A M WO C H E N E N D E WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HF1 MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 12./13. NOVEMBER 2016 FOTOS: REGINE MAHAUX/GETTY IMAGES, JEAN-CLAUDE PERRIER, ARD, OLIVER MORRIS/POLARIS/LAIF König der Welt 200 JAHRE FAHRRAD 1000 FOLGEN TATORT Ein Loblied auf das klügste Fortbewegungsmittel der Menschheitsgeschichte Das letzte TV-Lagerfeuer bleibt spannend, wenn es brisante Themen ignoriert Wissen, Seite 34 Medien, Seite 42 Warum wurde Donald Trump von so vielen Menschen gewählt, denen er schaden wird? EIN LICHT ERLISCHT Leonard Cohen, der große Poet der Popmusik, starb mit 82 Jahren in Los Angeles Thema des Tages und Buch Zwei Feuilleton, Seite 15 (SZ) Gewiefte Personalchefs tun gut daran, sich eine Fachabteilung zu leisten, die allein für die Stellenanzeigen zuständig ist. Die Stellenanzeige ist die hohe Kunst der fiktionalen Prosa, ihre Autoren sollten also über Kafka oder James Joyce promoviert sowie Erfahrungen im Verfassen von Fantasyliteratur haben, und dafür ist die Immobilienbranche von je her die beste Adresse. Wer fantasiebegabt genug ist, einen verlausten Kellerverschlag neben der Mülldeponie als zauberhaftes Stadtpalais mit Alpenblick anzupreisen, der ist auch spielend in der Lage, eine Erfolg versprechende Stellenanzeige für einen Lebensmitteldiscounter zu formulieren. Aus Textbausteinen wie „motivierende Arbeitsatmosphäre“, „flexible Arbeitszeiten“ oder „interessante Aufstiegsmöglichkeiten“ zimmern sachkundige Stellenmarktpoeten eine 1-A-Anzeige, die jedem Faktencheck standhält. Wer den Job kriegt, genießt dann auch alle versprochenen Annehmlichkeiten: den cholerischen Chef (motivierende Arbeitsatmosphäre), unbezahlte Überstunden (flexible Arbeitszeiten) sowie die Aufstiegsmöglichkeiten, welche die Stehleiter zum Entfernen der Spinnweben bietet. In puncto Wahrhaftigkeit gibt es in solchen Fällen also nichts zu meckern, doch es geht sogar noch ehrlicher. Derzeit kursiert eine Stellenanzeige für einen Job, der als „allgemeine Plackerei“ beschrieben wird, wobei die Bewerber ein „dickes Fell“, „Engelsgeduld“ und die Bereitschaft mitbringen sollten, den Boss zu „verhätscheln“. Aha, denkt man, da sucht Trump die Typen für sein Regierungsteam, aber so ist es nicht. Der dickfellige Mensch mit der Engelsgeduld, von dem übrigens auch eine Aversion gegen dummes Geschwätz erwartet wird, soll Michael O’Leary, dem Chef der Billigfluglinie Ryanair, als Assistent dienen. O’Leary ist so eine Art irischer Trump, bestimmt wird er auch mal Präsident, aber vorläufig ist er vor allem steinreich und so ehrlich, dass er auch als Papst infrage käme. Wenn er gut drauf ist, plaudert er sogar Geheimnisse aus der menschenfreundlichen Welt der Wirtschaftsbosse aus: „Die Beschäftigten sind unser größter Kostenblock und viele sind so faul, dass wir sie ständig in den Hintern treten müssen. Das denkt eigentlich jeder Chef, aber keiner will es zugeben.“ Es spricht für das mitfühlende Wesen O’Learys, dass er trotz des niederschmetternden Befunds immer noch menschliche Kostenfaktoren sucht. Leicht wird es nicht, einen zu finden, denn das Anforderungsprofil ist schon anspruchsvoll. Wer etwa eine Aversion gegen dummes Geschwätz hat, kann ja unmöglich O’Leary assistieren. Und Fans von Manchester United sollten sich auch nicht bewerben. Ihnen verspricht die Stellenanzeige in bewährter Offenheit: „Sie werden aufgespürt, gefoltert und erschossen.“ Medien, TV-/Radioprogramm Forum & Leserbriefe, Rätsel München · Bayern Traueranzeigen 42-44 14,59 41 27-29 61045 4 190655 803203 72. JAHRGANG / 45. WOCHE / NR. 262 / 3,20 EURO Der große Unbekannte Klimaschutzplan ist fertig Europas Politiker sind wie gelähmt, seit Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt wurde. Nun wollen sie Gemeinsamkeit demonstrieren – Barack Obama soll dabei helfen Koalition legt ihren Streit bei – und schont die Industrie von stefan kornelius München – Es kommt nicht häufig vor, dass die deutschen Experten fürs Globale nichts wissen über ihren wichtigsten Verbündeten, und das auch noch öffentlich zugeben. Am Freitag aber ließ Außenminister Frank-Walter Steinmeier über seinen Sprecher wissen, dass noch etwas Geduld nötig sei. Man lebe mit Fragezeichen, erwarte aber bald Aufklärung über diesen neuen amerikanischen Präsidenten. Immerhin: Angela Merkel hat mit Donald Trump telefoniert. Solche Gespräche dauern in der Regel wenige Minuten, Donald Trump soll verständlicherweise sehr aufgekratzt gewesen sein. Neuerdings spricht er über Deutschland ja wieder in den höchsten Tönen. Theresa May, die britische Premierministerin, hat auch schon geflissentlich von ihrem ersten Kontakt berichtet, als gelte es, Fleißpunkte zu sammeln für besondere Nähe. Tatsache aber ist: Selten war die europäische Politik so blind, selten wurde so gerätselt wie über Trump und seine mögliche Wirkung auf die Welt. Die Europäische Union tut, was sie in diesen Momenten gerne tut: Sie versammelt ihre Außenminister. Am Montag kommt die Truppe zu den Themen Nahost und europäische Sicherheit zusammen – über Trump wird man danach aber auch nicht mehr wissen. Darum geht es auch nicht. Die Planer bei der EU und in den Ministerien wollen eine andere Botschaft senden: Seht her, wir lassen uns von diesem Wahlergebnis nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Wie unmittelbar nach dem Brexit-Votum gehe es um eine Machtdemonstration, sagt ein mit der Vorbereitung vertrauter Diplomat. Dieses Bild wird auch der Fünfer-Gip- Man sollte den Römern einmal dafür danken, dass sie noch immer graben, in der Antike stochern, alte Steine mit Pinseln säubern. Damit die Erinnerung nicht verblasst. In einigen Tagen öffnet der Circus Maximus wieder, in allen Teilen. Acht Jahre lang haben sie in der großen Arena zwischen Aventin und Palatin gegraben, die Hänge befestigt, einen neuen Rundgang beschildert, eine Panoramaplattform gebaut. Und es mag ein Zufall sein, dass die Arbeiten gerade jetzt fertig wurden, da die Welt über die Macht der Volksverführer sinniert. Der Circo Massimo, wie ihn die Römer nennen, diente den Kaisern ja als Bühne des panem et circenses, der Maxime der Demagogen: Brot und Spiele. Mit Wagenrennen und Gladiatorenkämpfen umgarnten sie das Volk, lenkten es ab. Der Circus Maximus ist die größte Sportanlage, die je gebaut wurde. 600 Meter lang, 140 Meter breit, gebettet in ein Tal. Erste Formen nahm das Stadion schon sieben Jahrhunderte vor Christus an. Julius Cäsar baute es dann zur großen DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichungund undnicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche fel vermitteln, der am Freitag in Berlin stattfindet. Bereits am Mittwochabend wird US-Präsident Barack Obama in der Hauptstadt erwartet. Donnerstagnachmittag und -abend trifft er die Kanzlerin – Stunden vertraulicher Gespräche zwischen dem künftigen Ex-Präsidenten und seiner Lieblingspartnerin. Am Freitag stoßen dann der französische Präsident und die Regierungschefs aus Großbritannien und Italien dazu. Das Treffen ist eher dem Zufall geschuldet, Obama stand bei den Griechen (und der griechischen Wähler-Community in den USA) in der Schuld und verband den Trip nach Athen mit einem Abschieds-Ab- stecher nach Berlin. An Trump dachte bei der Planung keiner. Jetzt gewinnt das Treffen eine neue Bedeutung: Bündnissolidarität. Zeigen, wofür man steht. Nötig ist diese Geste: Im Baltikum machen sie sich große Sorgen, wer für ihre Sicherheit garantiert. Bundespräsident Joachim Gauck sah sich genötigt, seiner estnischen Kollegin Kersti Kaljulaid Deutschlands Solidarität und militärischen Beistand zu versichern. „Dies ist nicht Zeit für eine Schwächephase“, sagt ein hochrangiger Berater. Es bleibt nämlich das Dilemma: Donald Trump ist der große Unbekannte, niemand kennt seine Pläne – möglicherweise nicht mal er selbst. Trumps Äußerungen Was denken die Deutschen über das Verhältnis zu Amerika? Bisher, ohne Donald Trump 81 % sehr gut sehr schlecht weiß nicht Mit Donald Trump als Präsidenten 14 % 5% 65 % schlechter 26 % unverändert besser 3% Was erwarten die Deutschen: Wird sich Trump im Amt ändern? 63 % gehen davon aus, dass er als gewählter Präsident gemäßigtere Positionen vertreten wird Restliche Prozent zu 100: Weiß nicht 31 % glauben jedoch, dass er auch weiterhin seine radikalen Ansichten präsentieren wird SZ-Grafik; Quelle: ZDF Politbarometer/Forschungsgruppe Wahlen Auferstandene Ruine Jahrelang wurde der Circus Maximus in Rom restauriert. Nun kann man die alte Bühne der Macht wieder betreten Arena aus, mit Tribünen aus Marmor und Tavernen. Nach ihm ließ es sich kein Kaiser nehmen, die Stätte weiter auszuschmücken, mit Säulen und mit Obelisken, die sie auf ihren Feldzügen erbeutet hatten. In den besten Zeiten gab es im Circus Maximus Platz für 250 000 Zuschauer. Sie kleideten sich in den Farben ihrer liebsten Rennställe: grün, blau, weiß, rot. Die Wagenführer waren Stars der Antike. Und über allem thronten die Kaiser, schauten gönnerhaft herunter auf ihre Plebs, die sich da verlor im Zirzensischen. Nach tausend Jahren war Schluss. Der Circus verkam, Gras überwucherte ihn. Im Mittelalter wurde der Talboden als Ackerland genutzt, zwischenzeitlich auch als Friedhof. Und den Marmor der Tribünen trugen sie weg, um damit Kirchen und Paläste zu bauen. Erst im 19. Jahrhundert besann man sich, die Antike zu feiern und räumte weg, was sie verstellte. In den 1930er-Jahren entdeckte Mussolini den Circo Massimo für seine Propaganda, und auch das sollte niemanden verwundern. Mittlerweile ist dieser große Flecken unverbauten Bodens mitten im Zentrum der Stadt eine formidable Bühne für alles: für Großkundgebungen der Gewerkschaften, für das alltägliche Jogging, fürs zu konkreten politischen Themen sind so vage oder so radikal, dass sie von den Experten als unglaubwürdig oder nicht umsetzbar abgetan werden. Was aber, wenn er es ernst gemeint hat? Was, wenn er tatsächlich die Unterschrift zum Klimaabkommen zurücknimmt, die Umweltbehörde abschafft, die Gesundheitsreform zertrümmert, das staatliche Schulwesen zerschlägt, die Krim als russisches Territorium anerkennt, Sicherheitsgarantien der Nato aufkündigt, neue Importzölle für chinesische Produkte verhängt? Fachleute machen darauf aufmerksam, wie schwierig es sein wird, etwa die Gesundheitsreform Obamas abzuschaffen. Dazu braucht es Gesetze, Abwicklungspläne, Mehrheiten. Oder Nafta, das nordamerikanische Freihandelsabkommen: Was wird Trump tun, wenn Mexiko die Nachverhandlung eines 22 Jahre alten völkerrechtlichen Vertrag verweigert? Es ist diese Ungewissheit, die so kurz nach der Wahl Trumps Macht stärkt und bei Gegnern wie Gefolgsleuten einen Emotionsmix aus Lähmung, Unterwürfigkeit und Beutehunger auslöst. Vertraute von Trump werden in US-Medien mit den Worten zitiert, dass Unberechenbarkeit den Kern von Trumps Charakter ausmache. Mit einer Mischung aus Pompösität und Hinterhältigkeit habe er als Immobilieninvestor die besten Geschäfte gemacht. Außenpolitik wird so nicht funktionieren – das macht die europäischen Akteure gelassen. Einige der Berater haben jetzt den Kalender studiert und wollen Mitte Dezember nach Washington reisen. Bis dahin müsste dort das Personalgerüst stehen, und Inhalte werden sich schütteln. Steinmeiers Fragen lassen sich dann beantworten. sommernächtliche Rumhängen der Jugend. Die Rolling Stones spielten schon da, Genesis zu ihrer Zeit, unlängst Bruce Springsteen. Wenn der römische Fußball Triumphe feiert, was selten vorkommt, begeht man sie im Circo Massimo. Und so gehört der Circus zu den belebtesten Orten der Antike in der Stadt. An allen Seiten umtost ihn Verkehr, hupend und laut. Als verdiente er keinen Respekt. Bei ihren Ausgrabungen fanden die Archäologen nun unter anderem die Reste eines mächtigen Titusbogens, von dem niemand etwas gewusst hatte. Es kamen so viele Steine zusammen, dass es Forschern der Universität Roma Tre gelang, den Triumphbogen nachzuzeichnen. Eine Million Euro würde es kosten, den Arco di Tito aufzurichten. Die klamme Stadt sucht mal wieder Sponsoren. Alleine kann sie das grandiose Vermächtnis der Antike schon lange nicht mehr pflegen. Sie tut es für alle, die verstehen wollen, woher sie kommen und warum sie sind, wer sie sind. oliver meiler Berlin – Die Bundesregierung hat eine Blamage in der Klimapolitik in letzter Minute abgewendet. Am Freitag einigten sich die Ministerien nach langem Streit auf einen gemeinsamen Klimaschutzplan. Er soll darlegen, wie Deutschland bis zur Mitte des Jahrhunderts nahezu ohne Treibhausgas-Emissionen wirtschaften kann. Für das Jahr 2030 legt er Zwischenziele fest, die nach einzelnen Bereichen aufgeschlüsselt sind. Sie verlangen eine massive Senkung der Emissionen. Bis zuletzt hatte es Streit über den Plan gegeben. Erst durch Zugeständnisse an Industrie und Gewerkschaften war die Einigung möglich geworden. Umweltschützer bezeichneten den Plan als unzureichend. Dennoch läute er „faktisch den Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle und ein Ende des Verbrennungsmotors“ ein, urteilte Greenpeace. Bis Montag soll das Kabinett den Plan im Umlaufverfahren annehmen. miba Seiten 4, 5 Deutsche Soldaten töten Motorradfahrer Masar-i-Scharif – Nach dem Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif hat die Bundeswehr in der nordafghanischen Stadt zwei Motorradfahrer erschossen. Die Männer sollen sich am Freitag über die Aufforderung, sofort anzuhalten, hinweggesetzt haben. Zuvor waren beim Angriff von radikal-islamischen Taliban mindestens vier Menschen getötet worden. sz Seiten 4, 7 MIT STELLENMARKT Dax ▲ Dow ▼ Euro ▼ Xetra 16.30 h 10653 Punkte N.Y. 16.30 h 18759 Punkte 16.30 h 1,0875 US-$ + 0,22% - 0,25% - 0,0014 DAS WETTER ▲ TAGS 6°/ -7° ▼ NACHTS Nach Nebelauflösung ist es wechselnd bewölkt und trocken. Im Süden und Osten kann es gebietsweise schneien. Die Temperaturen erreichen null bis sechs Grad. Seite 14 Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon 089/2183-0, Telefax -9777; [email protected] Anzeigen: Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt), 089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte). Abo-Service: Telefon 089/21 83-80 80, www.sz.de/abo A, B, F, GR, I, L, NL, SLO, SK: € 3,90; dkr. 31; £ 3,60; kn 35; SFr. 5,00; czk 115; Ft 1050 Die SZ gibt es als App für Tablet und Smartphone: sz.de/plus
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