Himmel und Erde Dienstag bis Freitag, ca. 9.20 Uhr (NDR 1 Niedersachsen) 21. bis 25. November 2016: Gut leben Von Rüdiger Wala, Diözesanrat der Katholiken im Bistum Hildesheim Gut leben, das möchten alle. Doch die Vorstellungen darüber, wie das gelingen kann, gehen weit auseinander. Rüdiger Wala, Mitglied im Diözesanrat der Katholiken im Bistum Hildesheim, hat sich näher mit dem guten Leben beschäftigt und den Blick über den eigenen Kirchturm gewagt. Redaktion: Andreas Brauns Katholisches Rundfunkreferat Domhof 24 31134 Hildesheim Tel. (05121) 30 78 65 www.ndr.de/kirche Der Autor Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für private Zwecke des Empfängers benutzt werden. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Katholischen Rundfunkreferats zulässig. Die Verwendung für Rundfunkzwecke bedarf der Genehmigung des NDR. 1 Montag, 21. November - Von Geld und Maschinen Gut leben, das wollen doch alle. Was aber genau heißt gut leben? Zumindest in Deutschland und Westeuropa leben die meisten gut. Die Maschinen haben uns die schwere Arbeit abgenommen und zu mehr freier Zeit verholfen. Der Reichtum, den es ohne Zweifel in den europäischen Gesellschaften gibt, hat frei gemacht und selbstbestimmt. Ist das wirklich so? Trotz aller Krisen haben wir in Deutschland und der sogenannten westlichen Welt so viel Geld und so viele Maschinen wie noch nie. Doch hat uns das wirklich frei gemacht? Leben wir ein gutes Leben? Ich habe da so meine Zweifel. Und ich kann mich nicht so recht anfreunden mit der Idee, immer mehr zu müssen und nie genug zu können. Das kann es doch nicht sein. Es ist also höchste Zeit für die Frage: Wie viel ist genug? Wachstum ist ja so etwas wie die heilige Kuh in unserer Gesellschaftsordnung. Nur Wachstum sichert Wohlstand. Das können Sie in jeder politischen Rede hören. Gleichzeitig klagen viele aber über die Folgen der Wachstumslogik: Wir schuften immer mehr, sind gestresst, werden krank. Freundschaften zerbrechen, weil mir die Zeit fehlt. Wir vergleichen uns ständig miteinander. Vielleicht, weil wir mehr haben wollen als der andere. Ist das wirklich ein gutes Leben? Ich habe fast den Eindruck, dass wir die Gier fördern, sie für natürlich halten. Das wäre geschichtlich betrachtet, einmalig. Denn quer durch alle früheren Gesellschaften wurde vor der Gier gewarnt. Für die Christenheit ist Gier sogar eine Todsünde. Die Gier gilt als herzlos und maßlos. Doch auch in früheren Zeiten waren schon die Dinge wichtig, die für uns heute zu einem guten Leben gehören: Freundschaft, Zusammengehörigkeit, soziale Sicherheit, die Begegnung mit der Natur. Und etwas, mit dem ich als Hamster im Rad wohl nur schwer klarkomme: mit Muße. Das heißt, etwas zu tun, das ich nicht machen muss. Was einfach nur Freude bereitet. Ohne schlechtes Gewissen. Was ist nun gutes Leben? In der globalisierten Welt lohnt sich der Blick über den eigenen Kirchturm. Denn verschiedene Kulturen geben zum Glück ganz unterschiedliche Antworten darauf. Nicht alle öffnen der Gier Tor und Tür. Dienstag, 22. November - Teil des Ganzen Ein gutes Leben, das wünschen sich doch alle. Es gibt sogar Länder, die diesen Wunsch in ihre Verfassung geschrieben haben. Etwa Bolivien, der lateinamerikanische Andenstaat. „Buen vivir“ hat dort seit 2009 Verfassungsrang. Übersetzt heißt das: gutes, beziehungsweise würdiges Leben für alle. Im Mittelpunkt der Politik soll das Streben nach Lebensqualität stehen und nicht das reine Wirtschaftswachstum. Das hat weitreichende Folgen: Zum einen werden der indigenen Bevölkerung die unveräußerlichen Rechte eingeräumt, die ihnen in der Vergangenheit immer vorenthalten wurden. Zum anderen soll mit der neuen Verfassung auch der „Pachamama“ eine Stimme gegeben werden, der Mutter Erde, und das in einem Land, das über Jahrhunderte ausgebeutet wurde ohne Rücksicht auf Mensch und Natur. Für die indigenen Völker der Anden ist die Erde ein lebendiges Wesen - die Pachamama. Das bedeutet für den Menschen: Er hat einen anderen Stellenwert als in unserer westlichen Gesellschaft: Er steht nicht im Zentrum, sondern wird als Teil der Natur betrachtet, die ein großes Ganzes bildet. Er lebt in enger Verbundenheit mit ihr, im Kreislauf des Werdens und Vergehens, für den Mutter Erde steht. Das wichtigste Prinzip von Buen vivir, dem Grundsatz in der Verfassung Boliviens, sind gute Beziehungen: zur Mutter Erde, indem sie geachtet und bewahrt wird. Zu den Menschen durch gleiche Rechte. Es ist ein Lebensmodell, das auf Gemeinschaft ausgerichtet ist - und nicht auf Wachstum. Ungewöhnlich für unsere Ohren. Aber es ist ein Konzept, das der christlichen Botschaft sehr nahesteht: Schon im allerersten Buch der Bibel, wo es um das Paradies geht, wird die Schöpfung verstanden als „Lebenshaus Gottes für alle Lebewesen“. Katholisches Rundfunkreferat – www.ndr.de/kirche 2 Und es findet sich ein „Masterplan“ für ein harmonisches Miteinander - kein Lebewesen soll auf Kosten eines anderen leben. Mir zeigt das: Wir haben den Satz wohl falsch verstanden, dass wir Menschen Krone der Schöpfung sind. Wir sind nicht König, wir sind eher die Hausmeister - mit jeder Menge Möglichkeiten, aber auch mit viel Verantwortung. Natürlich frage ich mich, ob ich als Einzelner Veränderungen in der Welt bewirken kann? Blicke ich aber zum Beispiel nach Bolivien, sehe ich: So einzeln bin ich gar nicht. Sondern Teil eines Ganzen, ein gutes Gefühl. Mittwoch, 23. November - Mehr als nur Worte Trennung. Ein kleines Wort, aber bedeutsam. Meistens tragisch, manchmal notwendig. Aber es heißt ja, die Zeit heilt alle Wunden. Auf Afrikaans, der Sprache der Weißen in Südafrika, heißt Trennung „Apartheid“. Das war kein kleines Wort. Das war ein System, mit dem unterdrückte fast 90 Jahre lang die weiße Elite die schwarze Bevölkerung, mit immer feiner ausgearbeiteten Gesetzen. Erst nach vielen Jahren von Protest und Widerstand mit zahllosen Toten zeichnete sich in den 1980er-Jahren eine Wende ab. Schwarze und Weiße suchten jenseits des Kampfes Gespräche, um ein neues Südafrika aufzubauen. Der Weg zwischen Krieg und Frieden war schmal. Aber es geschah das südafrikanische Wunder: Ein friedlicher Wandel fand statt. Hinter diesem Wunder steckt ein anderes Wort: „Ubuntu“. Es ist ein Wort, das in zahlreichen Sprachen Südafrikas verankert ist. Es bedeutet so viel wie Menschlichkeit oder Gemeinwohl. Oder christlich gewendet: Nächstenliebe. „Ubuntu“ meint, dass der Mensch nicht für sich allein leben kann. Alles, was er macht, betrifft die ganze Welt. Das bedeutet auch: Wenn man seine Sache gut macht, dann breitet sich das auf andere aus, auf die Nachbarschaft, auf das Wohlviertel und manchmal sogar auf die ganze Menschheit. Barmherzigkeit und Versöhnung bleiben nicht folgenlos. „Ubuntu“ setzt als traditionelle Philosophie auf die afrikanische Dorfstruktur. Es versucht das Gemeinwohl zu entdecken, trotz einer Geschichte von Kolonialismus und Rassentrennung. Jetzt zeigt sich eine neue Herausforderung: die Entwicklung Südafrikas zu einem Schwellenland und die Globalisierung, die auch Egoismus und Verelendung mit sich bringen, verlangen nach einer neuen Gegenkraft. Das alte Ideal „Ubuntu“ muss für eine neue Zeit übersetzt werden, wie auch die Werte des Christentums. In kleinen christlichen Gemeinschaften Südafrikas treffen sich „Ubuntu“ und Evangelium: Werte wie Freundschaft, miteinander Teilen und Solidarität werden in vielen kleinen Schritten im Alltag realisiert. Und so der Einfalt der Globalisierung entgegengesetzt – für ein gutes Leben. Auch wenn dieser Weg alles andere als einfach ist: Er lohnt sich, weil er Hoffnung weckt. Donnerstag, 24. November - Ruhe und Frieden Was macht gutes Leben in Deutschland aus? Die Bundesregierung hat das untersuchen lassen und vor gut einem Monat die Ergebnisse veröffentlicht. Ganz oben: Frieden, er gehört unabdingbar zu einem guten Leben. Frieden ist ein Wert, der sich durch alle Religionen zieht. Und doch wurden Kriege darüber geführt, welcher Gott der wahre ist. Und bis heute wird darüber diskutiert: Gibt es den einen Königsweg zu Gott? Oder führen alle Religionen zu ihm? Nur auf unterschiedlichen Wegen? Und: Wie lässt sich Gott erkennen? Große Fragen, egal in welcher Religion. „Selig, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“: Diese Worte aus dem Matthäus-Evangelium (5,8) begründen die Gotterkenntnis - das, was wir Christen Mystik nennen. Ein wuchtiges Wort. Mystik heißt: Augen, Ohren und Mund sollen verschlossen werden, um den Willen Gottes zu erforschen. So übersetzte im Mittelalter der Mystiker Meister Eckhard diese Seligpreisung in eine Haltung. Versinken in Gott. In Ruhe und Muße. Diese Suche nach Gotterkenntnis teilen viele Religionen. Es gibt dafür verschiedene Techniken. Katholisches Rundfunkreferat – www.ndr.de/kirche 3 Manche sind heute so selbstverständlich, dass sie in jedem Programm einer Volkshochschule zu finden sind: Yoga und Meditation. Sie kommen aus den Traditionen des Buddhismus und des Hinduismus. Ruhe, Muße, innerer Frieden, all das gehört auch zu einem guten Leben. In der Praxis gibt es längst einen Dialog der Religionen. In Indien beispielsweise trifft christliche Mystik auf Yoga und Meditation. Und das in einem christlichen Ashram, einem meditativen Zentrum, geleitet von einem Jesuitenpater. Die Globalisierung erfasst die Religionen. Sie sind einander nicht mehr fremd. Christen lernen in diesem Ashram von Buddhisten oder Hindus - und umgekehrt. Es ist eine Begegnung zwischen Ost und West: Bei uns im Westen führt sie zu einer Suche nach dem, was wirklich wichtig ist im Leben, was gut ist. Und manchmal auch nach Gott. Im Osten wird der Wert des sozialen Handelns für eine Gesellschaft neu entdeckt. Auch das ist gut für das Leben. Und so kann aus dem innerem Frieden ein äußerer wachsen. Frieden hat viel zu tun mit Respekt und Barmherzigkeit. Das klingt so leicht und ist doch so schwer. Aber gemeinsam kann man es lernen, nicht nur in einem Ashram in Indien. Freitag, 25. November - Königsdisziplin Kaum zu glauben, am Sonntag beginnt die Adventszeit. Die echte, nicht die im Supermarkt. Dort sind ja schon seit Monaten Spekulatius und Lebkuchen erhältlich. Für Christen ist der Advent seit alters her eigentlich eine Fastenzeit. Aber keine Angst, ich komme Ihnen jetzt nicht mit einem Appell zum Verzicht. Im Gegenteil: Gönnen Sie sich etwas. Zum Beispiel an schönen Tagen Bewegung, statt mit dem Auto zu fahren. Gönnen Sie sich eine wirklich gute Tasse Kaffee - mal aus fairem Handel und ökologischer Produktion. Gönnen Sie ihrer Küche Kreativität und denken Sie sich für den Fleischplatz auf dem Teller etwas anders aus. Das funktioniert und es schmeckt sogar. Schauen Sie doch mal in Omas altes Kochbuch, was man aus allein aus Roter Bete oder Schwarzwurzeln alles machen kann.“ Ich glaube, zu einem guten Leben gehört das Verändern von Gewohnheiten. Keine Frage, das ist schwer. Und es ist so anstrengend diese Veränderungen durchzuhalten. Aber vielleicht fangen Sie ja in der Adventszeit mit dem an, was sie schon immer mal anders machen wollten. Bis Heiligabend sind es 28 Tage. Das ist überschaubar. Denn Sie und ich wissen: Verhalten ändern, Gewohnheiten ablegen, das ist eine Königsdisziplin. Wie gesagt, es geht dabei nicht um einen dieser Nerv tötenden moralischen Appelle. Es geht nicht um Verzicht. Es geht eher darum, das eigene Leben zu entrümpeln, wie den Keller, die Garage oder den Abstellraum. Die großen Kirchenlehrer in der Geschichte der Christenheit haben dafür wirklich fromme Sätze formuliert: Der heilige Augustinus hat einmal geschrieben, dass der Mensch gewöhnlich „secundam carnem“ lebt - gemäß dem Fleisch. Das Fasten aber gebe ihm eine andere Ausrichtung: „secundam spiritum“, nach dem „Geist Gottes“. Für mich heißt das: Fasten ist ein anderer Blickwinkel auf das Leben, auf ein gutes Leben. Genau darauf kommt es an. Nicht auf Verzicht. Sie kennen doch den Spruch: weniger ist mehr. Ich finde, das trifft nicht so ganz. Weniger ist nicht mehr, sondern weniger ist besser. Oder anders: bewusster ist besser. Und das will ich im Advent ausprobieren. Darum gönne ich mir ruhig Schokolade - Süßes aus fairem Handel. Gutes Leben kann gelingen, wenn Menschen es wagen und einfach damit anfangen: ihre Gewohnheiten zu ändern. Das bleibt nicht folgenlos, egal ob sie in Bolivien leben, in Südafrika, in Indien - oder hier. Katholisches Rundfunkreferat – www.ndr.de/kirche
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