deutschland.
Wenn ich mich nicht irre, ist die
deutsche DiEM-Gemeinschaft
schon die zahlreichste. Gut, wir
sind auch eines der bevölkerungsstärksten Länder der EU, aber ich
glaube schon, daß es hier eine
spezielle Verdichtung gibt.
SB: Wenn man das DiEM-Manifest [3] liest, fällt auf, daß da linke Positionen rausgelassen oder
relativ niedriggehalten wurden.
Ist das vielleicht auch eine taktische Entscheidung gewesen, um
erst einmal möglichst viele Menschen ansprechen zu können?
on, die Deutschland in der EU
derzeit einnimmt, daß unsere
Medienlandschaft sehr darauf bedacht ist, die Austeritätspolitik
gegen Griechenland - vor allem
aus deutscher Sicht - als legitim
darzustellen. Was ich häufig beobachte ist, daß Yanis Varoufakis
persönlich sehr stark angegangen
wird. Ihm wird irgendwie ein
starker Narzißmus zugeschrieben. Aufgrund seiner Niederlage
als Finanzminister würde er versuchen, seinen Narzißmus nun
durch diese Bewegung zu befriedigen. Das sind wirklich Sachen,
die in der deutschen Medienlandschaft so geäußert werden. Ich
glaube, daß diese Vorbehalte
ganz stark auf die Wahrnehmung
von DiEM in Deutschland ausstrahlen, aber das wird sich ändern. Vor allem durch die Erschütterungen der letzten paar
Wochen ist klargeworden, daß
das eine gute Sache ist, und auch
heute hat man ja gesehen, daß
Yanis kein fanatischer Narzißt ist,
sondern wirklich etwas zu sagen
hat und auch für Deutschland relevante Themen konstruktiv aufbereitet.
SÖ: Yanis hat ja schon gesagt, daß
DiEM an und für sich kein genuin linkes Projekt ist, sondern ein SB: Vielen Dank, Herr Altstädt,
demokratisches. Ich persönlich für das Gespräch.
sehe gerade dieses demokratische
Projekt als die Zukunft einer progressiven Linken an und insofern Anmerkungen:
würde ich dieses Manifest schon
als stark links ausgerichtet einstu- [1] www.diem25.org
fen.
[2] Siehe auch die weiteren BeiSB: Sie haben die Vorbehalte oder träge zu der Veranstaltung im
auch das Zögern in den deutschen Schattenblick unter www.schatMedien gegenüber DiEM ange- tenblick.de → INFOPOOL →
sprochen. Welche Einwände mö- POLITIK → REPORT:
gen Ihrer Einschätzung nach da- BERICHT/252: Aufbruch demohinterstecken?
kratisch - kleinster Nenner ... (SB)
INTERVIEW/330: Aufbruch deSÖ: Ich würde vermuten auf- mokratisch - wohin soll's gehen ...
grund der hegemonialen Funkti- Martin Sauber im Gespräch (SB)
Do, 24. November 2016
www.schattenblick.de
[3] Ein Manifest für die Demokratisierung Europas. DiEM25 Democracy in Europe Movement
2015. Herunterladbar unter:
http://diem25-hamburg.de/diem25-manifesto/
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/report/
prin0329.html
SCHACH - SPHINX
Konserviertes Charisma
Was zum Teufel ist ein
"charismatischer Zug"? Es gibt
hervorragende, brillante, durchtriebene, fuchsschlaue, krötendumme, lauernde, einladende, abwehrende, siegbringende Züge,
sogar verpaßte Züge soll es geben, aber daß ein Zug, vielleicht
gar ein plumper Bauernzug, über
Charisma verfügt, scheint die ins
Menschliche verzerrte Nomenklatur toter Buchstaben- und Zahlenfolgen doch arg zu strapazieren. Nun, da Geist hinter Charisma vermutet wird und jede Ausstrahlung auf ein Objekt gerichtet
ist, liegt es in der Logik der Irrtümer nahe, den Menschen mit seinem Werk zu identifizieren, zumal dies, nicht nur philosophisch
gesehen, eine gesellschaftliche
Relevanz hat. So suchen wir in
großen Dichterworten nach dem
Dichter selbst, als stünde er leibhaftig vor uns und läge nicht vermodert im Grabe. Fast scheint es
dann, als spräche er durch das
Medium der Schrift zum Ohr der
Lebenden. So ähnlich hält man es
denn auch in der Schachkunst mit
der Hinterlassenschaft der Züge.
Menschlicher als das Irren ist bekanntlich nur die Gier, und wo
(SB) ­
Seite 7
Elektronische Zeitung Schattenblick
man des Meisters nicht habhaft
werden kann, soll zumindest sein
geistiges Erbe unter die einzelnen
Glieder des großen Haufens verteilt
werden, zum Wohle aller selbstredend. Ja, ein Zug kann Charisma
besitzen, sofern ihn ein Mensch,
und allemal gilt dies für einen Meister, erdacht hat! Hätte die Bibel
denn sonst einen Wert? Und ist
nicht Bibel alles, was wir verehren?
Charismatisch ging es auch im
heutigen Rätsel der Sphinx zu, wo
Meister Tschigorin mit Schwarz zu
entzücken wußte. Also, Wanderer,
lassen wir die Tote sprechen!
Gunsberg - Tschigorin
1890
Auflösung letztes Sphinx­Rätsel:
Ein Fehler in Ehren war 1...Sf5-e3?
wegen der Opferablehnung 2.Ld2c1! Meister Füster stand plötzlich
vor einem großen Dilemma. Da
2...Se3-f5 an 3.g2-g4 Sf5-e7
4.Lc1xh6 scheiterte, biß er mit
2...Se3xd1 in den sauren Apfel:
3.Lc1xh6! f7-f5 - 3...Sd1xb2
4.Lh6xg7! - 4.e5xf6 Tf8xf6 5.Lh6g5 Tf6-f5 6.Tf1xd1 Ta8-f8 7.g2-g4
Tf5-f6 - 7...Tf5xf3 8.Dh3-h7+ Kg8f7 9.Ld3-g6# - 8.Dh3-h7+ Kg8-f7
9.Lg5xf6 Kf7xf6 10.Dh7-h4+ und
Schwarz gab wegen 10...Kf6-f7
11.Sf3-g5+ Kf7-e7 12.Sg5-h7+ auf.
Hoffnungslos war, im Nebenlauferwähnt, auch 3...g7xh6 4.Dh3xh6 f7f5 5.e5xf6 Tf8-f7 6.Sf3-g5 usw.
Seite 8
POLITIK / REPORT / INTERVIEW
Aufbruch demokratisch - wohin soll's gehen ...
Martin Sauber im Gespräch
Über den Kapitalismus hinaus
Interview am 15. November 2016 in Hamburg
Martin Sauber
Foto: © 2016 by Schattenblick
DiEM25 Hamburg in Kooperation mit dem AStA der Universität
organisierten Veranstaltung teil.
[1] Unter dem Titel "Die gegenwärtige Europapolitik und die
Demokratisierung der EU" präsentierten Yanis Varoufakis und
seine Mitstreitenden das Projekt
DiEM25 an diesem Abend mit
großem Erfolg, nimmt man die
fast als euphorisch zu bezeichnende Stimmung im vollbesetzten
Hörsaal A der Universität Hamburg zum Maßstab.
Der
Ökonom Dr. Martin Sauber ist als
wissenschaftlicher Mitarbeiter
und Vertrauensdozent am Fachbereich Sozialökonomie an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität
Hamburg tätig. Obwohl selbst
kein Mitglied bei DiEM25, steht
er doch durch seine politische Arbeit in einem engen Austausch
und Kontakt mit Menschen, die in
dieser paneuropäischen Bewe- Daß dieses europaweit aufgezogung zur Demokratisierung der gene Projekt zur DemokratisieEU aktiv sind.
rung der EU auf große Sympathie
unter den Anwesenden stieß, hieß
Am 15. November nahm er als jedoch nicht unbedingt, daß es
Podiumsdiskutant an einer von nicht auch gewisse Bedenken
(SB) 23. November 2016 ­
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Do, 24. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
oder kritische Fragen gegeben
hätte, wie sich unter anderem
auch im Gespräch mit Dr. Martin
Sauber zeigte, der sich unmittelbar nach der Veranstaltung bereit
erklärte, dem Schattenblick einige Fragen zum Themenkomplex
DiEM25 zu beantworten.
Schattenblick (SB): DiEM25 hat
ja sehr viele prominente Aushängeschilder - Politiker, Wissenschaftler und Künstler. Inwieweit
ist es eine Bewegung, die von diesen Kreisen auch getragen wird?
Hat DiEM25 eine Verbindung zur
Basis, die immer wieder beschworen wird?
Martin Sauber (MS): Super Frage. Ich glaube schon, daß
DiEM25 Stärken hat, aber sicher
auch ein paar Sachen, die ich kritisieren würde. Eine Frage wäre
zum Beispiel, inwiefern DiEM25
zu einer sozial-ökologischen
Transformation beitragen kann.
Ich glaube, daß sie aufgrund der
Prominenz - heute war ja Yanis
Varoufakis hier - und den unterschiedlichen Milieus, die in der
Bewegung aktiv sind, durchaus
ein Agenda-Setting machen und
wichtige Themen ansprechen und
diskutieren kann. DiEM25 könnte eine Plattform werden, wo sich
Menschen mit einem anti-nationalen, linken Schwerpunkt kennenlernen und vernetzen.
Wir haben heute auch gesehen,
wie gut das organisiert war von
supersmarten Leuten, die überzeugt sind, ein Stück weit dazu
beizutragen, daß die Welt besser
wird. Da wünsche ich ihnen viel
Erfolg, und deswegen bin ich
auch unheimlich gerne heute hier
gewesen. Was ich eher kritisch sehe oder vielleicht auch noch zum
Problem werden könnte bei eiDo, 24. November 2016
nem Format wie diesem, ist, daß
wir hier in einem Hörsaal der
Universität sitzen, der vorne eine
Bühne hat, wo wir gesessen haben, und dann die Ränge, die steil
nach oben gehen. Daß die Menschen so eng in Reihen sitzen,
könnte so ein bißchen als Ausdruck von Hierarchien aufgefaßt
werden, wobei der Mensch, der
im Publikum sitzt, vielleicht Verantwortung abgibt an die Person,
die vorne steht, gerade wenn sie
auch noch als Experte vorgestellt
wird. Ich glaube, daß sich das
beißt, daß das ein Widerspruch ist
zwischen dem, was mensch erreichen möchte - eine freie Gesellschaft -, und dem Prozeß, der
dann doch wieder ein Stück weit
hierarchisch organisiert ist und
Leute eben nicht befähigt und ermächtigt zu handeln, was meiner
Meinung nach aber notwendig ist.
SB: Es wurden ja eine Reihe von
Forderungen aufgestellt, die in einem Stufenplan umgesetzt werden sollen. Über welche Mittel
verfügt denn DiEM25 überhaupt,
diesen Forderungen Nachdruck
zu verleihen?
MS: Wenn ich danach gefragt
worden wäre, hätte ich eben auf
der Bühne gesagt, daß ich mich
nicht in der Position sehe, das zu
beantworten, weil die Leute, die
in dieser Bewegung aktiv sind,
das selbst entscheiden müssen
und sollen. Wenn Sie sich umsehen, was für Leute heute hier waren, glaube ich, daß viele von ihnen politisch aktiv sind. Sie besetzen Häuser oder organisieren
Räume für kollektives Wohnen,
Arbeiten und Freizeitmachen. Die
Studierenden sind beim AStA aktiv, machen hier Cafés etc. Und
überhaupt steht hier vor Ort in
Hamburg viel auf der Agenda mit
www.schattenblick.de
dem Hafen, mit dem Abschiebegefängnis am Flughafen und mit
dem G20-Gipfel nächstes Jahr im
Juli, wo die Leute schon recht genau wissen, was sie mit wem machen.
SB: Yanis Varoufakis sagt ja, er
sei ein Linker, aber die Plattform
DiEM25 sei explizit kein linker
Entwurf, sondern ein demokratischer, an dem sich viele Leute beteiligen können, weil in dieser historischen Phase dieses breite
Bündnis notwendig wäre. Kann
man das so akzeptieren oder gibt
es aus Ihrer Sicht dagegen auch
Einwände?
MS: Das ist auf jeden Fall eine
gute Frage, die wir uns stellen
müssen. Yanis verweist ja auch
auf die Geschichte und sagt, daß
damals, in den 1930er Jahren,
durch die Krise des Kapitalismus
die Rechten gewonnen haben.
Gleichzeitig kann mensch die Geschichte aber auch anders lesen.
Wenn ich jetzt die neue Geschichte mit Trump lese, könnte ich das
auch so interpretieren, daß Trump
nicht gewonnen, sondern Clinton
verloren hat, weil keine wirklich
linke Perspektive, wie es sie vielleicht mit Bernie Sanders gegeben
hat, zur Wahl gestanden hat.
SB: Der Entwurf, der heute hier
vorgestellt wurde, bezieht sich auf
ein Europa, das ursprünglich eigentlich ein Europa der Bürger
gewesen und erst später verändert
worden sei. Ist das aus Ihrer Sicht
heute noch akzeptabel oder müßte man nicht auch einen ganz anderen Entwurf der Nachkriegszeit
schaffen?
MS: Yanis hat das ja - zumindest
in seinem Buch - anders interpretiert. Heute hat er nur kurz angeSeite 9
Elektronische Zeitung Schattenblick
sprochen, daß Europa zunächst
ein nationales Ding war und auch
immer noch ist und daß dieses
Europa aus einer Kohle- und
Stahlunion heraus gegründet wurde. Es ist also ein kapitalistisches
Europa der Unternehmer zu dem
Zweck, Monopolmärkte zu generieren und Profite abzuschöpfen.
SB: Man hätte heute hier den Eindruck gewinnen können, daß die
EU an sich ein neutrales Gebilde
wäre, um das es sich auch von linker Seite zu kämpfen lohne. Eine
Frage vorhin in der Podiumsrunde lautete, warum auch die Linke
diese Institution bräuchte. Wurde
damit nicht einer Diskussion gerade dieser Frage vorgegriffen,
weil die Antwort im Grunde
schon im voraus gegeben wurde?
MS: Das ist schwierig zu beantworten. Einerseits mag ich Yanis'
Position, weil er stark antifaschistisch argumentiert und sagt: Der
Rückfall zu nationalstaatlichen
Argumentationsmustern, den ihr
auch innerhalb der Linken beobachtet, ist der falsche Weg, damit
befördern wir eher faschistische
Bewegungen. Deswegen müssen
wir europäisch argumentieren
und arbeiten. Gleichzeitig jedoch,
so habe ich versucht zu argumentieren, tue ich mich schwer mit
diesem Dualismus, bei dem es
heißt, es gibt einerseits den Staat
und andererseits den Markt. Wer
marxistische Literatur oder vielleicht die Werke Gramscis liest,
stößt da auf interessante Hinweise. Gramsci würde dem ja widersprechen und sagen, daß gerade
diese Institutionen, diese parlamentarisch- repräsentative Demokratie eine gute Sache ist für
die Kapitalisten, sich zu organisieren, ihre eigenen Widersprüche
zu überwinden und die Klassen
Seite 10
mit diesem Klassenkompromiß
konsensgepanzert in den im Fordismus herrschenden Zwang einzubinden.
SB: Sie haben vorhin die Proteste
vom Hambacher Forst erwähnt.
Es gab auch schon die OccupyProteste und noch heute eine starke Bewegung gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA.
Eine Menge Menschen an der Basis setzen sich also zur Wehr und
artikulieren ihren Protest. Warum
sollte es Ihrer Meinung nach jetzt
mit DiEM25 noch eine weitere
Bewegung geben? Könnte sich
das nicht auch als kontraproduktiv erweisen, beispielsweise, indem man sich wechselseitig die
Mitstreitenden abspenstig macht?
MS: Ich glaube schon, daß DiEM
durch diese Formalisierung tatsächlich ein Stück weit eine andere Verbindlichkeit herstellt für
Menschen, die etwas machen
wollen, wobei sie sich wohler
fühlen können. Ich kann mir vorstellen, daß sich im Hambacher
Forst nicht jede Person wohlfühlt,
weil sie eine andere Geschichte
und andere Erfahrungen gemacht
hat - sei es politisch, beruflich
oder aus einem anderen Milieu
heraus -, und daß DiEM25 durchaus einen wichtigen Beitrag leisten kann, um kommunikative
Diskurse zu beeinflussen in einer
Art und Weise, die den Leuten,
die jetzt schon aktiv sind oder sich
in anderen Feldern engagieren,
noch mehr Möglichkeiten gibt.
SB: Bei den Debatten heute fiel
auf, daß so etwas wie eine ökonomische Diskussion gesellschaftlicher Widersprüche relativ ausgespart wurde. Es wurde sehr viel
über Institutionen und über Regierungshandeln auch der EU gewww.schattenblick.de
sprochen, aber das Moment der
Produktionsweise zum Beispiel
kam kaum zur Sprache. Halten
Sie das für ein für DiEM25 typisches Phänomen?
MS: Ich habe ja versucht, diese
Kontroverse tatsächlich ein Stück
weit aufzugreifen, indem ich in
meiner Analyse betont habe, daß
wir eine ganz besondere Wirtschaftsgesellschaft haben - nämlich eine kapitalistische -, daß der
innerhalb des Kapitalismus vorherrschenden Logik die Ausbeutung von Mensch und Natur inhärent ist und daß die Akteure, die
dort über Macht und Eigentum
verfügen, alles daransetzen werden, um eine sozial-ökologische
Transformation zu verhindern.
Ich korrigiere mich ein Stück weit
in dem letzten Punkt. Das trifft
nicht auf alle zu, weil die Kapitalfraktion ja auch nicht homogen ist
und es in ihr sehr wohl Akteure
gibt, die von der sozial-ökologischen Transformation im Gesundheitsbereich oder in den neuen grünen Branchen profitieren.
Gleichzeitig aber gibt es andere,
die viel zu verlieren haben, so wie
bei der Braunkohle zum Beispiel,
und die alles dagegen tun, daß
sich da irgendetwas ändert.
SB: Sie haben vorhin in Ihrem
Wortbeitrag konkret auch das Privateigentum
angesprochen.
Kommt dieser Themenaspekt in
den Diskussionen nicht viel zu
kurz?
MS: Oh ja. Wenn ich sage, daß ich
eine sozial-ökologische Transformation möchte, in der Braunkohle für die Energieproduktion keine Rolle mehr spielen darf, ist es
ein Problem, wenn sich das Kohlekraftwerk in privatem Eigentum
befindet. Deswegen muß ich das
Do, 24. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
ansprechen. Dann klingt die Systemfrage zwar immer noch recht
abstrakt, aber gerade so bei konkreten Sachen wie dem Hamburger Flughafen und den ganzen Sicherheitsfirmen, die jetzt aufkommen, wird das ziemlich greifbar.
Ich glaube, daß wir auch außerhalb der Universität viele Leute
überzeugen können, wenn wir
nicht auf diesem theoretisch-abstrakten Niveau argumentieren,
sondern ganz konkret vor Ort
klarmachen, wer mit welchen Interessen wie und wo handelt.
ser Wachstumslogik nicht heraus. uns für das Gespräch.
Das geht dann nicht auf, weil die
Wachstumslogik innerhalb des
Kapitalismus einen starken Drive Anmerkungen:
hat. Wir sind dann zwar vielleicht
"grüner" und können ganz parti- [1] Siehe auch die weiteren Beikular auf der Mikroebene auch et- träge zu der Veranstaltung im
was erreichen, aber im Gesamtsy- Schattenblick unter www.schatstem werden dann immer noch tenblick.de → INFOPOOL →
mehr Ressourcen verbraucht und POLITIK → REPORT:
wird noch mehr CO² ausgestoßen, BERICHT/252 /S: Aufbruch deso daß sich die ökologische und mokratisch - kleinster Nenner ...
die Klimakrise noch weiter zu- (SB) INTERVIEW/329: Aufspitzen. Das ist also eine Illusion. bruch demokratisch - Rechtsruck
Wenn DiEM25 da aufspringen verhindern ... Sören Altstädt im
sollte, ist das sicher der falsche Gespräch (SB)
Das sieht man in Hamburg zum Weg.
Beispiel auch ganz gut bei der
[2] Frei übersetzt würde dies in
Gentrifizierung, wenn öffentliche SB: Haben Sie noch ein Schluß- etwa bedeuten: über Europa, den
Grundstücke an private Investo- wort zum heutigen Abend?
Kapitalismus und die parlamentaren verkauft werden, die Profit
risch-repräsentative Demokratie
machen wollen. Das ist dann das MS: Mein Fazit war ja: beyond eu- hinaus(gehend).
Maß der Dinge, dann gelten die rope, beyond capitalism und
Bedürfnisse der Menschen vor beyond parlamentarisch-repräsen- http://www.schattenblick.de/
Ort im Stadtteil nichts mehr. tative Demokratie [2], und mit dem
infopool/politik/report/
Dann ist es auch egal, wenn auch kann ich auch jetzt abschließen.
prin0330.html
noch der letzte Spielplatz plattge- SB: Herr Sauber, wir bedanken
macht und eine Netto-Kaltmiete
von 14 Euro verlangt wird. Ich
glaube, daß wir die Menschen bei
so ganz konkreten Sachen vor
PANNWITZBLICK / PRESSE / FRAGEN
Ort, wo sie im Alltag diese Erfahrungen machen, erreichen können
auch mit erst einmal abstrakt klinInternationale Presseagentur Pressenza ­ Büro Berlin
genden Begriffen wie der Eigentumsfrage und dem System des
Literatur der Diversität und Inklusion
Kapitalismus.
SB: Bei DiEM25 wird ja auch eine grüne Ökonomie angesprochen. Was ist damit genau gemeint? Welche Kriterien müßten
da angelegt werden, damit man
dabei nicht einfach nur einen Grünen Kapitalismus favorisiert?
MS: Wenn mit dem Green New
Deal, also dem Grünem Kapitalismus, ein "Weiter so wie bisher"
nur mit einem grünen Anstrich
gemeint ist, kommen wir aus dieDo, 24. November 2016
von Amelia Massetti für Artemisia [1], 22. November 2016
In Frankfurt am Main hatte ich
die Gelegenheit, Giacomo Maz­
zariol kennenzulernen. Er wur­
de vom Verein Italia Altrove
eingeladen, um sein Buch "Mio
fratello rincorre i dinosauri"
(Mein Bruder läuft den Dino­
sauriern nach) vorzustellen.
Ich hingegen habe ihm das
Projekt Artemisia vorgestellt.
Natürlich habe ich die Gele­
www.schattenblick.de
genheit genutzt, diesen jungen
Schriftsteller zu interviewen. Er
hat mich mit seiner Ironie und
Frische fasziniert, mit denen er
vor allem die Jugendlichen an­
spornt, die Menschen mit
Down­Syndrom zu akzeptieren.
Denn diese sollen nicht mehr
als unerwünscht angesehen
werden, sondern als ein zu ent­
deckendes Potential.
Seite 11
Elektronische Zeitung Schattenblick
Amelia: Giacomo, du bist hier in
Frankfurt, weil dich der Verein
Italia Altrove eingeladen hat. Wie
kamst du auf die Idee, ein Buch zu
schreiben? Wie hast du darauf
reagiert, als man es dir vorge­
schlagen hat?
zu lesen. Ich wollte für die Jugendlichen schreiben und ihnen
die Geschichte von zwei Brüdern
erzählen, die sich gerne haben
und gemeinsam die Gesetze dieser Welt und das Wahre und
Falsche entdecken. Die Herausforderung bestand darin, die Jugendlichen dazu anzuspornen, die
Geschichte zu lesen. Ich hatte
einen imaginären Leser, einen,
der nie las, vor Augen und somit
dachte ich, ob er es lesen würde
... "Auch dieser vollkommen desinteressierte Junge sollte es lesen,
denn mein Buch sollte für die Jugendlichen ganz normal sein."
Giacomo: Zu Beginn konnte ich
es kaum glauben, dass jemand Interesse an meiner Geschichte haben könnte. Ich dachte sogar, ich
hätte keine Geschichte. Ich hatte
nicht darüber nachgedacht, was
ich mit Giovanni durchgemacht
hatte, aber ich hatte einfach gelebt. Mein Leben war glücklich.
Mit meinem Bruder war ich sehr
glücklich. Die riesige Freude hat- Wie alt warst du, als du mit dem
te die traurigen Zeiträume bei Schreiben angefangen hast? Hat
weitem übertroffen. Ich hatte nie sich nach diesem unerwartet er­
über die tieferen Aspekte nachge- folgreichen Video in deinem
dacht. Somit hatten sie das Glück, Schreibprozess und vor allem in
mit ihrer Anfrage auf eine Person der Beziehung zu deinem Bruder
gestoßen zu sein, der das Schrei- etwas geändert?
ben wirklich Spaß machte, denn
ich liebe das Schreiben.
Ich war 18 Jahre alt. Und mit meinem Bruder lief alles super und
Hattest du Angst vor dem Schrei­ manchmal gab es auch Prügeleiben?
en. Was sich verändert hat, was
ich jetzt nach Hause bringe: es ist
Ich wusste, dass ich nicht schrei- nicht das Buch, das Produkt oder
ben konnte. Geschichten zu der Zugang zu dieser Welt. Ich haschreiben war natürlich eine Sa- be mich hingegen ins Schreiben
che, und ein Buch zu schreiben ei- verliebt. Ich habe verstanden,
ne andere. Somit ging ich davon dass die Erfahrung, einen Zug zu
aus, dass sie es mir beibringen versäumen so interessant sein
sollten. Der Verlag Einaudi, der kann wie ein Treffen mit Obama.
sich an mich wandte, nachdem er Alles hängt nur davon ab, wie du
ein erfolgreiches Video von mir es ausdrückst und was du reingesehen hatte, stellte mir einen steckst. Warten wir mal ab!
Schriftsteller zur Seite gestellt,
der mich korrigierte und somit In diesem Buch sprichst du von
verschwand meine Angst und al- der Beziehung zur Zeit. Diesen
les wurde einfacher. Ich hatte Aspekt habe ich durch meine
Angst, es nicht zu schaffen und Tochter kennengelernt (sie hat
nicht interessant zu sein. Denn ich auch das Down­Syndrom und hat
dachte, dass einer, der eine Ge- kein Zeitgefühl). Der Satz aus dei­
schichte sieht, in der man von be- nem Buch, in dem du sagst, dass
sonderen Problemen spricht, das dein Bruder, wenn er mit einer
Interesse daran verliert, das Buch Freundin ins Kino geht, nach
Seite 12
www.schattenblick.de
Haus kommt und sagt, er hätte
geheiratet. Wie hast du diese Si­
tuationen der Diversität erlebt,
als du als Junge verstanden hast,
dass dein Bruder nicht deinen Er­
wartungen entsprach und nicht
der Superheld ist, von dem zu
sprichst? Wie hast du diese Ent­
wicklungen persönlich erlebt?
Ich merkte schon, dass er sonderbar war. Aber auch wenn ich
einen sah, der die Türen zog anstatt sie zu schieben, so habe ich
auch dies als sonderbar aufgefasst.
Die körperlichen Beschränkung
von Gio, die Tatsache, dass er keine Kapriolen schlagen konnte,
fand ich auch bei meinen Freunden wieder. Aber ihre Beschränkungen waren für mich nicht von
Interesse. Denn die Beschränkungen von Gio waren viel sichtbarer. Daher dachte ich auch nicht,
es wäre möglich, zu seinem besten Freund zu werden, sondern
nur zu seinem Aufpasser. Danach
habe ich aber die richtige Brille
aufgesetzt und habe sehr wohl die
Beschränkungen der anderen und
auch meine wahrgenommen. Und
so wurden die Einschränkungen
von Gio zu kleinen Details, die im
Vergleich zu seinen Fähigkeiten
nichts sind. Ich begann auch zu
sehen, wie schwer ich mich mit
den Sachen tue, die er hingegen
mit totaler Leichtigkeit erledigt.
War die soziale Integration deines
Bruders mit dem Down­Syndrom in
Italien, wo es im Gegensatz zu
Deutschland seit 40 Jahren die In­
klusion gibt, einfach oder wurde er
in einigen Situationen diskriminiert
oder nicht akzeptiert? Oder hast du
selbst als Bruder gespürt, dass es
Freunde gab, die sich wegen dei­
nes Bruders von dir distanzierten?
Do, 24. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Es gab Fälle, in denen ich ihn gehänselt habe. Das passiert aber
bei allen. Und er ist sehr sozial
und hat viele Freunde, und in der
Schule fühlt er sich sehr wohl.
Seine Freunde hat er sich immer
nach ihrer Sensibilität ausgesucht. Ich habe auch Freunde, die
nicht sehr intelligent sind. Meine
Freunde kamen zu mir nach Hause. Sie hatten Spaß mit meinem
Bruder. Und als sie bei uns schliefen, weckte Gio sie auf und sie
lachten; in meiner Erfahrung gab
es diesen Ausschluss nie. Manchmal war es sogar Gio, der die
Freunde ausschloss, die ihn störten und deshalb eine Eintragung
bekam.
Meine Freunde waren von Anfang an in mein Buchprojekt involviert. Ich sendete ihnen auch
immer Teile des Buches zu. Ich
bin sehr beschäftigt. Aber wenn
ich dann keine Zeit mehr zum Leben habe, dann macht mein Leben
für mich keinen Sinn mehr. Ich
versuche Zeit mit meinen Lieben
zu verbringen. Bisher schaffe ich
es noch, alles unter einen Hut zu
bringen, aber es wäre nicht gut,
das Gesamtbild aus den Augen zu
verlieren. Bisher kann ich auf
meine Freunde zählen.
terview mit uns bedanken. Ich ha­
be mich sehr gefreut, ihn kennen­
zulernen. Denn es ist wichtig,
dass junge Autoren den Wunsch
umsetzen, frisch und natürlich
über die Behinderung zu schrei­
ben und zu sprechen, indem sie
dieses Thema einfach und iro­
nisch entschärfen. Giacomo stellt
mit seinem Schreiben einen An­
reiz für die neuen Generationen
dar. Er zeigt uns, wie man die In­
klusion konstruktiv wahrnehmen
kann. Wir wünschen uns, dass
Giacomos Buch und der Film ei­
ne innovative Anspornung dar­
Welchen Eindruck hast du von stellen werden. Artemisia hofft,
dieser Veranstaltung von Italia den Autor in den nächsten Mona­
Altrove in Frankfurt am Main? ten nach Berlin einzuladen, um
Dein Buch wird auch ins Deut­ über sein Buch und seine zukünf­
Im Film, den ihr gerade mit dem sche übersetzt. Du bist auf dem tigen Projekte zu sprechen.
Produzenten Checco Zalone Weg nach Düsseldorf. Und auch
macht, wird auch ein Schauspie­ wir von Artemisia planen eine
ler mit Down­Syndrom spielen, Buchpräsentation mit dir in Ber­ Übersetzung aus dem Italieni­
oder?
lin. Welchen Eindruck hast du von schen von Milena Rampoldi, Pro­
Deutschland?
Mosaik
Ein autistisches Kind kann man
vielleicht noch spielen, aber ein
Down-Kind kann man nicht nachmachen ... Das müssen wir noch
entscheiden, obwohl Gio und ich
nicht die Protagonisten spielen
werden.
Ich habe entdeckt, dass im Film
die Beziehung zwischen dem
Drehbuch und der Idee und dann
die Realisierung des Films aufdas
Drehbuch verschoben wird. Somit sind schöne Dialoge, eine dynamische und schöne und sinnvolle Geschichte ausschlaggebend. Natürlich ist es ganz etwas
anders, wenn Profis die Rollen
spielen. Aber das Wesentliche
sind die geschriebenen Worte.
Deine Zukunft hat schon in deiner
Jugend begonnen. Was denken
deine Freunde darüber? Geben
sie dir Mut?
Do, 24. November 2016
Ich habe viele Geschichten gehört. Und bei jeder Präsentation
sammle ich neue Erfahrungen.
Und dies bereichert mich. Es ist
immer interessant, ein neues Land
kennenzulernen, auch wenn man
nur wenige Tage bleibt. Jede Präsentation ist eine schöne Erfahrung, wenn man sie lebt und gibt
und nimmt. Aber es geht darum,
mehr zu geben als zu nehmen.
Dann kommst du wieder nach
Hause, mit einigen Sätzen oder
zwei Anekdoten, die sie dir erzählt haben. Du bist bereichert
von dieser wertvollen Erfahrung.
So war es auch, als mir Manuela
Rossi von Italia Altrove eine
Schlangenhaut schenkte, die ich
Gio zeigen werde.
Ich möchte mich bei Giacomo
Mazzariol herzlichst für sein In­
www.schattenblick.de
Anmerkung:
[1] http://www.artemisiaprojekt.de/it/home/
Der Text steht unter der Lizenz
Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Quelle:
*
Internationale Presseagentur
Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: [email protected]
Internet: www.pressenza.com/de
http://www.schattenblick.de/
infopool/pannwitz/presse/
ppint194.html
Seite 13
Elektronische Zeitung Schattenblick
KINDERBLICK / NATURKUNDE / TIERE
Wiederholt die Fehler nicht ...
Wildtiere in der Stadt
Die Zahl der Wildtiere geht vieler Wildtiere verloren, weil der
weltweit in einem beispiellosen Mensch es für sich beansprucht,
Tempo zurück
müssen neue Überlebensmöglichkeiten ausfindig gemacht werden.
Es gibt viele Gründe, warum die "Aufin die Häuser der Menschen!
Wildtiere verschwinden. Der In ihre Städte und herausfinden,
Mensch macht ihnen den Lebens- ob es dort zu essen und zu trinken
raum streitig durch den Bau von gibt, ob sich dort ein geeigneter
Häusern, Städten, Straßen, Flug- Unterschlupf finden lässt!" Das
häfen, Einkaufszentren und vie- mögen anfangs wenige, dann imlem mehr. Er jagt und fischt zu mer mehr und mehr Tiere gedacht
viel. Einige Arten können sich gar haben, denn mittlerweile gehören
nicht so schnell vermehren, wie Füchse, Wanderfalken, Pelikane,
der Mensch sie tötet. Außerdem Damhirsche, Wildschweine,
verschmutzt er die Umwelt - be- Eichhörnchen, um nur einige zu
sonders die Gewässer, die für die nennen, zu den Stadtbewohnern.
Tiere zum Überleben ganz wich- Berichte aus Indien und Thailand
tig sind. Die Wälder der Erde wer- beispielsweise über Makaken den abgeholzt und müssen Planta- das ist eine Affenart, die in Häugen weichen. Es werden Weiden ser einbrechen und Schränke und
für Rinder und Schafe angelegt, Vorratskammern ausräumen und durch den Straßenbau breite sind schon länger bekannt. Sie
Schneisen durch einst dichten sind schlau, studieren die GeBaumbestand gezogen. Unzählige wohnheiten der Menschen und
Tiere verlieren dadurch ihren Le- nutzen günstige Gelegenheiten,
bensraum. Während sich die Zahl um Beute zu machen. Zuerst
der Menschen auf der Welt seit suchten sie nur die Dörfer nahe
1960 von rund 3 auf 7,4 Milliar- des einstigen Regenwaldes auf,
den vergrößert hat, verringerte um bald auch den Umzug in grösich die Zahl der Säugetiere, Fi- ßere Städte zu wagen. Doch auch
sche, Vögel, Amphibien und Rep- in europäischen Großstädten zeitilien. Bestimmte Arten sind aus- gen sich immer mehr Tiere. Longestorben, andere vom Aussterben don ist ein bekanntes Beispiel für
bedroht. Es wird angenommen, Tierzuwanderungen, Berlin ein
dass 60 Prozent der Wildtiere be- anderes.
reits verschwunden sind.
ausgeladen werden. Oft reisen
auch blinde Passagiere mit, wie
Spinnen, Schlangen oder Skorpione. Gerade von den letztgenannten Krabbeltieren leben neuerdings eine große Menge hauptsächlich im Hafengebiet der Metropole. Auch haben sich verschiedene Krebsarten in den
Kanälen der Stadt eingerichtet.
Dort finden bereits richtige Gebietskämpfe unter den Arten, wie
dem Roten Sumpfkrebs und dem
Signalkrebs, statt. Der Vorzug
von London besteht darin, dass
nahezu die Hälfte des Stadtgebietes aus Grünflächen und offenen
Gewässern besteht. Gute Gegebenheiten für Wasservögel, ihre
Nistplätze dort einzurichten und
ausreichend Futter zu finden.
Möwen,
Haubentaucher,
Stockenten,
Kanadagänse,
Schwäne und Graureiher haben
sich hier angesiedelt.
Eine stattliche Kanadagans auf
einer Grasfläche
Foto: 2015 by Andreas Trepte
(Own work) [CC BY­SA 2.5
(http://creativecommons.org/li­
censes/by­sa/2.5)], via Wikimedia
Commons
Tierische Neubürger in der
Immer mehr Wildtiere wissen britischen Hauptstadt
sich zu helfen
London hat einen großen Hafen,
Eigentlich ist es naheliegend: in dem Waren aus der ganzen Zwar mussten einige von ihnen
Geht das gewohnte Lebensumfeld Welt ankommen, die dort um- und ihre Nestbaugewohnheiten den
Seite 14
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Do, 24. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Gegebenheiten anpassen, aber sie
lernen schnell. Der Buckingham
Palast oder der Turm von Big Ben
sind für Tauben, Spatzen, Falken,
Mauersegler oder andere einfach
nur wunderbare, riesige Felsen
mit vielen Vorsprüngen und Höhlen. Stockenten bauen ihr Nest
auch schon mal in Blumenkästen
auf Balkonen. Entlang der Bahntrassen wachsen eine Vielzahl
verschiedener Blüten, ebenso in
den Vorgärten und Parks, und bieten den Insekten ein reichhaltiges,
abwechslungsreiches Nahrungsangebot. Füchse finden ihr Essen
auf den Müllkippen, wo sich auch
in riesigen Scharen die Möwen
einfinden. Es kommt auch vor,
dass ein Fuchs sich eine von ihnen schnappt. Selbst in der Nähe
von Hochhäusern lohnt es sich für
Reinecke Fuchs, sich zu zeigen,
denn hier gibt es immer mal Menschen, die ihn füttern. Tauben gehören schon lange in die Großstädte. Sie halten sich gern überall dort auf, wo viele Menschen
sind, denn die lassen oft mal einen
Krümel fallen.
Doch inzwischen ist auch ihr
Feind in die Stadt zurückgekehrt
- der Wanderfalke. Er wurde während des Zweiten Weltkrieges fast
ausgerottet, um die Brieftauben
zu schützen, die Nachrichten von
der Front hin- und herflogen. Jetzt
wurden eigens Falken wieder angesiedelt, um die enorme Ausbreitung der Tauben zu stoppen.
Auch Bussarde kreisen durch die
Häuserschluchten - und sie brüten
hier auch.
Alte Gemäuer eignen sich gut für
den Bau von Schwalbennestern.
Sittiche und Papageienvögel gehören ebenso in das Stadtbild,
bevölkern gerne Parks und Friedhöfe. In der Dämmerung durchDo, 24. November 2016
Ein grüner Halsbandsittich sitzt
auf einem Zweig
Foto: 2015 by Usien
(Own work) [CC BY­SA 3.0
(http://creativecommons.org/li­
censes/by­sa/3.0)], via Wikimedia
Commons
Wo Futter für Füchse ausgelegt
wird, tauchen immer häufiger
auch Dachse auf. Jeder schlaue
Fuchs zieht sich sicherheitshalber
zurück, sobald ein Grimbart in
seine Nähe kommt. Die starken
Krallen des Dachses können ihn
schwer verletzen. Die Eichhörnchen versuchen den Vögeln das
Futter aus den Vogelhäuschen zu
stibitzen, Pelikane schnappen sich
gern mal eine Taube, Schildkröten kleine Entenküken und Füchse gelegentlich Möwen. Zwar haben die Tiere hier einen neuen Lebensraum gefunden und ein gutes
Nahrungsangebot mindert den
Druck zu jagen, doch der Kampf
ums Überleben, ein Fressen und
Gefressen werden, gehört auch
hier, ebenso wie in der sogenannten freien Natur, zum Alltag. Futterneid und Revierkämpfe bleiben
nicht aus.
streifen kleine Herden von Damhirschen die Vororte Londons,
um an das üppige Gras der Vorgärten und Verkehrsinseln zu gelangen.
Rotfuchs
Foto: 2009 by Martin Mecnarow­
ski [CC­BY­SA­3.0 (http://creati­
vecommons.org/licenses/by­
sa/3.0/)], via Wikimedia Com­
mons
Damhirsch
Foto: 2007 by Wisnia6522
(Own work) [Public domain],
via Wikimedia Commons
Wildtiere erobern sich menschliche Siedlungsgebiete
In Deutschland ist Berlin für viele Wildtiere ein Zufluchtsort geworden. Große Parkanlagen, weite Grünflächen, Waldgebiete und
Die Umgebung ist neu, Futterneid weitverzweigte Flüsse, Kanäle,
und Fressgewohnheiten ändern Seen, Teiche und andere Kleingesich kaum
wässer bieten Nahrung, Schutzwww.schattenblick.de
Seite 15
Elektronische Zeitung Schattenblick
und Bruträume. Aber auch stillgelegte Bahnhöfe, nicht mehr genutzte Gleisstränge oder Friedhöfe
locken als neues Wohngebiet. Hier
sind Wildschwein, Marder, Waschbär, Fuchs, Kaninchen schon länger
Zuhause. Viele verschiedene Vogelarten wurden in der Hauptstadt
gezählt (rund 180) - darunter Mauersegler, Mehlschwalben, Turmfalken, selbst der Waldkauz, die
Schleiereule, die Ringeltaube und
der Sperling - fühlen sich hier, auch
gern aufDachböden oder unter Dächern, wohl.
Fast alle sind aus Not in die Stadt
geflohen und es werden immer
mehr. Das führt oft zu Ärgernissen bei den Menschen. Marder
klettern in Autos, beißen Kabel
durch, Wildschweine graben im
Vorgarten den Rasen auf, Waschbären und Marder halten sich gern
in Schuppen oder auf Dachböden
auf und hinterlassen strenge Gerüche, um nur ein paar Beispiele
zu nennen. Auch um nicht noch
mehr Wildtiere anzulocken, ist in
Berlin das Füttern verboten.
Seite 16
Diesem Artikel liegen folgende
Quellen zugrunde:
- https://berlin.nabu.de/tiere-undpflanzen/wildtiere-in-der-stadt/
- http://www.geo.de./natur/tierwelt/5787-rtkl-wildtiere-eroberndie-stadt
- http://derstandard.at/
2000046541524/Zahl-der-Wirbeltiere-seit-1970-um-drei-Fuenftelgesunken
- https://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article159078241/Jedes-zweite-Wildtier-ist-von-der-Erde-verschwunden.html
TV-Dokumentation
"Expeditionen ins Tierreich"
Wildes London
Tiere im Großstadtdschungel
Dokumentation, Großbritannien, 2012
Film von Dave Allen, Steve Greenwood, 45 Min.
http://www.schattenblick.de/
infopool/kind/natur/
knti0098.html
DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN
Und morgen, den 24. November 2016
+++ Vorhersage für den 24.11.2016 bis zum 25.11.2016 +++
© 2016 by Schattenblick
Gerade in dieser Stadt werden viele Altbauten modernisiert. Ihre
Fassaden sind glatt und energetisch
versiegelt, die Ecken und Vorsprünge verschwinden und damit
die Möglichkeiten des Nestbaus
von Schwalben und Mauerseglern.
Die Neubauten sind oft total verglast, was vielen Vögeln zum Verhängnis wird, da sie dagegen fliegen und sterben. Leider wird in unserer Hauptstadt auch immer weiter gebaut, große Flächen werden
mit Gebäuden besetzt, mit Parkplätzen und Straßen asphaltiert.
Fast scheint es, als setze sich hier
der Kampfzwischen Mensch und
Tier um Lebensraum fort.
Doch die Tiere sind schlau und
nicht alle Menschen sind gleich.
Würden mehr Menschen erkennen, wie gut das Zusammenleben
mit Tieren für ihr eigenes Wohlbefinden sein kann, wie es zur
Ausgeglichenheit und Freude gereichen kann, vielleicht würde
dann auch das Verständnis für die
Tiere und ihre Lebensgewohnheiten wachsen. Schließlich hat
der Mensch sie aus ihren angestammten Gebieten verdrängt.
Nun suchen sie die Siedlungen
der Menschen auf, um dort einen
neuen Platz zu finden. Will man
verhindern, dass sie in die Stadt
ziehen, sollte beispielsweise mit
Wald, Wasser und Grünflächen,
gewissenhaft umgegangen werden. Es wäre doch wohl an dem
Menschen, der über weitaus
mehr Möglichkeiten der Einflussnahme und Umgestaltung
verfügt, sich für ein gutes Zusammenleben einzusetzen, das
beide, Mensch und Tier berücksichtigt?
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Hör ich da schon Winterstapfen,
leise, sacht und unvollständig?
Wünsche mir schon Eis in Zapfen.
Jean träumt sie sich eigenhändig.
Do, 24. November 2016