Neueste tagesaktuelle Berichte ... Interviews ... Kommentare ... Meinungen .... Textbeiträge ... Dokumente ... MA-Verlag POLITIK / REPORT Aufbruch demokratisch Rechtsruck verhindern ... Sören Altstädt im Gespräch Die Zukunft einer progressiven Linken Interview am 15. November 2016 in Hamburg (SB) Sören Altstädt studiert am Institut für Soziologie an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Er ist Aktivist der paneuropäischen "Bewegung Demokratie in Europa 2015", kurz DiEM25, die sich die Demokratisierung ... (Seite 6) IMPRESSUM Elektronische Zeitung Schattenblick Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K. Verantwortlicher Ansprechpartner: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 StelleWittenwurth Elektronische Postadresse: [email protected] Telefonnummer: 04837/90 26 98 Registergericht: Amtsgericht Pinneberg / HRA 1221 ME Journalistisch-redaktionelle Verantwortung (V.i.S.d.P.): Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 StelleWittenwurth Inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 10 Absatz 3 MDStV: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 StelleWittenwurth ISSN 2190-6963 Urheberschutz und Nutzung: Der Urheber räumt Ihnen ganz konkret das Nutzungsrecht ein, sich eine private Kopie für persönliche Zwecke anzufertigen. Nicht berechtigt sind Sie dagegen, die Materialien zu verändern und / oder weiter zu geben oder gar selbst zu veröffentlichen. Nachdruck und Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, liegen die Urheberrechte für Bild und Text bei: Helmut Barthel Haftung: Die Inhalte dieses Newsletters wurden sorgfältig geprüft und nach bestem Wissen erstellt. Bei der Wiedergabe und Verarbeitung der publizierten Informationen können jedoch Fehler nie mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden. Elektronische Zeitung Schattenblick Donnerstag, 24. November 2016 Aufbruch demokratisch - kleinster Nenner ... Ein Licht in der Finsternis droht zu blenden "Die gegenwärtige Europapolitik und die Demokratisierung der EU" DiEM25Podiumsdiskussion am 15. November 2016 in Hamburg Yanis Varoufakis Foto: © 2016 by Schattenblick (SB) 23. November 2016 Die pa- neuropäische Demokratiebewegung DiEM25 hat sich auf ihre Fahnen geschrieben, die Desintegration der Europäischen Union aufzuhalten, dem Aufstieg der Rechten etwas entgegenzusetzen und eine radikale Demokratisierung der EU und ihrer Institutionen herbeizuführen. Inspiriert von ihrem Hoffnungsträger Yanis Varoufakis will sie dem "europäischen Geist" zur Durchsetzung verhelfen, der internationalistisch sei und sich überall zu Hause fühle. Getragen von einem breiten Bündnis fortschrittlicher Kräfte, die sich grenzübergreifend und ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit zusammenschließen, um eine progressive Internationale ins Leben zu rufen, sollen Wut, Furcht, Unsicherheit und Perspektivlosigkeit wiedergewonnener Zuversicht weichen, Verwirrung und Elektronische Zeitung Schattenblick Zerfall durch Rationalität und kratisch verfaßte europäische sei daher keine linksgerichtete InEinheit aus dem Feld geschlagen Konstitution ins Leben rufen und itiative, sondern eine temporäre in Kraft setzen soll. werden: Allianz mit Liberalen, progressiven Konservativen, Grünen und Ich kann euch sagen, es ist ein un- Wie Varoufakis hervorhebt, anderen Kräften, die das Interesglaubliches Gefühl, während einer zeichneten sich unabweisliche se verbinde, die Talfahrt zu stopDiEM25-Versammlung zu mer- Parallelen zur epochalen Wirt- pen und Europa zu stabilisieren. ken, wie alle diese Lager unter dem schaftskrise zu Beginn der 1930er Sei das erst einmal gelungen, Banner der Demokratie zusam- Jahre und deren verhängnisvollen könne man sich ausgiebig streimenkommen und an einem Strang Folgen ab. Damals habe der Zu- ten. Progressive Linke wie er ziehen. Meine Frustration über sammenbruch der Wall Street zu selbst hätten die Schuld für ihr konstant bestehende Verhältnisse einem Verfall des Währungssy- Scheitern stets bei der Übermacht hat sich in Hoffnung aufbaldigen stems geführt, der Europa in den des Systems oder den Leitmedien Wandel umgekehrt. Meine Angst Abgrund stürzen ließ. Wachsende gesucht, nicht aber bei ihrem eivor einer ungewissen Zukunft hat Fremdenfeindlichkeit und aufbre- genen Versagen, eine Position zu sich in Zuversicht verwandelt, und chender Rassismus hätten den artikulieren, die von der Mehrheit dieses widerliche Gefühl der Isola- Aufstieg des Faschismus beflü- unterstützt werde. DiEM25 wertion wurde zur Verbundenheit. Ich gelt. Heute befördere die systemi- de nur dann signifikant, wenn es möchte euch dazu einladen, Teil sche Strukturkrise eine Konstella- gelinge, über den Standard linker dieser Bewegung, dieses Netz- tion, in der sich eine stolze Nati- Rhetorik, Praxis und Illusion hinwerks zu werden. Bringt euch ein, on gegen die andere wende und auszugehen. Trump und Farage organisiert euch, gründet DiEM- eine nationalistische Internationa- hätten demonstriert, daß es mögKollektive in dieser Stadt und ver- le überall in der westlichen Welt lich ist, sich gegen das Establishdie Konfrontation mit dem politi- ment durchzusetzen, jedoch mit netzt euch mit uns! schen Establishment suche. Dabei einer falschen, menschenfeindliDiese mit stürmischem Beifall handle es sich jedoch um einen chen Agenda. "Es ist unsere Aufaufgenommenen einleitenden Scheinwiderspruch: Zwar habe gabe, eine radikale, humanistiWorte Sören Altstädts, des Koor- das Establishment nicht die ge- sche Agenda zu etablieren, um dinators von DiEM25 in Ham- ringste Ahnung, wie es den euro- Europa wiederzugewinnen!" burg, brachten das zentrale Mo- päischen Kapitalismus stabilisiement der Bewegung wie auch die ren könne, und nähre damit die Eine entschiedene Absage erteilt Stimmung im mit gut 800 zumeist rechtsgerichteten Kräfte, doch DiEM25 allen Diskursen und PläStudierenden randvoll gefüllten versuche es zugleich, seinen Vor- nen, die Eurozone oder die EU größten Hörsaal des Hauptgebäu- teil daraus zu ziehen. Daher seien aus eigenem Antrieb zu verlassen: des der Universität auf den Punkt. das Establishment und die Natio- Dies forcierte den Zerfall und Unter dem Eindruck unabwend- nalisten de facto Komplizen, die spiele den Rechten in die Hände. bar erscheinender multipler Kri- einen finsteren Tango tanzten. Es gelte vielmehr, in der EU zu sen, zerfallender Ordnungsstrukbleiben, sie aber von innen heraus turen und Werte wie auch drama- Es sei ein historischer Fehler der zu kritisieren und zu demokratitisch anwachsender Ungewißheit Sozialdemokraten und Kommu- sieren. Wie soll das vonstatten geder Lebensverhältnisse mutet der nisten in den frühen 1930er Jah- hen? DiEM stehe für Konfrontamit dezidierter Zuversicht vorge- ren gewesen, sich nicht gegen den tion mit den Institutionen, nicht tragene Weckruf wie ein kaum Faschismus zu verbünden, den um sie zu zerstören, sondern in einoch für möglich gehaltener fort- man nicht wiederholen dürfe, so nem Prozeß radikaler Schritte daschrittlicher Aufbruch mit greif- Varoufakis. Perioden der Deflati- zu zu bewegen, die wohlüberlegbaren Erfolgsaussichten in über- on seien keine revolutionären ten Einwände anzuerkennen und schaubaren Fristen an. Die Agen- Zeiten, welche die Linke begün- sich rekalibrieren zu lassen. Dem da sieht eine Schrittfolge zu ab- stigten, den Kapitalismus zu de- Konzept konstruktiven Ungehorsolvierender Etappen vor, die bis stabilisieren. Sie begünstigten sams folgend, entwickle man mo2025 das Technokratenregime der vielmehr Rassisten, Ultranationa- derate Vorschläge und fordere das EU überwinden und eine demo- listen und Faschisten. DiEM25 Establishment auf, sich dem anSeite 2 www.schattenblick.de Do, 24. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick zuschließen. "Doch wenn es auf eine menschenfeindliche, gescheiterte Politik beharrt, müssen wir ungehorsam sein. Wie das durchzuführen ist, müssen wir dringend diskutieren", so Varoufakis. Die progressive Agenda formuliere eine Wirtschaftspolitik für ganz Europa, die Vorschläge zu Banken, Steuern, Investitionen, Sozialökonomie, Migration, grüner Transition und einem verfassunggebenden Prozeß enthalte. Ende Februar in Paris beginnend, wolle man dieses Konzept vor allen anstehenden Wahlen in europäischen Ländern präsentieren. Ein paneuropäischer New Deal, der in grüne Technologien investierte und von der EZB unterstützt würde, könnte wie Roosevelt 1933 das Klima von grundauf ändern und die EU stabilisieren. Sobald das gelungen sei, könne man die alten Verträge durch eine neu ausdiskutierte Verfassung ersetzen. Es gelte, den Traum gemeinsamen Wohlstands wiederzubeleben, wie er nach 1945 existiert habe, diesmal jedoch eines grünen Wohlstands, der die Kapazitäten der Technologie nutze, ohne den Planeten und unsere Seele zu schädigen. Do, 24. November 2016 Yanis Varoufakis, Philip Liste, Siri Keil (Moderatorin), Rahel (Moderatorin), Martin Sauber, Lisa Knoll Foto: © 2016 by Schattenblick Mitdiskutierende wohlwollend skeptisch Die weiteren Diskutantinnen und Diskutanten auf dem Podium standen DiEM wohlwollend gegenüber, wiesen aber mit ihren ergänzenden bis skeptischen Beiträgen auf die eklatanten Lücken im Entwurf dieser Bewegung hin. Die Soziologin Lisa Knoll führte die Depolitisierung vieler Linker nicht zuletzt auf deren strikte Trennung von Staat und Markt zurück, als sei letzterer eine freie und natürliche Entität, die nicht bürokratisch organisiert werde. Der Sozialstaat werde abgebaut und durch eine Technokratie ersetzt, die Anreizstrukturen, Systeme der Leistungsmessung und Vergleichsinstrumente installiere. Die Marktförmigkeit bringe den Diskurs hervor, daß die Verhältnisse, in denen wir leben, unveränderbar seien. sungsgebenden Prozesses ein, der im Manifesto von DiEM formuliert wird. Wie die amerikanische Unabhängigkeitserklärung oder die UN-Charta zeige, wurden diese Dokumente im Namen eines Volkes oder einer Völkergemeinschaft unterzeichnet, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existierten. Dieser Zirkelschluß werde allenfalls in der Präambel der UN-Charta durchbrochen, wo von einer Übereinkunft der Regierungen die Rede ist. Die Frage des Referenten, was der von DiEM25 immer wieder gern zitierte Demos sei, in dessen Hände die politische Entscheidungsgewalt und Kontrolle zurückkehren müsse, blieb auf der Veranstaltung leider unbeantwortet. Ebensowenig Resonanz rief Listes Verweis auf den Ausnahmezustand wach, der bereits in der Türkei und in Frankreich verhängt wurde. Die weitreichendsten Einwände brachte der Ökonom Martin Sauber zum Ausdruck, der auf den Zusammenhang von Kapitalakkumulation und Verschuldung in der EU einging. Er thematisierte Privateigentum, WarenproduktiDer Politologe Philip Liste ging on und Ausbeutung von Arbeit auf die Problematik des verfas- und Natur aufgrund der kapitaliwww.schattenblick.de Seite 3 Elektronische Zeitung Schattenblick stischen Produktionsweise und imperialen Lebensweise. Wenngleich eine Demokratisierung der EU notwendig sei, schließe er aus, daß man zuerst den Kapitalismus stabilisieren und anschließend ökologische Probleme bewältigen könne. Er wünsche sich keinen neuen Klassenkompromiß, denn wenn der Kapitalismus durch reformierte europäische Institutionen stabilisiert werde, legitimiere dies die grundlegenden Machtstrukturen. Statt dessen favorisiere er die Selbstermächtigung frei assoziierter Menschen einschließlich einer Demokratisierung der Produktion und trete für eine sozioökologische Bestärkung ein, die über eine parlamentarische Demokratie, den Kapitalismus und Europa hinausgehe. Keim eines neuen Demos? Foto: © 2016 by Schattenblick Sammlungsbewegung auf der Suche nach dem Demos Obgleich Sauber damit fast schon eine Grundsatzkritik am Konzept von DiEM25 formulierte, versagSeite 4 te ihm das Publikum ausgiebigen Beifall ebensowenig wie anderen Stimmen auf dem Podium oder bei der relativ kurzen Diskussion im Plenum. Die Begeisterung schlug an diesem Abend hohe Wogen, immer wieder angespornt durch Einlassungen von Yanis Varoufakis oder den Moderatorinnen, die Erwartungen auf erleuchtende Augenblicke schürten und die Gefühlslage im Saal erfragten. Der emotionsgetragene Schwung der Bewegung ist offensichtlich, die sich einen Parforceritt über alle Klippen und Klüfte leidiger Widerspruchslagen, mißlicher Kontroversen und insbesondere zu erwartender Hindernisse auszumalen scheint. Wo ein radikales, aber zugleich moderates Vorgehen postuliert wird und man niemandem in Feindschaft begegne, sondern an die Einsicht appelliere, ohne im Zweifelsfall auf Ungehorsam zu verzichten, verschwimmen die unüberbrückbaren Widersprüche einer Klassengesellschaft, die forciert ausgebaute Repression der Staatsgewalt und die herrschaftssichernden Entwürfe gesellschaftlicher www.schattenblick.de Eliten zum Fahrwasser einer hoffnungsvoll gestimmten Bewegung, die unter der Flagge des nicht näher geklärten Demokratiebegriffs segelt. Das Fanal der Demokratisierung beschwört in seiner Beliebigkeit einen Konsens, dem sich kein fortschrittlich denkender und für vernünftige Argumente offener Mensch entziehen könne: "Die wahre Opposition dagegen seid ihr!", riefVaroufakis seinem Publikum zu. "Wir sind nicht als Griechen, Franzosen oder Deutsche hier, nicht als Marxisten oder Liberale, progressive Konservative oder Grüne, sondern als geschichtsbewußte Menschen und Europäer, die verstehen, daß dies das 1930 unserer Generation ist." Zugleich schrumpft das Feindbild auf ein Technokratenregime in Brüssel zusammen, genannt die Institutionen, von deren Neukalibrierung man das Establishment überzeugen werde, dem der Boden unter den Füßen weggezogen worden sei. Mittels der Suggestion, man könne gesellschaftliche Mehrheiten gegen die für unfähig erklärte EU-Administration mobilisieren, wird die Frage ausgeblendet, wie es um die tatsächlichen Kräfteverhältnisse bestellt ist und der Kampf konkret zu führen sei. Wenn Varoufakis versichert, er habe gemeinsam mit Wolfgang Schäuble festgestellt, wie furchtbar die Troika für Griechenland, Deutschland und Europa sei, doch sei man gleichermaßen machtlos gewesen, ihr Einhalt zu gebieten, deutet er die Interessen und Einflußmöglichkeiten in seinem Sinne um. In seiner verkürzten Analyse der EU ist diese nicht ihrem Wesen nach ein Projekt der fühDo, 24. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick renden Nationalstaaten und Kapitalfraktionen, sondern vor allem deshalb keine integrative Union geworden, weil seit ihren Anfängen mit der Montanunion ein Kartell den Ton angegeben habe. Unter dem makroökonomischen Schutzschirm des hegemonialen Systems der USA habe das in guten Zeiten funktioniert. Kartelle seien jedoch nicht in der Lage, mit Krisen umzugehen, weil ihre Mitglieder einander dann heftig bekämpften. Mit Hilfe dieses Erklärungsmodells wird im vorgeblich begrüßenswerten Entwurf des europäischen Zusammenschlusses ein Kardinalfehler konstatiert, der sich gemeinsam mit den nationalen Regierungen und womöglich sogar den Brüsseler Institutionen beheben lasse, zumal eine praktikable Lösung der Krise in Reichweite liege. Wenngleich Wirtschaftswissenschaftler und sogar Marxist, wie es Varoufakis für sich in Anspruch nimmt, überführt er eine aus Staatstheorie und politischer Ökonomie abzuleitende Analyse der EU und der Krise in ein Konstrukt angeblich falscher Weichenstellungen in Händen inkompetenter Bürokraten, was zwangsläufig zu unzulänglichen Schlußfolgerungen in Gestalt fiktiver Lösungsmöglichkeiten führt. Indem er die fortgesetzt an ihre Grenzen stoßende Kapitalverwertung, die daraus resultierenden Krisen wie auch die expansiven Strategien aggressiver Bestandssicherung und innovativer Fortschreibung der Herrschaftsverhältnisse und Wirtschaftsweise ausblendet, unterstellt er einen begrenzten Schadensfall, dessen Reparatur er für machbar erklärt und zugleich zum umfassenden Befreiungsschlag in Richtung eiDo, 24. November 2016 nes humanen und prosperieren- Verhältnisse vor, wie ihn freilich den Europa verklärt. jene, welche die Farbe im Parteinamen tragen, längst weitaus Was sich als genuin neue und fri- entschiedener vorgedacht haben. sche Bewegung präsentiert, welche die für gescheitert erklärte Der "europäische Geist" als KosLinke zurückläßt, um auf den mopolit hat sicher seinen Reiz, kleinsten Nenner gebracht alle zumal für eine Bewegung, die Demokraten ins Boot zu holen, sich selbst erschafft und ihren Dehausiert doch nur mit aufpolierten mos noch nicht gefunden hat. Im Versatzstücken sattsam bekannter Stile einer säkularen EvangelisaEntwürfe. Die Vorstellung, man tion wird sie uns sicher noch eine könne mit den Institutionen der Weile begleiten, Mitstreiter geEU die Konditionen neu ausdis- winnen und nicht zuletzt promikutieren und eine vernünftige Lö- nente Andockstellen suchen und sung im Interesse aller herbeifüh- finden. Ob Hoffnung jedoch ein ren, erinnert fatal an das Schick- wünschenswerter Ratgeber ist, sal Syrizas. Deren Verhängnis, die wo mehr denn je ein unverzögerFrage möglicher Druckmittel von ter und entschiedener Schultervornherein auszublenden, scheint schluß der Schwachen das Gebot sich bei DiEM25 zu wiederholen, der Stunde ist, darf bezweifelt das sich von der Debatte um einen werden. Plan B in Gestalt eines geordneten Rückzugs aus der Eurozone explizit distanziert. Auch der aus- Siehe auch die weiteren drückliche Verzicht auf linke Po- Beiträge zu der Veranstaltung sitionen in der Bündnispolitik im im Schattenblick unter Namen einer antifaschistischen www.schattenblick.de → Allianz ist aus der jüngeren Ver- INFOPOOL → POLITIK → gangenheit der Linken als einer REPORT: ihrer maßgeblichen Aufweichungsprozesse bekannt. Wer Ge- INTERVIEW/329: Aufbruch deschichtsbewußtsein für sich rekla- mokratisch - Rechtsruck verhinmiert, sollte zudem nicht versäu- dern ... Sören Altstädt im Gemen, Roosevelts New Deal kri- spräch (SB) tisch unter die Lupe zu nehmen. http://www.schattenblick.de/infAls vorgeblicher Klassenkompro- opool/politik/report/ miß durchaus geeignet, das wach- prin0329.html sende Aufbegehren zu befrieden, hatte sich sein ökonomisches Po- INTERVIEW/330: Aufbruch detential längst erschöpft, als die mokratisch - wohin soll's gehen ... Kriegswirtschaft den entschei- Martin Sauber im Gespräch (SB) denden Schub herbeiführte, der http://www.schattenblick.de/infdie USA in die Position der Welt- opool/politik/repormacht katapultierte. Bliebe noch t/prin0330.html der technologiegestützte Entwurf grünen Wohlstands zu erwähnen, http://www.schattenblick.de/ der befürchten läßt, DiEM25 infopool/politik/report/ schwebe nichts anderes als ein prbe0252.html Konzept des grünen Kapitalismus zur Rettung der herrschenden www.schattenblick.de Seite 5 Elektronische Zeitung Schattenblick POLITIK / REPORT / INTERVIEW Aufbruch demokratisch - Rechtsruck verhindern ... Sören Altstädt im Gespräch Die Zukunft einer progressiven Linken Interview am 15. November 2016 in Hamburg Sören Altstädt Foto: © 2016 by Schattenblick (SB) 23. November 2016 Sören Altstädt studiert am Institut für Soziologie an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Er ist Aktivist der paneuropäischen "Bewegung Demokratie in Europa 2015", kurz DiEM25, die sich die Demokratisierung der Europäischen Union auf die Fahnen geschrieben hat. [1] In Berlin im Februar von Yanis Varoufakis und anderen gegründet, hat sich die Bewegung innerhalb Deutschlands wie auch anderer EU-Staaten weiterentwickelt, so auch seit April in Hamburg, wo Sören Altstädt seitdem die Aktivitäten und Bemühungen koordiniert. Seite 6 Sören Altstädt (SÖ): Mein Eindruck war, daß es insgesamt eine sehr gelungene Veranstaltung war. Wir haben hier versucht, DiEM sozusagen eine größere diskursive Reichweite zu verschaffen. Meiner Meinung nach sind Unis aufgrund ihrer gesellschaftlichen Funktion eine ideale Institution, um diese Reichweite zu erzeugen, und ich glaube, das ist uns auch ganz gut gelungen. Wir konnten DiEM ein seriöseres Ansehen verleihen, was es auf jeden Fall verdient hat und was es bisher - zumindest in der deutschen Medienlandschaft - einfach nicht bekommen hat. Nach meinem Eindruck Am 15. November fand in einem haben wir das heute abend auf jeHörsaal der Universität eine den Fall ein Stück weit geschafft. DiEM25-Verstaltung zum Thema "Die gegenwärtige Europa- SB: War denn DiEM in Hamburg politik und die Demokratisie- schon vor der heutigen Veranstalrung der EU" statt. [2] Im Mittel- tung verankert? punkt des Interesses stand zweifellos Yanis Varoufakis. An der SÖ: Auf jeden Fall. Wir sind hier Podiumsdiskussion vor vollbe- seit April am Netzwerken, am Orsetztem Haus nahmen aber auch ganisieren, am Tun. Ich koordiwissenschaftliche Mitarbeiter niere das seitdem, also seit sieben der Universität Hamburg teil. Monaten. Sören Altstädt sprach die Begrüßungs- und Einleitungsworte SB: Wie ist denn die Entwicklung und stellte sich dem Schatten- von DiEM europaweit einzublick im Anschluß an die Veran- schätzen? Gibt es die Bewegung staltung zu einem kurzen Ge- auch schon in den anderen EUspräch zur Verfügung. Staaten und wie ist die Beteiligung? Schattenblick (SB): Die erste Frage lautet natürlich: Wie war denn SÖ: Wenn wir jetzt nach den AnIhr Eindruck heute abend? meldungen auf unserer Website www.schattenblick.de Do, 24. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick gehen, sind das rund 30.000 Menschen aus ganz Europa, die sich beteiligen oder sich zumindest für DiEM interessieren. Aber ich glaube, daß die Reichweite deutlich größer ist, weil sich manche Leute einfach nicht anmelden oder das aufgrund irgendwelcher Vorbehalte nicht wollen. Meiner Meinung nach ist die internationale Entwicklung von DiEM auf jeden Fall so, daß die Bewegung wächst und expandiert, interessanterweise auch in Deutschland. Wenn ich mich nicht irre, ist die deutsche DiEM-Gemeinschaft schon die zahlreichste. Gut, wir sind auch eines der bevölkerungsstärksten Länder der EU, aber ich glaube schon, daß es hier eine spezielle Verdichtung gibt. SB: Wenn man das DiEM-Manifest [3] liest, fällt auf, daß da linke Positionen rausgelassen oder relativ niedriggehalten wurden. Ist das vielleicht auch eine taktische Entscheidung gewesen, um erst einmal möglichst viele Menschen ansprechen zu können? on, die Deutschland in der EU derzeit einnimmt, daß unsere Medienlandschaft sehr darauf bedacht ist, die Austeritätspolitik gegen Griechenland - vor allem aus deutscher Sicht - als legitim darzustellen. Was ich häufig beobachte ist, daß Yanis Varoufakis persönlich sehr stark angegangen wird. Ihm wird irgendwie ein starker Narzißmus zugeschrieben. Aufgrund seiner Niederlage als Finanzminister würde er versuchen, seinen Narzißmus nun durch diese Bewegung zu befriedigen. Das sind wirklich Sachen, die in der deutschen Medienlandschaft so geäußert werden. Ich glaube, daß diese Vorbehalte ganz stark auf die Wahrnehmung von DiEM in Deutschland ausstrahlen, aber das wird sich ändern. Vor allem durch die Erschütterungen der letzten paar Wochen ist klargeworden, daß das eine gute Sache ist, und auch heute hat man ja gesehen, daß Yanis kein fanatischer Narzißt ist, sondern wirklich etwas zu sagen hat und auch für Deutschland relevante Themen konstruktiv aufbereitet. SÖ: Yanis hat ja schon gesagt, daß DiEM an und für sich kein genuin linkes Projekt ist, sondern ein SB: Vielen Dank, Herr Altstädt, demokratisches. Ich persönlich für das Gespräch. sehe gerade dieses demokratische Projekt als die Zukunft einer progressiven Linken an und insofern Anmerkungen: würde ich dieses Manifest schon als stark links ausgerichtet einstu- [1] www.diem25.org fen. [2] Siehe auch die weiteren BeiSB: Sie haben die Vorbehalte oder träge zu der Veranstaltung im auch das Zögern in den deutschen Schattenblick unter www.schatMedien gegenüber DiEM ange- tenblick.de → INFOPOOL → sprochen. Welche Einwände mö- POLITIK → REPORT: gen Ihrer Einschätzung nach da- BERICHT/252: Aufbruch demohinterstecken? kratisch - kleinster Nenner ... (SB) INTERVIEW/330: Aufbruch deSÖ: Ich würde vermuten auf- mokratisch - wohin soll's gehen ... grund der hegemonialen Funkti- Martin Sauber im Gespräch (SB) Do, 24. November 2016 www.schattenblick.de [3] Ein Manifest für die Demokratisierung Europas. DiEM25 Democracy in Europe Movement 2015. Herunterladbar unter: http://diem25-hamburg.de/diem25-manifesto/ http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/report/ prin0329.html SCHACH - SPHINX Konserviertes Charisma Was zum Teufel ist ein "charismatischer Zug"? Es gibt hervorragende, brillante, durchtriebene, fuchsschlaue, krötendumme, lauernde, einladende, abwehrende, siegbringende Züge, sogar verpaßte Züge soll es geben, aber daß ein Zug, vielleicht gar ein plumper Bauernzug, über Charisma verfügt, scheint die ins Menschliche verzerrte Nomenklatur toter Buchstaben- und Zahlenfolgen doch arg zu strapazieren. Nun, da Geist hinter Charisma vermutet wird und jede Ausstrahlung auf ein Objekt gerichtet ist, liegt es in der Logik der Irrtümer nahe, den Menschen mit seinem Werk zu identifizieren, zumal dies, nicht nur philosophisch gesehen, eine gesellschaftliche Relevanz hat. So suchen wir in großen Dichterworten nach dem Dichter selbst, als stünde er leibhaftig vor uns und läge nicht vermodert im Grabe. Fast scheint es dann, als spräche er durch das Medium der Schrift zum Ohr der Lebenden. So ähnlich hält man es denn auch in der Schachkunst mit der Hinterlassenschaft der Züge. Menschlicher als das Irren ist bekanntlich nur die Gier, und wo (SB) Seite 7 Elektronische Zeitung Schattenblick man des Meisters nicht habhaft werden kann, soll zumindest sein geistiges Erbe unter die einzelnen Glieder des großen Haufens verteilt werden, zum Wohle aller selbstredend. Ja, ein Zug kann Charisma besitzen, sofern ihn ein Mensch, und allemal gilt dies für einen Meister, erdacht hat! Hätte die Bibel denn sonst einen Wert? Und ist nicht Bibel alles, was wir verehren? Charismatisch ging es auch im heutigen Rätsel der Sphinx zu, wo Meister Tschigorin mit Schwarz zu entzücken wußte. Also, Wanderer, lassen wir die Tote sprechen! Gunsberg - Tschigorin 1890 Auflösung letztes SphinxRätsel: Ein Fehler in Ehren war 1...Sf5-e3? wegen der Opferablehnung 2.Ld2c1! Meister Füster stand plötzlich vor einem großen Dilemma. Da 2...Se3-f5 an 3.g2-g4 Sf5-e7 4.Lc1xh6 scheiterte, biß er mit 2...Se3xd1 in den sauren Apfel: 3.Lc1xh6! f7-f5 - 3...Sd1xb2 4.Lh6xg7! - 4.e5xf6 Tf8xf6 5.Lh6g5 Tf6-f5 6.Tf1xd1 Ta8-f8 7.g2-g4 Tf5-f6 - 7...Tf5xf3 8.Dh3-h7+ Kg8f7 9.Ld3-g6# - 8.Dh3-h7+ Kg8-f7 9.Lg5xf6 Kf7xf6 10.Dh7-h4+ und Schwarz gab wegen 10...Kf6-f7 11.Sf3-g5+ Kf7-e7 12.Sg5-h7+ auf. Hoffnungslos war, im Nebenlauferwähnt, auch 3...g7xh6 4.Dh3xh6 f7f5 5.e5xf6 Tf8-f7 6.Sf3-g5 usw. Seite 8 POLITIK / REPORT / INTERVIEW Aufbruch demokratisch - wohin soll's gehen ... Martin Sauber im Gespräch Über den Kapitalismus hinaus Interview am 15. November 2016 in Hamburg Martin Sauber Foto: © 2016 by Schattenblick DiEM25 Hamburg in Kooperation mit dem AStA der Universität organisierten Veranstaltung teil. [1] Unter dem Titel "Die gegenwärtige Europapolitik und die Demokratisierung der EU" präsentierten Yanis Varoufakis und seine Mitstreitenden das Projekt DiEM25 an diesem Abend mit großem Erfolg, nimmt man die fast als euphorisch zu bezeichnende Stimmung im vollbesetzten Hörsaal A der Universität Hamburg zum Maßstab. Der Ökonom Dr. Martin Sauber ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Vertrauensdozent am Fachbereich Sozialökonomie an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg tätig. Obwohl selbst kein Mitglied bei DiEM25, steht er doch durch seine politische Arbeit in einem engen Austausch und Kontakt mit Menschen, die in dieser paneuropäischen Bewe- Daß dieses europaweit aufgezogung zur Demokratisierung der gene Projekt zur DemokratisieEU aktiv sind. rung der EU auf große Sympathie unter den Anwesenden stieß, hieß Am 15. November nahm er als jedoch nicht unbedingt, daß es Podiumsdiskutant an einer von nicht auch gewisse Bedenken (SB) 23. November 2016 www.schattenblick.de Do, 24. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick oder kritische Fragen gegeben hätte, wie sich unter anderem auch im Gespräch mit Dr. Martin Sauber zeigte, der sich unmittelbar nach der Veranstaltung bereit erklärte, dem Schattenblick einige Fragen zum Themenkomplex DiEM25 zu beantworten. Schattenblick (SB): DiEM25 hat ja sehr viele prominente Aushängeschilder - Politiker, Wissenschaftler und Künstler. Inwieweit ist es eine Bewegung, die von diesen Kreisen auch getragen wird? Hat DiEM25 eine Verbindung zur Basis, die immer wieder beschworen wird? Martin Sauber (MS): Super Frage. Ich glaube schon, daß DiEM25 Stärken hat, aber sicher auch ein paar Sachen, die ich kritisieren würde. Eine Frage wäre zum Beispiel, inwiefern DiEM25 zu einer sozial-ökologischen Transformation beitragen kann. Ich glaube, daß sie aufgrund der Prominenz - heute war ja Yanis Varoufakis hier - und den unterschiedlichen Milieus, die in der Bewegung aktiv sind, durchaus ein Agenda-Setting machen und wichtige Themen ansprechen und diskutieren kann. DiEM25 könnte eine Plattform werden, wo sich Menschen mit einem anti-nationalen, linken Schwerpunkt kennenlernen und vernetzen. Wir haben heute auch gesehen, wie gut das organisiert war von supersmarten Leuten, die überzeugt sind, ein Stück weit dazu beizutragen, daß die Welt besser wird. Da wünsche ich ihnen viel Erfolg, und deswegen bin ich auch unheimlich gerne heute hier gewesen. Was ich eher kritisch sehe oder vielleicht auch noch zum Problem werden könnte bei eiDo, 24. November 2016 nem Format wie diesem, ist, daß wir hier in einem Hörsaal der Universität sitzen, der vorne eine Bühne hat, wo wir gesessen haben, und dann die Ränge, die steil nach oben gehen. Daß die Menschen so eng in Reihen sitzen, könnte so ein bißchen als Ausdruck von Hierarchien aufgefaßt werden, wobei der Mensch, der im Publikum sitzt, vielleicht Verantwortung abgibt an die Person, die vorne steht, gerade wenn sie auch noch als Experte vorgestellt wird. Ich glaube, daß sich das beißt, daß das ein Widerspruch ist zwischen dem, was mensch erreichen möchte - eine freie Gesellschaft -, und dem Prozeß, der dann doch wieder ein Stück weit hierarchisch organisiert ist und Leute eben nicht befähigt und ermächtigt zu handeln, was meiner Meinung nach aber notwendig ist. SB: Es wurden ja eine Reihe von Forderungen aufgestellt, die in einem Stufenplan umgesetzt werden sollen. Über welche Mittel verfügt denn DiEM25 überhaupt, diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen? MS: Wenn ich danach gefragt worden wäre, hätte ich eben auf der Bühne gesagt, daß ich mich nicht in der Position sehe, das zu beantworten, weil die Leute, die in dieser Bewegung aktiv sind, das selbst entscheiden müssen und sollen. Wenn Sie sich umsehen, was für Leute heute hier waren, glaube ich, daß viele von ihnen politisch aktiv sind. Sie besetzen Häuser oder organisieren Räume für kollektives Wohnen, Arbeiten und Freizeitmachen. Die Studierenden sind beim AStA aktiv, machen hier Cafés etc. Und überhaupt steht hier vor Ort in Hamburg viel auf der Agenda mit www.schattenblick.de dem Hafen, mit dem Abschiebegefängnis am Flughafen und mit dem G20-Gipfel nächstes Jahr im Juli, wo die Leute schon recht genau wissen, was sie mit wem machen. SB: Yanis Varoufakis sagt ja, er sei ein Linker, aber die Plattform DiEM25 sei explizit kein linker Entwurf, sondern ein demokratischer, an dem sich viele Leute beteiligen können, weil in dieser historischen Phase dieses breite Bündnis notwendig wäre. Kann man das so akzeptieren oder gibt es aus Ihrer Sicht dagegen auch Einwände? MS: Das ist auf jeden Fall eine gute Frage, die wir uns stellen müssen. Yanis verweist ja auch auf die Geschichte und sagt, daß damals, in den 1930er Jahren, durch die Krise des Kapitalismus die Rechten gewonnen haben. Gleichzeitig kann mensch die Geschichte aber auch anders lesen. Wenn ich jetzt die neue Geschichte mit Trump lese, könnte ich das auch so interpretieren, daß Trump nicht gewonnen, sondern Clinton verloren hat, weil keine wirklich linke Perspektive, wie es sie vielleicht mit Bernie Sanders gegeben hat, zur Wahl gestanden hat. SB: Der Entwurf, der heute hier vorgestellt wurde, bezieht sich auf ein Europa, das ursprünglich eigentlich ein Europa der Bürger gewesen und erst später verändert worden sei. Ist das aus Ihrer Sicht heute noch akzeptabel oder müßte man nicht auch einen ganz anderen Entwurf der Nachkriegszeit schaffen? MS: Yanis hat das ja - zumindest in seinem Buch - anders interpretiert. Heute hat er nur kurz angeSeite 9 Elektronische Zeitung Schattenblick sprochen, daß Europa zunächst ein nationales Ding war und auch immer noch ist und daß dieses Europa aus einer Kohle- und Stahlunion heraus gegründet wurde. Es ist also ein kapitalistisches Europa der Unternehmer zu dem Zweck, Monopolmärkte zu generieren und Profite abzuschöpfen. SB: Man hätte heute hier den Eindruck gewinnen können, daß die EU an sich ein neutrales Gebilde wäre, um das es sich auch von linker Seite zu kämpfen lohne. Eine Frage vorhin in der Podiumsrunde lautete, warum auch die Linke diese Institution bräuchte. Wurde damit nicht einer Diskussion gerade dieser Frage vorgegriffen, weil die Antwort im Grunde schon im voraus gegeben wurde? MS: Das ist schwierig zu beantworten. Einerseits mag ich Yanis' Position, weil er stark antifaschistisch argumentiert und sagt: Der Rückfall zu nationalstaatlichen Argumentationsmustern, den ihr auch innerhalb der Linken beobachtet, ist der falsche Weg, damit befördern wir eher faschistische Bewegungen. Deswegen müssen wir europäisch argumentieren und arbeiten. Gleichzeitig jedoch, so habe ich versucht zu argumentieren, tue ich mich schwer mit diesem Dualismus, bei dem es heißt, es gibt einerseits den Staat und andererseits den Markt. Wer marxistische Literatur oder vielleicht die Werke Gramscis liest, stößt da auf interessante Hinweise. Gramsci würde dem ja widersprechen und sagen, daß gerade diese Institutionen, diese parlamentarisch- repräsentative Demokratie eine gute Sache ist für die Kapitalisten, sich zu organisieren, ihre eigenen Widersprüche zu überwinden und die Klassen Seite 10 mit diesem Klassenkompromiß konsensgepanzert in den im Fordismus herrschenden Zwang einzubinden. SB: Sie haben vorhin die Proteste vom Hambacher Forst erwähnt. Es gab auch schon die OccupyProteste und noch heute eine starke Bewegung gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. Eine Menge Menschen an der Basis setzen sich also zur Wehr und artikulieren ihren Protest. Warum sollte es Ihrer Meinung nach jetzt mit DiEM25 noch eine weitere Bewegung geben? Könnte sich das nicht auch als kontraproduktiv erweisen, beispielsweise, indem man sich wechselseitig die Mitstreitenden abspenstig macht? MS: Ich glaube schon, daß DiEM durch diese Formalisierung tatsächlich ein Stück weit eine andere Verbindlichkeit herstellt für Menschen, die etwas machen wollen, wobei sie sich wohler fühlen können. Ich kann mir vorstellen, daß sich im Hambacher Forst nicht jede Person wohlfühlt, weil sie eine andere Geschichte und andere Erfahrungen gemacht hat - sei es politisch, beruflich oder aus einem anderen Milieu heraus -, und daß DiEM25 durchaus einen wichtigen Beitrag leisten kann, um kommunikative Diskurse zu beeinflussen in einer Art und Weise, die den Leuten, die jetzt schon aktiv sind oder sich in anderen Feldern engagieren, noch mehr Möglichkeiten gibt. SB: Bei den Debatten heute fiel auf, daß so etwas wie eine ökonomische Diskussion gesellschaftlicher Widersprüche relativ ausgespart wurde. Es wurde sehr viel über Institutionen und über Regierungshandeln auch der EU gewww.schattenblick.de sprochen, aber das Moment der Produktionsweise zum Beispiel kam kaum zur Sprache. Halten Sie das für ein für DiEM25 typisches Phänomen? MS: Ich habe ja versucht, diese Kontroverse tatsächlich ein Stück weit aufzugreifen, indem ich in meiner Analyse betont habe, daß wir eine ganz besondere Wirtschaftsgesellschaft haben - nämlich eine kapitalistische -, daß der innerhalb des Kapitalismus vorherrschenden Logik die Ausbeutung von Mensch und Natur inhärent ist und daß die Akteure, die dort über Macht und Eigentum verfügen, alles daransetzen werden, um eine sozial-ökologische Transformation zu verhindern. Ich korrigiere mich ein Stück weit in dem letzten Punkt. Das trifft nicht auf alle zu, weil die Kapitalfraktion ja auch nicht homogen ist und es in ihr sehr wohl Akteure gibt, die von der sozial-ökologischen Transformation im Gesundheitsbereich oder in den neuen grünen Branchen profitieren. Gleichzeitig aber gibt es andere, die viel zu verlieren haben, so wie bei der Braunkohle zum Beispiel, und die alles dagegen tun, daß sich da irgendetwas ändert. SB: Sie haben vorhin in Ihrem Wortbeitrag konkret auch das Privateigentum angesprochen. Kommt dieser Themenaspekt in den Diskussionen nicht viel zu kurz? MS: Oh ja. Wenn ich sage, daß ich eine sozial-ökologische Transformation möchte, in der Braunkohle für die Energieproduktion keine Rolle mehr spielen darf, ist es ein Problem, wenn sich das Kohlekraftwerk in privatem Eigentum befindet. Deswegen muß ich das Do, 24. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick ansprechen. Dann klingt die Systemfrage zwar immer noch recht abstrakt, aber gerade so bei konkreten Sachen wie dem Hamburger Flughafen und den ganzen Sicherheitsfirmen, die jetzt aufkommen, wird das ziemlich greifbar. Ich glaube, daß wir auch außerhalb der Universität viele Leute überzeugen können, wenn wir nicht auf diesem theoretisch-abstrakten Niveau argumentieren, sondern ganz konkret vor Ort klarmachen, wer mit welchen Interessen wie und wo handelt. ser Wachstumslogik nicht heraus. uns für das Gespräch. Das geht dann nicht auf, weil die Wachstumslogik innerhalb des Kapitalismus einen starken Drive Anmerkungen: hat. Wir sind dann zwar vielleicht "grüner" und können ganz parti- [1] Siehe auch die weiteren Beikular auf der Mikroebene auch et- träge zu der Veranstaltung im was erreichen, aber im Gesamtsy- Schattenblick unter www.schatstem werden dann immer noch tenblick.de → INFOPOOL → mehr Ressourcen verbraucht und POLITIK → REPORT: wird noch mehr CO² ausgestoßen, BERICHT/252 /S: Aufbruch deso daß sich die ökologische und mokratisch - kleinster Nenner ... die Klimakrise noch weiter zu- (SB) INTERVIEW/329: Aufspitzen. Das ist also eine Illusion. bruch demokratisch - Rechtsruck Wenn DiEM25 da aufspringen verhindern ... Sören Altstädt im sollte, ist das sicher der falsche Gespräch (SB) Das sieht man in Hamburg zum Weg. Beispiel auch ganz gut bei der [2] Frei übersetzt würde dies in Gentrifizierung, wenn öffentliche SB: Haben Sie noch ein Schluß- etwa bedeuten: über Europa, den Grundstücke an private Investo- wort zum heutigen Abend? Kapitalismus und die parlamentaren verkauft werden, die Profit risch-repräsentative Demokratie machen wollen. Das ist dann das MS: Mein Fazit war ja: beyond eu- hinaus(gehend). Maß der Dinge, dann gelten die rope, beyond capitalism und Bedürfnisse der Menschen vor beyond parlamentarisch-repräsen- http://www.schattenblick.de/ Ort im Stadtteil nichts mehr. tative Demokratie [2], und mit dem infopool/politik/report/ Dann ist es auch egal, wenn auch kann ich auch jetzt abschließen. prin0330.html noch der letzte Spielplatz plattge- SB: Herr Sauber, wir bedanken macht und eine Netto-Kaltmiete von 14 Euro verlangt wird. Ich glaube, daß wir die Menschen bei so ganz konkreten Sachen vor PANNWITZBLICK / PRESSE / FRAGEN Ort, wo sie im Alltag diese Erfahrungen machen, erreichen können auch mit erst einmal abstrakt klinInternationale Presseagentur Pressenza Büro Berlin genden Begriffen wie der Eigentumsfrage und dem System des Literatur der Diversität und Inklusion Kapitalismus. SB: Bei DiEM25 wird ja auch eine grüne Ökonomie angesprochen. Was ist damit genau gemeint? Welche Kriterien müßten da angelegt werden, damit man dabei nicht einfach nur einen Grünen Kapitalismus favorisiert? MS: Wenn mit dem Green New Deal, also dem Grünem Kapitalismus, ein "Weiter so wie bisher" nur mit einem grünen Anstrich gemeint ist, kommen wir aus dieDo, 24. November 2016 von Amelia Massetti für Artemisia [1], 22. November 2016 In Frankfurt am Main hatte ich die Gelegenheit, Giacomo Maz zariol kennenzulernen. Er wur de vom Verein Italia Altrove eingeladen, um sein Buch "Mio fratello rincorre i dinosauri" (Mein Bruder läuft den Dino sauriern nach) vorzustellen. Ich hingegen habe ihm das Projekt Artemisia vorgestellt. Natürlich habe ich die Gele www.schattenblick.de genheit genutzt, diesen jungen Schriftsteller zu interviewen. Er hat mich mit seiner Ironie und Frische fasziniert, mit denen er vor allem die Jugendlichen an spornt, die Menschen mit DownSyndrom zu akzeptieren. Denn diese sollen nicht mehr als unerwünscht angesehen werden, sondern als ein zu ent deckendes Potential. Seite 11 Elektronische Zeitung Schattenblick Amelia: Giacomo, du bist hier in Frankfurt, weil dich der Verein Italia Altrove eingeladen hat. Wie kamst du auf die Idee, ein Buch zu schreiben? Wie hast du darauf reagiert, als man es dir vorge schlagen hat? zu lesen. Ich wollte für die Jugendlichen schreiben und ihnen die Geschichte von zwei Brüdern erzählen, die sich gerne haben und gemeinsam die Gesetze dieser Welt und das Wahre und Falsche entdecken. Die Herausforderung bestand darin, die Jugendlichen dazu anzuspornen, die Geschichte zu lesen. Ich hatte einen imaginären Leser, einen, der nie las, vor Augen und somit dachte ich, ob er es lesen würde ... "Auch dieser vollkommen desinteressierte Junge sollte es lesen, denn mein Buch sollte für die Jugendlichen ganz normal sein." Giacomo: Zu Beginn konnte ich es kaum glauben, dass jemand Interesse an meiner Geschichte haben könnte. Ich dachte sogar, ich hätte keine Geschichte. Ich hatte nicht darüber nachgedacht, was ich mit Giovanni durchgemacht hatte, aber ich hatte einfach gelebt. Mein Leben war glücklich. Mit meinem Bruder war ich sehr glücklich. Die riesige Freude hat- Wie alt warst du, als du mit dem te die traurigen Zeiträume bei Schreiben angefangen hast? Hat weitem übertroffen. Ich hatte nie sich nach diesem unerwartet er über die tieferen Aspekte nachge- folgreichen Video in deinem dacht. Somit hatten sie das Glück, Schreibprozess und vor allem in mit ihrer Anfrage auf eine Person der Beziehung zu deinem Bruder gestoßen zu sein, der das Schrei- etwas geändert? ben wirklich Spaß machte, denn ich liebe das Schreiben. Ich war 18 Jahre alt. Und mit meinem Bruder lief alles super und Hattest du Angst vor dem Schrei manchmal gab es auch Prügeleiben? en. Was sich verändert hat, was ich jetzt nach Hause bringe: es ist Ich wusste, dass ich nicht schrei- nicht das Buch, das Produkt oder ben konnte. Geschichten zu der Zugang zu dieser Welt. Ich haschreiben war natürlich eine Sa- be mich hingegen ins Schreiben che, und ein Buch zu schreiben ei- verliebt. Ich habe verstanden, ne andere. Somit ging ich davon dass die Erfahrung, einen Zug zu aus, dass sie es mir beibringen versäumen so interessant sein sollten. Der Verlag Einaudi, der kann wie ein Treffen mit Obama. sich an mich wandte, nachdem er Alles hängt nur davon ab, wie du ein erfolgreiches Video von mir es ausdrückst und was du reingesehen hatte, stellte mir einen steckst. Warten wir mal ab! Schriftsteller zur Seite gestellt, der mich korrigierte und somit In diesem Buch sprichst du von verschwand meine Angst und al- der Beziehung zur Zeit. Diesen les wurde einfacher. Ich hatte Aspekt habe ich durch meine Angst, es nicht zu schaffen und Tochter kennengelernt (sie hat nicht interessant zu sein. Denn ich auch das DownSyndrom und hat dachte, dass einer, der eine Ge- kein Zeitgefühl). Der Satz aus dei schichte sieht, in der man von be- nem Buch, in dem du sagst, dass sonderen Problemen spricht, das dein Bruder, wenn er mit einer Interesse daran verliert, das Buch Freundin ins Kino geht, nach Seite 12 www.schattenblick.de Haus kommt und sagt, er hätte geheiratet. Wie hast du diese Si tuationen der Diversität erlebt, als du als Junge verstanden hast, dass dein Bruder nicht deinen Er wartungen entsprach und nicht der Superheld ist, von dem zu sprichst? Wie hast du diese Ent wicklungen persönlich erlebt? Ich merkte schon, dass er sonderbar war. Aber auch wenn ich einen sah, der die Türen zog anstatt sie zu schieben, so habe ich auch dies als sonderbar aufgefasst. Die körperlichen Beschränkung von Gio, die Tatsache, dass er keine Kapriolen schlagen konnte, fand ich auch bei meinen Freunden wieder. Aber ihre Beschränkungen waren für mich nicht von Interesse. Denn die Beschränkungen von Gio waren viel sichtbarer. Daher dachte ich auch nicht, es wäre möglich, zu seinem besten Freund zu werden, sondern nur zu seinem Aufpasser. Danach habe ich aber die richtige Brille aufgesetzt und habe sehr wohl die Beschränkungen der anderen und auch meine wahrgenommen. Und so wurden die Einschränkungen von Gio zu kleinen Details, die im Vergleich zu seinen Fähigkeiten nichts sind. Ich begann auch zu sehen, wie schwer ich mich mit den Sachen tue, die er hingegen mit totaler Leichtigkeit erledigt. War die soziale Integration deines Bruders mit dem DownSyndrom in Italien, wo es im Gegensatz zu Deutschland seit 40 Jahren die In klusion gibt, einfach oder wurde er in einigen Situationen diskriminiert oder nicht akzeptiert? Oder hast du selbst als Bruder gespürt, dass es Freunde gab, die sich wegen dei nes Bruders von dir distanzierten? Do, 24. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Es gab Fälle, in denen ich ihn gehänselt habe. Das passiert aber bei allen. Und er ist sehr sozial und hat viele Freunde, und in der Schule fühlt er sich sehr wohl. Seine Freunde hat er sich immer nach ihrer Sensibilität ausgesucht. Ich habe auch Freunde, die nicht sehr intelligent sind. Meine Freunde kamen zu mir nach Hause. Sie hatten Spaß mit meinem Bruder. Und als sie bei uns schliefen, weckte Gio sie auf und sie lachten; in meiner Erfahrung gab es diesen Ausschluss nie. Manchmal war es sogar Gio, der die Freunde ausschloss, die ihn störten und deshalb eine Eintragung bekam. Meine Freunde waren von Anfang an in mein Buchprojekt involviert. Ich sendete ihnen auch immer Teile des Buches zu. Ich bin sehr beschäftigt. Aber wenn ich dann keine Zeit mehr zum Leben habe, dann macht mein Leben für mich keinen Sinn mehr. Ich versuche Zeit mit meinen Lieben zu verbringen. Bisher schaffe ich es noch, alles unter einen Hut zu bringen, aber es wäre nicht gut, das Gesamtbild aus den Augen zu verlieren. Bisher kann ich auf meine Freunde zählen. terview mit uns bedanken. Ich ha be mich sehr gefreut, ihn kennen zulernen. Denn es ist wichtig, dass junge Autoren den Wunsch umsetzen, frisch und natürlich über die Behinderung zu schrei ben und zu sprechen, indem sie dieses Thema einfach und iro nisch entschärfen. Giacomo stellt mit seinem Schreiben einen An reiz für die neuen Generationen dar. Er zeigt uns, wie man die In klusion konstruktiv wahrnehmen kann. Wir wünschen uns, dass Giacomos Buch und der Film ei ne innovative Anspornung dar Welchen Eindruck hast du von stellen werden. Artemisia hofft, dieser Veranstaltung von Italia den Autor in den nächsten Mona Altrove in Frankfurt am Main? ten nach Berlin einzuladen, um Dein Buch wird auch ins Deut über sein Buch und seine zukünf Im Film, den ihr gerade mit dem sche übersetzt. Du bist auf dem tigen Projekte zu sprechen. Produzenten Checco Zalone Weg nach Düsseldorf. Und auch macht, wird auch ein Schauspie wir von Artemisia planen eine ler mit DownSyndrom spielen, Buchpräsentation mit dir in Ber Übersetzung aus dem Italieni oder? lin. Welchen Eindruck hast du von schen von Milena Rampoldi, Pro Deutschland? Mosaik Ein autistisches Kind kann man vielleicht noch spielen, aber ein Down-Kind kann man nicht nachmachen ... Das müssen wir noch entscheiden, obwohl Gio und ich nicht die Protagonisten spielen werden. Ich habe entdeckt, dass im Film die Beziehung zwischen dem Drehbuch und der Idee und dann die Realisierung des Films aufdas Drehbuch verschoben wird. Somit sind schöne Dialoge, eine dynamische und schöne und sinnvolle Geschichte ausschlaggebend. Natürlich ist es ganz etwas anders, wenn Profis die Rollen spielen. Aber das Wesentliche sind die geschriebenen Worte. Deine Zukunft hat schon in deiner Jugend begonnen. Was denken deine Freunde darüber? Geben sie dir Mut? Do, 24. November 2016 Ich habe viele Geschichten gehört. Und bei jeder Präsentation sammle ich neue Erfahrungen. Und dies bereichert mich. Es ist immer interessant, ein neues Land kennenzulernen, auch wenn man nur wenige Tage bleibt. Jede Präsentation ist eine schöne Erfahrung, wenn man sie lebt und gibt und nimmt. Aber es geht darum, mehr zu geben als zu nehmen. Dann kommst du wieder nach Hause, mit einigen Sätzen oder zwei Anekdoten, die sie dir erzählt haben. Du bist bereichert von dieser wertvollen Erfahrung. So war es auch, als mir Manuela Rossi von Italia Altrove eine Schlangenhaut schenkte, die ich Gio zeigen werde. Ich möchte mich bei Giacomo Mazzariol herzlichst für sein In www.schattenblick.de Anmerkung: [1] http://www.artemisiaprojekt.de/it/home/ Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0 http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ Quelle: * Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin Johanna Heuveling E-Mail: [email protected] Internet: www.pressenza.com/de http://www.schattenblick.de/ infopool/pannwitz/presse/ ppint194.html Seite 13 Elektronische Zeitung Schattenblick KINDERBLICK / NATURKUNDE / TIERE Wiederholt die Fehler nicht ... Wildtiere in der Stadt Die Zahl der Wildtiere geht vieler Wildtiere verloren, weil der weltweit in einem beispiellosen Mensch es für sich beansprucht, Tempo zurück müssen neue Überlebensmöglichkeiten ausfindig gemacht werden. Es gibt viele Gründe, warum die "Aufin die Häuser der Menschen! Wildtiere verschwinden. Der In ihre Städte und herausfinden, Mensch macht ihnen den Lebens- ob es dort zu essen und zu trinken raum streitig durch den Bau von gibt, ob sich dort ein geeigneter Häusern, Städten, Straßen, Flug- Unterschlupf finden lässt!" Das häfen, Einkaufszentren und vie- mögen anfangs wenige, dann imlem mehr. Er jagt und fischt zu mer mehr und mehr Tiere gedacht viel. Einige Arten können sich gar haben, denn mittlerweile gehören nicht so schnell vermehren, wie Füchse, Wanderfalken, Pelikane, der Mensch sie tötet. Außerdem Damhirsche, Wildschweine, verschmutzt er die Umwelt - be- Eichhörnchen, um nur einige zu sonders die Gewässer, die für die nennen, zu den Stadtbewohnern. Tiere zum Überleben ganz wich- Berichte aus Indien und Thailand tig sind. Die Wälder der Erde wer- beispielsweise über Makaken den abgeholzt und müssen Planta- das ist eine Affenart, die in Häugen weichen. Es werden Weiden ser einbrechen und Schränke und für Rinder und Schafe angelegt, Vorratskammern ausräumen und durch den Straßenbau breite sind schon länger bekannt. Sie Schneisen durch einst dichten sind schlau, studieren die GeBaumbestand gezogen. Unzählige wohnheiten der Menschen und Tiere verlieren dadurch ihren Le- nutzen günstige Gelegenheiten, bensraum. Während sich die Zahl um Beute zu machen. Zuerst der Menschen auf der Welt seit suchten sie nur die Dörfer nahe 1960 von rund 3 auf 7,4 Milliar- des einstigen Regenwaldes auf, den vergrößert hat, verringerte um bald auch den Umzug in grösich die Zahl der Säugetiere, Fi- ßere Städte zu wagen. Doch auch sche, Vögel, Amphibien und Rep- in europäischen Großstädten zeitilien. Bestimmte Arten sind aus- gen sich immer mehr Tiere. Longestorben, andere vom Aussterben don ist ein bekanntes Beispiel für bedroht. Es wird angenommen, Tierzuwanderungen, Berlin ein dass 60 Prozent der Wildtiere be- anderes. reits verschwunden sind. ausgeladen werden. Oft reisen auch blinde Passagiere mit, wie Spinnen, Schlangen oder Skorpione. Gerade von den letztgenannten Krabbeltieren leben neuerdings eine große Menge hauptsächlich im Hafengebiet der Metropole. Auch haben sich verschiedene Krebsarten in den Kanälen der Stadt eingerichtet. Dort finden bereits richtige Gebietskämpfe unter den Arten, wie dem Roten Sumpfkrebs und dem Signalkrebs, statt. Der Vorzug von London besteht darin, dass nahezu die Hälfte des Stadtgebietes aus Grünflächen und offenen Gewässern besteht. Gute Gegebenheiten für Wasservögel, ihre Nistplätze dort einzurichten und ausreichend Futter zu finden. Möwen, Haubentaucher, Stockenten, Kanadagänse, Schwäne und Graureiher haben sich hier angesiedelt. Eine stattliche Kanadagans auf einer Grasfläche Foto: 2015 by Andreas Trepte (Own work) [CC BYSA 2.5 (http://creativecommons.org/li censes/bysa/2.5)], via Wikimedia Commons Tierische Neubürger in der Immer mehr Wildtiere wissen britischen Hauptstadt sich zu helfen London hat einen großen Hafen, Eigentlich ist es naheliegend: in dem Waren aus der ganzen Zwar mussten einige von ihnen Geht das gewohnte Lebensumfeld Welt ankommen, die dort um- und ihre Nestbaugewohnheiten den Seite 14 www.schattenblick.de Do, 24. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Gegebenheiten anpassen, aber sie lernen schnell. Der Buckingham Palast oder der Turm von Big Ben sind für Tauben, Spatzen, Falken, Mauersegler oder andere einfach nur wunderbare, riesige Felsen mit vielen Vorsprüngen und Höhlen. Stockenten bauen ihr Nest auch schon mal in Blumenkästen auf Balkonen. Entlang der Bahntrassen wachsen eine Vielzahl verschiedener Blüten, ebenso in den Vorgärten und Parks, und bieten den Insekten ein reichhaltiges, abwechslungsreiches Nahrungsangebot. Füchse finden ihr Essen auf den Müllkippen, wo sich auch in riesigen Scharen die Möwen einfinden. Es kommt auch vor, dass ein Fuchs sich eine von ihnen schnappt. Selbst in der Nähe von Hochhäusern lohnt es sich für Reinecke Fuchs, sich zu zeigen, denn hier gibt es immer mal Menschen, die ihn füttern. Tauben gehören schon lange in die Großstädte. Sie halten sich gern überall dort auf, wo viele Menschen sind, denn die lassen oft mal einen Krümel fallen. Doch inzwischen ist auch ihr Feind in die Stadt zurückgekehrt - der Wanderfalke. Er wurde während des Zweiten Weltkrieges fast ausgerottet, um die Brieftauben zu schützen, die Nachrichten von der Front hin- und herflogen. Jetzt wurden eigens Falken wieder angesiedelt, um die enorme Ausbreitung der Tauben zu stoppen. Auch Bussarde kreisen durch die Häuserschluchten - und sie brüten hier auch. Alte Gemäuer eignen sich gut für den Bau von Schwalbennestern. Sittiche und Papageienvögel gehören ebenso in das Stadtbild, bevölkern gerne Parks und Friedhöfe. In der Dämmerung durchDo, 24. November 2016 Ein grüner Halsbandsittich sitzt auf einem Zweig Foto: 2015 by Usien (Own work) [CC BYSA 3.0 (http://creativecommons.org/li censes/bysa/3.0)], via Wikimedia Commons Wo Futter für Füchse ausgelegt wird, tauchen immer häufiger auch Dachse auf. Jeder schlaue Fuchs zieht sich sicherheitshalber zurück, sobald ein Grimbart in seine Nähe kommt. Die starken Krallen des Dachses können ihn schwer verletzen. Die Eichhörnchen versuchen den Vögeln das Futter aus den Vogelhäuschen zu stibitzen, Pelikane schnappen sich gern mal eine Taube, Schildkröten kleine Entenküken und Füchse gelegentlich Möwen. Zwar haben die Tiere hier einen neuen Lebensraum gefunden und ein gutes Nahrungsangebot mindert den Druck zu jagen, doch der Kampf ums Überleben, ein Fressen und Gefressen werden, gehört auch hier, ebenso wie in der sogenannten freien Natur, zum Alltag. Futterneid und Revierkämpfe bleiben nicht aus. streifen kleine Herden von Damhirschen die Vororte Londons, um an das üppige Gras der Vorgärten und Verkehrsinseln zu gelangen. Rotfuchs Foto: 2009 by Martin Mecnarow ski [CCBYSA3.0 (http://creati vecommons.org/licenses/by sa/3.0/)], via Wikimedia Com mons Damhirsch Foto: 2007 by Wisnia6522 (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons Wildtiere erobern sich menschliche Siedlungsgebiete In Deutschland ist Berlin für viele Wildtiere ein Zufluchtsort geworden. Große Parkanlagen, weite Grünflächen, Waldgebiete und Die Umgebung ist neu, Futterneid weitverzweigte Flüsse, Kanäle, und Fressgewohnheiten ändern Seen, Teiche und andere Kleingesich kaum wässer bieten Nahrung, Schutzwww.schattenblick.de Seite 15 Elektronische Zeitung Schattenblick und Bruträume. Aber auch stillgelegte Bahnhöfe, nicht mehr genutzte Gleisstränge oder Friedhöfe locken als neues Wohngebiet. Hier sind Wildschwein, Marder, Waschbär, Fuchs, Kaninchen schon länger Zuhause. Viele verschiedene Vogelarten wurden in der Hauptstadt gezählt (rund 180) - darunter Mauersegler, Mehlschwalben, Turmfalken, selbst der Waldkauz, die Schleiereule, die Ringeltaube und der Sperling - fühlen sich hier, auch gern aufDachböden oder unter Dächern, wohl. Fast alle sind aus Not in die Stadt geflohen und es werden immer mehr. Das führt oft zu Ärgernissen bei den Menschen. Marder klettern in Autos, beißen Kabel durch, Wildschweine graben im Vorgarten den Rasen auf, Waschbären und Marder halten sich gern in Schuppen oder auf Dachböden auf und hinterlassen strenge Gerüche, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Auch um nicht noch mehr Wildtiere anzulocken, ist in Berlin das Füttern verboten. Seite 16 Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde: - https://berlin.nabu.de/tiere-undpflanzen/wildtiere-in-der-stadt/ - http://www.geo.de./natur/tierwelt/5787-rtkl-wildtiere-eroberndie-stadt - http://derstandard.at/ 2000046541524/Zahl-der-Wirbeltiere-seit-1970-um-drei-Fuenftelgesunken - https://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article159078241/Jedes-zweite-Wildtier-ist-von-der-Erde-verschwunden.html TV-Dokumentation "Expeditionen ins Tierreich" Wildes London Tiere im Großstadtdschungel Dokumentation, Großbritannien, 2012 Film von Dave Allen, Steve Greenwood, 45 Min. http://www.schattenblick.de/ infopool/kind/natur/ knti0098.html DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN Und morgen, den 24. November 2016 +++ Vorhersage für den 24.11.2016 bis zum 25.11.2016 +++ © 2016 by Schattenblick Gerade in dieser Stadt werden viele Altbauten modernisiert. Ihre Fassaden sind glatt und energetisch versiegelt, die Ecken und Vorsprünge verschwinden und damit die Möglichkeiten des Nestbaus von Schwalben und Mauerseglern. Die Neubauten sind oft total verglast, was vielen Vögeln zum Verhängnis wird, da sie dagegen fliegen und sterben. Leider wird in unserer Hauptstadt auch immer weiter gebaut, große Flächen werden mit Gebäuden besetzt, mit Parkplätzen und Straßen asphaltiert. Fast scheint es, als setze sich hier der Kampfzwischen Mensch und Tier um Lebensraum fort. Doch die Tiere sind schlau und nicht alle Menschen sind gleich. Würden mehr Menschen erkennen, wie gut das Zusammenleben mit Tieren für ihr eigenes Wohlbefinden sein kann, wie es zur Ausgeglichenheit und Freude gereichen kann, vielleicht würde dann auch das Verständnis für die Tiere und ihre Lebensgewohnheiten wachsen. Schließlich hat der Mensch sie aus ihren angestammten Gebieten verdrängt. Nun suchen sie die Siedlungen der Menschen auf, um dort einen neuen Platz zu finden. Will man verhindern, dass sie in die Stadt ziehen, sollte beispielsweise mit Wald, Wasser und Grünflächen, gewissenhaft umgegangen werden. Es wäre doch wohl an dem Menschen, der über weitaus mehr Möglichkeiten der Einflussnahme und Umgestaltung verfügt, sich für ein gutes Zusammenleben einzusetzen, das beide, Mensch und Tier berücksichtigt? www.schattenblick.de Hör ich da schon Winterstapfen, leise, sacht und unvollständig? Wünsche mir schon Eis in Zapfen. Jean träumt sie sich eigenhändig. Do, 24. November 2016
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