Schattenblick Druckausgabe

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MA-Verlag
E D IT O RIAL
Elektronische Zeitung Schattenblick
Samstag, 12. November 2016
Vorratstherapeutikum Antibiotika So heiß wird die Suppe nicht verzehrt ...
Prof. Dr. med. Ansgar W. Lohse im Gespräch
"Antibiotika ­ Stumpfe Waffen?"
Foto: © by Schattenblick
Diskussionsveranstaltung auf Einladung des Zentrums für
Strukturelle Systembiologie (CSSB) und der Akademie der
Wissenschaften in Hamburg am 8. November 2016 im Lichthof
des Altbaus der Staats­ und Universitätsbibliothek Hamburg
Prognose
Enttäuscht seid ihr von unse­
rem Unverstand, entsetzt über
unsere Sprache, unvermeid­
lich getroffen von unserem
Auftritt und unserer Kultur
und es friert euch angesichts
finsterer Ahnungen.
Die Enge, in der ihr euch un­
serem Ansturm schlußendlich
stellen müßt, habt ihr eurem
Streben nach Schutz und Si­
cherheit zu verdanken.
Spätestens dann werden wir
euch mit unseren Indianer­
und Geistergeschichten die
Zähne ziehen und die Leitun­
gen kappen, und wenn ihr
wehrlos im Dunkeln steht und
euch nicht mehr zurechtfin­
den könnt, geht für uns die
Sonne auf.
Redaktion Schattenblick
dem nimmt das Problem, daß Antibiotika nicht mehr wirksam genug sind, eher zu als ab. So heißt
es in einer aktuellen britischen
Untersuchung vom Mai 2016, daß
weltweit bis zum Jahr 2050 die
Zahl der Menschen, die aufgrund
(SB) 11. November 2016 ­ Allein von Antibiotikaresistenz sterben,
in der Europäischen Union verlie- von jährlich gegenwärtig 0,7 auf
ren jährlich ca. 25.000 Menschen 10 Millionen steigen könnte. [2]
aufgrund von Antibiotikaresistenz ihr Leben. Zu dieser Ein- Nicht zuletzt weil die Entwickschätzung kam das European lung neuer Medikamente mindeCentre for Disease Prevention stens zehn Jahre dauert, aber Erand Control (ECDC) und die Eu- reger schneller Resistenzen entropean Medicines Agency wickeln, als neue Mittel zur Ver(EMEA) in einer im Jahr 2009 fügung stehen, warnen Experten
veröffentlichten Studie. [1] Seit- wie der Ökonom Jim O'Neill,
Von links: Angela Grosse, Prof.
Dr. med. Ansgar W. Lohse, Prof.
Dr. rer. nat. Petra Dersch, Dr.
Werner Lanthaler, Prof. Dr. rer.
nat. Thomas Marlovits
Foto: © 2016 by Schattenblick
Elektronische Zeitung Schattenblick
Leiter jener britischen Studie, vor
einem "Rückfall ins Mittelalter",
also in Verhältnisse vor Beginn
der modernen Antibiotika-Ära. Er
fordert Politik und Wirtschaft auf,
wieder mehr Forschungen in Antibiotika zu stecken, anstatt sie
aufzugeben, nur weil mit anderen
Medikamenten höhere Profite zu
erwirtschaften sind.
Diese problematische Situation bot
dem Zentrum für Strukturelle
Systembiologie (CSSB) und der
Akademie der Wissenschaften in
Hamburg Anlaß für eine öffentliche
Diskussionsveranstaltung, die mit
dem Titel "Antibiotika - Stumpfe
Waffen?" am 8. November 2016 im
Lichthof des Altbaus der Staatsund Universitätsbibliothek Hamburg stattfand. Eingeladen waren
Prof. Dr. med. Ansgar W. Lohse,
Ärztlicher Direktor der I. Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Eppendorfund Mitglied der
Akademie der Wissenschaften in
Hamburg, Prof. Dr. rer. nat. Petra
Dersch, Leiterin der Abteilung Molekulare Infektionsbiologie Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Dr. Werner Lanthaler, CEO
der Evotec AG, und Prof. Dr. rer.
nat. Thomas Marlovits, Stellvertretender wissenschaftlicher Direktor
des Zentrums für Strukturelle
Systembiologie (CSSB), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
(UKE) und Deutsches ElektronenSynchrotron (DESY).
Unter der Moderation der Hamburger Wissenschaftsjournalistin
Angela Grosse diskutierten zunächst die vier Gäste, später dann
auch mit Beteiligung des Publikums, Fragen rund um die Problematik der zunehmenden Antibiotikaresistenz, ihre Ursachen und
mögliche Auswege aus der Situation. Dabei erkannte Prof. Lohse
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zwar an, daß die Antibiotikaresistenz ein Problem darstellt, aber
er vertrat zugleich den Standpunkt, daß die Zahl von 25.000
Toten zu hoch gegriffen ist. Daß
bei den Verstorbenen multiresistente Keime nachgewiesen wurden, bedeute nicht zwangsläufig,
daß sie an diesem Keim verschieden sind. Die genaue Zahl zu ermitteln sei sehr, sehr schwierig.
An diesem Abend wurde weder
vom Podium noch Publikum eingewendet, was eigentlich hinlänglich bekannt ist. Die von Prof.
Lohse in Frage gestellte Zahl von
europaweit 25.000 Antibiotikaresistenztoten könnte sehr wohl zutreffen, obschon Personen nicht
direkt an, sondern mit multiresistenten Keimen verschieden sind.
Naheliegenderweise könnte man
annehmen, daß sie von der Infektion so sehr geschwächt waren,
daß sie an etwas anderem (Kreislaufversagen, Herzinfarkt, Schlaganfall, etc.) verstorben sind.
Bedenkenswert war der Einwand
Prof. Lohses dennoch. Denn als
Konsequenz des Phänomens einer
angeblich zunehmenden Antibiotikaresistenz, wovor zu warnen
geradezu Kampagnencharakter
angenommen hat, wird unter anderem diskutiert, die Vergabe der
Mittel weiter als bisher einzuschränken, um sie in "Reserve" zu
halten. Und das nicht etwa, weil
sie möglicherweise schwerwiegende Nebenwirkungen zeigen
könnten, sondern um die Resistenzentstehung möglichst lange
hinauszuzögern. Von diesem
Standpunkt aus würden die Mittel
verknappt. Das liefe darauf hinaus, daß dann eine Infektion unter Umständen gar nicht, nicht mit
dem wirksamsten Mittel oder
nicht über die aus heutiger therawww.schattenblick.de
peutischer Sicht notwendige
Dauer behandelt wird, und die betreffende Person eigentlich vermeidbare Schmerzen leidet.
Der Deutsche Ethikrat hat sein
diesjähriges "Forum Bioethik" unter den Titel "Antibiotikaresistenz.
Ethische Herausforderungen für
Patienten und Ärzte" gestellt. Bereits die Ankündigung läßt ahnen,
daß das Thema Antibiotikaresistenz mehr Konfliktpotential birgt,
als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Es geht nicht nur um die
zunehmende Gefahr, daß die Waffe stumpf wird, wie an diesem
Abend in Hamburg diskutiert,
sondern auch um ethische Grenzbereiche berührende, bzw. gegebenenfalls verschiebende Problemlösungsvorschläge aus Politik und Medizin. Diskutiert werden sollen Fragen wie: "Was kann
Menschen heute zugemutet werden, um Antibiotika für die Zukunft wirksam zu erhalten? Darf
im Rahmen des verstärkten Infektionsschutzes in die Selbstbestimmung von Patienten und die Therapiefreiheit von Ärzten eingegriffen werden, und wenn ja, wie stark
und mit welcher Begründung?
Welche Auswirkungen auf das
Arzt-Patienten-Verhältnis wären
zu erwarten und akzeptabel, wenn
es strikte Maßgaben zum Antibiotikagebrauch gäbe?" [3]
Im Anschluß an die rund zweistündige Veranstaltung stellte sich
Prof. Lohse dem Schattenblick
für einige Nachfragen zu seinem
Einwurf bei der Diskussion, weiteren Aspekten des Themas Antibiotika und zu guter Letzt einer
grundlegenden ethischen Frage
zur Verfügung. (Ein Bericht zu
der gesamten Veranstaltung und
ein Interview mit Prof. Marlovits
sind in Vorbereitung.)
Sa, 12. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Schattenblick (SB): Im Blätterwald ist es still geworden um Infektionskrankheiten wie Vogelgrippe, SARS und Schweinegrippe. Wurde die Gefahr einer Ausbreitung von Infektionskrankheiten von Tier auf Mensch überschätzt?
Prof. Ansgar W. Lohse (AL):
Nein, die Gefahr ist ohne Zweifel
groß. Ebola zum Beispiel ist aller
Wahrscheinlichkeit nach von Tier
auf Mensch übertragen worden.
Das Problem besteht darin, daß
solche Ereignisse unvorhersehbar
und unregelmäßig eintreten. Sie
können morgen passieren oder
erst wieder in fünf Jahren. Man
weiß es nicht. Aber neue Erreger,
auf die wir nicht so richtig eingestellt sind, werden wahrscheinlich
über diesen Weg kommen.
SB: Bei der Podiumsdiskussion
hatten Sie die Zahl von rund
25.000 Toten europaweit pro Jahr
aufgrund von Antibiotikaresistenz in Frage gestellt. Haben Sie
dazu andere Einschätzungen oder
wie kommen Sie darauf? Denn
diejenigen, die solche Zahlen zusammengestellt und verbreitet haben, sind ja gewiß ebenfalls Experten auf diesem Gebiet.
AL: Zunächst einmal sind solche
Zahlen extrem schwer abzuschätzen. Ich habe darauf hingewiesen,
daß es sehr viele Patienten gibt,
die "mit", aber deswegen nicht
zwangsläufig "an" einem multiresistenten Keim sterben. Es ist
noch eine Rarität, daß jemand
wirklich an einer Infektion mit einem durch Antibiotika nicht beherrschbaren Keim stirbt.
Es trifft jedoch zu, daß wir es im
Einzelfall schwerer haben, Infektionen zu behandeln. Dann müsSa, 12. November 2016
sen wir erst testen und häufiger
das Antibiotikum wechseln, um
das richtige zu finden. Das heißt,
die Waffen sind nicht mehr ganz
so scharf, wie sie einmal waren,
aber sie sind auch nicht stumpf.
SB: Kann man genauer bestimmen, welche Quellen für die Todesfälle durch Antibiotikaresistenz ursächlich sind? Da wäre
zum Beispiel an Antibiotika zu
denken, die vermehrt in der Tiermast verwendet werden.
AL: Wenn überhaupt Personen
daran sterben, dann sehr wenige.
Die Tiermast produziert zwar
multiresistente Keime, die werden aber nur extrem selten auf
Menschen übertragen. Wir wissen zum Beispiel, daß Tierärzte,
die in landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten, vermehrt MRSA-Träger [4] sind. Aber sie sind
"Träger"! Es scheint nach wie
vor eine Rarität zu sein, daß multiresistente Keime aus der Tierwelt auf den Menschen gelangt
sind und diesen daraufhin krank
gemacht haben. Es ist sicherlich
zu begrüßen, wenn in der Tiermast weniger Antibiotika eingesetzt werden, aber das würde
nicht das Problem der Antibiotikaresistenz lösen.
hohe Quote an multiresistenten
Keimen.
SB: Tritt in ärmeren Ländern beispielsweise auf dem afrikanischen Kontinent das gleiche Phänomen auf?
AL: Das Phänomen ist grundbiologisch und tritt deshalb weltweit
auf. Es hängt jedoch sehr davon
ab, wie viele Antibiotika überhaupt zur Verfügung stehen.
Wenn diese in bestimmten Regionen der Welt nicht verfügbar sind,
dann findet man dort auch praktisch keine resistenten Keime dagegen. In den Entwicklungsländern unterliegen die Antibiotika
häufig gar nicht der Verschreibungspflicht, man kann sie auf
dem freien Markt kaufen. Deswegen besteht die Gefahr, daß sie bei
jeder Art von fieberhaften Erkrankungen angewendet werden,
auch wenn es nur Viren sind. Das
Phänomen der Resistenz ist also
genauso vorhanden wie bei uns
auch, in manchen Bereichen und
für manche Antibiotika ist es sogar stärker ausgeprägt.
SB: Stehen den Entwicklungsländern im Zweifelsfall die gleichen
Antibiotika zur Verfügung oder
sind sie insgesamt auf einem
niedrigeren Stand als die wohlhaSB: Wie ist die Antibiotikaresi- benderen Länder?
stenz in Deutschland im Vergleich
zu seinen europäischen Nachbar- AL: Das ist alles eine Frage des
Geldes, und die ärmeren Länder
staaten entwickelt?
haben weniger zur Verfügung als
AL: Wir haben einen etwas bes- die reichen Länder. Andererseits
seren als den mittleren Platz in der sind Antibiotika so billig gewor"Europaliga". Wir nehmen keinen den, daß hier die Diskrepanz zwiSpitzenplatz ein, aber sind noch schen ärmeren und reicheren
lange nicht Schlußlicht. Die mei- Ländern nicht so groß ist zum
sten Antibiotikaresistenzen sind Beispiel in der Krebstherapie. Ininsbesondere in Südosteuropa zu sofern haben auch die ärmeren
finden; Griechenland beispiels- Länder zu sehr, sehr vielen Antiweise verzeichnet eine besonders biotika Zugang. Den haben die
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Seite 3
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Mittelschichten und wohlhabendere Leute dort selbst dann, wenn
diese im allgemeinen Gesundheitssystem nicht allen zur Verfügung stehen.
"Die Waffen sind nicht mehr ganz
so scharf, wie sie einmal waren,
aber sie sind auch nicht stumpf."
(Prof. Dr. med. Ansgar W. Lohse,
8. November 2016, Hamburg)
Foto: © 2016 by Schattenblick
SB: Sehen Sie in der neuartigen
Methode des CRISPR-Cas9, der
sogenannten Gen-Schere, ein
Potential, neue Antibiotika zu
entwickeln oder auf irgendeine
andere Weise die Zellabwehr
gegen Erreger zu stärken?
man deren Immundefekt therapieren könnte. Das wäre zwar
nicht direkt für die Antibiotikaforschung relevant, aber für diese kleine Untergruppe kann die
Methode tatsächlich im Sinne
einer Gentherapie ein extrem
wirksames Potential entwickeln.
[1] http://ecdc.europa.eu/en/publications/Publications/0909_TER_The_Bacterial_Challenge_Time_to_React.pdf
[2] https://amr-review.org/sites/default/files/160525_FiSB: Vor vier Jahren waren Sie nal%20paper_with%20cover.pdf
als Co-Autor an einer Untersuchung mit dem Titel "Forschung [3] http://www.ethikrat.org/verum jeden Preis?" über die Aus- anstaltungen/forum-bioethik/anzeichnungen der Martini-Stif- tibiotikaresistenz
tung zwischen 1939 bis 1949
beteiligt. [5] Wie schätzen Sie [4] MRSA, auch Krankenhausdas ein, wäre die Ärzteschaft keim genannt, ist das Akronym
heute eher davor gefeit, sich ei- von Methicillin-resistenter Stanem ethisch ähnlich verwerfli- phylococcus aureus. Bakterien
chen Ansinnen wie damals, der Art Staphylococcus aureus
wenn es von der Politik an sie können gegen das Antibiotikum
herangetragen würde, zu wider- Methicillin und viele andere Antibiotika resistent sein und lassen
setzen?
sich bei vielen gesunden MenAL: Den Bericht haben wir im schen auf der Haut nachweisen,
"Hamburger Ärzteblatt" auf der ohne daß diese daran erkranken.
Basis einer Doktorarbeit geschrieben. Ich halte es grund- [5] https://www.aerztekammersätzlich für einen Arzt und Wis- hamburg.org/files/aerztekamsenschaftler für wichtig, sich mer_hamburg/ueber_uns/hammit ethischen Fragen zu be- burger_aerzteblatt/arschäftigen. Da ich Kuratoriums- chiv/haeb2012/haevorsitzender der Martini-Stif- b_02_2012_neu.pdf
tung bin, habe ich es für meine
historische Pflicht gehalten, http://www.schattenblick.de/
infopool/medizin/report/
mich an der Arbeit über die
m0ri0040.html
Martini-Stiftung, die sich ihrem
Erbe bisher nicht gestellt hat, zu
beteiligen. Das war höchste
Zeit. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Davor gefeit, sich
ethisch moralisch falsch zu verhalten, ist keiner von uns, weder Liste der neuesten und tagesaktu­
eine Gruppe - ob Ärzteschaft ellen Nachrichten ... Kommentare
Interviews ... Reportagen ...
oder Journalisten -, noch ein In- ...Textbeiträge
... Dokumente ...
dividuum.
Tips und Veranstaltungen ...
AL: Für die Antibiotikaforschung direkt sehe ich dafür
keine Anwendung. Aber eine
Anwendung könnte tatsächlich
darin liegen, die Erregerabwehr
zu stärken. Es könnte beispielsweise für Patienten, die bestimmte Immundefekte haben SB: Vielen Dank für das Geund gehäuft Antibiotika brau- spräch.
chen, relevant werden, wenn
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Anmerkungen:
www.schattenblick.de
http://www.schattenblick.de/
infopool/infopool.html
Sa, 12. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
POLITIK / REDAKTION / ASIEN
Afghanistans Taliban fordern US-Truppenabzug von Trump
Bundeswehr sieht sich durch Angriff in Masar­i­Scharif herausgefordert
Überall auf der Welt reagiert man
mit Staunen und Irritation auf den
Überraschungssieg des republikanischen Baumagnaten und Fernsehstars Donald Trump über den
demokratischen Politprofi Hillary Clinton bei der US-Präsidentenwahl am 8. November. In diplomatischen Kreisen stellt man
sich nun auf den neuen und potentiell isolationistischen Kurs
Trumps, der "Amerika wieder
groß machen" will, ein. Für die
afghanischen Taliban dagegen hat
das Ergebnis des demokratischen
Prozesses zur Ermittlung des
Volkswillens in den USA nichts
verändert. An Trump haben die
Kampfgefährten des 2013 verstorbenen Mullah Mohammed
Omar dieselbe Botschaft wie zuvor an seine Vorgänger George W.
Bush und Barack Obama gerichtet und ihre Kernforderung nach
dem Abzug aller fremdländischen
Streitkräfte aus Afghanistan wiederholt. Man kann davon ausgehen, daß sich Trump gegenüber
der Aufforderung der Taliban genauso taub wie Bush jun. und
Obama zeigen wird. Schließlich
steht nach Ansicht Washingtons
am Hindukusch die "Glaubwürdigkeit" der USA und der NATO
auf dem Spiel. Der Truppenabzug
käme einer Niederlage für die
"westliche Wertegemeinschaft"
gleich und sei deshalb inakzeptabel. Darum dürfte der längste
Krieg in der Geschichte der USStreitkräfte, dessen Ende nicht
absehbar ist, zum Leid der afghanischen Bevölkerung, dafür aber
Sa, 12. November 2016
zur Freude der US-Rüstungsindu- Konferenz prominenter islamistrie einfach weitergehen.
scher Geistlichkeiten zum Thema
Afghanistan in Saudi-Arabien abIn einer Meldung der Nachrich- zuhalten, scharf zu kritisieren.
tenagentur Reuters vom 9. No- Schließlich waren Saudi-Arabien,
vember wurde die Mitteilung der Pakistan und die Vereinigten AraTaliban an Trump wie folgt wie- bischen Emirate die einzigen
dergegeben: "Unsere Botschaft Staaten, die das 1996 von den Talautet, die Amerikaner sollten ei- liban nach der Einnahme Kabuls
ne Politik verfolgen, welche an- ausgerufene Islamische Emirat
dere Nationen nicht um die Unab- Afghanistan bis zu dessen geohängigkeit und Souveränität graphischem Untergang nach
bringt. Am wichtigsten sei, daß dem Einmarsch amerikanischer
sie alle ihre Truppen aus Afghani- Truppen im Herbst 2001 formal
stan abziehen sollen." In der Ver- anerkannt hatten und mit ihm digangenheit haben die Taliban plomatische Beziehungen pflegmehrmals im Gegenzug angekün- ten. Jenes Emirat der Taliban exidigt, dafür zu sorgen, daß kein stiert heute nur noch virtuell. In
"Terrorismus" von Afghanistan dessen Namen führen Talibanaus in andere Länder exportiert Gesandte hinter den Kulissen Gewerde, sowie auf ihr früheres spräche mit anderen Staaten.
Nein zur Schulbildung für Mädchen und Frauen zu verzichten. In In einer Botschaft an die "edlen
den letzten Jahren hat es mehrere Gelehrten der islamischen Welt"
Anläufe gegeben, die Bedingun- haben die Taliban die geplante
gen für Friedensverhandlungen Konferenz als kruden Versuch
unter Teilnahme der Taliban, der Kabuls abgetan, die Erhebung geUSA, der Regierung von Präsi- gen die ausländischen "Aggressodent Ashraf Ghani in Kabul, Pa- ren" in Afghanistan zu delegitikistans und Chinas zu schaffen. mieren, und zum Boykott aufgeZuletzt sollen Vertreter der Tali- rufen. "Der verbrecherische Feind
ban und der Obama-Regierung im will den dschihadistischen AufSeptember und Oktober in Doha stand der afghanischen Nation
zu informellen Vorgesprächen zu- durch irreführende Propaganda,
sammengetroffen sein, deren Er- psychologische Kriegsführung,
gebnis, sofern es eins gegeben hinterhältige Komplotte, falsche
hat, bis heute nicht bekannt ge- Fatwas und andere nicht-militäriworden ist.
sche Taktiken wie Friedensprozesse bezwingen. ... Sie wollen
Noch am Tag der US-Präsiden- den heiligen Dschihad in Afghatenwahl haben sich die Taliban im nistan, der auf der Schwelle des
Internet zu Wort gemeldet, um Erfolgs steht, als ungesetzliches
den Plan, demnächst eine große Blutvergießen, das gegen die
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Scharia verstößt und den Begriff in einen "gesicherten Raum"
Dschihad beschmutzt, brandmar- flüchten konnte, wurde anschließend auf einen rund zehn Kilomeken."
ter von Masar-i-Scharif gelegeAuf die markigen Worte ließen nen Stützpunkt, auf dem 850 Soldie Taliban in der Nacht vom 10. daten der Bundeswehr sowie weiauf den 11. November Taten fol- tere 1000 aus anderen Staaten stagen, als sie mittels eines mit tioniert sind, gebracht.
Sprengstoff gefüllten, von einem
Selbstmordattentäter gelenkten In einer Bekennerbotschaft haben
Fahrzeugs einen verheerenden die Taliban den Angriff als VerAnschlag auf das deutsche Kon- geltung für die Luftangriffe besulat in Masar-i-Scharif durch- zeichnet, die vor einer Woche
führten. Die Bombe hat das Ge- mindestens 32 Bewohnern eines
bäude sehr schwer beschädigt. In- Dorfes bei Kundus das Leben gefolge der Explosion und des an- kostet und und rund 70 weitere
schließenden Feuergefechts zwi- schwer verletzt zurückgelassen
schen weiteren Taliban-Kämpfern hatten. Wenige Stunden nach dem
und Mitgliedern der afghanischen Überfall auf das deutsche KonsuSicherheitskräfte wurden minde- lat haben Bundeswehrsoldaten in
stens vier Menschen getötet und Masar-i-Scharif zwei Männer, die
128 verletzt. Das Konsulatsperso- auf einem Motorrad unterwegs
nal, das sich während des Angriffs waren und angeblich trotz Auffor-
derung nicht zum Stehen gekommen waren, erschossen. Später
stellte sich heraus, daß die beiden
Toten keine Verbindung zu den
Taliban hatten, sondern einfache
Kellner in einem Restaurant in
der nordafghanischen Stadt waren. Solche Vorfälle, die am laufenden Band passieren, lassen erkennen, wie schwierig bis unmöglich es für ausländische Soldaten in Afghanistan ist, zwischen
Freund und Feind, zwischen Zivilisten und Kombattanten zu unterscheiden und warum eine militärische Lösung des Dauerproblems Afghanistan für die NATO
illusorisch ist und bleiben wird.
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/redakt/
asie­847.html
POLITIK / KOMMENTAR / HERRSCHAFT
Noch einwilligungsfähig, aber schon abgeschrieben und vergessen
(SB) 11. November 2016 ­ Jeman-
dem eine Einwilligung zu einem
Anliegen zu erteilen setzt ein solches voraus. In der heute mehrheitlich im Bundestag verabschiedeten Novellierung des Arzneimittelgesetzes ist davon die Rede,
daß künftig auch klinische Studien an nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten möglich sein sollen, die keinen unmittelbaren
Nutzen davon haben. Wenn also
"die betroffene Person als einwilligungsfähige volljährige Person
für den Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit schriftlich nach ärztlicher Aufklärung festgelegt hat,
dass sie in bestimmte, zum ZeitSeite 6
punkt der Festlegung noch nicht
unmittelbar bevorstehende gruppennützige klinische Prüfungen
einwilligt" [1], so der Text des
heute verabschiedeten Änderungsantrages zum bestehenden
Arzneimittelgesetz, dann gibt sie
den Ärzten, die in einem solchen
Fall zu konsultieren sind, quasi
einen Blankoscheck darauf, ihre
körperliche Unversehrtheit in Gebrauch zu nehmen.
Die Selbstbestimmung des Patienten wird in der modernen Medizin groß geschrieben, und zweifellos sind Patientenverfügungen
zur Verhinderung von Maßnahwww.schattenblick.de
men, die ansonsten in einem nicht
mehr ansprechbaren Zustand getroffen werden könnten, ein Fortschritt in diese Richtung. Patientenautonomie wird gerade dann,
wenn der Mensch sie nicht mehr
aktiv durchsetzen kann, zu einem
Rechtsanspruch, dessen Verläßlichkeit nicht gefährdet werden
darf. Wird das Rechtsgut der Patientenverfügung allerdings eingesetzt, um der medizinischen
Forschung eine "gruppennützige
klinische Prüfung" auch an nichteinwilligungsfähigen Patienten
zu ermöglichen, dann werden
diese in einen fremdnützigen Gebrauch genommen, in dem der
Sa, 12. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Nutzen zu Lasten der Autonomie republik aufgrund des großen Wider betroffenen Probanden abso- derstandes in der Bevölkerung
lut gesetzt wird.
bislang weder unterzeichnet noch
ratifiziert wurde, erweckte der daWie "freiwillig" sich diese auch malige Bundesjustizminister Edimmer der medizinischen For- zard Schmidt-Jortzig 1998 den
schung überantworten, so werden Eindruck, die Unterzeichnung
sie doch als Adressaten eines sol- dieses völkerrechtlichen Vertrachen Anliegens in eine morali- ges würde sogar für mehr Patiensche Zwangslage gebracht. Dar- tenschutz sorgen:
auf angesprochen, ob sie sich
vielleicht zur Verfügung stellen Ich bin überzeugt, daß es angewollen, riskieren sie mit einer Ab- sichts der Vielfalt von Rechtslehnung, sich undankbar gegen- und Kulturtraditionen in Europa,
über den bereits in Anspruch ge- gerade wegen der grenzübernommenen medizinischen Lei- schreitenden und wissenschaftlistungen zu zeigen, schlicht egoi- chen Zusammenarbeit im Bereich
stisch zu sein oder sich dem an- von Biologie und Medizin auf eugeblich gemeinnützigen Fort- ropäischer Ebene, einheitliche,
schritt der Medizin in den Weg zu rechtliche Standards braucht, um
stellen. Indem ihnen im Zustand zu verhindern, daß derjenige
einer Einwilligungsfähigkeit, die Standortvorteile ausnutzt, der
in einem mutmaßlich desolaten ethische Maßstäbe niedrig anZustand leicht zu strapazieren setzt.
und manipulieren ist, angetragen
wird, eine Entscheidung für den Was unter dem Strich bei diesem
zu diesem Zeitpunkt unauslotba- Argument bleibt, ist die Verbesseren Zustand der Nichteinwilli- rung deutscher Standortbedingungsfähigkeit zu treffen, werden gungen. Damals wie heute besteht
sie einer Nötigung ausgesetzt, der Handlungsbedarf, weil andere eusie, solange sie für diesen morali- ropäische Staaten über eine libeschen Druck empfänglich sind, ralere Gesetzgebung für pharmanur auf dem einen Weg, der über kologische Forschung wie klinidie goldene Brücke eines altrui- schen Praxis verfügen. Im Zeitalstischen Beitrages zu einem nicht ter anwachsender Krisenkonkurminder abstrakten Gemeinwohl renz gilt um so mehr, was der heuführt, entkommen können.
tige Kanzleramtschef und damalige Bundestagsabgeordnete Peter
Dies zu konkretisieren bringt al- Altmaier den Kritikerinnen und
lerdings nicht nur Wohltaten für Kritikern der Bioethikkonvention
Demenzkranke hervor, sondern 1998 anlastete:
auch das fundamentale Interesse
der Bundesregierung an der Si- Die kardinale Schwäche in der
cherung optimaler Standortbedin- Argumentation der Gegner eines
gungen für die Pharmaindustrie. Beitritts zur Konvention besteht
Als in den 1990er Jahren heftig meines Erachtens darin, daß sie
über die Bioethikkonvention des keine Strategie haben, wie sie ihr
Europarates debattiert wurde, die Ziel, die Erreichung eines höhedie fremdnützige Forschung an ren Schutzniveaus, europaweit
nichteinwilligungsfähigen Patien- realisieren würden. Es wird keine
ten erlaubt und von der Bundes- bessere Konvention geben. Es
Sa, 12. November 2016
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wird im anderen Fall gar keine
Konvention geben und der Rückzug in die geistige oder nationale
Wagenburg hilft in der Tat nicht
weiter.
Die unselige Tradition medizinischer Menschenversuche insbesondere im NS-Staat zum Anlaß
zu nehmen, der Forschungsfreiheit nicht unter allen Umständen
den Zuschlag zu geben, war in der
Bundesrepublik einst selbstverständlich. Im Zuge ihrer sogenannten Normalisierung und des
Griffes nach neuer globale Macht
ging nicht nur der Konsens, sich
kriegerischer Aggression zu enthalten, über Bord. Wer in den vollen Genuß moderner "Anthropotechniken" gelangen will, muß die
biomedizinische Verfügungsgewalt über die individuelle Leiblichkeit ebenso ausbauen wie andere Strategien der "inneren
Landnahme" verfolgen. Dagegen
Stellung zu beziehen hat mit den
Wagenburgen kolonialistischer
Siedler nichts zu tun, sondern ist
notwendige Selbstverteidigung
streitbarer Subjektivität in einer
alles und jeden kommodifizierenden und verdinglichenden Welt.
Zumindest die EU hätte, wäre ihre Selbstdarstellung als "Wertegemeinschaft" mehr als ein bloßer
Treppenwitz der Geschichte,
selbstverständlich die Möglichkeit, in ihrem Rahmen höhere
Schutzstandards zu definieren
und auch durchzusetzen. Schließlich werden Maßnahmen des Verbraucherschutzes wie etwa die
Negativwerbung auf Zigarettenschachteln oder Normen des Umweltschutzes auf EU-Ebene beschlossen. Daß es in diesem Fall
anders ist, hat nicht nur mit der
vorherrschenden Tendenz zu tun,
Formen der Liberalisierung, die
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der Kapitalverwertung nützen,
wie von selbst durchzuwinken.
Daß die Bundesregierung sich bei
dieser Gesetzesänderung auf eine
EU-Verordnung aus dem Jahr
2014 beruft, die solche Forschungspraktiken legitimiert,
aber auch restriktivere Ausnahmen ermöglicht, darf als billiger
Vorwand dafür verstanden werden, das offen Zutageliegende
nicht beim Namen zu nennen.
Die Forschung an Demenzkranken mag auf den ersten Blick der
Verhinderung dieses Altersleidens dienen. Zugleich wird mit
ihr wie mit anderen ethisch prekären Interventionen in die menschliche Physis auf neurowissenschaftlichem Gebiet, in der Humangenetik, Transplantationsund Reproduktionsmedizin die
Zurichtung des Menschen auf optimalere Funktionalität und Verwertbarkeit betrieben. Gerade die
Behandlung chronischer degenerativer Erkrankungen wird als
eminent wichtiger Kostenfaktor
der betriebswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht nur des Gesundheitswesens, sondern aller
dadurch geschädigten Wirtschaftsbereiche auf das Ziel weiterer Produktivitätsgewinne hin
durchgerechnet. Nicht zuletzt
spielt das Interesse der Auftraggeber dieser Forschung an einem
längeren und schmerzfreieren Leben eine Rolle bei der großen Bereitschaft, prinzipielle Grenzziehungen medizinischer Ethik aufzuheben.
So wird für die fremdnützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Demenzkranken auch heute vor allem das kleinere Übel in
Rechnung gestellt. Wenn etwa der
SPD-Politiker und Gesundheitsökonom Karl Lauterbach mit dem
Seite 8
Argument für die Gesetzesänderung wirbt, daß damit eine in der
klinischen Realität ohnehin längst
praktizierte Form der Forschung
legalisiert wird, dann wäre eigentlich zu fragen, warum nicht im ersten Schritt etwas gegen dieses
Problem unternommen wird.
Wenn der Kieler Medizinrechtler
Sebastian Graf von Kielmansegg
auf die bereits 2004 legalisierte
gruppennützige Forschung an
Minderjährigen verweist, um zu
fragen, wieso demgegenüber die
Forschung an nichteinwilligungsfähigen Patienten verboten bleiben sollte, dann wird lediglich der
bereits erreichte Mißstand verallgemeinert. Zu behaupten, die Belastungen, die sich aus dieser Forschung ergeben, seien ohnehin
minimal, geht zudem gezielt an
der rechtlichen Notwendigkeit
vorbei, prinzipielle Vorkehrungen
individuellen Schutzes zu treffen,
wo die Zukunft offen und die Gier
groß ist.
gung, mit dem Probanden ganz
nach Erfordernis der Laboranordnung zu verfahren, produziert
mithin fast einen Idealzustand
medizinischer Wissensproduktion. Der die eigene Finalität antizipierende wie besiegelnde Akt,
ja und amen zur weißen Fabrik zu
sagen, gemahnt nicht von ungefähr an ein religiöses Ritual der
Unterwerfung, das in der Hoffnung auf Erlösung von allem
Übel, nicht zuletzt dem der eigenen Objektwerdung, bereitwillig
vollzogen wird.
Verbrauchende Forschung am
Menschen hat Konjunktur, sind
die dabei erzielten Ergebnisse
doch weit zuverlässiger und aussagekräftiger als die von Tierversuchen. Daß deren Probanden per
se "nichteinwilligungsfähig" seien, unterstreicht die aggressive
Ignoranz des Begriffes. Nur wer
sich wehrt, und das tun Tiere
durchaus, wenn sie nicht sediert,
betäubt, gefesselt und fixiert werden, hat eine Chance, nicht eingespeist zu werden in eine wissenschaftlich-technische Apparatur,
die einer ganz eigenen Prozeßlogik meßbarer Verläufe und objektivierbarer Ergebnisse folgt. Was
immer das Individuum im Nebel
seiner Demenz ausmachen mag,
kann da nur stören. Die noch vor
dem Fallen des Vorhanges des
Vergessens erteilte Ermächti-
POLITIK / KOMMENTAR
www.schattenblick.de
Anmerkung:
[1] http://dip21.bundestag.de/
dip21/btd/18/102/1810235.pdf
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/kommen/
herr1739.html
Ist deutsches Blut dicker
als afghanisches?
(SB) 11. November 2016 ­ Stehen
deutsche Soldaten am Hindukusch, um Menschen zu schützen,
die Lebensverhältnisse zu verbessern und die Entwicklung des
Landes zu fördern? Die an Ammenmärchen so reiche Geschichte wachsender Kriegsbeteiligung
der Bundeswehr wird einmal
mehr durch einen schweren Anschlag der Taliban auf das deutsche Generalkonsulat im nordafghanischen Masar-i-Scharif konterkariert, bei dem sechs Menschen getötet und mindestens 128
verletzt wurden. Die diplomatische Vertretung war erst im Juni
2013 vom damaligen AußenminiSa, 12. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
ster Guido Westerwelle eröffnet
worden und liegt in der Nähe der
Blauen Moschee in der Innenstadt. In einem großen Gebäude
auf einem weitläufigen Anwesen
untergebracht, das von mehreren
Meter hohen Mauern umgeben
und stark gesichert war, zählte sie
zweifellos zu den bestgeschützten
Objekten des wirtschaftlichen
Zentrums im Norden Afghanistans. Daß nicht einmal die deutsche Botschaft vor Angriffen mit
derart verheerender Wirkung gefeit ist, zeugt von der katastrophalen Sicherheitslage im Land.
schuß geratenen afghanisch-amerikanischen Bodenoffensive ausgeführt. Mudschahid bezeichnete
Deutschland indessen als "Invasorenland" und erklärte nun:
"Wieso sollten wir die Deutschen
nicht angreifen? Deutschland war
direkt beteiligt an dem Luftschlag, der Zivilisten das Leben
gekostet hat. Dieser Luftangriff
basierte auf nachrichtendienstlichen Informationen, die deutsche
Soldaten den amerikanischen
Truppen gegeben haben. Jeder
weiß, dass sie noch ein Lager in
Nordafghanistan haben. Deutsche
Soldaten sind noch immer dort."
Die etwa zwei Dutzend deutschen [2]
Mitarbeiter des Generalkonsulats
befanden sich nach Angaben des Die Verantwortung für den NAAuswärtigen Amts nicht unter TO-Einsatz im Norden Afghanistden Opfern. Sie wurden in das ans trägt in der Tat die Bundesvon der Bundeswehr geführte, et- wehr. Am Stadtrand Masar-iwa zehn Kilometer entfernte Mi- Scharifs liegt ein großer Stützlitärlager Camp Marmal gebracht. punkt mit etwa 800 deutsche SolLeidtragende war wie so oft die daten, weitere 1000 Soldaten in
einheimische Bevölkerung, zu- dem Camp kommen aus 20 Partmal es sich bei zwei der sechs To- nerländern. Die NATO hatte ihren
ten um Motorradfahrer handelte, Kampfeinsatz in Afghanistan Endie geraume Zeit später von Bun- de 2014 offiziell beendet und den
deswehrsoldaten erschossen wur- afghanischen Sicherheitskräften
den. Wie es dazu hieß, hätten sie die Verantwortung übergeben.
nicht angehalten, als sie dazu auf- Die verbliebenen NATO-Truppen
gefordert worden seien. [1]
konzentrierten sich seitdem auf
Ausbildung, Beratung und UnterWarum wurde das Konsulat ange- stützung der heimischen Sichergriffen? Der Sprecher der Taliban, heitskräfte. Bei dieser Übergabe
Sabiullah Mudschahid, begründe- der Sicherheitsverantwortung
te den Anschlag mit einer deut- geht es offensichtlich darum, ein
schen Mitverantwortung an ei- Ende der westlichen Kriegfühnem amerikanischen Luftangriff rung vorzutäuschen und den Blutin der Provinz Kundus, bei dem zoll auf die Afghanen abzuwälin der Nacht des 3. November zen.
mehr als 30 Zivilisten ums Leben
gekommen waren und 19 verletzt Medienberichten zufolge haben
wurden. Der Sprecher der ameri- die US-Streitkräfte in Afghanikanischen Streitkräfte in Afghani- stan in diesem Jahr rund 700 Luftstan, General Charles Cleveland, angriffe auf Stellungen der Talihatte damals mitgeteilt, die Verei- ban sowie des "Islamischen
nigten Staaten hätten einen Luft- Staats" (IS) geflogen, wobei sich
schlag zum Schutz einer unter Be- Meldungen über zivile Opfer häuSa, 12. November 2016
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fen. Verluste bei Bodenkämpfen
betreffen fast ausnahmslos die afghanischen Soldaten, von denen
zwischen Januar und Mitte August nicht weniger als 5523 getötet und weitere 9665 verwundet
wurden, wie aus einem Bericht
des US-Generalinspekteurs für
den Wiederaufbau Afghanistans,
John Sopko, hervorgeht. Nachdem im gesamten Jahr 2015 etwa
5000 afghanische Soldaten getötet worden waren, ist dies eine
deutlich höhere Opferzahl. Die
Zahl getöteter Kriegsgegner ist
nicht bekannt, hat die Okkupationstruppen und westlichen Kommentatoren aber auch noch nie
sonderlich interessiert, sofern es
nicht gerade galt, angebliche Erfolge im Einzelfall hervorzuheben.
Die Leiden der Zivilbevölkerung
sind immens und deren Lage ist
schlimmer denn je. Seit Januar
starben nach UN-Angaben etwa
2500 Zivilisten bei Anschlägen,
Überfällen oder Gefechten der Islamisten mit Soldaten, 5800 wurden verletzt. 245.000 Afghanen
hätten wegen der Gewalt aus ihren Heimatorten in andere Regionen des Landes fliehen müssen.
Zudem seien 225.000 der etwa
2,5 Millionen Afghanen, die als
Flüchtlinge im Nachbarland Pakistan lebten, zur Rückkehr in ihr
Heimatland gedrängt worden.
Derzeit stehen nur noch etwa 63
Prozent des Landes unter Kontrolle der Regierungstruppen, so
daß die Islamisten 15 Jahre nach
der US-Invasion ihren Einflußbereich soweit ausgedehnt haben
wie seit 2001 nicht mehr. [3]
Ist Afghanistan ein Land, in das
man Flüchtlinge guten Gewissens
abschieben oder zur Rückkehr
nötigen kann? Die Europäische
Seite 9
Elektronische Zeitung Schattenblick
Union und die Bundesregierung
meinen ja, haben sie doch Kabul
vor und auf der Afghanistankonferenz in Brüssel einen Handel
Geld gegen Menschen abgepreßt.
Ein Milliardenprogramm, ohne
das die Zentralregierung nicht
überleben könnte, ist de facto mit
der Auflage gekoppelt, daß schätzungsweise 80.000 der rund
200.000 afghanischen Flüchtlinge, die 2015 in die EU gekommen
sind, rückgeführt werden sollen,
wie es im vor sprachlich verklausulierten Grausamkeiten strotzenden Amtsdeutsch heißt. Damit alles mit rechten Dingen zugehe,
will man lediglich die "irreguläre
Einwanderung verhindern" und
nach Europa eingereiste Afghanen ohne Aussicht auf Asyl auf
"schnellem, wirksamem und
handhabbarem" Wege eine "reibungslose, würdevolle und geordnete" Rückkehr in ihre Heimat
gewähren. [4]
Bundesinnenminister Thomas de
Maizière sieht das offenbar ganz
anders, behauptet er doch, es gebe dort auch sichere Regionen, in
denen Rückkehrer angesiedelt
werden könnten. "Gemeinsam
mit ihren afghanischen Kolleginnen und Kollegen bemühen sich
deutsche Soldaten und Polizisten
tagtäglich um mehr Sicherheit in
Afghanistan. Gleichzeitig verlassen junge Afghaninnen und Afghanen ihr Land und suchen in
Europa nach einer besseren Zukunft. Das verkraftet dieses Land
nicht. Das geht nicht." Den Vogel
an absurden Behauptungen
schießt der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger ab:
Weil ein Teil Afghanistans von
deutschen Truppen geschützt
werde, gebe es "keinen nachvollziehbaren Grund, dass die Menschen von dort fliehen und nach
Deutschland kommen". Aus seiner Sicht ist es daher folgerichtig,
daß nur etwa 50 Prozent der aus
Was es mit dem angeblich irregu- Afghanistan Geflüchteten positilären Aufenthalt dieser Menschen ve Asylbescheide erhalten. [5]
hierzulande auf sich hat, machte
jüngst eine Antwort der Bundes- Würden deutsche Politiker vom
regierung auf eine schriftliche Schlage de Maizières und StrauAnfrage des Bundestagsabgeord- bingers den Schutzfaktor deutneten Volker Beck deutlich: Im- scher Soldaten und Polizisten
mer weniger Flüchtlinge aus Af- nach dem jüngsten Anschlag auf
ghanistan erhalten Schutz in das Generalkonsulat in Masar-iDeutschland, obwohl sie nach Scharif neu und anders bewerten?
Auffassung der UN unter die Wohl kaum, geht es der BundesGenfer Flüchtlingskonvention regierung doch am allerwenigsten
fallen. So wird jeder zweite An- um eine realitätskonforme Dartrag männlicher Asylbewerber ab- stellung der Verhältnisse in Afgelehnt, obgleich diese laut UN- ghanistan. Wie schon beim AnFlüchtlingshilfswerk als beson- griffskrieg und dem Besatzungsders gefährdet gelten. Männern regime am Hindukusch will man
im wehrfähigen Alter droht oft- auch in der Flüchtlingspolitik
mals die Zwangsrekrutierung weltweit Verantwortung übernehdurch die Taliban oder den IS, so men, wie es die Kanzlerin oder
daß man zweifellos von einer po- der Bundespräsident so gern auslitischen Verfolgung sprechen drücken, und das soll auch in diekann, die auch Minderjährige be- sem Fall heißen: Deutsches Blut
trifft.
ist dicker als afghanisches.
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Anmerkungen:
[1] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-talibanbekennen-sich-zu-anschlag-aufkonsulat-14522825.html
[2] http://www.dw.com/de/krisenstab-tagt-nach-taliban-attacke-auf-deutsches-konsulat-inmasar-i-scharif/a-36354308
[3] http://www.dw.com/de/mehrals-5000-afghanische-soldatengetötet/a-36205735
[4] http://www.tagesschau.de/ausland/afghanistanfluechtlinge-abschiebung101.html
[5] http://www.tagesspiegel.de/politik/afghanische-fluechtlingeasyl-politisch-nichtgewuenscht/14507730.html
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/kommen/
volk1669.html
SCHACH - SPHINX
Das blinde Auge der Medien
Im Schatten des Meraner
Weltmeisterschaftskampfes zwischen Anatoli Karpow und seinem Herausforderer Viktor Kortschnoj fand ein weiteres Schachgroßereignis statt, das jedoch,
weil Frauen sich offenbar nur als
leichtbekleidete Nymphen aufTitelseiten zu eignen scheinen, hinter dem Männerspektakel fast zur
Bedeutungslosigkeit verschwand.
Dabei wurde in Tiflis die Damenweltmeisterschaft zwischen der
19jährigen Titelverteidigerin Ma(SB) ­
Sa, 12. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
ja Tschiburdanidse und ihrer georgischen "Landsmännin" - man
fühlt sich bei -männin in Lutherische Sprachverunglückungen zurückversetzt - Nana Alexandria
ausgetragen. An Spannung und
Schärfe blieb der Damenwettkampf dem Männergespann Karpow- Kortschnoj nichts schuldig.
Ja, das Duell der Damen verlief
gar um eine Spur härter. Bis zuletzt mußte Tschiburdanidse all
ihr junges Talent aufbieten, um
ihre Krone bei 16 gespielten Partien äußerst knapp mit 8:8 zu behaupten. Die Geringschätzung
ließ sich auch bei der Bewertung
der Remispartien ablesen. Werden bei Männerweltmeisterschaften Unentschieden als würdelos
empfunden und daher nicht mitgezählt, so scheinen bei den Damen "halbe" Punkte nichts Ehrenrühriges zu sein. Während in Meran Männerhirne gegeneinanderstritten und sich die Rivalität der
beiden Akteure medienwirksam
se mit Weiß einen deutlichen
Endspielvorteil, den zu verdichten ihr keine große Mühe bereitete. Also, Wanderer, Vorurteile gehören in den Weltraum geschossen!
Auflösung des letzten
Sphinx­Rätsels:
Tschiburdanidse - Alexandria
Tiflis 1981
aufbauschen ließ, ging es in Tiflis
wohl zu sittsam zu, als daß die
westliche Presse sich zu mehr
herabließ als einer Randnotiz.
Hätte Tschiburdanidse, um Aufsehen zu erregen, ihrer Kontrahentin vielleicht die Augen auskratzen sollen? Das heutige Rätsel der
Sphinx stammt aus der neunten
Wettkampfpartie. Dank ihres
Läuferpaars besaß Tchiburdanid-
Anatoli Karpow machte dem
planlosen Spiel seines Herausforderers Kortschnoj ein rasches Ende: 1...Dd7-b5 2.Td1-d2 e6-e5!
3.f4xe5 Td5xe5 4.Da3-a1 Db5-e8
5.d4xe5 Td8xd2 6.Ta4xa5 De8-c6
7.Ta5-a8+ Kg8-h7 8.Da1- b1+
g7-g6 9.Db1-f1 Dc6-c5+ 10.Kg1h1 Dc5-d5+ und wegen des Damenverlustes nach 11.Kh1-g1
Td2-d1 gab Kortschnoj sofort
auf
http://www.schattenblick.de/
infopool/schach/schach/
sph06016.html.
POLITIK / FAKTEN / AUSSEN
poonal ­ Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
Chile
Wir dokumentieren: Bundestagsdelegation besucht erstmals die Colonia Dignidad
vom Forschungs­ und Dokumentationszentrum Chile­Lateinamerika
(Parral, Chile, 3. November 2016,
fdcl) ­ Sieben Mitglieder des Bun-
destagsausschusses für Recht und
Verbraucherschutz haben am
Mittwoch, 2. November die Colonia Dignidad in Chile besucht. Die
von der Ausschussvorsitzenden
Renate Künast geleitete Delegation gedachte den vermutlich über
Sa, 12. November 2016
hundert chilenischen Widerständler*innen, die dort während der
Pinochet-Diktatur von deutschen
Siedlern und chilenischen Militärs
ermordet wurden. Danach führten
sie Gespräche mit Mitgliedern der
chilenischen Angehörigenverbände, sowie mit deutschen Opfern
der Siedlung. Es war das erste Mal
www.schattenblick.de
nach der Festnahme des inzwischen verstorbenen Sektenführers
Paul Schäfer im Jahr 2005, dass
eine Delegation des deutschen
Bundestages die Siedlung besucht. Dort wurden fast ein halbes Jahrhundert hindurch schwerste Menschenrechtsverletzungen
begangen.
Seite 11
Elektronische Zeitung Schattenblick
Bundesaußenminister Steinmeier
hatte in einer Rede im vergangenen April eingeräumt, dass der
Umgang mit der Colonia Dignidad "kein Ruhmesblatt" in der
Geschichte des Auswärtigen Amtes sei. Deutsche Diplomaten hätten dort jahrzehntelang "bestenfalls weggeschaut". Der Besuch
der Abgeordneten sollte nun als
Informationsbasis für die Erarbeitung von Vorschlägen für konkrete deutsch-chilenische Aufarbeitungsmaßnahmen dienen.
Colonia Dignidad
"kein Ruhmesblatt"
Die Abgeordnetendelegation war
bereits auf der Busreise zur Siedlung von dem Opferanwalt Winfried Hempel über die derzeitige
Situation der Siedlung informiert
worden. Zum Auftakt des Besuches fand eine Gedenkzeremonie
in einem Waldstück innerhalb des
Siedlungsgeländes statt, wo ein
chilenischer Ermittlungsrichter im
Jahr 2006 Massengräber gefunden
hatte. Dort waren dutzende politische Gefangene nach ihrer Hinrichtung verscharrt worden.
In Anwesenheit von drei Vertreterinnen der Angehörigenorganisation der Verschwundenen
(AFDD) legten die Abgeordneten
weiße Rosen zu den Fotos der
Verschwundenen am Rand des
Massengrabes. Die Vorsitzende
der AFDD der nahegelegenen
Stadt Talca, Myrna Troncoso,
sprach in ihrer Rede von einem
"historischen Moment", da zum
ersten Mal hochrangige deutsche
Politiker*innen den chilenischen
Opfern der Deutschensiedlung
gedachten. Sie forderte die Abgeordneten dazu auf, sich nach ihrer
Rückkehr für bilaterale AufarbeiSeite 12
tungsmaßnahmen einzusetzen.
Besonders wichtig seien eine Beschleunigung der strafrechtlichen
Untersuchungen seitens der deutschen und chilenischen Justiz, ein
Ende des Folkloretourismus in
der Siedlung sowie die Errichtung
eines Gedenkortes.
Im Anschluss an die Zeremonie
besuchten die Abgeordneten im
Beisein von Opfervertretern verschiedene Orte innerhalb der
Siedlung. Darunter waren das
Siedlungskrankenhaus, in dem
Sektenmitglieder misshandelt
wurden und der Kartoffelkeller, in
dem chilenische Gefangene verhört und gefoltert wurden. Nach
verschiedenen Gesprächen in der
Colonia Dignidad traf die Delegation am Abend in Talca erneut mit
Vertreter*innen der Angehörigen
der Verschwundenen zusammen.
sammentreffen, sowie das Menschenrechtsmuseum Museo de la
Memoria besuchen.
URL des Artikels:
https://www.npla.de/poonal/wirdokumentieren-bundestagsdelegation-besucht-erstmals-die-colonia-dignidad/
Der Text ist lizenziert unter Creative Commons NamensnennungWeitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/
Quelle:
*
poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
Herausgeber: Nachrichtenpool
Lateinamerika e.V.
Köpenicker Straße 187/188,
10997 Berlin
Nach Abschluss des Besuches Telefon: 030/789 913 61
zeigte sich Renate Künast von E-Mail: [email protected]
dem Austausch mit Opfervertre- Internet: http://www.npla.de
tern sehr bewegt. Am folgenden
Tag wollte die Delegation in San- http://www.schattenblick.de/
tiago de Chile mit politischen
infopool/politik/fakten/
Entscheidungsträger*innen zupfaus570.html
POLITIK / AUSLAND / LATEINAMERIKA
poonal ­ Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen
El Salvador: Ex-Präsident Saca verhaftet
von João Flores da Cunha
(San Salvador, 9. November 2016,
ihu on­line) ­ Der Ex-Präsident El
Salvadors, Elías Antonio Saca,
sitzt wegen Korruptionsverdachts
in Haft. Er wurde am 30. Oktober
während der Hochzeit seines Sohwww.schattenblick.de
nes festgenommen. "Tony" Saca
war von 2004-2009 Präsident des
Landes für die konservative Partei ARENA (Alianza Republicana
Nacionalista). Saca wird beschuldigt, öffentliche Gelder verunSa, 12. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Antonio Saca, 2007
By Michael Gross
(State Department employee)
[Public domain],
via Wikimedia Commons
treut zu haben. Mit ihm wurden
weitere sechs Funktionäre seiner
Administration festgenommen.
Die mutmaßliche Taktik der Veruntreuung wurde während der Ermittlungen gegen Elmer Charlaix
aufgedeckt. Charlaix war Generalsekretär von Saca und stellte
sich nach dessen Verhaftung den URL des Artikels:
Justizbehörden.
https://www.npla.de/poonal/expraesident-saca-verhaftet/
Generalstaatsanwalt
Douglas
Meléndez, der zugleich Innenmini- Der Text ist lizenziert unter Creaster ist, beschuldigt die Politiker, ei- tive Commons Namensnennungnem Netzwerk illegaler Bereiche- Weitergabe unter gleichen Bedinrung und der Geldwäsche anzuge- gungen 4.0 international.
hören. Seinen Angaben zufolge ha- https://creativecommons.org/libe Antonio Saca 246 Millionen Dol- censes/by-sa/4.0/
lar öffentlicher Gelder veruntreut;
dieses Geld sei dann unter Funktio*
nären seiner Regierung über deren
Privatkonten verteilt worden.
Quelle:
Der Amtsnachfolger von Saca poonal - Pressedienst lateinamewar Mauricio Funes, der El Sal- rikanischer Nachrichtenagenturen
vador von 2009 bis 2014 regierte. Herausgeber: Nachrichtenpool
Funes war für die linksgerichtete Lateinamerika e.V.
FMLN (Frente Farabundo Martí Köpenicker Straße 187/188,
para la Liberación Nacional) im 10997 Berlin
Amt, die auch jetzt noch das Land Telefon: 030/789 913 61
regiert. Auch gegen Funes wird E-Mail: [email protected]
wegen illegaler Bereicherung er- Internet: http://www.npla.de
mittelt. Allerdings muss dieser
zur Zeit nicht befürchten, verhaf- http://www.schattenblick.de/
tet zu werden: Er flüchtete nach
infopool/politik/ausland/
Nicaragua und erhielt dort politipala1641.html
sches Asyl von Nicaraguas Präsident Daniel Ortega.
BUCH / ROMANE / REZENSION
Wédōra - Staub und Blut
von Markus Heitz
(SB) ­ Mit "Wédōra" hat es Markus
Heitz im Vergleich zu seinem letzten Roman ("Exkarnation. Seelensterben") zumindest anfänglich
verstanden, einen dichten, detailreichen, aber nicht überladenen
Roman zu schreiben. Die Handlung spielt in einer Art altertümlichem Arabien, das er mit FantasySa, 12. November 2016
Markus Heitz
-
Wédōra Staub und Blut
Droemer Knaur Verlag, München
2016
607 Seiten
€ 16,99
ISBN 978­3­426­65403­3
lunke Liothan und die Gesetzeshüterin Tomeija aus ihrer Welt einem dichtbewaldeten, mittelalterlichen Ort - herausgerissen und
in eine Wüstenlandschaft katapultiert, wo sie sofort den wildesten Gefahren ausgesetzt sind.
Durch das Wirken des Hexers Rettung vor dem sicheren HitzeDûrus werden der gutherzige Ha- tod bietet nur die Stadt Wédōra,
Elementen wie dinosaurierartigen
Reittieren oder wurmartigen Monstern angereichert hat. Moderne
oder sogar futuristische Medizintechniken haben darin ebenso ihren Platz wie Zauberei.
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Seite 13
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deren hoher Turm aus der Entfernung erkennbar ist. Die beiden
machen sich dorthin auf den Weg,
werden von einer Karawane aufgenommen und haben fortan nur
noch einen Wunsch: irgendwie
wieder nach Hause zurückzukehren, um den bösen Hexer zur Verantwortung zu ziehen.
Der wollte eigentlich nur seine
Ruhe haben, ist selbst einmal aus
politischen Gründen aus dem
Wüstenland geflohen und hat sich
in der Baronie Walfor den Ruf eines gewissenlosen Händlers erworben. Dûrus war wenig erfreut,
als Liothan bei ihm eingebrochen
ist. Nach Robin-Hood-Manier
wollte der forsche Räuber bei ihm
ein wenig Gerechtigkeit walten
lassen. Durch die falsche Einschätzung der Gefährlichkeit seines Opfers - dabei hat Tomeija ihn
noch ausdrücklich gewarnt - hat
Liothans Familie Entsetzliches zu
erleiden. Doch davon erfährt Liothan nichts. Beseelt von dem Verlangen, zu seiner geliebten Frau
und seinen beiden Kindern zurückzukehren, sucht er in Wédōra
verzweifelt nach einem Rückweg
und ist dafür bereit, sich den unheimlichsten Gefahren zu stellen
und sogar auf Zauberei einzulassen.
Auch Tomeija, die noch junge
Witwe eines Schwertkämpfers,
eine Meisterin des Kampfes und
Trägerin eines verfluchten Henkersschwerts, hat einiges durchzustehen, bis sie ihren Jugendfreund Liothan, von dem sie in
Wédōra getrennt wird, am Ende
wiederfindet.
Zu Beginn der Geschichte betritt
man jedoch eine Stadt, deren seltsam makellose Kulisse verwundert. Die im aufklappbaren BuchSeite 14
deckel vorangestellte Stadtkarte
zeigt einen reißbrettartig angelegten, achteckigen Plan, der mehr
durch seine Symmetrie besticht,
als auf Zweckmäßigkeit schließen
läßt. Die von mehreren Wällen
zackenförmig umgebene Kernstadt ist in neun Viertel eingeteilt.
An das quadratische Prachtviertel
in der Mitte grenzen je zwei Quadrate für reiche und einfache Bürger. Eines der vier restlichen
Dreieck-Flächen, die nötig sind,
um das Achteck aufzufüllen, ist
ebenfalls für Reiche reserviert,
ein anderes nennt sich Vergnügungsviertel und in den zwei verbliebenen sind die Armen und die
Kranken angesiedelt. Daß die Armen nur so wenig Platz beanspruchen, soll vielleicht den Schluß
nahelegen, daß es den Menschen
in Wédōra gut geht. Da es Sklaven gibt, muß man zumindest davon ausgehen, daß humanistische
Werte keine Gültigkeit besitzen.
Markus Heitz zerschlägt das
scheinbar heile Bild vermutlich
nicht aus diesem Grund immer
wieder durch schonungslose
Grausamkeit, sondern weil er sich
gern genüßlich den Folgen der
übrigens gekonnt beschriebenen
Kampfszenen hingibt und es nicht
lassen kann, den Leser mit aus
aufgeschlitzten Bäuchen herausquellenden, schleimig rosafarbenen Darmschlingen zu 'unterhalten', in die ihr Besitzer zu allem
Überfluß auch noch selbst hineinstürzt. Auch die detailliert geschilderte Schlachtung und der
anschließende Verzehr eines
Menschen ist nichts für ein zartes
Gemüt, das gerade noch die fast
schon sphärisch anmutende, makellose Pracht und Schönheit der
Stadt genossen hat. Möglicherweise sind solche brutalen Einschnitte nötig, um den Leser aus
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der allzu schönen Welt zu reißen.
Das gelingt dem Autor auch dadurch, indem er schonungslos
Sympathieträger über die Klinge
springen läßt.
Doch ein rundes, abgeschlossenes
Bild, eine Handlung, die von ausgereiften Charakteren und durchdachtem Hintergrund belebt wird,
bietet dieser Roman nicht. Es ist
eher unbefriedigend, daß sich die
Handlung des Romans darin erschöpft, daß die beiden Protagonisten sich gegenseitig suchen
und nicht zusammenkommen,
obwohl es ganz leicht möglich
gewesen wäre.
Als Markus Heitz seinen Roman
"Wédōra" auf der Leipziger
Buchmesse vorstellte, hatte er ihn
offenbar noch nicht zu Ende geschrieben. Intrigante Stadthalter,
ein rätselhafter Herrscher und
Wüstenvölker, die die Stadt unbedingt vernichten wollen, weil sie
auf einer ihnen heiligen Quelle
erbaut worden ist, hätten eine
Rolle spielen sollen. Doch all das
findet in der Handlung kaum Erwähnung.
Der Leser lernt die Völker, die
Wédōra vernichten wollen, genauso wenig kennen, wie er etwas
über die heilige Quelle erfährt, die
die Ursache für die Feindschaft
darstellt, welche die Wüstenvölker antreibt. Man hat das Gefühl,
das ganze Geschehen nur von außen zu sehen, möchte jedoch wissen, wie haben diese Völker dort
früher gelebt? Aufwelche Art und
Weise haben sie die Quelle genutzt? Was bedeutete sie ihnen?
Was stattdessen mitgeteilt wird,
sind bildhafte Eindrücke. Wenn
man als Leser an der Seite Liothans durch die verschiedenen
Sa, 12. November 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Viertel Wédōras geht, sieht man
nur Fassaden, als bewege man
sich durch ein Potemkinsches
Dorf. Dieses Wédōra hat kein
Eigenleben. Man kommt sich als
Leser wie eine Spielfigur vor, die
von Feld zu Feld gesetzt wird.
Was wahrscheinlich auch nicht
verwunderlich ist, wenn man davon ausgeht, daß die Idee zu
Wédōra in der 20 Jahre zurückliegenden Rollenspiel-Zeit des
Autors geboren wurde.
Während man in den ersten Kapiteln noch das Gefühl hat, daß
dieser Roman gut durchdacht
und stimmig ist - Liothans Aufenthalt im Gefängnis bis zu dem
Moment, an dem er als Sklave
verkauft wird, ist lebendig und
spannend geschrieben - ist dem
Autor späterhin offenbar der
Atem ausgegangen. Dann gibt es
nur noch Hin- und Hergehetze,
Kämpfe, einen Verschwörungsplan ohne Hand und Fuß, der
darauf abzielt, den Herrscher zu
stürzen, wobei die Notwendigkeit dessen nicht hinreichend erläutert wird. Dann schließlich
die Verschwörung hinter der
Verschwörung, als klar wird, daß
die selbsternannten Befreier jener Menschen, die angeblich unter der Knute des Herrschers zu
leiden haben, sich in Wirklichkeit als Handlanger anderer
Mächte entpuppen, die die Stadt
erobern wollen.
Die Kampfszenen sind zu Anfang
so ausführlich beschrieben, daß
sie gut nachvollziehbar sind, aber
bei der x-ten Wiederholung wird's
langweilig. Diesem Umstand versucht der Autor mit Splatter-Absurditäten entgegenzuwirken.
Daß ein ganzes Laboratorium allein dadurch explodieren kann,
Sa, 12. November 2016
weil sich ein geworfenes Durcheinander und schmiegte
Schwert dorthin verirrt, mag sich an sie, wollte mit ihr ab­
vielleicht noch angehen, aber wärtstanzen und sich an sie
daß die Eingeweide eines aufge- drücken. Die halb verwesten
schlitzten Opfers explodieren Finger verfingen sich an ihrem
oder ein abgetrennter Kopf vom Gürtel.
Wüstensand abprallt wie ein (S. 362­363)
Gummiball, ist nicht nachzuvollziehen und dient wohl eher In den Verwesungsturm werden
der Effekthascherei.
nicht nur die Toten geworfen,
sondern dort hausen auch die
Auch Tomeijas 'Ausflug' in den Weggeworfenen - Alte, Frauen,
Verwesungsturm ist an ekelhaf- Kinder, die eitrige Verletzungen
ten Absurditäten nicht zu über- haben. Sie wurden irrtümlich
bieten. Solche Darstellungen oder absichtlich zu Leichen ermachen leider die Parallelen zur klärt, damit sie in der Totensee
Wirklichkeit zunichte, die Mar- sterben. Doch einige haben
kus Heitz durchaus im Hinter- überlebt. Sie ernähren sich vom
kopf gehabt haben könnte. So Fleisch der Toten, deren Blut und
wird Menschen- und Organhan- andere Flüssigkeiten als Wassedel bzw. -raub betrieben und ein rersatz herhalten müssen.
schonungsloser Fingerzeig auf
solche der Realität zuzurechnen- Von einer dort dahinvegetierenden Zustände sind ein begrü- den Frau erfährt Tomeija, daß
ßenswerter Ausflug in ein aktu- Dyar-Corron, der Stadthalter des
elles Thema. Aber wie soll man Kranken-Viertels, Kindern, die
solche Hinweise ernst nehmen, Heilung suchen, Organe raubt
wenn sie mit Folgendem ver- und sie den wohlhabenden Bequickt werden:
wohnern verkauft. Tomeija hatte
den 'Heiler' im Krankenviertel
Tomeija stürzte an den rauhen bereits belauscht, als er mit einer
Wänden vorbei und landete seit­ Kundin sprach:
lich auf einem weichen, matschi­
gen Berg, der sogleich unter ihr
nachgab. Leise schmatzend bra­
chen zersetzende Körper um sie
herum auf, beißender Gestank
hüllte sie ein. Leichenflüssigkei­
ten sprühten gegen sie und be­
netzten sie mit stinkenden Tröpf­
chen.
Tomeija presste die Lippen zu­
sammen, um nichts davon in den
Mund zu bekommen. Sie machte
sich klein und rollte abwärts,
durch knackende Gebeine und
modernde menschliche Überre­
ste, die sich zu verschieden ho­
hen Hügeln aufgetürmt hatten.
Ein Torso, weich und mit grünli­
chem Fleisch, löste sich aus dem
www.schattenblick.de
»Beruhige dich. Es wird nicht
mehr lange dauern, und das
Schicksal bringt mir jene Leiche,
die dein neues Herz in sich trägt.
Ich werde das alte austauschen,
das seine Schläge getan hat, wie
die anderen zuvor. Das fünfte
hält länger durch als die übri­
gen. Sei dankbar dafür.«
Auch in Wédōra müssen Herzen
noch schlagen, um ausgetauscht
werden zu können, selbst wenn
die Heiler so tun, als entnähmen
sie sie nur von Toten. Ein Eindruck, der übrigens auch von den
Ärzten in unserer Welt geweckt
wird. [1] Solche Vergleiche verSeite 15
Elektronische Zeitung Schattenblick
bieten sich eigentlich der Ernst- __I n h a l t______Ausgabe 2006 / Samstag, den 12. November 2016__
haftigkeit des Themas wegen.
Leider kommt einem dieser Roman, wenn man ihn zu Ende gelesen hat, wie ein schlecht gemachter Comic vor. Es gibt etliche Einzelbilder, die man betrachten kann, aber sie erzählen
keine Geschichte, sie haben kein
Leben. Bei einem guten Comic
entsteht die Geschichte zwischen
den Bildern im Kopf des Betrachters. Aber bei "Wédōra" können
nicht einmal die vielen Worte eine fesselnde Geschichte erzählen.
Anmerkung:
1 EDITORIAL: Prognose
1 MEDIZIN - REPORT: Vorratstherapeutikum Antibiotika - So heiß wird die Suppe
nicht verzehrt ... Prof. Dr. med. Ansgar W. Lohse im Gespräch
5 REDAKTION: Afghanistans Taliban fordern US-Truppenabzug von Trump
6 KOMMENTAR: Noch einwilligungsfähig, aber schon abgeschrieben ...
8 POLITIK - KOMMENTAR: Ist deutsches Blut dicker als afghanisches?
10 SCHACH-SPHINX: Das blinde Auge der Medien
11 POLITIK - FAKTEN: Bundestagsdelegation besucht erstmals
die Colonia Dignidad in Chile (poonal)
12 POLITIK - AUSLAND: El Salvador - Ex-Präsident Saca verhaftet (poonal)
13 BUCH - ROMANE: Markus Heitz - Wédōra. Staub und Blut (Fantasy)
16 DIENSTE - WETTER: Und morgen, den 12. November 2016
DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN
Und morgen, den 12. November 2016
+++ Vorhersage für den 12.11.2016 bis zum 13.11.2016 +++
[1] siehe im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → Bildung
und Kultur → Report
BERICHT/027: "Die Untoten" Transplantationsmystik - Wenigstens meine Organe sollen überleben... (SB)
Heut' nahe Frost,
die Temp'ratur.
Von Jean-Luc Post
zur Schlafzeittour.
http://www.schattenblick.de/
infopool/buch/romane/
buror155.html
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Sa, 12. November 2016