mit meinen augen mit deinen augen

M I T D E I N E N AUG E N
M I T M E I N E N AUG E N
H O M M AG E A N AUG U S T SA N D E R
„Sehen
Beobachten
Denken.“
M I T M E I N E N AUG E N
H O M M AG E A N AUG U S T SA N D E R
Mit meinen Augen - Hommage an August Sander
Menschen des 20. Jahrhunderts - August Sander
August Sander begründete ein neues fotografisches Selbstverständnis. Mit seinen
Werken leitete er eine Neudefinition des Mediums als technisch und ästhetisch
eigenes Ausdrucksmittel ein, somit wird ein grundlegender Richtungswechsel
in der Rezeptionsgeschichte der Fotografie markiert. Seine Aufnahmen sind der
neuen Sachlichkeit zuzuordnen.
August Sander veröffentlichte 1929 das Buch Antlitz der Zeit, welches 60 Portrait-
aufnahmen beinhaltet und als eine erste Vorschau auf das große Mappenwerk
Menschen des 20. Jahrhunderts betrachtet werden kann. Bei dieser fotografischen
Arbeit überliefert Sander ein physiognomisches Zeitbild. Dieses Zeitbild definiert
sich durch eine typologisch angelegte Dokumentation der Gesellschaftsstruktur,
das Typische und das Verbindende sozialer und gesellschaftlicher Strukturen wird
aufgesucht. Es wird schlichtweg angestrebt, grundlegende Aussagen über das
Wesen des 20. Jahrhunderts auszuarbeiten. Dabei wird das Bildmaterial in 7 Gruppen aufgegliedert, um die bestehende Gesellschaftsordnung aufzuzeigen. Dabei
geht Sander vom Bauern, dem erdgebundenen Menschen, aus und durchfährt alle
Gesellschaftsschichten bis hin zum Idioten. Einkommens- und Besitzverhältnis-
M E NSC H E N D E S 2 0 . JAH R H U N DE RT S
AUG U S T SA N D E R
se werden nicht zum Maßstab der sozialen Differenzierung. Aus der bäuerlichen
Gebundenheit erwächst über manche Stufen die großstädtische Ungebundenheit.
Das Gesicht ist eine vom Gesellschaftsstatus geprägte Maske. Personen werden
zum Aushängeschild für ein bestimmtes Gewerbe.
„Man würde glauben, man sieht Individuen, aber plötzlich merkt man: wir begegnen hier der Kollektivkraft der menschlichen Gesellschaft, der Klasse, der
Kulturstufen.“
Dabei legt August Sander großen Wert auf eine absolute Naturtreue. Es kommt
zu Werken sozialer Realität ohne ideologischen Filter. Sander will weder huldigen noch kritisieren, er will analysieren und spezifizieren. Er verfolgt überdies
didaktische Absichten: bei den Portraitaufnahmen wird eine Bestandsaufnahme
der Welt vollzogen, die das Zeitbild abliefert. August Sanders fotografische Funktion kann als die eines innerlich unbeteiligten Volkszählers aufgefasst werden.
Fotografie wird hier als Wissenschaft verstanden und bekommt eine pseudowissenschaftliche Neutralität zugewiesen. | TEXT
1, 2
Mit meinen Augen - Hommage an August Sander
Menschen des 20. Jahrhunderts - August Sander
BERU F S PORT RAI TS
AUG U S T SA N D E R
Der Bauer ︱ Gruppe 1
Bauer, Westerwald 1913
Mit meinen Augen - Hommage an August Sander
Menschen des 20. Jahrhunderts - August Sander
Der Handwerker ︱ Gruppe 2
Industrieller, Hilden bei Wuppertal 1928
Die Frau ︱ Gruppe 3
Krankenschwester, 1927
Mit meinen Augen - Hommage an August Sander
Menschen des 20. Jahrhunderts - August Sander
Die Stände ︱ Gruppe 4
Kunsthändler, Köln 1927
Der Künstler ︱ Gruppe 5
Der Maler Heinrich Hoerle, Köln 1927
Mit meinen Augen - Hommage an August Sander
Menschen des 20. Jahrhunderts - August Sander
Die Großstadt ︱ Gruppe 6
Zirkusartistin, Köln 1926
Die letzten Menschen︱ Gruppe 7
Tote, 1927
Mit meinen Augen - Hommage an August Sander
Menschen des 21. Jahrhunderts - Maria Anders
Mein Blick auf die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts folgt dem Stil August Sanders. Bei August Sanders Fotografien wird ein Einverständnis mit jedermann, den
er fotografiert, deutlich. Dieses Einverständnis markiert zugleich einen Abstand
zu jedermann, Sander legt sich nicht fest und fotografiert typische Vertreter gesellschaftlicher Gruppen. Für mich war es besonders interessant, diesen wertfreien
Gedanken auf meine Sicht des 21. Jahrhunderts zu übertragen. Ich habe die Menschen des 21. Jahrhunderts im Sinne August Sanders fotografiert: sie sind wie sie
sind, sie werden nicht verschönert und auch nicht verschlechtert. | TEXT 2, 4
M E NSC H E N D E S 2 1 . JAH R H U N DE RT S
MAR IA AN DE R S
Ich habe vor dem Fotografieren zu jeder Person eine Bindung aufgebaut. Diese
war teils flüchtig, teils eng vertraut. Es war mir eine besondere Aufgabe trotzdem eine sachliche Distanz aufzubauen, um den Fotos untereinander eine Einheit
zu verschaffen und die Aufgabe des „Volkszählers“ weiterzuführen. Den abgelichteten Personen habe ich einen festen Platz zugewiesen, niemand ist dadurch
hilflos oder exzentrisch. Relevant für mich war, dass die Personen direkt in die
Kamera schauen und wie vorab mit mir besprochen einen Blick zeigen, der möglichst nichts aussagt und nicht aufgeschlossen ist. Dieses Vorgehen stützte ebenso
das Einheitskonzept. Es kommt zu einer Inszenierung: ich greife bewusst in das
Geschehen ein, platziere und richte. Die Personen nehmen für mich spezifische
Körperhaltungen ein.
Ich habe mich bewusst dagegen entschieden, die Menschen in Gruppen einzuteilen. Die Gesellschaftsordnung verschwimmt, ein Trend zu einer Gesellschaft
der Einzelgänger ohne Verpflichtungen wird sichtbar. Ein enormer Arbeitsdruck
ist spürbar, Flexibilität bleibt dennoch das höchste Maß. Es existiert eine Dienstleistungsgesellschaft, vom Industriezeitalter wird Abschied genommen. Für die
junge Generation sind Leistung und Lebensgenuss keine Gegensätze mehr: durch
diese Leistungsgesellschaft wird dennoch deutlich, dass die soziale Anerkennung
essentiell geworden ist. | TEXT 3, 4
Mit meinen Augen - Hommage an August Sander
Menschen des 21. Jahrhunderts - Maria Anders
BERU F S PORT RAI TS
MAR IA AN DE R S
Kellnerin, Hamburg 2016
Mit meinen Augen - Hommage an August Sander
Menschen des 21. Jahrhunderts - Maria Anders
Bauer, Schwarzwald 2016
Ärztin, Kiel 2016
Mit meinen Augen - Hommage an August Sander
Menschen des 21. Jahrhunderts - Maria Anders
Rikschafahrer, Hamburg 2016
Verkäuferin Bekleidung, Hamburg 2016
Mit meinen Augen - Hommage an August Sander
Menschen des 21. Jahrhunderts - Maria Anders
Fotograf, Kiel 2016
DJane, Hamburg 2016
Deichtorhallen Hamburg Gmbh, Deichtorstraße 1 - 2, 20095 Hamburg, Telefon: + 49
(0) 40 32103 - 0, [email protected], Dienstag bis Sonntag: 11-18 Uhr, jeden 1.
Donnerstag im Monat: 11 - 21 Uhr.
Text : | T E X T 1 Heiting, Manfred: August Sander: 1876-1964 Köln Taschen, 1999
| TEXT 2 Sander, Gunther: Menschen des 20. Jahrhunderts: Portraitfotographien
von 1892-1952 München Schirmer/Mosel, 1980 | TEXT 3 www.zeit.de/reden/gesellschaft/200113_opaschowski | TEXT 4 Maria Anders, Abbildungen: www.augustsander.org/md20jh; Maria Anders, Muthesius Kunsthochschule Kiel, Konzept und
Gestaltung: Maria Anders, Muthesius Kunsthochschule Kiel, Projektbetreuung:
Prof.in Silke Juchter; Prof. Wolfgang Sasse, Muthesius Kunsthochschule Kiel.