Neueste tagesaktuelle Berichte ... Interviews ... Kommentare ... Meinungen .... Textbeiträge ... Dokumente ... MA-Verlag E D IT O RIAL Elektronische Zeitung Schattenblick Samstag, 12. November 2016 Vorratstherapeutikum Antibiotika So heiß wird die Suppe nicht verzehrt ... Prof. Dr. med. Ansgar W. Lohse im Gespräch "Antibiotika Stumpfe Waffen?" Foto: © by Schattenblick Diskussionsveranstaltung auf Einladung des Zentrums für Strukturelle Systembiologie (CSSB) und der Akademie der Wissenschaften in Hamburg am 8. November 2016 im Lichthof des Altbaus der Staats und Universitätsbibliothek Hamburg Prognose Enttäuscht seid ihr von unse rem Unverstand, entsetzt über unsere Sprache, unvermeid lich getroffen von unserem Auftritt und unserer Kultur und es friert euch angesichts finsterer Ahnungen. Die Enge, in der ihr euch un serem Ansturm schlußendlich stellen müßt, habt ihr eurem Streben nach Schutz und Si cherheit zu verdanken. Spätestens dann werden wir euch mit unseren Indianer und Geistergeschichten die Zähne ziehen und die Leitun gen kappen, und wenn ihr wehrlos im Dunkeln steht und euch nicht mehr zurechtfin den könnt, geht für uns die Sonne auf. Redaktion Schattenblick dem nimmt das Problem, daß Antibiotika nicht mehr wirksam genug sind, eher zu als ab. So heißt es in einer aktuellen britischen Untersuchung vom Mai 2016, daß weltweit bis zum Jahr 2050 die Zahl der Menschen, die aufgrund (SB) 11. November 2016 Allein von Antibiotikaresistenz sterben, in der Europäischen Union verlie- von jährlich gegenwärtig 0,7 auf ren jährlich ca. 25.000 Menschen 10 Millionen steigen könnte. [2] aufgrund von Antibiotikaresistenz ihr Leben. Zu dieser Ein- Nicht zuletzt weil die Entwickschätzung kam das European lung neuer Medikamente mindeCentre for Disease Prevention stens zehn Jahre dauert, aber Erand Control (ECDC) und die Eu- reger schneller Resistenzen entropean Medicines Agency wickeln, als neue Mittel zur Ver(EMEA) in einer im Jahr 2009 fügung stehen, warnen Experten veröffentlichten Studie. [1] Seit- wie der Ökonom Jim O'Neill, Von links: Angela Grosse, Prof. Dr. med. Ansgar W. Lohse, Prof. Dr. rer. nat. Petra Dersch, Dr. Werner Lanthaler, Prof. Dr. rer. nat. Thomas Marlovits Foto: © 2016 by Schattenblick Elektronische Zeitung Schattenblick Leiter jener britischen Studie, vor einem "Rückfall ins Mittelalter", also in Verhältnisse vor Beginn der modernen Antibiotika-Ära. Er fordert Politik und Wirtschaft auf, wieder mehr Forschungen in Antibiotika zu stecken, anstatt sie aufzugeben, nur weil mit anderen Medikamenten höhere Profite zu erwirtschaften sind. Diese problematische Situation bot dem Zentrum für Strukturelle Systembiologie (CSSB) und der Akademie der Wissenschaften in Hamburg Anlaß für eine öffentliche Diskussionsveranstaltung, die mit dem Titel "Antibiotika - Stumpfe Waffen?" am 8. November 2016 im Lichthof des Altbaus der Staatsund Universitätsbibliothek Hamburg stattfand. Eingeladen waren Prof. Dr. med. Ansgar W. Lohse, Ärztlicher Direktor der I. Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Eppendorfund Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, Prof. Dr. rer. nat. Petra Dersch, Leiterin der Abteilung Molekulare Infektionsbiologie Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Dr. Werner Lanthaler, CEO der Evotec AG, und Prof. Dr. rer. nat. Thomas Marlovits, Stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Strukturelle Systembiologie (CSSB), Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und Deutsches ElektronenSynchrotron (DESY). Unter der Moderation der Hamburger Wissenschaftsjournalistin Angela Grosse diskutierten zunächst die vier Gäste, später dann auch mit Beteiligung des Publikums, Fragen rund um die Problematik der zunehmenden Antibiotikaresistenz, ihre Ursachen und mögliche Auswege aus der Situation. Dabei erkannte Prof. Lohse Seite 2 zwar an, daß die Antibiotikaresistenz ein Problem darstellt, aber er vertrat zugleich den Standpunkt, daß die Zahl von 25.000 Toten zu hoch gegriffen ist. Daß bei den Verstorbenen multiresistente Keime nachgewiesen wurden, bedeute nicht zwangsläufig, daß sie an diesem Keim verschieden sind. Die genaue Zahl zu ermitteln sei sehr, sehr schwierig. An diesem Abend wurde weder vom Podium noch Publikum eingewendet, was eigentlich hinlänglich bekannt ist. Die von Prof. Lohse in Frage gestellte Zahl von europaweit 25.000 Antibiotikaresistenztoten könnte sehr wohl zutreffen, obschon Personen nicht direkt an, sondern mit multiresistenten Keimen verschieden sind. Naheliegenderweise könnte man annehmen, daß sie von der Infektion so sehr geschwächt waren, daß sie an etwas anderem (Kreislaufversagen, Herzinfarkt, Schlaganfall, etc.) verstorben sind. Bedenkenswert war der Einwand Prof. Lohses dennoch. Denn als Konsequenz des Phänomens einer angeblich zunehmenden Antibiotikaresistenz, wovor zu warnen geradezu Kampagnencharakter angenommen hat, wird unter anderem diskutiert, die Vergabe der Mittel weiter als bisher einzuschränken, um sie in "Reserve" zu halten. Und das nicht etwa, weil sie möglicherweise schwerwiegende Nebenwirkungen zeigen könnten, sondern um die Resistenzentstehung möglichst lange hinauszuzögern. Von diesem Standpunkt aus würden die Mittel verknappt. Das liefe darauf hinaus, daß dann eine Infektion unter Umständen gar nicht, nicht mit dem wirksamsten Mittel oder nicht über die aus heutiger therawww.schattenblick.de peutischer Sicht notwendige Dauer behandelt wird, und die betreffende Person eigentlich vermeidbare Schmerzen leidet. Der Deutsche Ethikrat hat sein diesjähriges "Forum Bioethik" unter den Titel "Antibiotikaresistenz. Ethische Herausforderungen für Patienten und Ärzte" gestellt. Bereits die Ankündigung läßt ahnen, daß das Thema Antibiotikaresistenz mehr Konfliktpotential birgt, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Es geht nicht nur um die zunehmende Gefahr, daß die Waffe stumpf wird, wie an diesem Abend in Hamburg diskutiert, sondern auch um ethische Grenzbereiche berührende, bzw. gegebenenfalls verschiebende Problemlösungsvorschläge aus Politik und Medizin. Diskutiert werden sollen Fragen wie: "Was kann Menschen heute zugemutet werden, um Antibiotika für die Zukunft wirksam zu erhalten? Darf im Rahmen des verstärkten Infektionsschutzes in die Selbstbestimmung von Patienten und die Therapiefreiheit von Ärzten eingegriffen werden, und wenn ja, wie stark und mit welcher Begründung? Welche Auswirkungen auf das Arzt-Patienten-Verhältnis wären zu erwarten und akzeptabel, wenn es strikte Maßgaben zum Antibiotikagebrauch gäbe?" [3] Im Anschluß an die rund zweistündige Veranstaltung stellte sich Prof. Lohse dem Schattenblick für einige Nachfragen zu seinem Einwurf bei der Diskussion, weiteren Aspekten des Themas Antibiotika und zu guter Letzt einer grundlegenden ethischen Frage zur Verfügung. (Ein Bericht zu der gesamten Veranstaltung und ein Interview mit Prof. Marlovits sind in Vorbereitung.) Sa, 12. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Schattenblick (SB): Im Blätterwald ist es still geworden um Infektionskrankheiten wie Vogelgrippe, SARS und Schweinegrippe. Wurde die Gefahr einer Ausbreitung von Infektionskrankheiten von Tier auf Mensch überschätzt? Prof. Ansgar W. Lohse (AL): Nein, die Gefahr ist ohne Zweifel groß. Ebola zum Beispiel ist aller Wahrscheinlichkeit nach von Tier auf Mensch übertragen worden. Das Problem besteht darin, daß solche Ereignisse unvorhersehbar und unregelmäßig eintreten. Sie können morgen passieren oder erst wieder in fünf Jahren. Man weiß es nicht. Aber neue Erreger, auf die wir nicht so richtig eingestellt sind, werden wahrscheinlich über diesen Weg kommen. SB: Bei der Podiumsdiskussion hatten Sie die Zahl von rund 25.000 Toten europaweit pro Jahr aufgrund von Antibiotikaresistenz in Frage gestellt. Haben Sie dazu andere Einschätzungen oder wie kommen Sie darauf? Denn diejenigen, die solche Zahlen zusammengestellt und verbreitet haben, sind ja gewiß ebenfalls Experten auf diesem Gebiet. AL: Zunächst einmal sind solche Zahlen extrem schwer abzuschätzen. Ich habe darauf hingewiesen, daß es sehr viele Patienten gibt, die "mit", aber deswegen nicht zwangsläufig "an" einem multiresistenten Keim sterben. Es ist noch eine Rarität, daß jemand wirklich an einer Infektion mit einem durch Antibiotika nicht beherrschbaren Keim stirbt. Es trifft jedoch zu, daß wir es im Einzelfall schwerer haben, Infektionen zu behandeln. Dann müsSa, 12. November 2016 sen wir erst testen und häufiger das Antibiotikum wechseln, um das richtige zu finden. Das heißt, die Waffen sind nicht mehr ganz so scharf, wie sie einmal waren, aber sie sind auch nicht stumpf. SB: Kann man genauer bestimmen, welche Quellen für die Todesfälle durch Antibiotikaresistenz ursächlich sind? Da wäre zum Beispiel an Antibiotika zu denken, die vermehrt in der Tiermast verwendet werden. AL: Wenn überhaupt Personen daran sterben, dann sehr wenige. Die Tiermast produziert zwar multiresistente Keime, die werden aber nur extrem selten auf Menschen übertragen. Wir wissen zum Beispiel, daß Tierärzte, die in landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten, vermehrt MRSA-Träger [4] sind. Aber sie sind "Träger"! Es scheint nach wie vor eine Rarität zu sein, daß multiresistente Keime aus der Tierwelt auf den Menschen gelangt sind und diesen daraufhin krank gemacht haben. Es ist sicherlich zu begrüßen, wenn in der Tiermast weniger Antibiotika eingesetzt werden, aber das würde nicht das Problem der Antibiotikaresistenz lösen. hohe Quote an multiresistenten Keimen. SB: Tritt in ärmeren Ländern beispielsweise auf dem afrikanischen Kontinent das gleiche Phänomen auf? AL: Das Phänomen ist grundbiologisch und tritt deshalb weltweit auf. Es hängt jedoch sehr davon ab, wie viele Antibiotika überhaupt zur Verfügung stehen. Wenn diese in bestimmten Regionen der Welt nicht verfügbar sind, dann findet man dort auch praktisch keine resistenten Keime dagegen. In den Entwicklungsländern unterliegen die Antibiotika häufig gar nicht der Verschreibungspflicht, man kann sie auf dem freien Markt kaufen. Deswegen besteht die Gefahr, daß sie bei jeder Art von fieberhaften Erkrankungen angewendet werden, auch wenn es nur Viren sind. Das Phänomen der Resistenz ist also genauso vorhanden wie bei uns auch, in manchen Bereichen und für manche Antibiotika ist es sogar stärker ausgeprägt. SB: Stehen den Entwicklungsländern im Zweifelsfall die gleichen Antibiotika zur Verfügung oder sind sie insgesamt auf einem niedrigeren Stand als die wohlhaSB: Wie ist die Antibiotikaresi- benderen Länder? stenz in Deutschland im Vergleich zu seinen europäischen Nachbar- AL: Das ist alles eine Frage des Geldes, und die ärmeren Länder staaten entwickelt? haben weniger zur Verfügung als AL: Wir haben einen etwas bes- die reichen Länder. Andererseits seren als den mittleren Platz in der sind Antibiotika so billig gewor"Europaliga". Wir nehmen keinen den, daß hier die Diskrepanz zwiSpitzenplatz ein, aber sind noch schen ärmeren und reicheren lange nicht Schlußlicht. Die mei- Ländern nicht so groß ist zum sten Antibiotikaresistenzen sind Beispiel in der Krebstherapie. Ininsbesondere in Südosteuropa zu sofern haben auch die ärmeren finden; Griechenland beispiels- Länder zu sehr, sehr vielen Antiweise verzeichnet eine besonders biotika Zugang. Den haben die www.schattenblick.de Seite 3 Elektronische Zeitung Schattenblick Mittelschichten und wohlhabendere Leute dort selbst dann, wenn diese im allgemeinen Gesundheitssystem nicht allen zur Verfügung stehen. "Die Waffen sind nicht mehr ganz so scharf, wie sie einmal waren, aber sie sind auch nicht stumpf." (Prof. Dr. med. Ansgar W. Lohse, 8. November 2016, Hamburg) Foto: © 2016 by Schattenblick SB: Sehen Sie in der neuartigen Methode des CRISPR-Cas9, der sogenannten Gen-Schere, ein Potential, neue Antibiotika zu entwickeln oder auf irgendeine andere Weise die Zellabwehr gegen Erreger zu stärken? man deren Immundefekt therapieren könnte. Das wäre zwar nicht direkt für die Antibiotikaforschung relevant, aber für diese kleine Untergruppe kann die Methode tatsächlich im Sinne einer Gentherapie ein extrem wirksames Potential entwickeln. [1] http://ecdc.europa.eu/en/publications/Publications/0909_TER_The_Bacterial_Challenge_Time_to_React.pdf [2] https://amr-review.org/sites/default/files/160525_FiSB: Vor vier Jahren waren Sie nal%20paper_with%20cover.pdf als Co-Autor an einer Untersuchung mit dem Titel "Forschung [3] http://www.ethikrat.org/verum jeden Preis?" über die Aus- anstaltungen/forum-bioethik/anzeichnungen der Martini-Stif- tibiotikaresistenz tung zwischen 1939 bis 1949 beteiligt. [5] Wie schätzen Sie [4] MRSA, auch Krankenhausdas ein, wäre die Ärzteschaft keim genannt, ist das Akronym heute eher davor gefeit, sich ei- von Methicillin-resistenter Stanem ethisch ähnlich verwerfli- phylococcus aureus. Bakterien chen Ansinnen wie damals, der Art Staphylococcus aureus wenn es von der Politik an sie können gegen das Antibiotikum herangetragen würde, zu wider- Methicillin und viele andere Antibiotika resistent sein und lassen setzen? sich bei vielen gesunden MenAL: Den Bericht haben wir im schen auf der Haut nachweisen, "Hamburger Ärzteblatt" auf der ohne daß diese daran erkranken. Basis einer Doktorarbeit geschrieben. Ich halte es grund- [5] https://www.aerztekammersätzlich für einen Arzt und Wis- hamburg.org/files/aerztekamsenschaftler für wichtig, sich mer_hamburg/ueber_uns/hammit ethischen Fragen zu be- burger_aerzteblatt/arschäftigen. Da ich Kuratoriums- chiv/haeb2012/haevorsitzender der Martini-Stif- b_02_2012_neu.pdf tung bin, habe ich es für meine historische Pflicht gehalten, http://www.schattenblick.de/ infopool/medizin/report/ mich an der Arbeit über die m0ri0040.html Martini-Stiftung, die sich ihrem Erbe bisher nicht gestellt hat, zu beteiligen. Das war höchste Zeit. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Davor gefeit, sich ethisch moralisch falsch zu verhalten, ist keiner von uns, weder Liste der neuesten und tagesaktu eine Gruppe - ob Ärzteschaft ellen Nachrichten ... Kommentare Interviews ... Reportagen ... oder Journalisten -, noch ein In- ...Textbeiträge ... Dokumente ... dividuum. Tips und Veranstaltungen ... AL: Für die Antibiotikaforschung direkt sehe ich dafür keine Anwendung. Aber eine Anwendung könnte tatsächlich darin liegen, die Erregerabwehr zu stärken. Es könnte beispielsweise für Patienten, die bestimmte Immundefekte haben SB: Vielen Dank für das Geund gehäuft Antibiotika brau- spräch. chen, relevant werden, wenn Seite 4 Anmerkungen: www.schattenblick.de http://www.schattenblick.de/ infopool/infopool.html Sa, 12. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick POLITIK / REDAKTION / ASIEN Afghanistans Taliban fordern US-Truppenabzug von Trump Bundeswehr sieht sich durch Angriff in MasariScharif herausgefordert Überall auf der Welt reagiert man mit Staunen und Irritation auf den Überraschungssieg des republikanischen Baumagnaten und Fernsehstars Donald Trump über den demokratischen Politprofi Hillary Clinton bei der US-Präsidentenwahl am 8. November. In diplomatischen Kreisen stellt man sich nun auf den neuen und potentiell isolationistischen Kurs Trumps, der "Amerika wieder groß machen" will, ein. Für die afghanischen Taliban dagegen hat das Ergebnis des demokratischen Prozesses zur Ermittlung des Volkswillens in den USA nichts verändert. An Trump haben die Kampfgefährten des 2013 verstorbenen Mullah Mohammed Omar dieselbe Botschaft wie zuvor an seine Vorgänger George W. Bush und Barack Obama gerichtet und ihre Kernforderung nach dem Abzug aller fremdländischen Streitkräfte aus Afghanistan wiederholt. Man kann davon ausgehen, daß sich Trump gegenüber der Aufforderung der Taliban genauso taub wie Bush jun. und Obama zeigen wird. Schließlich steht nach Ansicht Washingtons am Hindukusch die "Glaubwürdigkeit" der USA und der NATO auf dem Spiel. Der Truppenabzug käme einer Niederlage für die "westliche Wertegemeinschaft" gleich und sei deshalb inakzeptabel. Darum dürfte der längste Krieg in der Geschichte der USStreitkräfte, dessen Ende nicht absehbar ist, zum Leid der afghanischen Bevölkerung, dafür aber Sa, 12. November 2016 zur Freude der US-Rüstungsindu- Konferenz prominenter islamistrie einfach weitergehen. scher Geistlichkeiten zum Thema Afghanistan in Saudi-Arabien abIn einer Meldung der Nachrich- zuhalten, scharf zu kritisieren. tenagentur Reuters vom 9. No- Schließlich waren Saudi-Arabien, vember wurde die Mitteilung der Pakistan und die Vereinigten AraTaliban an Trump wie folgt wie- bischen Emirate die einzigen dergegeben: "Unsere Botschaft Staaten, die das 1996 von den Talautet, die Amerikaner sollten ei- liban nach der Einnahme Kabuls ne Politik verfolgen, welche an- ausgerufene Islamische Emirat dere Nationen nicht um die Unab- Afghanistan bis zu dessen geohängigkeit und Souveränität graphischem Untergang nach bringt. Am wichtigsten sei, daß dem Einmarsch amerikanischer sie alle ihre Truppen aus Afghani- Truppen im Herbst 2001 formal stan abziehen sollen." In der Ver- anerkannt hatten und mit ihm digangenheit haben die Taliban plomatische Beziehungen pflegmehrmals im Gegenzug angekün- ten. Jenes Emirat der Taliban exidigt, dafür zu sorgen, daß kein stiert heute nur noch virtuell. In "Terrorismus" von Afghanistan dessen Namen führen Talibanaus in andere Länder exportiert Gesandte hinter den Kulissen Gewerde, sowie auf ihr früheres spräche mit anderen Staaten. Nein zur Schulbildung für Mädchen und Frauen zu verzichten. In In einer Botschaft an die "edlen den letzten Jahren hat es mehrere Gelehrten der islamischen Welt" Anläufe gegeben, die Bedingun- haben die Taliban die geplante gen für Friedensverhandlungen Konferenz als kruden Versuch unter Teilnahme der Taliban, der Kabuls abgetan, die Erhebung geUSA, der Regierung von Präsi- gen die ausländischen "Aggressodent Ashraf Ghani in Kabul, Pa- ren" in Afghanistan zu delegitikistans und Chinas zu schaffen. mieren, und zum Boykott aufgeZuletzt sollen Vertreter der Tali- rufen. "Der verbrecherische Feind ban und der Obama-Regierung im will den dschihadistischen AufSeptember und Oktober in Doha stand der afghanischen Nation zu informellen Vorgesprächen zu- durch irreführende Propaganda, sammengetroffen sein, deren Er- psychologische Kriegsführung, gebnis, sofern es eins gegeben hinterhältige Komplotte, falsche hat, bis heute nicht bekannt ge- Fatwas und andere nicht-militäriworden ist. sche Taktiken wie Friedensprozesse bezwingen. ... Sie wollen Noch am Tag der US-Präsiden- den heiligen Dschihad in Afghatenwahl haben sich die Taliban im nistan, der auf der Schwelle des Internet zu Wort gemeldet, um Erfolgs steht, als ungesetzliches den Plan, demnächst eine große Blutvergießen, das gegen die www.schattenblick.de Seite 5 Elektronische Zeitung Schattenblick Scharia verstößt und den Begriff in einen "gesicherten Raum" Dschihad beschmutzt, brandmar- flüchten konnte, wurde anschließend auf einen rund zehn Kilomeken." ter von Masar-i-Scharif gelegeAuf die markigen Worte ließen nen Stützpunkt, auf dem 850 Soldie Taliban in der Nacht vom 10. daten der Bundeswehr sowie weiauf den 11. November Taten fol- tere 1000 aus anderen Staaten stagen, als sie mittels eines mit tioniert sind, gebracht. Sprengstoff gefüllten, von einem Selbstmordattentäter gelenkten In einer Bekennerbotschaft haben Fahrzeugs einen verheerenden die Taliban den Angriff als VerAnschlag auf das deutsche Kon- geltung für die Luftangriffe besulat in Masar-i-Scharif durch- zeichnet, die vor einer Woche führten. Die Bombe hat das Ge- mindestens 32 Bewohnern eines bäude sehr schwer beschädigt. In- Dorfes bei Kundus das Leben gefolge der Explosion und des an- kostet und und rund 70 weitere schließenden Feuergefechts zwi- schwer verletzt zurückgelassen schen weiteren Taliban-Kämpfern hatten. Wenige Stunden nach dem und Mitgliedern der afghanischen Überfall auf das deutsche KonsuSicherheitskräfte wurden minde- lat haben Bundeswehrsoldaten in stens vier Menschen getötet und Masar-i-Scharif zwei Männer, die 128 verletzt. Das Konsulatsperso- auf einem Motorrad unterwegs nal, das sich während des Angriffs waren und angeblich trotz Auffor- derung nicht zum Stehen gekommen waren, erschossen. Später stellte sich heraus, daß die beiden Toten keine Verbindung zu den Taliban hatten, sondern einfache Kellner in einem Restaurant in der nordafghanischen Stadt waren. Solche Vorfälle, die am laufenden Band passieren, lassen erkennen, wie schwierig bis unmöglich es für ausländische Soldaten in Afghanistan ist, zwischen Freund und Feind, zwischen Zivilisten und Kombattanten zu unterscheiden und warum eine militärische Lösung des Dauerproblems Afghanistan für die NATO illusorisch ist und bleiben wird. http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/redakt/ asie847.html POLITIK / KOMMENTAR / HERRSCHAFT Noch einwilligungsfähig, aber schon abgeschrieben und vergessen (SB) 11. November 2016 Jeman- dem eine Einwilligung zu einem Anliegen zu erteilen setzt ein solches voraus. In der heute mehrheitlich im Bundestag verabschiedeten Novellierung des Arzneimittelgesetzes ist davon die Rede, daß künftig auch klinische Studien an nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten möglich sein sollen, die keinen unmittelbaren Nutzen davon haben. Wenn also "die betroffene Person als einwilligungsfähige volljährige Person für den Fall ihrer Einwilligungsunfähigkeit schriftlich nach ärztlicher Aufklärung festgelegt hat, dass sie in bestimmte, zum ZeitSeite 6 punkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende gruppennützige klinische Prüfungen einwilligt" [1], so der Text des heute verabschiedeten Änderungsantrages zum bestehenden Arzneimittelgesetz, dann gibt sie den Ärzten, die in einem solchen Fall zu konsultieren sind, quasi einen Blankoscheck darauf, ihre körperliche Unversehrtheit in Gebrauch zu nehmen. Die Selbstbestimmung des Patienten wird in der modernen Medizin groß geschrieben, und zweifellos sind Patientenverfügungen zur Verhinderung von Maßnahwww.schattenblick.de men, die ansonsten in einem nicht mehr ansprechbaren Zustand getroffen werden könnten, ein Fortschritt in diese Richtung. Patientenautonomie wird gerade dann, wenn der Mensch sie nicht mehr aktiv durchsetzen kann, zu einem Rechtsanspruch, dessen Verläßlichkeit nicht gefährdet werden darf. Wird das Rechtsgut der Patientenverfügung allerdings eingesetzt, um der medizinischen Forschung eine "gruppennützige klinische Prüfung" auch an nichteinwilligungsfähigen Patienten zu ermöglichen, dann werden diese in einen fremdnützigen Gebrauch genommen, in dem der Sa, 12. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Nutzen zu Lasten der Autonomie republik aufgrund des großen Wider betroffenen Probanden abso- derstandes in der Bevölkerung lut gesetzt wird. bislang weder unterzeichnet noch ratifiziert wurde, erweckte der daWie "freiwillig" sich diese auch malige Bundesjustizminister Edimmer der medizinischen For- zard Schmidt-Jortzig 1998 den schung überantworten, so werden Eindruck, die Unterzeichnung sie doch als Adressaten eines sol- dieses völkerrechtlichen Vertrachen Anliegens in eine morali- ges würde sogar für mehr Patiensche Zwangslage gebracht. Dar- tenschutz sorgen: auf angesprochen, ob sie sich vielleicht zur Verfügung stellen Ich bin überzeugt, daß es angewollen, riskieren sie mit einer Ab- sichts der Vielfalt von Rechtslehnung, sich undankbar gegen- und Kulturtraditionen in Europa, über den bereits in Anspruch ge- gerade wegen der grenzübernommenen medizinischen Lei- schreitenden und wissenschaftlistungen zu zeigen, schlicht egoi- chen Zusammenarbeit im Bereich stisch zu sein oder sich dem an- von Biologie und Medizin auf eugeblich gemeinnützigen Fort- ropäischer Ebene, einheitliche, schritt der Medizin in den Weg zu rechtliche Standards braucht, um stellen. Indem ihnen im Zustand zu verhindern, daß derjenige einer Einwilligungsfähigkeit, die Standortvorteile ausnutzt, der in einem mutmaßlich desolaten ethische Maßstäbe niedrig anZustand leicht zu strapazieren setzt. und manipulieren ist, angetragen wird, eine Entscheidung für den Was unter dem Strich bei diesem zu diesem Zeitpunkt unauslotba- Argument bleibt, ist die Verbesseren Zustand der Nichteinwilli- rung deutscher Standortbedingungsfähigkeit zu treffen, werden gungen. Damals wie heute besteht sie einer Nötigung ausgesetzt, der Handlungsbedarf, weil andere eusie, solange sie für diesen morali- ropäische Staaten über eine libeschen Druck empfänglich sind, ralere Gesetzgebung für pharmanur auf dem einen Weg, der über kologische Forschung wie klinidie goldene Brücke eines altrui- schen Praxis verfügen. Im Zeitalstischen Beitrages zu einem nicht ter anwachsender Krisenkonkurminder abstrakten Gemeinwohl renz gilt um so mehr, was der heuführt, entkommen können. tige Kanzleramtschef und damalige Bundestagsabgeordnete Peter Dies zu konkretisieren bringt al- Altmaier den Kritikerinnen und lerdings nicht nur Wohltaten für Kritikern der Bioethikkonvention Demenzkranke hervor, sondern 1998 anlastete: auch das fundamentale Interesse der Bundesregierung an der Si- Die kardinale Schwäche in der cherung optimaler Standortbedin- Argumentation der Gegner eines gungen für die Pharmaindustrie. Beitritts zur Konvention besteht Als in den 1990er Jahren heftig meines Erachtens darin, daß sie über die Bioethikkonvention des keine Strategie haben, wie sie ihr Europarates debattiert wurde, die Ziel, die Erreichung eines höhedie fremdnützige Forschung an ren Schutzniveaus, europaweit nichteinwilligungsfähigen Patien- realisieren würden. Es wird keine ten erlaubt und von der Bundes- bessere Konvention geben. Es Sa, 12. November 2016 www.schattenblick.de wird im anderen Fall gar keine Konvention geben und der Rückzug in die geistige oder nationale Wagenburg hilft in der Tat nicht weiter. Die unselige Tradition medizinischer Menschenversuche insbesondere im NS-Staat zum Anlaß zu nehmen, der Forschungsfreiheit nicht unter allen Umständen den Zuschlag zu geben, war in der Bundesrepublik einst selbstverständlich. Im Zuge ihrer sogenannten Normalisierung und des Griffes nach neuer globale Macht ging nicht nur der Konsens, sich kriegerischer Aggression zu enthalten, über Bord. Wer in den vollen Genuß moderner "Anthropotechniken" gelangen will, muß die biomedizinische Verfügungsgewalt über die individuelle Leiblichkeit ebenso ausbauen wie andere Strategien der "inneren Landnahme" verfolgen. Dagegen Stellung zu beziehen hat mit den Wagenburgen kolonialistischer Siedler nichts zu tun, sondern ist notwendige Selbstverteidigung streitbarer Subjektivität in einer alles und jeden kommodifizierenden und verdinglichenden Welt. Zumindest die EU hätte, wäre ihre Selbstdarstellung als "Wertegemeinschaft" mehr als ein bloßer Treppenwitz der Geschichte, selbstverständlich die Möglichkeit, in ihrem Rahmen höhere Schutzstandards zu definieren und auch durchzusetzen. Schließlich werden Maßnahmen des Verbraucherschutzes wie etwa die Negativwerbung auf Zigarettenschachteln oder Normen des Umweltschutzes auf EU-Ebene beschlossen. Daß es in diesem Fall anders ist, hat nicht nur mit der vorherrschenden Tendenz zu tun, Formen der Liberalisierung, die Seite 7 Elektronische Zeitung Schattenblick der Kapitalverwertung nützen, wie von selbst durchzuwinken. Daß die Bundesregierung sich bei dieser Gesetzesänderung auf eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2014 beruft, die solche Forschungspraktiken legitimiert, aber auch restriktivere Ausnahmen ermöglicht, darf als billiger Vorwand dafür verstanden werden, das offen Zutageliegende nicht beim Namen zu nennen. Die Forschung an Demenzkranken mag auf den ersten Blick der Verhinderung dieses Altersleidens dienen. Zugleich wird mit ihr wie mit anderen ethisch prekären Interventionen in die menschliche Physis auf neurowissenschaftlichem Gebiet, in der Humangenetik, Transplantationsund Reproduktionsmedizin die Zurichtung des Menschen auf optimalere Funktionalität und Verwertbarkeit betrieben. Gerade die Behandlung chronischer degenerativer Erkrankungen wird als eminent wichtiger Kostenfaktor der betriebswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht nur des Gesundheitswesens, sondern aller dadurch geschädigten Wirtschaftsbereiche auf das Ziel weiterer Produktivitätsgewinne hin durchgerechnet. Nicht zuletzt spielt das Interesse der Auftraggeber dieser Forschung an einem längeren und schmerzfreieren Leben eine Rolle bei der großen Bereitschaft, prinzipielle Grenzziehungen medizinischer Ethik aufzuheben. So wird für die fremdnützige Forschung an nichteinwilligungsfähigen Demenzkranken auch heute vor allem das kleinere Übel in Rechnung gestellt. Wenn etwa der SPD-Politiker und Gesundheitsökonom Karl Lauterbach mit dem Seite 8 Argument für die Gesetzesänderung wirbt, daß damit eine in der klinischen Realität ohnehin längst praktizierte Form der Forschung legalisiert wird, dann wäre eigentlich zu fragen, warum nicht im ersten Schritt etwas gegen dieses Problem unternommen wird. Wenn der Kieler Medizinrechtler Sebastian Graf von Kielmansegg auf die bereits 2004 legalisierte gruppennützige Forschung an Minderjährigen verweist, um zu fragen, wieso demgegenüber die Forschung an nichteinwilligungsfähigen Patienten verboten bleiben sollte, dann wird lediglich der bereits erreichte Mißstand verallgemeinert. Zu behaupten, die Belastungen, die sich aus dieser Forschung ergeben, seien ohnehin minimal, geht zudem gezielt an der rechtlichen Notwendigkeit vorbei, prinzipielle Vorkehrungen individuellen Schutzes zu treffen, wo die Zukunft offen und die Gier groß ist. gung, mit dem Probanden ganz nach Erfordernis der Laboranordnung zu verfahren, produziert mithin fast einen Idealzustand medizinischer Wissensproduktion. Der die eigene Finalität antizipierende wie besiegelnde Akt, ja und amen zur weißen Fabrik zu sagen, gemahnt nicht von ungefähr an ein religiöses Ritual der Unterwerfung, das in der Hoffnung auf Erlösung von allem Übel, nicht zuletzt dem der eigenen Objektwerdung, bereitwillig vollzogen wird. Verbrauchende Forschung am Menschen hat Konjunktur, sind die dabei erzielten Ergebnisse doch weit zuverlässiger und aussagekräftiger als die von Tierversuchen. Daß deren Probanden per se "nichteinwilligungsfähig" seien, unterstreicht die aggressive Ignoranz des Begriffes. Nur wer sich wehrt, und das tun Tiere durchaus, wenn sie nicht sediert, betäubt, gefesselt und fixiert werden, hat eine Chance, nicht eingespeist zu werden in eine wissenschaftlich-technische Apparatur, die einer ganz eigenen Prozeßlogik meßbarer Verläufe und objektivierbarer Ergebnisse folgt. Was immer das Individuum im Nebel seiner Demenz ausmachen mag, kann da nur stören. Die noch vor dem Fallen des Vorhanges des Vergessens erteilte Ermächti- POLITIK / KOMMENTAR www.schattenblick.de Anmerkung: [1] http://dip21.bundestag.de/ dip21/btd/18/102/1810235.pdf http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/kommen/ herr1739.html Ist deutsches Blut dicker als afghanisches? (SB) 11. November 2016 Stehen deutsche Soldaten am Hindukusch, um Menschen zu schützen, die Lebensverhältnisse zu verbessern und die Entwicklung des Landes zu fördern? Die an Ammenmärchen so reiche Geschichte wachsender Kriegsbeteiligung der Bundeswehr wird einmal mehr durch einen schweren Anschlag der Taliban auf das deutsche Generalkonsulat im nordafghanischen Masar-i-Scharif konterkariert, bei dem sechs Menschen getötet und mindestens 128 verletzt wurden. Die diplomatische Vertretung war erst im Juni 2013 vom damaligen AußenminiSa, 12. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick ster Guido Westerwelle eröffnet worden und liegt in der Nähe der Blauen Moschee in der Innenstadt. In einem großen Gebäude auf einem weitläufigen Anwesen untergebracht, das von mehreren Meter hohen Mauern umgeben und stark gesichert war, zählte sie zweifellos zu den bestgeschützten Objekten des wirtschaftlichen Zentrums im Norden Afghanistans. Daß nicht einmal die deutsche Botschaft vor Angriffen mit derart verheerender Wirkung gefeit ist, zeugt von der katastrophalen Sicherheitslage im Land. schuß geratenen afghanisch-amerikanischen Bodenoffensive ausgeführt. Mudschahid bezeichnete Deutschland indessen als "Invasorenland" und erklärte nun: "Wieso sollten wir die Deutschen nicht angreifen? Deutschland war direkt beteiligt an dem Luftschlag, der Zivilisten das Leben gekostet hat. Dieser Luftangriff basierte auf nachrichtendienstlichen Informationen, die deutsche Soldaten den amerikanischen Truppen gegeben haben. Jeder weiß, dass sie noch ein Lager in Nordafghanistan haben. Deutsche Soldaten sind noch immer dort." Die etwa zwei Dutzend deutschen [2] Mitarbeiter des Generalkonsulats befanden sich nach Angaben des Die Verantwortung für den NAAuswärtigen Amts nicht unter TO-Einsatz im Norden Afghanistden Opfern. Sie wurden in das ans trägt in der Tat die Bundesvon der Bundeswehr geführte, et- wehr. Am Stadtrand Masar-iwa zehn Kilometer entfernte Mi- Scharifs liegt ein großer Stützlitärlager Camp Marmal gebracht. punkt mit etwa 800 deutsche SolLeidtragende war wie so oft die daten, weitere 1000 Soldaten in einheimische Bevölkerung, zu- dem Camp kommen aus 20 Partmal es sich bei zwei der sechs To- nerländern. Die NATO hatte ihren ten um Motorradfahrer handelte, Kampfeinsatz in Afghanistan Endie geraume Zeit später von Bun- de 2014 offiziell beendet und den deswehrsoldaten erschossen wur- afghanischen Sicherheitskräften den. Wie es dazu hieß, hätten sie die Verantwortung übergeben. nicht angehalten, als sie dazu auf- Die verbliebenen NATO-Truppen gefordert worden seien. [1] konzentrierten sich seitdem auf Ausbildung, Beratung und UnterWarum wurde das Konsulat ange- stützung der heimischen Sichergriffen? Der Sprecher der Taliban, heitskräfte. Bei dieser Übergabe Sabiullah Mudschahid, begründe- der Sicherheitsverantwortung te den Anschlag mit einer deut- geht es offensichtlich darum, ein schen Mitverantwortung an ei- Ende der westlichen Kriegfühnem amerikanischen Luftangriff rung vorzutäuschen und den Blutin der Provinz Kundus, bei dem zoll auf die Afghanen abzuwälin der Nacht des 3. November zen. mehr als 30 Zivilisten ums Leben gekommen waren und 19 verletzt Medienberichten zufolge haben wurden. Der Sprecher der ameri- die US-Streitkräfte in Afghanikanischen Streitkräfte in Afghani- stan in diesem Jahr rund 700 Luftstan, General Charles Cleveland, angriffe auf Stellungen der Talihatte damals mitgeteilt, die Verei- ban sowie des "Islamischen nigten Staaten hätten einen Luft- Staats" (IS) geflogen, wobei sich schlag zum Schutz einer unter Be- Meldungen über zivile Opfer häuSa, 12. November 2016 www.schattenblick.de fen. Verluste bei Bodenkämpfen betreffen fast ausnahmslos die afghanischen Soldaten, von denen zwischen Januar und Mitte August nicht weniger als 5523 getötet und weitere 9665 verwundet wurden, wie aus einem Bericht des US-Generalinspekteurs für den Wiederaufbau Afghanistans, John Sopko, hervorgeht. Nachdem im gesamten Jahr 2015 etwa 5000 afghanische Soldaten getötet worden waren, ist dies eine deutlich höhere Opferzahl. Die Zahl getöteter Kriegsgegner ist nicht bekannt, hat die Okkupationstruppen und westlichen Kommentatoren aber auch noch nie sonderlich interessiert, sofern es nicht gerade galt, angebliche Erfolge im Einzelfall hervorzuheben. Die Leiden der Zivilbevölkerung sind immens und deren Lage ist schlimmer denn je. Seit Januar starben nach UN-Angaben etwa 2500 Zivilisten bei Anschlägen, Überfällen oder Gefechten der Islamisten mit Soldaten, 5800 wurden verletzt. 245.000 Afghanen hätten wegen der Gewalt aus ihren Heimatorten in andere Regionen des Landes fliehen müssen. Zudem seien 225.000 der etwa 2,5 Millionen Afghanen, die als Flüchtlinge im Nachbarland Pakistan lebten, zur Rückkehr in ihr Heimatland gedrängt worden. Derzeit stehen nur noch etwa 63 Prozent des Landes unter Kontrolle der Regierungstruppen, so daß die Islamisten 15 Jahre nach der US-Invasion ihren Einflußbereich soweit ausgedehnt haben wie seit 2001 nicht mehr. [3] Ist Afghanistan ein Land, in das man Flüchtlinge guten Gewissens abschieben oder zur Rückkehr nötigen kann? Die Europäische Seite 9 Elektronische Zeitung Schattenblick Union und die Bundesregierung meinen ja, haben sie doch Kabul vor und auf der Afghanistankonferenz in Brüssel einen Handel Geld gegen Menschen abgepreßt. Ein Milliardenprogramm, ohne das die Zentralregierung nicht überleben könnte, ist de facto mit der Auflage gekoppelt, daß schätzungsweise 80.000 der rund 200.000 afghanischen Flüchtlinge, die 2015 in die EU gekommen sind, rückgeführt werden sollen, wie es im vor sprachlich verklausulierten Grausamkeiten strotzenden Amtsdeutsch heißt. Damit alles mit rechten Dingen zugehe, will man lediglich die "irreguläre Einwanderung verhindern" und nach Europa eingereiste Afghanen ohne Aussicht auf Asyl auf "schnellem, wirksamem und handhabbarem" Wege eine "reibungslose, würdevolle und geordnete" Rückkehr in ihre Heimat gewähren. [4] Bundesinnenminister Thomas de Maizière sieht das offenbar ganz anders, behauptet er doch, es gebe dort auch sichere Regionen, in denen Rückkehrer angesiedelt werden könnten. "Gemeinsam mit ihren afghanischen Kolleginnen und Kollegen bemühen sich deutsche Soldaten und Polizisten tagtäglich um mehr Sicherheit in Afghanistan. Gleichzeitig verlassen junge Afghaninnen und Afghanen ihr Land und suchen in Europa nach einer besseren Zukunft. Das verkraftet dieses Land nicht. Das geht nicht." Den Vogel an absurden Behauptungen schießt der CSU-Bundestagsabgeordnete Max Straubinger ab: Weil ein Teil Afghanistans von deutschen Truppen geschützt werde, gebe es "keinen nachvollziehbaren Grund, dass die Menschen von dort fliehen und nach Deutschland kommen". Aus seiner Sicht ist es daher folgerichtig, daß nur etwa 50 Prozent der aus Was es mit dem angeblich irregu- Afghanistan Geflüchteten positilären Aufenthalt dieser Menschen ve Asylbescheide erhalten. [5] hierzulande auf sich hat, machte jüngst eine Antwort der Bundes- Würden deutsche Politiker vom regierung auf eine schriftliche Schlage de Maizières und StrauAnfrage des Bundestagsabgeord- bingers den Schutzfaktor deutneten Volker Beck deutlich: Im- scher Soldaten und Polizisten mer weniger Flüchtlinge aus Af- nach dem jüngsten Anschlag auf ghanistan erhalten Schutz in das Generalkonsulat in Masar-iDeutschland, obwohl sie nach Scharif neu und anders bewerten? Auffassung der UN unter die Wohl kaum, geht es der BundesGenfer Flüchtlingskonvention regierung doch am allerwenigsten fallen. So wird jeder zweite An- um eine realitätskonforme Dartrag männlicher Asylbewerber ab- stellung der Verhältnisse in Afgelehnt, obgleich diese laut UN- ghanistan. Wie schon beim AnFlüchtlingshilfswerk als beson- griffskrieg und dem Besatzungsders gefährdet gelten. Männern regime am Hindukusch will man im wehrfähigen Alter droht oft- auch in der Flüchtlingspolitik mals die Zwangsrekrutierung weltweit Verantwortung übernehdurch die Taliban oder den IS, so men, wie es die Kanzlerin oder daß man zweifellos von einer po- der Bundespräsident so gern auslitischen Verfolgung sprechen drücken, und das soll auch in diekann, die auch Minderjährige be- sem Fall heißen: Deutsches Blut trifft. ist dicker als afghanisches. Seite 10 www.schattenblick.de Anmerkungen: [1] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-talibanbekennen-sich-zu-anschlag-aufkonsulat-14522825.html [2] http://www.dw.com/de/krisenstab-tagt-nach-taliban-attacke-auf-deutsches-konsulat-inmasar-i-scharif/a-36354308 [3] http://www.dw.com/de/mehrals-5000-afghanische-soldatengetötet/a-36205735 [4] http://www.tagesschau.de/ausland/afghanistanfluechtlinge-abschiebung101.html [5] http://www.tagesspiegel.de/politik/afghanische-fluechtlingeasyl-politisch-nichtgewuenscht/14507730.html http://www.schattenblick.de/ infopool/politik/kommen/ volk1669.html SCHACH - SPHINX Das blinde Auge der Medien Im Schatten des Meraner Weltmeisterschaftskampfes zwischen Anatoli Karpow und seinem Herausforderer Viktor Kortschnoj fand ein weiteres Schachgroßereignis statt, das jedoch, weil Frauen sich offenbar nur als leichtbekleidete Nymphen aufTitelseiten zu eignen scheinen, hinter dem Männerspektakel fast zur Bedeutungslosigkeit verschwand. Dabei wurde in Tiflis die Damenweltmeisterschaft zwischen der 19jährigen Titelverteidigerin Ma(SB) Sa, 12. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick ja Tschiburdanidse und ihrer georgischen "Landsmännin" - man fühlt sich bei -männin in Lutherische Sprachverunglückungen zurückversetzt - Nana Alexandria ausgetragen. An Spannung und Schärfe blieb der Damenwettkampf dem Männergespann Karpow- Kortschnoj nichts schuldig. Ja, das Duell der Damen verlief gar um eine Spur härter. Bis zuletzt mußte Tschiburdanidse all ihr junges Talent aufbieten, um ihre Krone bei 16 gespielten Partien äußerst knapp mit 8:8 zu behaupten. Die Geringschätzung ließ sich auch bei der Bewertung der Remispartien ablesen. Werden bei Männerweltmeisterschaften Unentschieden als würdelos empfunden und daher nicht mitgezählt, so scheinen bei den Damen "halbe" Punkte nichts Ehrenrühriges zu sein. Während in Meran Männerhirne gegeneinanderstritten und sich die Rivalität der beiden Akteure medienwirksam se mit Weiß einen deutlichen Endspielvorteil, den zu verdichten ihr keine große Mühe bereitete. Also, Wanderer, Vorurteile gehören in den Weltraum geschossen! Auflösung des letzten SphinxRätsels: Tschiburdanidse - Alexandria Tiflis 1981 aufbauschen ließ, ging es in Tiflis wohl zu sittsam zu, als daß die westliche Presse sich zu mehr herabließ als einer Randnotiz. Hätte Tschiburdanidse, um Aufsehen zu erregen, ihrer Kontrahentin vielleicht die Augen auskratzen sollen? Das heutige Rätsel der Sphinx stammt aus der neunten Wettkampfpartie. Dank ihres Läuferpaars besaß Tchiburdanid- Anatoli Karpow machte dem planlosen Spiel seines Herausforderers Kortschnoj ein rasches Ende: 1...Dd7-b5 2.Td1-d2 e6-e5! 3.f4xe5 Td5xe5 4.Da3-a1 Db5-e8 5.d4xe5 Td8xd2 6.Ta4xa5 De8-c6 7.Ta5-a8+ Kg8-h7 8.Da1- b1+ g7-g6 9.Db1-f1 Dc6-c5+ 10.Kg1h1 Dc5-d5+ und wegen des Damenverlustes nach 11.Kh1-g1 Td2-d1 gab Kortschnoj sofort auf http://www.schattenblick.de/ infopool/schach/schach/ sph06016.html. POLITIK / FAKTEN / AUSSEN poonal Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen Chile Wir dokumentieren: Bundestagsdelegation besucht erstmals die Colonia Dignidad vom Forschungs und Dokumentationszentrum ChileLateinamerika (Parral, Chile, 3. November 2016, fdcl) Sieben Mitglieder des Bun- destagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz haben am Mittwoch, 2. November die Colonia Dignidad in Chile besucht. Die von der Ausschussvorsitzenden Renate Künast geleitete Delegation gedachte den vermutlich über Sa, 12. November 2016 hundert chilenischen Widerständler*innen, die dort während der Pinochet-Diktatur von deutschen Siedlern und chilenischen Militärs ermordet wurden. Danach führten sie Gespräche mit Mitgliedern der chilenischen Angehörigenverbände, sowie mit deutschen Opfern der Siedlung. Es war das erste Mal www.schattenblick.de nach der Festnahme des inzwischen verstorbenen Sektenführers Paul Schäfer im Jahr 2005, dass eine Delegation des deutschen Bundestages die Siedlung besucht. Dort wurden fast ein halbes Jahrhundert hindurch schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Seite 11 Elektronische Zeitung Schattenblick Bundesaußenminister Steinmeier hatte in einer Rede im vergangenen April eingeräumt, dass der Umgang mit der Colonia Dignidad "kein Ruhmesblatt" in der Geschichte des Auswärtigen Amtes sei. Deutsche Diplomaten hätten dort jahrzehntelang "bestenfalls weggeschaut". Der Besuch der Abgeordneten sollte nun als Informationsbasis für die Erarbeitung von Vorschlägen für konkrete deutsch-chilenische Aufarbeitungsmaßnahmen dienen. Colonia Dignidad "kein Ruhmesblatt" Die Abgeordnetendelegation war bereits auf der Busreise zur Siedlung von dem Opferanwalt Winfried Hempel über die derzeitige Situation der Siedlung informiert worden. Zum Auftakt des Besuches fand eine Gedenkzeremonie in einem Waldstück innerhalb des Siedlungsgeländes statt, wo ein chilenischer Ermittlungsrichter im Jahr 2006 Massengräber gefunden hatte. Dort waren dutzende politische Gefangene nach ihrer Hinrichtung verscharrt worden. In Anwesenheit von drei Vertreterinnen der Angehörigenorganisation der Verschwundenen (AFDD) legten die Abgeordneten weiße Rosen zu den Fotos der Verschwundenen am Rand des Massengrabes. Die Vorsitzende der AFDD der nahegelegenen Stadt Talca, Myrna Troncoso, sprach in ihrer Rede von einem "historischen Moment", da zum ersten Mal hochrangige deutsche Politiker*innen den chilenischen Opfern der Deutschensiedlung gedachten. Sie forderte die Abgeordneten dazu auf, sich nach ihrer Rückkehr für bilaterale AufarbeiSeite 12 tungsmaßnahmen einzusetzen. Besonders wichtig seien eine Beschleunigung der strafrechtlichen Untersuchungen seitens der deutschen und chilenischen Justiz, ein Ende des Folkloretourismus in der Siedlung sowie die Errichtung eines Gedenkortes. Im Anschluss an die Zeremonie besuchten die Abgeordneten im Beisein von Opfervertretern verschiedene Orte innerhalb der Siedlung. Darunter waren das Siedlungskrankenhaus, in dem Sektenmitglieder misshandelt wurden und der Kartoffelkeller, in dem chilenische Gefangene verhört und gefoltert wurden. Nach verschiedenen Gesprächen in der Colonia Dignidad traf die Delegation am Abend in Talca erneut mit Vertreter*innen der Angehörigen der Verschwundenen zusammen. sammentreffen, sowie das Menschenrechtsmuseum Museo de la Memoria besuchen. URL des Artikels: https://www.npla.de/poonal/wirdokumentieren-bundestagsdelegation-besucht-erstmals-die-colonia-dignidad/ Der Text ist lizenziert unter Creative Commons NamensnennungWeitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international. https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ Quelle: * poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V. Köpenicker Straße 187/188, 10997 Berlin Nach Abschluss des Besuches Telefon: 030/789 913 61 zeigte sich Renate Künast von E-Mail: [email protected] dem Austausch mit Opfervertre- Internet: http://www.npla.de tern sehr bewegt. Am folgenden Tag wollte die Delegation in San- http://www.schattenblick.de/ tiago de Chile mit politischen infopool/politik/fakten/ Entscheidungsträger*innen zupfaus570.html POLITIK / AUSLAND / LATEINAMERIKA poonal Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen El Salvador: Ex-Präsident Saca verhaftet von João Flores da Cunha (San Salvador, 9. November 2016, ihu online) Der Ex-Präsident El Salvadors, Elías Antonio Saca, sitzt wegen Korruptionsverdachts in Haft. Er wurde am 30. Oktober während der Hochzeit seines Sohwww.schattenblick.de nes festgenommen. "Tony" Saca war von 2004-2009 Präsident des Landes für die konservative Partei ARENA (Alianza Republicana Nacionalista). Saca wird beschuldigt, öffentliche Gelder verunSa, 12. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Antonio Saca, 2007 By Michael Gross (State Department employee) [Public domain], via Wikimedia Commons treut zu haben. Mit ihm wurden weitere sechs Funktionäre seiner Administration festgenommen. Die mutmaßliche Taktik der Veruntreuung wurde während der Ermittlungen gegen Elmer Charlaix aufgedeckt. Charlaix war Generalsekretär von Saca und stellte sich nach dessen Verhaftung den URL des Artikels: Justizbehörden. https://www.npla.de/poonal/expraesident-saca-verhaftet/ Generalstaatsanwalt Douglas Meléndez, der zugleich Innenmini- Der Text ist lizenziert unter Creaster ist, beschuldigt die Politiker, ei- tive Commons Namensnennungnem Netzwerk illegaler Bereiche- Weitergabe unter gleichen Bedinrung und der Geldwäsche anzuge- gungen 4.0 international. hören. Seinen Angaben zufolge ha- https://creativecommons.org/libe Antonio Saca 246 Millionen Dol- censes/by-sa/4.0/ lar öffentlicher Gelder veruntreut; dieses Geld sei dann unter Funktio* nären seiner Regierung über deren Privatkonten verteilt worden. Quelle: Der Amtsnachfolger von Saca poonal - Pressedienst lateinamewar Mauricio Funes, der El Sal- rikanischer Nachrichtenagenturen vador von 2009 bis 2014 regierte. Herausgeber: Nachrichtenpool Funes war für die linksgerichtete Lateinamerika e.V. FMLN (Frente Farabundo Martí Köpenicker Straße 187/188, para la Liberación Nacional) im 10997 Berlin Amt, die auch jetzt noch das Land Telefon: 030/789 913 61 regiert. Auch gegen Funes wird E-Mail: [email protected] wegen illegaler Bereicherung er- Internet: http://www.npla.de mittelt. Allerdings muss dieser zur Zeit nicht befürchten, verhaf- http://www.schattenblick.de/ tet zu werden: Er flüchtete nach infopool/politik/ausland/ Nicaragua und erhielt dort politipala1641.html sches Asyl von Nicaraguas Präsident Daniel Ortega. BUCH / ROMANE / REZENSION Wédōra - Staub und Blut von Markus Heitz (SB) Mit "Wédōra" hat es Markus Heitz im Vergleich zu seinem letzten Roman ("Exkarnation. Seelensterben") zumindest anfänglich verstanden, einen dichten, detailreichen, aber nicht überladenen Roman zu schreiben. Die Handlung spielt in einer Art altertümlichem Arabien, das er mit FantasySa, 12. November 2016 Markus Heitz - Wédōra Staub und Blut Droemer Knaur Verlag, München 2016 607 Seiten € 16,99 ISBN 9783426654033 lunke Liothan und die Gesetzeshüterin Tomeija aus ihrer Welt einem dichtbewaldeten, mittelalterlichen Ort - herausgerissen und in eine Wüstenlandschaft katapultiert, wo sie sofort den wildesten Gefahren ausgesetzt sind. Durch das Wirken des Hexers Rettung vor dem sicheren HitzeDûrus werden der gutherzige Ha- tod bietet nur die Stadt Wédōra, Elementen wie dinosaurierartigen Reittieren oder wurmartigen Monstern angereichert hat. Moderne oder sogar futuristische Medizintechniken haben darin ebenso ihren Platz wie Zauberei. www.schattenblick.de Seite 13 Elektronische Zeitung Schattenblick deren hoher Turm aus der Entfernung erkennbar ist. Die beiden machen sich dorthin auf den Weg, werden von einer Karawane aufgenommen und haben fortan nur noch einen Wunsch: irgendwie wieder nach Hause zurückzukehren, um den bösen Hexer zur Verantwortung zu ziehen. Der wollte eigentlich nur seine Ruhe haben, ist selbst einmal aus politischen Gründen aus dem Wüstenland geflohen und hat sich in der Baronie Walfor den Ruf eines gewissenlosen Händlers erworben. Dûrus war wenig erfreut, als Liothan bei ihm eingebrochen ist. Nach Robin-Hood-Manier wollte der forsche Räuber bei ihm ein wenig Gerechtigkeit walten lassen. Durch die falsche Einschätzung der Gefährlichkeit seines Opfers - dabei hat Tomeija ihn noch ausdrücklich gewarnt - hat Liothans Familie Entsetzliches zu erleiden. Doch davon erfährt Liothan nichts. Beseelt von dem Verlangen, zu seiner geliebten Frau und seinen beiden Kindern zurückzukehren, sucht er in Wédōra verzweifelt nach einem Rückweg und ist dafür bereit, sich den unheimlichsten Gefahren zu stellen und sogar auf Zauberei einzulassen. Auch Tomeija, die noch junge Witwe eines Schwertkämpfers, eine Meisterin des Kampfes und Trägerin eines verfluchten Henkersschwerts, hat einiges durchzustehen, bis sie ihren Jugendfreund Liothan, von dem sie in Wédōra getrennt wird, am Ende wiederfindet. Zu Beginn der Geschichte betritt man jedoch eine Stadt, deren seltsam makellose Kulisse verwundert. Die im aufklappbaren BuchSeite 14 deckel vorangestellte Stadtkarte zeigt einen reißbrettartig angelegten, achteckigen Plan, der mehr durch seine Symmetrie besticht, als auf Zweckmäßigkeit schließen läßt. Die von mehreren Wällen zackenförmig umgebene Kernstadt ist in neun Viertel eingeteilt. An das quadratische Prachtviertel in der Mitte grenzen je zwei Quadrate für reiche und einfache Bürger. Eines der vier restlichen Dreieck-Flächen, die nötig sind, um das Achteck aufzufüllen, ist ebenfalls für Reiche reserviert, ein anderes nennt sich Vergnügungsviertel und in den zwei verbliebenen sind die Armen und die Kranken angesiedelt. Daß die Armen nur so wenig Platz beanspruchen, soll vielleicht den Schluß nahelegen, daß es den Menschen in Wédōra gut geht. Da es Sklaven gibt, muß man zumindest davon ausgehen, daß humanistische Werte keine Gültigkeit besitzen. Markus Heitz zerschlägt das scheinbar heile Bild vermutlich nicht aus diesem Grund immer wieder durch schonungslose Grausamkeit, sondern weil er sich gern genüßlich den Folgen der übrigens gekonnt beschriebenen Kampfszenen hingibt und es nicht lassen kann, den Leser mit aus aufgeschlitzten Bäuchen herausquellenden, schleimig rosafarbenen Darmschlingen zu 'unterhalten', in die ihr Besitzer zu allem Überfluß auch noch selbst hineinstürzt. Auch die detailliert geschilderte Schlachtung und der anschließende Verzehr eines Menschen ist nichts für ein zartes Gemüt, das gerade noch die fast schon sphärisch anmutende, makellose Pracht und Schönheit der Stadt genossen hat. Möglicherweise sind solche brutalen Einschnitte nötig, um den Leser aus www.schattenblick.de der allzu schönen Welt zu reißen. Das gelingt dem Autor auch dadurch, indem er schonungslos Sympathieträger über die Klinge springen läßt. Doch ein rundes, abgeschlossenes Bild, eine Handlung, die von ausgereiften Charakteren und durchdachtem Hintergrund belebt wird, bietet dieser Roman nicht. Es ist eher unbefriedigend, daß sich die Handlung des Romans darin erschöpft, daß die beiden Protagonisten sich gegenseitig suchen und nicht zusammenkommen, obwohl es ganz leicht möglich gewesen wäre. Als Markus Heitz seinen Roman "Wédōra" auf der Leipziger Buchmesse vorstellte, hatte er ihn offenbar noch nicht zu Ende geschrieben. Intrigante Stadthalter, ein rätselhafter Herrscher und Wüstenvölker, die die Stadt unbedingt vernichten wollen, weil sie auf einer ihnen heiligen Quelle erbaut worden ist, hätten eine Rolle spielen sollen. Doch all das findet in der Handlung kaum Erwähnung. Der Leser lernt die Völker, die Wédōra vernichten wollen, genauso wenig kennen, wie er etwas über die heilige Quelle erfährt, die die Ursache für die Feindschaft darstellt, welche die Wüstenvölker antreibt. Man hat das Gefühl, das ganze Geschehen nur von außen zu sehen, möchte jedoch wissen, wie haben diese Völker dort früher gelebt? Aufwelche Art und Weise haben sie die Quelle genutzt? Was bedeutete sie ihnen? Was stattdessen mitgeteilt wird, sind bildhafte Eindrücke. Wenn man als Leser an der Seite Liothans durch die verschiedenen Sa, 12. November 2016 Elektronische Zeitung Schattenblick Viertel Wédōras geht, sieht man nur Fassaden, als bewege man sich durch ein Potemkinsches Dorf. Dieses Wédōra hat kein Eigenleben. Man kommt sich als Leser wie eine Spielfigur vor, die von Feld zu Feld gesetzt wird. Was wahrscheinlich auch nicht verwunderlich ist, wenn man davon ausgeht, daß die Idee zu Wédōra in der 20 Jahre zurückliegenden Rollenspiel-Zeit des Autors geboren wurde. Während man in den ersten Kapiteln noch das Gefühl hat, daß dieser Roman gut durchdacht und stimmig ist - Liothans Aufenthalt im Gefängnis bis zu dem Moment, an dem er als Sklave verkauft wird, ist lebendig und spannend geschrieben - ist dem Autor späterhin offenbar der Atem ausgegangen. Dann gibt es nur noch Hin- und Hergehetze, Kämpfe, einen Verschwörungsplan ohne Hand und Fuß, der darauf abzielt, den Herrscher zu stürzen, wobei die Notwendigkeit dessen nicht hinreichend erläutert wird. Dann schließlich die Verschwörung hinter der Verschwörung, als klar wird, daß die selbsternannten Befreier jener Menschen, die angeblich unter der Knute des Herrschers zu leiden haben, sich in Wirklichkeit als Handlanger anderer Mächte entpuppen, die die Stadt erobern wollen. Die Kampfszenen sind zu Anfang so ausführlich beschrieben, daß sie gut nachvollziehbar sind, aber bei der x-ten Wiederholung wird's langweilig. Diesem Umstand versucht der Autor mit Splatter-Absurditäten entgegenzuwirken. Daß ein ganzes Laboratorium allein dadurch explodieren kann, Sa, 12. November 2016 weil sich ein geworfenes Durcheinander und schmiegte Schwert dorthin verirrt, mag sich an sie, wollte mit ihr ab vielleicht noch angehen, aber wärtstanzen und sich an sie daß die Eingeweide eines aufge- drücken. Die halb verwesten schlitzten Opfers explodieren Finger verfingen sich an ihrem oder ein abgetrennter Kopf vom Gürtel. Wüstensand abprallt wie ein (S. 362363) Gummiball, ist nicht nachzuvollziehen und dient wohl eher In den Verwesungsturm werden der Effekthascherei. nicht nur die Toten geworfen, sondern dort hausen auch die Auch Tomeijas 'Ausflug' in den Weggeworfenen - Alte, Frauen, Verwesungsturm ist an ekelhaf- Kinder, die eitrige Verletzungen ten Absurditäten nicht zu über- haben. Sie wurden irrtümlich bieten. Solche Darstellungen oder absichtlich zu Leichen ermachen leider die Parallelen zur klärt, damit sie in der Totensee Wirklichkeit zunichte, die Mar- sterben. Doch einige haben kus Heitz durchaus im Hinter- überlebt. Sie ernähren sich vom kopf gehabt haben könnte. So Fleisch der Toten, deren Blut und wird Menschen- und Organhan- andere Flüssigkeiten als Wassedel bzw. -raub betrieben und ein rersatz herhalten müssen. schonungsloser Fingerzeig auf solche der Realität zuzurechnen- Von einer dort dahinvegetierenden Zustände sind ein begrü- den Frau erfährt Tomeija, daß ßenswerter Ausflug in ein aktu- Dyar-Corron, der Stadthalter des elles Thema. Aber wie soll man Kranken-Viertels, Kindern, die solche Hinweise ernst nehmen, Heilung suchen, Organe raubt wenn sie mit Folgendem ver- und sie den wohlhabenden Bequickt werden: wohnern verkauft. Tomeija hatte den 'Heiler' im Krankenviertel Tomeija stürzte an den rauhen bereits belauscht, als er mit einer Wänden vorbei und landete seit Kundin sprach: lich auf einem weichen, matschi gen Berg, der sogleich unter ihr nachgab. Leise schmatzend bra chen zersetzende Körper um sie herum auf, beißender Gestank hüllte sie ein. Leichenflüssigkei ten sprühten gegen sie und be netzten sie mit stinkenden Tröpf chen. Tomeija presste die Lippen zu sammen, um nichts davon in den Mund zu bekommen. Sie machte sich klein und rollte abwärts, durch knackende Gebeine und modernde menschliche Überre ste, die sich zu verschieden ho hen Hügeln aufgetürmt hatten. Ein Torso, weich und mit grünli chem Fleisch, löste sich aus dem www.schattenblick.de »Beruhige dich. Es wird nicht mehr lange dauern, und das Schicksal bringt mir jene Leiche, die dein neues Herz in sich trägt. Ich werde das alte austauschen, das seine Schläge getan hat, wie die anderen zuvor. Das fünfte hält länger durch als die übri gen. Sei dankbar dafür.« Auch in Wédōra müssen Herzen noch schlagen, um ausgetauscht werden zu können, selbst wenn die Heiler so tun, als entnähmen sie sie nur von Toten. Ein Eindruck, der übrigens auch von den Ärzten in unserer Welt geweckt wird. [1] Solche Vergleiche verSeite 15 Elektronische Zeitung Schattenblick bieten sich eigentlich der Ernst- __I n h a l t______Ausgabe 2006 / Samstag, den 12. November 2016__ haftigkeit des Themas wegen. Leider kommt einem dieser Roman, wenn man ihn zu Ende gelesen hat, wie ein schlecht gemachter Comic vor. Es gibt etliche Einzelbilder, die man betrachten kann, aber sie erzählen keine Geschichte, sie haben kein Leben. Bei einem guten Comic entsteht die Geschichte zwischen den Bildern im Kopf des Betrachters. Aber bei "Wédōra" können nicht einmal die vielen Worte eine fesselnde Geschichte erzählen. Anmerkung: 1 EDITORIAL: Prognose 1 MEDIZIN - REPORT: Vorratstherapeutikum Antibiotika - So heiß wird die Suppe nicht verzehrt ... Prof. Dr. med. Ansgar W. Lohse im Gespräch 5 REDAKTION: Afghanistans Taliban fordern US-Truppenabzug von Trump 6 KOMMENTAR: Noch einwilligungsfähig, aber schon abgeschrieben ... 8 POLITIK - KOMMENTAR: Ist deutsches Blut dicker als afghanisches? 10 SCHACH-SPHINX: Das blinde Auge der Medien 11 POLITIK - FAKTEN: Bundestagsdelegation besucht erstmals die Colonia Dignidad in Chile (poonal) 12 POLITIK - AUSLAND: El Salvador - Ex-Präsident Saca verhaftet (poonal) 13 BUCH - ROMANE: Markus Heitz - Wédōra. Staub und Blut (Fantasy) 16 DIENSTE - WETTER: Und morgen, den 12. November 2016 DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN Und morgen, den 12. November 2016 +++ Vorhersage für den 12.11.2016 bis zum 13.11.2016 +++ [1] siehe im Schattenblick unter: www.schattenblick.de → Bildung und Kultur → Report BERICHT/027: "Die Untoten" Transplantationsmystik - Wenigstens meine Organe sollen überleben... (SB) Heut' nahe Frost, die Temp'ratur. Von Jean-Luc Post zur Schlafzeittour. http://www.schattenblick.de/ infopool/buch/romane/ buror155.html © 2016 by Schattenblick IMPRESSUM Elektronische Zeitung Schattenblick Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K. Verantwortlicher Ansprechpartner: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth Elektronische Postadresse: [email protected] Telefonnummer: 04837/90 26 98 Registergericht: Amtsgericht Pinneberg / HRA 1221 ME Journalistisch-redaktionelle Verantwortung (V.i.S.d.P.): Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth Inhaltlich Verantwortlicher gemäß § 10 Absatz 3 MDStV: Helmut Barthel, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth ISSN 2190-6963 Urheberschutz und Nutzung: Der Urheber räumt Ihnen ganz konkret das Nutzungsrecht ein, sich eine private Kopie für persönliche Zwecke anzufertigen. Nicht berechtigt sind Sie dagegen, die Materialien zu verändern und / oder weiter zu geben oder gar selbst zu veröffentlichen. 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