Nummer 45 · 6. November 2016 Bistum 17 GL Die Fragen der Menschen: Warum ist Sankt Martin so beliebt? Leserbrief Mitschuld am Niedergang Zum Interview „Predigen wie beim Glas Wein“ auf der Seite 12 in der Nr. 43 vom 23. Oktober: Frech und unter der Gürtellinie kritisiert der „Strategieberater Erik Flügge“ die Kirche. (…) Er will, dass in der Kirche gesprochen wird „wie bei einem Glas Wein“. Abgesehen davon, dass er die allermeisten Priester und Pfarrer völlig zu Unrecht anklagt, würde die Kirche noch schneller schrumpfen, hörte sie auf seine weltlichen Ratschläge. Würde er Formel-1Fans auch raten, bloß keine motor- und fahrzeugtechnischen Spezialausdrücke zu verwenden, wenn sie unter sich sind? Herr Flügge ist nur ein weiterer Ideologe der allgemeinen Gleichmacherei, mit Schuld am Niedergang der Kirche. Wir brauchen umgekehrt eine Renaissance der eindeutig kirchlichen und biblischen Worte und Wendungen. Herbert Klupp, 65428 Rüsselsheim Erfreuliche Entwicklung Wenn Sankt Martin auf seinem Pferd erscheint, kann er sich der Aufmerksamkeit seiner kleinen und großen Zuschauer sicher sein. Für die Umzüge oder ein Martinsspiel, wie hier am Mainzer Dom, basteln Kinder schon Tage vorher ihre Laternen. Foto: Barbara Nichtweiß Liebe berührt die Menschen Heute antwortet: Professor Martin Klose, Pfarrer und Rektor der Katholischen Hochschule Mainz Kein Martinsfest wie sonst. In diesem Jahr feiern die Katholiken den 1700. Geburtstag des Heiligen. Woher das lebendige Brauchtum rund um den Martinstag stammt und welche Botschaft das Fest heute hat, sagt Professor Martin Klose, Rektor der Katholischen Hochschule Mainz. Frage: Was ist barmherzig daran, dem Bettler nur einen halben Mantel zu geben? Es ist ein Missverständnis zu meinen, dass nur der barmherzig handelt, der alles gibt, was er hat. Der Mann aus Samarien, der nach Lukas 10,30ff den unter die Räuber Gefallenen versorgt, in eine Herberge bringt und überdies den Wirt für seine Pflege bezahlt, gibt viel, aber nicht alles, was er hat. Und dennoch heißt es über den Mann aus Samarien, dass er barmherzig an dem unter die Räuber Gefallenen gehandelt hat. Barmherzigkeit bemisst sich also nicht am Maß dessen, was man für einen anderen aufzuwenden bereit ist. Barmherzigkeit fragt vielmehr: Bist du bereit, dem anderen über das hinaus, worauf er von Rechts wegen einen Anspruch hat, mit deinen Möglichkeiten so zu helfen, dass er würdig leben und überleben kann? Der heilige Martin handelt also wirklich barmherzig, wenn er seinen Mantel mit dem Bettler teilt. Da römische Soldaten aber ihren Mantel in der Regel zur Hälfte aus der eigenen Tasche bezahlen Leserforum Sie fragen – wir sorgen für Antworten Haben Sie Fragen zu den Entwicklungen in der Seelsorge im Bistum? Ist Ihnen etwas rätselhaft in Verkündigung oder Liturgie? Stellen Sie Ihre Fragen, und wir suchen einen Experten, der sie hier verständlich beantwortet. Ihre Fragen richten Sie bitte an: Kirchenzeitung, Stichwort „Die Fragen der Menschen, Postfach 2049, 55010 Mainz, oder per E-Mail: [email protected] mussten, gibt der heilige Martin mit der Mantelhälfte nicht nur einen Teil dessen, was er besitzt, sondern schlichtweg alles, was er sein persönliches Eigentum an dem Mantel nennen darf. Warum wird am Martinstag Gans gegessen? Die Gans ist mit dem Gedenktag des heiligen Martin auf vielfältige legendäre Weise verbunden. Eine bekannte Legende erzählt etwa, dass die Einwohner der Stadt Tours Martin gegen seinen Willen zu ihrem Bischof erwählt hatten und sich Martin, um der Wahl zu entgehen, in einem Gänsestall versteckte, die Gänse aber Martin durch ihr Schnattern verrieten. Eine andere Legende berichtet, dass Martin als Bischof in seiner Predigt durch eine Schar schnatternder Gänse, die in die Kirche watschelten, unterbrochen wurde. Jenseits solcher Legenden bietet sich auch eine andere Erklärung für den Zusammenhang von Martinsgans und Martinstag an. Mit dem Martinstag endete früher das Wirtschaftsjahr. An diesem Tag war in vielen Gemeinden Markttag und, damit verbunden, fanden nicht selten auch Schlachtfeste statt. Das Gesinde wechselte am Martinstag, und die Pacht musste entrichtet werden, wobei die Gans eine bevorzugte Gabe an die Grundherren war. Was hat Martin mit Laternen zu tun? Dass Kinder am Martinstag oder um ihn herum mit Laternen durch die hereinbrechende Dunkelheit ziehen, erinnert zunächst an eine Begebenheit aus dem Leben des Heiligen. Denn nach der Überlieferung ist Martin während einer Seelsorgereise bei Candes gestorben und sein Leichnam in einer Lichterprozession auf einem Boot nach Tours überführt und dort begraben worden. Die Laternen der Kinder beim Martinszug greifen aber auch ganz allgemein die christliche Lichtsymbolik auf und setzen sie mit dem Leben des heiligen Martin in Beziehung. Das Licht der Laternen nimmt dem Dunkel der beginnenden Winterzeit das Bedrohliche und ist ein Zeichen dafür, dass barmherzige Solidarität in der Nachfolge Jesu, wie sie Martin geübt hat, Licht in jede Finsternis bringen kann. Warum werden am Martinstag Brezeln verteilt, „Martinsbrezeln“ gebacken oder Hefeteigmännchen mit Pfeifen? Die wohl bekannteste Episode aus dem Leben des heiligen Martin ist seine Begegnung mit dem frierenden Bettler vor den Toren der Stadt Amiens. Jedes Kind weiß, wie diese Begegnung ausgegangen ist: Martin hat sich vom Elend und von der Not des Bettlers rühren lassen und mit ihm seinen Mantel geteilt. Diese barmherzige Geste, die durch die Jahrhunderte hindurch nicht vergessen wurde, nehmen die Martinsbrezeln oder Hefeteigmännchen auf ihre Weise auf. Am Ursprung dieses je nach Region Professor Martin Klose leitet die Katholische Hochschule Mainz Foto: Anja Weiffen unterschiedlichen Gebäcks stand ein süßes Weißmehlgebäck, das an Arme und Kranke am Martinstag verteilt wurde. Weißmehlgebäcke, also aus feinem Weizenmehl hergestellte Gebäcke, galten in früheren Zeiten stets als etwas Außergewöhnliches, das nur zu besonderen Anlässen auf den Tisch kam. Indem man dieses besondere Gebäck gerade an Bedürftige verteilte, ahmte man Martins Geste der Barmherzigkeit gegenüber Not leidenden Menschen auf seine Weise nach. Warum haben sich ausgerechnet rund um den heiligen Martin solche Bräuche entwickelt? Der inhaltliche Kern des christlichen Brauchtums rund um das Martinsfest ist die Mantelteilung mit dem Bettler, die bis heute in den Pfarrgemeinden und Kindergärten immer wieder nachgespielt wird. Das Brauchtum verweist auf diesen Kern, speist sich aus ihm und buchstabiert ihn in die Lebenswelt der Menschen jeder Zeit. Da mit dem Martinstag überdies auch das Wirtschaftsjahr endete und eine „Glaube und Leben“ hat erfreulicherweise eine Entwicklung durchgemacht, so meine ich jedenfalls, und hat sich von einem reinen Hofberichterstattungsorgan zu einem Kirchenblatt mit kritischer Tendenz entwickelt. Wäre dem nicht so, hätte ich „Glaube und Leben“ längst abbestellt. So aber kann ich das Blatt auch als kritischer Katholik gut lesen. Und so „preist meine Seele die Größe Gottes, und mein Geist jubelt…“, wenn ich Texte wie das Interview mit Erik Flügge lesen darf, das Bernhard Perrefort mit dem Kirchenkritiker geführt hat: „Predigen wie beim Glas Wein“ ! Das wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Egon Weiß, 85447 Fraunberg 40-tägige Fastenzeit vor dem Weihnachtsfest begann, war der Gedenktag des heiligen Martin geradezu prädestiniert, dass sich um ihn herum ein reichhaltiges Brauchtum entwickeln konnte. Warum ist Martin als Heiliger so beliebt? Es gibt in unseren Breiten wohl kaum jemand, der Martin von Tours in seinem Leben nicht irgendwie kennen gelernt hat. Ähnlich wie Nikolaus ist Martin den Menschen als Heiliger vertraut. Wer als Kind an einem Novemberabend mit der Laterne in der Hand bei einem Martinszug mitgelaufen ist, das Martinsspiel gesehen hat und mit der Martinsbrezel beschenkt wurde, erinnert sich auch später gern an diesen, den Menschen so zugewandten Heiligen. Martin ist ein Heiliger der Nächstenliebe, der es gut mit den Menschen meint, weil er Not wahrgenommen und zu lindern versucht hat. Liebe aber vermag Menschen anzurühren, vermag Saiten in ihnen zum Klingen zu bringen, die zum Besten gehören, was Menschsein ausmacht. Insofern ist die Beliebtheit des heiligen Martin auch eine Antwort der Menschen auf die Liebe, die Martin in seinem Leben praktiziert hat. Wäre Sankt Martin heutzutage ein „Gutmensch“? Ob Martin heutzutage ein „Gutmensch“ wäre, entscheidet sich daran, welche Bedeutung man diesem Wort unterlegt. Wenn man unter „Gutmensch“ – wie nicht selten heute – eine Art naiven Trottel versteht, der sich ausnutzen lässt, weil er nicht begriffen hat, wie die Welt tickt und Leben funktioniert, ist Martin von Tours gewiss kein „Gutmensch“. Wenn man unter „Gutmensch“ aber einen guten Menschen versteht, der gut ist, weil ihm die Liebe zu Gott und dem Nächsten über alles geht, der gut ist, weil er begriffen hat, dass nur durch die Liebe der Mensch verwirklicht, was Ebenbild Gottes an ihm ist, dann darf man den heiligen Martin mit Fug und Recht einen „Gutmensch“ oder eben gleich einen Heiligen nennen. 3Seite 19 Die Fragen zusammengestellt hat Anja Weiffen. Die Kirchenzeitung lädt Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein: Am 16. November gehen wir im Mainzer Dom und im Dommuseum auf Entdeckungstour und suchen Gottesbilder „Wege zum Gottesbild. Eine Spurensuche in Bildern und Texten“ veranstalten die Bistumsakademie Erbacher Hof, das Dom- und Diözesanmuseum und die Kirchenzeitung gemeinsam. Dr. Felicitas Janson und Professor Ralf Rothenbusch gehen dabei folgenden Fragen nach: ■Warum gibt es die Vorstellung von Gott als altem Mann mit weißem Bart? ■Wie werden aus Erzählungen der Bibel Gottesbilder? ■Wie sieht Gott für die Menschen heute aus? ■Wie beeinflussen Bilder den Glauben? Sie können dabei sein: Am 16. November um 16 Uhr, Treffpunkt Mainzer Dom, Marktportal. Eintritt für Abonnenten der Kirchenzeitung und Studierende frei, sonst 3 Euro. Anmeldung bis 11. November an: [email protected] Die Spurensuche ist eine Aktion in der Themenwoche „Mein Gott“ des Katholischen Medienverbands (KM)
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