Jahresbericht 2015 / 2016 Impressum Herausgegeben von: Diakonisches Werk Wür ttemberg Postfach 10 11 51 Heilbronner Straße 180 70191 Stuttgar t Telefon: 0711 1656 - 0 Telefax: 0711 1656 - 277 E-Mail: info@diakonie-wuer ttemberg.de Redaktion: Andrea Schlepper Grafisches Konzept und Design: Quar tier Stuttgar t GmbH & Co. KG Druck: Grafische Werkstätte und Diakonie-Verlag Bruderhaus Gedruckt auf Umweltpapier aus 100% Altpapier, ausgezeichnet mit dem Blauen Engel, der EU-Blume und einer FSC-Zer tifizierung Jahresbericht 2015 / 2016 Diakonisches Werk Württemberg Landesgeschäftsstelle Vorgelegt zur Mitgliederversammlung am 10. November 2016 Inhalt Vorwort des Vorstands 6 Der Vorstand zu den Herausforderungen des Diakonischen Werks Wür ttemberg Der Weg ist das Ziel … 8 Kirchliches Arbeitsrecht Inklusion Alles, was Recht ist Inklusion – vom Projekt zum landeskirchlichen Aktionsplan 22 Schwerpunkt Flucht und Integration Integration in die Gesellschaft braucht die Gesellschaft 26 Strategische Verbandsentwicklung Auf dem Weg, Diakonie Württemberg 14 Personalmanagement „Wir brauchen öffentlich geförderte Beschäftigung!“ 30 18 Für weiterhin gute Pflege Nachwuchsgewinnung Heute auf der Schulbank – morgen in der Diakonie Pua-Fachstelle – Eine kritische Stimme Theologie, Bildung und Ethik Mit schwierigen Situationen besser fertig werden 38 Pflege 32 Pränataldiagnostik, Reproduktionsmedizin, Pua 36 Arbeitsmarktpolitik Zur rechten Zeit am rechten Ort 34 Evangelisches Schulwerk Baden und Wür ttemberg Bildung kommt gut an 40 20 „Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen.“ Galater 6,9 4 12 Die Arbeit der Diakonie kommt gut an. Weil wir denen helfen, die Hilfe benötigen. 26 Integration in die Gesellschaft braucht die Gesellschaft 40 Bildung kommt gut an 5 Jahresbericht 2015 /2016 Dr. Robert Bachert Eva-Maria Armbruster Dieter Kaufmann 6 Vorwor t des Vorstands Liebe Mitglieder im Diakonischen Werk Württemberg, liebe Freundinnen und Freunde der württembergischen Diakonie, wer Hilfe braucht, soll Hilfe bekommen – das ist Diakonie. Darauf sollen Menschen in schwierigen Situationen oder Notlagen vertrauen können. Ganz im Sinne der Jahreslosung 2016 Gott spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ (Jesaja 66,13). Im vorliegenden Jahresbericht fassen wir unser Handeln unter dem Motto Kommt gut an, zusammen. Gut ankommen soll das Kind im Leben, der Gestrauchelte wieder in der Gesellschaft, der Verzweifelte in der Zuversicht, der Pflegebedürftige in guten Händen, der Ausgebeutete in fairen Bedingungen, der Rückkehrer in Sicherheit, der Flüchtende in Schutz und Heimat, unsere Auszubildenden und Mitarbeitenden in der Diakonie, unsere Forderungen bei Entscheidungsträgern, unser Wirken in der Gesellschaft. Damit ein solches Ankommen gelingt, verstehen wir unter diakonischer Arbeit Zuwendung, Ansprache, Kümmern, Hilfe zur Selbsthilfe. Unterstützung, wo es nötig ist, und Selbstständigkeit, wo immer es möglich ist. Diakonische Arbeit ist unbequem, weil sie auch die Schattenseiten unserer Gesellschaft ans Tageslicht bringt und das Augenmerk auf Mängel und Schwachstellen richtet. Immer mit dem Ziel, diese zu überwinden. Unser Wunsch ist, dass alle Menschen gut ankommen, wohin auch immer sie unterwegs sind. In besonderer Weise haben wir uns 2015/2016 für Pflege, Inklusion, Arbeitsmarktpolitik, Schule und Bildung, junge Menschen, die Debatte zur Pränataldiagnostik, Schwangerschaftsberatung, ethische Fragestellungen sowie die Integration der Menschen, die bei uns Schutz suchen, eingesetzt. Von großer Bedeutung waren auch die Themen strategische Verbandsentwicklung und kirchliches Arbeitsrecht. Gut ankommen ist ein gemeinsamer Weg, auf den sich viele Akteure miteinander machen. Und dann ein gemeinsames gutes Ankommen im Leben. Oberkirchenrat Dieter Kaufmann Vorstandsvorsitzender Eva-Maria Armbruster Stellvertreterin des Vorstandsvorsitzenden Dr. Robert Bachert Finanzvorstand 7 Jahresbericht 2015 /2016 Der Vorstand zu den Herausforderungen des Diakonischen Werks Wür ttemberg Der Weg ist das Ziel… Der Vorstand zu den Herausforderungen des Diakonischen Werks Württemberg E ine gute Gesellschaft für uns alle zu gestalten – das ist unser gemeinsames Ziel. Der Weg dorthin ist weder geradlinig noch eben. Er kennt im Gegenteil alle Widrigkeiten des L ebens – und auch alle nur erdenkliche Freude und Glück. Die Widrigkeiten meistern, dabei auch unkonventionelle Wege beschreiten, Lösungen finden, Impulse geben, Mut machen, bewusst machen, aufrütteln, unterstützen, Hilfe zur Selbsthilfe geben, Hilfen für die Helfer anbieten – diakonische Arbeit ist vielfältig und nicht immer einfach. Vor allem aber ist sie eine lohnenswerte Arbeit. Denn sie beschert uns viele Begegnungen und Erfahrungen, die uns stärken und bereichern. Sie ist eine Arbeit, die gut ankommt. Strategische Weiterentwicklung 2020 Im letzten Jahr haben wir eine Mitgliederbefragung durchgeführt. Wir wollten den Status quo der Zufriedenheit der Mitglieder mit ihrem Verband ermitteln. Und wir wollen mit unseren Mitgliedern gemeinsam die verbandlichen Herausforderungen der nächsten Jahre eruieren, die sich an den spezifischen Erwartungen und Herausforderungen der Mitglieder orientieren und in die strategischen Verbandsziele einfließen. Der Handlungsbedarf ist konkretisiert; seit Anfang 2016 sind wir in der Umsetzungsphase. Diese wird aufgabenbezogen bis 2018 laufen. Parallel setzen wir die strategischen Entscheidungen der Vorjahre um. Die Landesgeschäftsstelle hatte im letzten Jahr die von der Mitgliederversammlung 2010 beschlossene Selbstverpflichtung vorzeitig erfüllt, bis 2020 mindestens 40 Prozent Frauen in allen Führungsebenen zu erreichen. Die Selbstverpflichtung gilt für die Diakonie in Württemberg. Im Sommer 2016 hat der Verband dazu eine Abfrage durchgeführt. 8 Personal finden und binden Den Fachkräftemangel in der Sozialwirtschaft spüren diakonische Einrichtungen bereits seit einigen Jahren. Insbesondere in der Hauswirtschaft und im Gesundheits- und Pflegebereich bleiben vakante Positionen mangels Bewerbern zunehmend unbesetzt. Die Situation wird sich verschärfen, weil sich die Zahl der Pflegebedürftigen laut Statistischem Landesamt in Baden-Württemberg von 2013 bis 2050 fast verdoppeln wird, von rund 300.000 Pflegebedürftigen auf rund 580.000. Diametral zu diesem Trend verläuft die Kurve der Fachkräfte. Ihre Anzahl wird erheblich sinken, weil die Generation der Babybommer, die heute pflegt, sukzessive in den Ruhestand gehen wird – und die Ausbildungszahlen nicht mithalten. Der Pflegeberuf ist anspruchsvoll. Laut Umfrage können sich 56 Prozent der Beschäftigten in diakonischen Pflegeheimen nicht vorstellen, ihren Beruf bis zum Rentenalter auszuüben; 10 Prozent sind unsicher. Experten prognostizieren eine Lücke von rund 150.000 Beschäftigten in Pflegeberufen bis 2025. Das entspricht etwa 112.000 Vollzeitstellen. Es besteht dringender Handlungsbedarf: Wir müssen Berufe der Sozialwirtschaft attraktiver machen. Dazu gehören eine gute Ausbildung, gute Rahmenbedingungen, gute Arbeitsbedingungen vor Ort, eine angemessene Entlohnung, berufliche Perspektiven. Es gilt, junge Menschen bereits vor der beruflichen Orientierungsphase für soziale Themen und Diakonie zu interessieren. Es gilt, Menschen, die eine Perspektive suchen, eine berufliche Perspektive in der sozialen Arbeit zu geben. Wir als Verband bearbeiten diese Aufgaben kontinuierlich auf mehreren Ebenen. Unsere Expertise stellen wir der Politik und anderen Entscheidungsträgern zur Verfügung. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entwickeln Konzepte und zeigen in der Praxis, wie ein Lösungsweg aussehen kann und dass er funktioniert. Dies findet in enger Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedern statt. Diese informieren und begleiten wir hinsichtlich gesetzlicher Regelungen und deren Umsetzung wie derzeit beispielsweise die Landespersonalverordnung. Sie ist am 1. Februar 2016 in Kraft getreten. Eine breit angelegte Kommunikationsarbeit begleitet unsere Aktivitäten und fördert die öffentliche Wahrnehmung und Diskussion. k Bündnis für Tariftreue und Tarifstandards Gute Arbeit verdient gutes Geld und ein gutes Umfeld. Für gute Arbeitsbedingungen und faire Vergütung macht sich das Diakonische Werk stark – auf internationaler Ebene als Landesstelle Brot für die Welt bei der Bekämpfung von Fluchtursachen; national unter anderem als Partner im „Bündnis für Tariftreue und Tarifstandards für die Sozialwirtschaft in Baden-Württemberg“. Dieses haben wir mit der Caritas und Verdi in Baden-Württemberg geschlossen. Im Juli 2016 ist das Deutsche Rote Kreuz unserer Einladung gefolgt und dem Bündnis beigetreten. Ein wichtiger Akteur, mit dem die Bündnispartner gemeinsam für Qualität und angemessene Bezahlung in der sozialen Arbeit stehen. Deshalb fordern wir bei der Refinanzierung von Leistungen die tariflichen Entgeltsteigerungen zu berücksichtigen. In Vergabeverfahren sollte nicht nur nach Kostengesichtspunkten, sondern auch nach Qualität entschieden werden. Erfahrung und Kooperationskompetenz vor Ort sind wichtige Auswahlkriterien. Die Bündnispartner führen weitere Gespräche mit strategisch wichtigen Akteuren hinsichtlich einer Sozialpartnerschaft. k Fachkräfte gewinnen Das Thema Fachkräftegewinnung forcieren wir aus verschiedenen Gründen. ir wirken dem Fachkräftemangel entgegen. W U nter dem Fachkräftemangel leiden die Menschen, die Hilfe benötigen. U nter dem Fachkräftemangel leiden Mitarbeitende; sie benötigen Entlastung. U nter dem Fachkräftemangel leiden Mitglieder; sie können ihre Häuser teilweise nicht voll belegen. Unabhängige Erhebungen, beispielsweise des Branchenmagazins Wohlfahrt Intern, belegen, dass die Diakonie mit die höchsten Löhne in der Sozialwirtschaft zahlt. Die Tariftreue ist mit rund 94 Prozent ebenfalls sehr hoch. Über das Welcome Center Sozialwirtschaft BadenWürttemberg und verschiedene Projekte unterstützen wir diakonische Einrichtungen darin, Kontakt zu Fachkräften im Ausland zu erhalten und diese für eine Anstellung in den hiesigen Einrichtungen zu gewinnen. k Nachwuchs für soziale Arbeit Wir bieten Ausbildungs- und Erwerbschancen für Menschen, die eine Perspektive suchen. Gemeinsam mit Trägern aus der Pflege führen wir etwa Pilotprojekte in der Ausbildung in Pflegeberufen und in der Hauswirtschaft durch. Die Auszubildenden erwerben damit den Schlüssel für eine gesicherte Existenz. Die Ausbildungsprojekte dienen als Best-Practice-Beispiele und sind geeignet, landes- und bundesweit in die Fläche zu gehen. 9 Jahresbericht 2015 /2016 Der Vorstand zu den Herausforderungen des Diakonischen Werks Wür ttemberg Nachwuchsgewinnung ist eine strategische Aufgabe und setzt auf eine breite Basis mit unterschiedlichen Modulen und Methoden. Der Jugenddiakoniepreis – MachMit!Award – würdigt soziales Engagement von jungen Menschen, ebenso der Werkrealschulpreis und der Ran-ans-Leben-Star. Über unsere Jugendmarke „ran-ans-leben“ und unser Angebot für Freiwilligendienste sind wir nah dran an den Heranwachsenden. Das Angebot haben wir für Flüchtlinge geöffnet. Damit unsere Angebote für die jungen Menschen attraktiv bleiben, werden wir uns noch stärker mit internen und externen Kooperationspartnern vernetzen, um deren Fachwissen und Unterstützungsangebote nutzen zu können. Neben unseren Fachabteilungen sind dies die Mitglieder der Diakonie, die Jugendarbeit und Jugendverbände, Kirchengemeinden, Schulen, die Agentur für Arbeit, Einrichtungen der politischen Bildung und weitere. Junge Menschen stehen für uns in vielfältiger Weise im Mittelpunkt. Dazu gehört auch unser Einsatz für die Bekämpfung von Kinderarmut, für Kinderrechte und Ombudschaften, Bildung und inklusiven Unterricht, schulische Vielfalt, für die Integration junger Flüchtlinge usw. Wir appellieren mit Nachdruck an die Politik! k Arbeitgeberplus Fortbildung Fachliche und persönliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten sind Faktoren, die zur Mitarbeiterzufriedenheit und damit zur Mitarbeiterbindung beitragen. Wir bieten unseren Mitgliedern und ihren Mitarbeitenden jährlich über 100 Fortbildungen zur Auswahl. Damit Leitende und Mitarbeitende besser mit schwierigen Situationen in der Altenhilfe umgehen können, gibt es nun eine entsprechende Ethikberatung. Für Führungskräfte steht ab 2017 ein neues Konzept der Fortbildung „Diakonie kompakt“ bereit. 10 Für den sozialen Frieden und die soziale und wirtschaftliche Stabilität in unserem Land ist es wichtig, dass wir als Solidargesellschaft die Benachteiligten stützen und Teilhabe ermöglichen. Integration Integration beginnt unmittelbar bei der Ankunft der Geflüchteten in unserem Land und ist ein lang andauernder Prozess für diejenigen, die bleiben. Deshalb ist ressortübergreifendes Denken und Handeln unerlässlich. Vertrauen in die Beratung und Begleitung fördert nicht nur das Ankommen in unserer Gesellschaft. Vertrauen stärkt auch die Akzeptanz für unsere Werte und Normen. Hoheitliche Aufgaben müssen deshalb transparent getrennt werden von der Verfahrens- und Sozialberatung, die in die Verantwortung der zivilgesellschaftlichen Akteure wie etwa der freien Wohlfahrtspflege gehören. Damit Flüchtlinge sich integrieren und selbstbestimmt leben können, benötigen sie Zugang zu materiellen und immateriellen Ressourcen wie Chancengerechtigkeit. Als Diakonie unterstützen wir die Kirchengemeinden, damit insbesondere auch die Christen unter den Geflüchteten eine geistliche Heimat finden. Ungleichheit und Diskriminierung sind abzubauen. Zentrale Güter wie Bildung und Ausbildung, Wohnen, Gesundheit, Arbeit, Kommunikation und Religionsfreiheit gehören dazu. Ebenso Werte und die gesamtgesellschaftlichen Dimensionen Gerechtigkeit, soziale Anerkennung, Freiheit und der Respekt vor dem anderen. Die aktuelle Diskussion zur Integration von geflüchteten Menschen bedeutet in ihrem Kern zunächst die Frage nach unseren Vorstellungen von Gesellschaft schlechthin und wie wir die Vielfalt kultureller und religiöser Traditionen leben und gestalten wollen. Dafür stehen wir. Wir erwarten sowohl von der Bundesals auch von der Landesregierung klare Bekenntnisse – denen Taten folgen müssen – zur Integration von anerkannten Flüchtlingen und zur uneingeschränkten Integration junger Flüchtlinge. Entwicklung am Arbeitsmarkt 2009 – 2015 300.000 284.853 237.151 226.918 222.130 133.621 127.830 64.385 62.904 225.000 143.382 58.252 2009 230.373 227.098 130.306 129.795 130.434 70.249 71.760 71.596 148.840 150.000 75.000 233.945 70.855 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Arbeitslose SGB-II-Arbeitslose (Hartz IV) Langzeitarbeitslose Arbeitsmarktpolitik Inklusion/Konversion Ein inklusiver Arbeitsmarkt für alle Zielgruppen ist unser Anliegen. Das beinhaltet Integrationsjobs, Arbeitschancen für Geringqualifizierte, für Flüchtlinge und andere Gruppen mit einem Lebenslauf, der von der Norm abweicht. Als ein drängendes Problem, das es zu lösen gilt, sehen wir die sich trotz guter Wirtschaftslage verfestigende Langzeitarbeitslosigkeit. Sie führt zu Armut und unweigerlich zu Altersarmut. Diese wird in den nächsten Jahren dramatisch steigen. Wir setzen uns daher für öffentlich geförderte Beschäftigung ein, die die öffentlich finanzierte Arbeitslosigkeit ersetzen soll. Die Landesgeschäftsstelle macht sich auf politischer Ebene für ein umfassendes Inklusionsverständnis stark. Wir setzen uns dafür ein, dass die Landesregierung die inklusive Gestaltung des Sozialraums stärker fördert und die Bedarfe von Menschen mit Behinderung – beispielsweise das Wunsch- und Wahlrecht – stärker berücksichtigt. Wir begleiten den Umbau der Strukturen der Behindertenhilfe und fordern Rahmenbedingungen mit ausreichenden Ressourcen. Wir m ahnen und fördern den öffentlichen Diskurs zu Themen wie Pränataldiagnostik unter ethischen versus wirtschaftlichen Aspekten. Pflege Gesellschaftliche Fragestellungen wie etwa in der Pflege – Was ist uns eine gute Pflege jetzt und in Zukunft wert? Wie wollen wir gepflegt werden? – haben die Landtagsenquete zur Situation der pflegerischen Versorgung im Land beschäftigt. Die Landesgeschäftsstelle hat die Arbeit der Enquete-Kommission durch die Teilnahme an Expertenhearings der Fraktionen und der Enquete-Kommission selbst unterstützt und den Landtagsabgeordneten wesentliche pflegepolitische Forderungen der Diakonie vermittelt: bessere Finanzierungsbedingungen, die Stärkung der Zusammenarbeit von Kommunen und kirchlich-diakonischen Trägern vor Ort sowie bessere Infomations- und Beratungsangebote vor Ort. Erfreulich ist, dass sich die meisten unserer Botschaften im Bericht der Enquete wiederfinden. Für die Umsetzung bietet die Diakonie Württemberg ihre Expertise an. Auf diakonisch-kirchlicher Ebene sorgt nach Abschluss des Projekts „Auf dem Weg zu einer inklusionsorientierten Arbeit in der Diakonie Württemberg“ im Herbst 2015 der landeskirchliche Aktionsplan „Inklusion leben“ für Nachhaltigkeit: Im Vorgängerprojekt begonnene Themen und Entwicklungen wie beispielsweise Barrierefreiheit und Beteiligung von Menschen mit Behinderungen setzen Diakonie und Landeskirche konsequent fort. Neben diakonischen Trägern gilt nun ein besonderes Augenmerk den rund 1.500 evangelischen Kirchengemeinden in Württemberg sowie allen kirchlichen Diensten und Werken. Oktober 2016 Oberkirchenrat Dieter Kaufmann Eva-Maria Armbruster Dr. Robert Bachert 11 Die Arbeit der Diakonie kommt gut an. Weil wir denen helfen, die Hilfe benötigen. Diakonische Arbeit würdigen und unterstützen – das ist der Kern der Woche der Diakonie. Damit gute diakonische Arbeit möglich ist, braucht es: engagierte Mitarbeitende, gute Arbeitsbedingungen, Qualifi zierung, Rechtssicherheit, (Re-) Finanzierung … Dafür setzen wir uns ein. Die Diakonie in Württemberg für 1.200 Einrichtungen, 40.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 35.000 Ehrenamtliche und 200.000 Menschen in Not – jeden Tag! Jahresbericht 2015 /2016 Strategische Verbandsentwicklung Auf dem Weg, Diakonie Württemberg D ie Diakonie Württemberg hat sich gemeinsam mit ihren Mitgliedern auf den Weg der strategischen Verbandsentwicklung gemacht. Ihr Anliegen ist es, Mitglieder, Mitarbeitende und hilfesuchende Menschen auch in Zukunft gut zu vertreten und zu bedienen. Dem zielgerichteten Entwicklungsprozess liegen die Ergebnisse einer Mitgliederbefragung zugrunde. Diese hat das Diakonische Werk im Frühjahr 2015 in Kooperation mit dem Institut für Changemanagement und Innovation der Hochschule Esslingen (CMI) durchgeführt. Das Ergebnis der Umfrage fasst die Vorstellungen der Mitglieder zur zukünftigen strategisch-strukturellen Ausrichtung des Diakonischen Werks Württemberg in seiner Rolle als Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege und zu seinen Angeboten und Leistungen zusammen. Es ist maßgeblich für die zukünftige Ausrichtung der Arbeit der Landesgeschäftsstelle sowie für die strategische Weiterentwicklung des Verbandes. Unterschiedliche Akteure – Resonanzgruppe, Verbandsrat, Präsidium, Vorstand, Abteilungsleitende, externe Partner – haben in einem umfassenden Beteiligungsprozess aus den Rückmeldungen Arbeitsfelder mit konkreten Zielen und Handlungsempfehlungen herausgearbeitet: Martin Kaulitz Abteilungsleiter Fonds- und Risikomanagement 14 1. Kleine/große Mitglieder 2.Innovation 3. Kooperation und Wettbewerb 4.Dienstleistungskonzept 5. Bearbeitung von Querschnittsthemen 6.Vernetzung 7. Stärkung der Fachverbände als Akteure 8. Unterstützung der Diakonie im Landkreis Maßnahmen, die wir bereits umsetzen kInformationskonzept kSanierung Herbert-Keller-Haus kArbeitsrecht Aus den Themenfeldern 1 bis 8 werden sich die strategischen Verbandsziele 2018 – 2023 ableiten; weitere Themenfelder sind parallel in der Umsetzung. 1. Kleine/große Mitglieder Es hat sich gezeigt, dass die Interessen von kleinen und großen Mitgliedern inhaltlich weitgehend übereinstimmend sind. Unterschiede bestehen bei den Erwartungen an die Rolle und Funktion des Verbandes. In einem Strategieforum kleiner und großer Mitglieder im Juli 2016 nahmen Mitgliedseinrichtungen mit umgerechnet mehr als 1.000 Vollzeitkräften, mit 200 bis 999 Vollzeitkräften, mit weniger als 200 Vollzeitkräften und Kreisdiakonieverbände teil. Sie formulierten ihre gemeinsamen und unterschiedlichen Interessen und Erwartungen an den Verband. Die jeweils fünf wichtigsten Interessen großer und kleiner Mitglieder sollen im Kontext der Aufgaben des Diakonischen Werks Württemberg nach § 1 der Satzung definiert und anerkannt sein. Sie sollen in ihren Konsequenzen für den Verband als Diakonisches Werk der Landeskirche mit seiner Anwaltschaftlichkeit, als Dienstleister und als Spitzenverband erarbeitet sein und in das Leistungsportfolio eingehen. Gerade unsere kleinen und mittelgro Instrumente und Beratungsange ßen Mitglieder sind für eine schnelle bote des Risikomanagements. Hilfe in kritischen wirtschaftlichen Chancen und Risiken neuer Ange- Situationen sehr dankbar. Die Beglei- bote zu erkennen und zu bewerten, tung bei I nvestitionsvorhaben und ist die Aufgabe unserer Mitglieder. Sanierungen ist eine u nserer Kern- Die Risiken schnell zu analysieren funktionen in der wirtschaftlichen und in Maßnahmen umzusetzen, ist Beratung – und kann das Überleben dann unser Job. Dabei halten wir von Trägern sicherstellen. es wie Albert Einstein: Probleme In den Fachverbänden und in den kann man niemals durch dieselbe Aufsichtsgremien großer und kleine- Denkweise lösen, durch die sie ent- rer Träger informieren wir über die standen sind. Martin Kaulitz 15 Jahresbericht 2015 /2016 Strategische Verbandsentwicklung In Zeiten von Informationsüberflutung und Spamming gewinnt die empfängerorientierte Kommunikation mit Stakeholdern an Bedeutung. Wer braucht wann was in welcher Form? Unser Ziel ist es, unterschiedliche Gruppen mit der für sie relevanten Information zu versorgen, mit ihnen im Dialog zu bleiben und mit neuen Mitgliedern, Mitarbeitenden, Multiplikatoren, … ins Gespräch zu kommen. Andrea Schlepper 2. Innovation 5. Bearbeitung von Querschnittsthemen Ab 2017 soll regelmäßig ein- bis zweimal jährlich ein Forum „Innovation und Strategie“ als Element der Vernetzungsstrukturen stattfinden. Bis Jahresende 2016 definiert das Diakonische Werk Württemberg drei bis fünf wesentliche fachlich-inhaltliche Querschnittsthemen für die Jahre 2018 bis 2023 und entwickelt die jeweils passenden Bearbeitungsformen – Permanentstruktur oder temporäre Struktur; z.B. Strategieausschuss, Lenkungsausschuss. Doppelstrukturen sind zu vermeiden bzw. abzubauen. 3. Kooperation und Wettbewerb Die Mitglieder wollen intensiver zusammenarbeiten. Dazu ist eine Handreichung zu erarbeiten, die insbesondere in Wettbewerbssituationen unterstützen soll. Entsprechende Strategien zur Konfliktbewältigung sind exemplarisch für drei Szenarien aufzuzeigen. 4. Dienstleistungskonzept Das Diakonische Werk Württemberg erstellt ein Dienstleistungskonzept, das den Dienstleistungsbegriff definiert und die verbandlichen Leistungen beschreibt, die in den Mitgliedsbeiträgen inkludiert sind, sowie die Dienstleistungen, die der Verband gegen Entgelt erbringt, die Leistungen in Projekten und die internen Dienstleistungen. 6. Vernetzung Der Verband ermittelt die Erwartungen der Mitglieder an Vernetzung und analysiert vorhandene und neue Vernetzungsformate auf Attraktivität, Wirksamkeit und Ressourcen. Er erarbeitet Empfehlungen für künftige Vernetzungsformate. 7. Stärkung der Fachverbände als Akteure Das Diakonische Werk entwickelt ein einheitliches Raster zur Evaluation der derzeitigen Fachverbandsarbeit. Es ermittelt fachverbandsspezifisch und fachverbands übergreifend den Weiterentwicklungsbedarf und legt einen Umsetzungsplan für 2018 vor. 8. Unterstützung der Diakonie im Landkreis Andrea Schlepper Abteilungsleiterin Presse und Kommunikation 16 Das Diakonische Werk Württemberg entwickelt mit der Diakonie im Landkreis ein Kriterienraster für die Machbarkeit und Wirksamkeit regionaler Dienstleistungen, Kommunikationsformate etc. Es erfolgt eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Die Prüfung von potenziellen Maßnahmen ist eine Querschnittsaufgabe bei allen konzeptionellen Entwicklungen im Rahmen der strategischen Ziele für die Jahre 2018 bis 2023. Aus dem Sanierungsprojekt ergeben sich geänderte finanzielle Rahmenbedingungen, die im Wirtschaftsplan 2017 berücksichtigt sind und sich auch in den nachfolgenden Wirtschaftsplänen abbilden müssen. Das betrifft auch die Wirtschaftsgüter, die wir als Konsequenz des Sanierungsprojektes neu schaffen. Ziel ist es, das Diakonische Werk in jeder Phase der Sanierung und darüber hinaus liquide zu halten. © Fotolia – crevis Manuela Wuttke Maßnahmen, die wir bereits umsetzen k Informationskonzept Ein differenziertes Konzept soll den heterogenen Informationsbedürfnissen der Mitglieder Rechnung tragen und die unterschiedlichen Informationskanäle anlass- und empfängerbezogen nutzen. Der notwendige Relaunch der bisherigen Plattformen Homepage/ Internet und Mitgliederbereich befindet sich in der Umsetzung und bezieht im Sinne des Gesamtkommunikationskonzepts des Diakonischen Werks das Intranet sowie verschiedene Social-Media- und Online-Kanäle ein. k Sanierung Herbert-Keller-Haus 2017 startet die Sanierung der Landesgeschäftsstelle. Die Finanzierung wurde im April 2016 mit dem Finanz ausschuss der Synode abgestimmt. Der Finanzausschuss hat beschlossen, die Gesamtsanierungskosten von 15 Millionen Euro mit 7,7 Millionen Euro zu bezuschussen. Dieser Beschluss ist unter anderem mit der Auflage verbunden, dass der Zuschuss gedeckelt ist. k Arbeitsrecht Die Kommission für Unternehmensfragen und Trägerpolitik einschließlich Tarifpolitik (KfU) benötigt eine Geschäftsstellenleitung. Damit dieses kostenneutral erfolgen kann, ist die Arbeitsstruktur des Justiziariats des Diakonischen Werks anzupassen. Manuela Wuttke Abteilungsleiterin Finanz- und Rechnungswesen Andrea Schlepper Abteilungsleiterin Presse und Kommunikation 17 Jahresbericht 2015 /2016 Personalmanagement Zur rechten Zeit am rechten Ort R und 50 Roadshow-Aktionen der Diakonie Württemberg und zahlreiche Messeauftritte mit einem neuen Standkonzept, welches ein Bewerbungspaket der Freiwilligendienste und der sozialen Berufsfelder mit Beteiligungsmöglichkeiten für diakonische Träger und Einrichtungen kombiniert, stehen beim Thema Nachwuchskräftegewinnung an vorderster Stelle. Neue Programme, die Personen mit Fluchthintergrund Möglichkeiten eröffnen, sind in der Erprobungsphase. Zusätzlich gibt es ein Sonderprogramm mit Flüchtlingsbezug, in welchem Personen mit Asylberechtigung oder Asylbewerbung aus unsicheren Herkunftsländern einen Bundesfreiwilligendienst absolvieren können. Damit nicht genug. Neben der Qualifizierung von Berufsbotschafterinnen und Berufsbotschaftern für Mitgliedseinrichtungen will der Verband lokale Recruiting Events und einen Bewerberpool entwickeln. Fachkräfte aus dem Ausland Das Themenfeld „Fachkräfte aus dem Ausland“ bearbeitet die Diakonie ebenfalls über das Projekt „vide terra“ und das Welcome Center Sozialwirtschaft. Und insgesamt 80 Auszubildende aus dem Kosovo haben ihre Altenpflegeausbildung in diakonischen Einrichtungen begonnen. Eine erfolgreiche Pflegeausbildung im Ausland ist nicht automatisch mit einer Jobchance in Deutschland verbunden. Die „vide-terra“-Anerkennungsqualifizierung für soziale Berufe bietet individuell abgestimmte Qualifizierungen für Pflegefachkräfte, die ihre Fachausbildung im Ausland erworben haben, die in Deutschland nicht vollständig anerkannt wurde. An mehreren Standorten in Baden-Württemberg werden Qualifizierungsbedarfe analysiert und die notwendigen, individuellen Bildungsschritte zur vollen Anerkennung geplant. Das einzige auf die Sozialbranche spezialisierte Wel come Center im Land hat bislang über 400 Unternehmen der Sozialwirtschaft sowie 300 internationale Fachkräfte beraten, begleitet und informiert. Unterstützung bieten die Fachleute bei der Anwerbung und Einstellung von eingewanderten Kompetenzträgern sowie dabei, Flüchtlinge für die Arbeit in der Sozialwirtschaft zu gewinnen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf Sandra Eischer Abteilungsleiterin Personalwesen, Organisation Lgst. 18 Mitarbeitende vereinbaren zunehmend berufliche mit familiärer Verantwortung für ältere Angehörige. Das Projekt „cum tempore“ entwickelt und vernetzt betriebliche und überbetriebliche Angebote für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Leitungskräfte werden in der Entwicklung und Implementierung von familiengerechten Strukturen unterstützt, Mitarbeitende können auf konkrete Angebote zurückgreifen – es erfolgt eine Ausweitung der regionalen Netzwerke. Fachkräftemangel in der Pflege Mit zwei Modellprojekten, die zur Nachahmung geeignet sind, hält die Diakonie Württemberg dagegen: Das 2015 gestartete Modellprojekt zur legalen Arbeitsmigration in der Altenpflege ist im September 2016 in die zweite Runde gegangen: Junge Kosovaren kommen nach Deutschland und machen eine Ausbildung zur Altenpflegefachkraft. Das neue Ausbildungsprojekt richtet sich an Flüchtlinge, die bereits in Deutschland sind und eine Ausbildung zur Pflegefachkraft absolvieren möchten. Beiden Projekten gemein ist die intensive Vorbereitung der angehenden Auszubildenden und die enge Zusammen arbeit mit den teilnehmenden diakonischen Trägern. Das beste Personal zur richtigen Zeit Systematisches Personalmanagement am richtigen Ort zur Verfügung zu Das Diakonische Werk Württemberg hat in Anlehnung an das Managementkonzept, die strategischen Ziele und seine Satzung gemeinsam mit den Mitarbeitenden Leitlinien für ein systematisches Personalmanagement entwickelt. Sie sind von dem Gedanken getragen, dass die Fachlichkeit, die Kompetenzen und die Gaben eines jeden Mitarbeitenden wesentlich zur Qualität diakonischer Arbeit und zur Erfüllung des diakonischen Auftrags beitragen. Sie verfolgen das Ziel, die Mitarbeitenden gemäß ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten zu fördern und zu begleiten. Damit gutes Personal kommt – und bleibt! haben – das klingt einfacher als es ist. Für den Verband und seine Mitglieder ein extrem wichtiges Thema. Im Personalmanagement steht das Thema Personalgewinnung unter verschiedenen Aspekten im Fokus. Sandra Eischer Sandra Eischer Abteilungsleiterin Personalwesen, Organisation Lgst. 19 Jahresbericht 2015 /2016 Nachwuchsgewinnung Heute auf der Schulbank – morgen in der Diakonie H eranwachsende sind engagiert, motiviert und an traditionellen Wer ten orientier t. Gleichzeitig sind sie sehr skeptisch bis misstrauisch gegenüber etablierten Organisationen wie Parteien, Kirchen und Gewerkschaften. Die jungen Menschen engagieren sich eher bei Umwelt- und Menschenrechtsinitiativen. Diese aktuellen Trends hat das Diakonische Werk Württemberg im Blick, wenn es darum geht, junge Menschen anzusprechen und für diakonische Aufgaben zu gewinnen. Die Landesgeschäftsstelle hat ihr Bildungsprogramm im Rahmen der Freiwilligendienste weiter entwickelt und eine Reihe von neuen Angeboten und Aktivitäten geschaffen. Sie hat ein attraktives pädagogisches Begleitprogramm für all die Freiwilligen etabliert, die abseits vom Schuljahresrhythmus ein- und aussteigen, die so genannten Flexigruppen. Die Jugendmarke „ranans-leben“ mit eigener Homepage, eigenem Facebookund Twitter-Kanal spricht die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf Augenhöhe an. Breit gefächerte Aktionen ergänzen das jugendspezifische Angebot: die Diakonie-Roadshow mit ihrem auffälligen Info-Mobil für soziale Berufe, Präsenztage auf Berufsinfomessen, die Wolfgang Hinz-Rommel Abteilungsleiter Freiwilliges Engagement 20 Ausbildung von Botschafterinnen und Botschaftern für Freiwilligendienste und soziale Berufe sowie konkrete Engagementprojekte im Rahmen von FSJ, FÖJ und Bundesfreiwilligendienst, der Jugenddiakoniepreis und die Auszeichnung als Ran-ans-Leben-Star. Die Resonanz in den Medien ist sehr positiv und hoch. Interessierte Freiwillige haben Möglichkeiten, sich für gesellschaftspolitische Themen konkret und aktiv einzusetzen. In Frühjahr 2016 beispielsweise führten sie eine öffentlichkeitswirksame Aktion unter dem Motto „Wohnungslosen eine Stimme geben!“ auf dem Stuttgarter Schlossplatz durch. Das Diakonische Werk entwickelt die Jugendkommunikation kontinuierlich und zielgerichtet weiter. Es geht darum, Jugendliche für diakonische Themen zu gewinnen, sie zu beteiligen und zu sozialem Tun zu ermuntern. Die Diakonie ist ein attraktiver Anbieter sowohl für interessante berufliche Perspektiven als auch für freiwilliges Engagement. Das gilt es zu vermitteln. Im Zuge des Online-Relaunchs des Diakonischen Werks Wür ttemberg stellt dieses ebenso den Online-Auftritt der Jugendmarke „ran-ans-leben“ auf den Prüfstand. Ziel ist es, die Generation Z und jünger über die Online-Kanäle einschließlich der sozialen Medien auch in Zukunft gut zu erreichen. Die wichtige Zielgruppe der Heranwachsenden erwartet kreative und beteiligungsorientierte Online-Angebote. Die Diakonie will ihres dahingehend weiterentwickeln, dass es gelingt, mit jungen Leuten direkt über diakonische und gesellschaftspolitische Themen zu kommunizieren, ethische und Glaubensfragen zu diskutieren und auf die Argumente der Jugendlichen einzugehen. Die Bildungsarbeit im Kontext der Freiwilligendienste, bei der die Teilnehmenden in die Aufbereitung von Themen aktiv eingebunden werden, ist Basis für ein neues Konzept. Wir wollen online wie offline in direkter geradliniger Kommunikation mit den jungen Leuten stehen. Dass wir dabei die ethischen Standards und Verhaltensregeln – die Etikette und im Internet die Netikette – einhalten, ist selbstredend. Auch in dieser Hinsicht wollen wir Vorbild sein und den Heranwachsenden Orientierung geben. Wolfgang Hinz-Rommel ehr Info M www.ran-ans-leben.de Der Kontakt von Kirche und Diakonie mit Jugendlichen konzentriert sich auf mehrere wichtige biografische Zeiträume. Von besonderer Bedeutung sind der Konfirmandenunterricht und die Sozialpraktika im Rahmen des Schulunterrichts. Aus beidem ergeben sich oft erste Gelegenheiten für ein Engagement. Die Jugendlichen erfahren etwas über soziale Problemlagen und erleben Selbstwirksamkeit. Mit ihrem Tun können sie konkret Hilfe leisten. Danach gehen diese Kontakte oft wieder verloren. Eine Herausforderung wird es sein, Übergänge zwischen verschiedenen Möglichkeiten des Engagements – vom Schulpraktikum über den Konfi-Unterricht zum Freiwilligendienst und darüber hinaus – zu ermöglichen. Dazu bauen und stabilisieren wir Brücken innerhalb der und in die diakonische Welt hinein. Wolfgang Hinz-Rommel Abteilungsleiter Freiwilliges Engagement 21 Jahresbericht 2015 /2016 Kirchliches Arbeitsrecht Alles, was Recht ist I m Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts erbringt die Landesgeschäftsstelle für ihre Mitglieder umfangreiche Informations-, Begleit- und Beratungsleistungen. Hinter den Kulissen bildet sie sämtliche Änderungen, die Auswirkungen auf das Entgelt der Mitarbeitenden haben, rechtzeitig in der zentralen Gehaltsabrechnung ab. Arbeitsrechtsregelungsgesetz Seit 1. November 2016 ist das neue Arbeitsrechtsregelungsgesetz (ARRG) in Kraft, das die Landessynode am 11. März 2016 beschlossen hat. Ein Novum im ARRG ist die Beteiligung der Gewerkschaften. Die koalitionsmäßige Beteiligung von Gewerkschaften und Mitarbeiterverbänden sowie der Arbeitskampfausschluss sind explizit ins neue Gesetz aufgenommen. Die Parteien bleiben auch im Streitfall im Gespräch und lösen Konflikte in einem neutralen und verbindlichen Schlichtungsverfahren. Die Rolle der Arbeitsrechtlichen Kommission Württemberg (AK) wurde gestärkt. Es ist ihre alleinige Aufgabe, die Arbeitsbedingungen festzulegen. Sie beschließt dazu die AVR Württemberg. Sollen andere kirchliche Arbeitsrechtsregelungen oder andere tarifliche Regelungen – beispielsweise der AVR DD oder der TVöD – zur Anwendung kommen, muss die AK zustimmen. Stimmt die AK nicht zu, bleibt der Weg über eine Schlichtung. Wer vor Inkrafttreten des neuen ARRG bereits die AVR DD angewendet hat, für den besteht Bestandsschutz. Und zwar für die sogenannten Direktanwender als auch für die Anwender der AVR-Wü Bücher III und IV, sofern sie eine Zusatz-Dienstvereinbarung nach § 36 a MVG Wü abgeschlossen haben. Für diese Anwender ist seit 1. November 2016 die Arbeitsrechtliche Kommission gemäß § 16 ARGG-EKD zuständig, d.h. die Bundeskommission. In diesen Fällen ist die AK Württemberg nicht zuständig. Mit dem neuen ARRG stärkt die Synode ebenfalls die Gesetzgebungshoheit der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, denn sie stimmt dem Arbeitsrechts regelungsgrundsätzegesetz der Evangelische Kirche Die diakonischen Dienstgeber begrüßen den Beschluss, da er ein klares Bekenntnis zum Dritten Weg ist, die Arbeitsrechtliche Kommission Württemberg (AK) stärkt und württembergische Besonderheiten individuell regelt, wenngleich wir bedauern, dass eine Zustimmung Uwe Rzadkowski Abteilungsleiter Justiziariat, Arbeits- und Sozialrecht 22 zum ARGG-EKD nicht erreicht werden konnte. Uwe Rzadkowski Tarifvertragsparteien bekennt sich klar zur endgültigen Abkop- © Fotolia – Syda Der aktuelle Tarifabschluss der pelung des alten BAT hinsichtlich der Eingruppierung und dient letztendlich zur einfacheren Handhabung in der Anwendung. Die Herausforderung wird nun die sinnvolle Einarbeitung in die württembergische Regelung und dessen Spezifikum in der Diakonie sein. Sascha Busch in Deutschland (ARGG-EKD) nicht zu. Das ARGG-EKD ist ein Rahmengesetz, das die Anforderungen regelt, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ergeben, gleichzeitig aber auch den Weg zur Anwendung der AVR DD öffnet. Tarif Sozial- und Erziehungsdienst für diakonische Beschäftigte Das für Tariffragen verantwortliche Gremium der diakonischen Dienstgeber in Württemberg – die Kommission für Unternehmensfragen und Trägerpolitik einschließlich Tarifpolitik (KfU) – hat sich Anfang 2016 grundsätzlich dafür ausgesprochen, die Tarifeinigung des Öffentlichen Dienstes für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) in die Arbeitsvertragsrichtlinien Württemberg zu übernehmen. Die Übernahme des SuE ist eine neue Grundlage für die Entgeltverhandlungen mit den Kostenträgern. Mitarbeitende – Erzieher, Sascha Busch Abteilungsleiter EDV-B eratung und D ienstleistungen, Zentrale G ehaltsabrechnungsstelle Heilpädagogen, Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, die in diakonischen Kindertagesstätten, stationären Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, Behinderteneinrichtungen, Arbeitslosen- und Wohnungslosenhilfeeinrichtungen und Beratungsstellen angestellt sind – können von neuen Zuordnungen zu Entgeltgruppen oder höheren Tabellenwerten und Zulagen profitieren. Das Diakonische Werk Württemberg hat im Vorfeld dieser Entscheidung umfangreich beraten und informiert und ist im Nachgang im Zuge der Anpassung der Regelungen der AVR-Württemberg tätig, beispielsweise hinsichtlich der Meister- und Technikerzulage. Arbeitsrechtliche Kommission Das Diakonische Werk Württemberg vertritt die Dienstgeber in Angelegenheiten, die gemeinsam mit der AK zu regeln sind. Das betrifft auch Schlichtungen oder die Begleitung von Sonderarbeitsausschüssen im Rahmen von Bestandssicherungsverfahren für diakonische Träger. Weitere Themen sind die Verwendung des Leistungsentgelts für Betriebliches Gesundheitsmanagement, die Anpassung der Praktikantenregelungen wegen des Mindestlohngesetzes oder die Regelung zum Jubiläumsgeld bei Altersteilzeit im Blockmodell. Uwe Rzadkowski Abteilungsleiter Justiziariat, Arbeits- und Sozialrecht 23 Sie kommen hoffentlich gut an. Weil sie Schutz und eine Perspektive finden. Integration ist ein Prozess, der seine Zeit, Verständnis, die Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen und die Zusammenarbeit vieler Akteure braucht. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nur dann gelingen kann, wenn wir das eine tun und das andere nicht lassen. Eva-Maria Armbruster Stellvertreterin des Vorstandsvorsitzenden Foto: Gabriele Freimüller, Arbeitskreis Asyl Schömberg Oberkirchenrat Dieter Kaufmann Vorstandsvorsitzender Jahresbericht 2015 /2016 Schwerpunkt Flucht und Integration Integration in die Gesellschaft braucht die Gesellschaft D ie Aufnahme von rund einer Million Flüchtlingen im letzten Jahr in Deutschland hat die gesamte Integrationsdebatte aktualisiert. Schnell wurde deutlich, dass „Willkommenskultur“ von Anfang an „Integrationskultur“ bedeuten muss. ten Gesellschaft. Integration ist hier verstanden als die messbare Teilhabe aller Menschen in einer Gesellschaft. Damit ist Integration nicht vorrangig eine persönliche Leistung von Individuen, sondern steht im Kontext politischer und struktureller Rahmenbedingungen. „Integration“ weckt unterschiedliche Bilder und Vorstellungen. Systematisch ist Integration in Deutschland ein Thema seit den 1970er Jahren. Die damalige Vorstellung von Integration als einseitiger Bewegung, die Integrationsleistungen auf der Seite der Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte verortet, prägt das Integrationsverständnis teilweise bis heute. Parallel hat sich mit dem Wandel im Selbstverständnis Deutschlands als Einwanderungsland seit den 2000er Jahren ein Paradigmenwechsel vollzogen: Integration wird heute als zweiseitiger, dynamischer Prozess über Generationen aufgefasst. Das Bild einer etablierten Gesellschaft, in die sich „die anderen“ integrieren müssen, verändert sich zu einem neuen Bild der integrier- Diakonische Träger, Kirchengemeinden und Kirchenbezirke bringen sich auf vielen Ebenen in die Beratung und Begleitung von Geflüchteten, in Netzwerke und Projekte sowie in die Lobbyarbeit und in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs ein. Das Diakonische Werk Württemberg unterstützt mit Fach- und Rechtsberatung, Fortbildung und kollegialem Austausch sowie mit themenspezifischen Handreichungen. Mit Stellungnahmen, Öffentlichkeitarbeit und der Vertretung in Gremien und Arbeitskreisen auf Landesund Bundesebene setzt sich die Landesgeschäftsstelle anwaltschaftlich für die Belange und Rechte von Flüchtlingen ein. Ohne das Engagement Ehrenamtlicher ist Integration heute weder denk- noch leistbar. Ehrenamtliche übernehmen Aufgaben von der Erstversorgung bis zur längerfristigen Begleitung. Sie können Einstellungen zu Flüchtlingen vor Ort positiv beeinflussen und stehen für eine offene und gerechtere Gesellschaft. Birgit Susanne Dinzinger Abteilungsleiterin Migration und Internationale Diakonie Ulrich Fellmeth A bteilungsleiter K inder, Jugend und Familie 26 Kirche und Diakonie leisten hier Unterstützung in vieler Hinsicht. Seit 2015 haben in Württemberg über 30 Koordinierungsstellen für die Unterstützung von Kirchengemeinden und die Begleitung und Qualifizierung von Ehrenamtlichen im Flüchtlingsbereich ihre Arbeit aufgenommen. Sie sind eingerichtet und finanziert durch Mittel der Landeskirche für die Flüchtlingsarbeit und verortet bei den Bezirks- und Kreisdiakoniestellen. Weitere Stellen sind im Aufbau. Die fachliche Begleitung der Mitarbeitenden übernimmt das Diakonische Werk Württemberg. „Eine Erkenntnis: die Dinge sind nicht so, wie sie sind, sondern so, wie wir sie sehen.“ Dieter Albert, Fachstelle Interkulturelle O rientierung Alb-Donau Die aktuelle Diskussion der Integration von geflüchteten Menschen bedeutet in ihrem Kern zuerst die Frage nach unseren Vorstellungen von Gesellschaft und wie wir die Vielfalt kultureller und reli giöser Traditionen leben und gestalten wollen. Birgit Susanne Dinzinger 27 Jahresbericht 2015 /2016 Schwerpunkt Flucht und Integration „Ich finde es unglaublich toll, wie ungebrochen das Engagement bei uns weitergeht!“ Angelika Eyrich, Diakonie Biberach Allein im Ausschnitt Sommer bis Herbst 2015 haben die Koordinierenden insgesamt 72 Fortbildungen mit über 1.500 Teilnehmenden angeboten und durchgeführt. Das Herzstück ehrenamtlichen Engagements ist die Begegnung. „Die Ehrenamtlichen beherrschen die Willkommenskultur mittlerweile von A bis Z. Jetzt heißt es teilhaben, in der Normalität ankommen.“ Michael Widmann, Diakonische Bezirksstelle Sulz Vom Asyl-Café und der Fahrradwerkstatt mit integriertem Verkehrstraining (Projekt „Rad und Tat“, Kreisdiakonieverband Ludwigsburg) über einen Mädchentreff mit dem Ziel, sich in einem geschützten Raum auszutauschen (Diakonie Schwenningen) bis zum innovativen Konzept eines gemeinsamen Einführungstages mit englischer Übersetzung für neue Ehrenamtliche und Flüchtlinge (Diakonieverband Reutlingen) gibt es zahlreiche Aktivitäten und Projekte von Ehrenamtlichen. Neben dem persönlichen Engagement braucht Inte gration politische Rahmenbedingungen und „entgegenkommende Strukturen“ (Mark Terkessidis) der Institutionen einer Gesellschaft. „Interkulturelle Orientierung und Öffnung“ gehört schon seit Mitte der 1990er Jahre zum Integrationsdiskurs. Die steigenden Flüchtlingszahlen machen sich auch hier bemerkbar und intensivieren Öffnungsprozesse. Vier Fachstellen des Diakonischen Werks unterstützen diakonische Dienste und Kirchengemeinden. Bedarfsabhängig gehören Seminare, Workshops, langfristige Prozessberatungen und Prozessbegleitung zum Angebot. 28 Ein Beispiel aus der Praxis: Der Kreisdiakonieverband (KDV) Ostalbkreis ist in der Verfahrens- und Sozialberatung in der Landeserstaufnahmestelle (LEA) Ellwangen tätig und arbeitet mit vielen Ehrenamtlichen zusammen. Der KDV bietet beispielsweise Schwangerschaftskonfliktberatung direkt in der LEA an. Geschäftsführerin Sylvia Caspari ist es wichtig, dass alle Mitarbeitenden des KDV über eine sensible Haltung und ein Grundwissen zu interkulturellen Fragestellungen verfügen. Die Leitlinien und Handlungsempfehlungen zur Interkulturellen Orientierung der Diakonie in Württemberg sind eine gute Basis dafür. „Wir brauchen multikulturelle Teams jetzt und in der Zukunft, das bedeutet auch die Öffnung bei der Frage der Religionszugehörigkeit. Wenn eine Muslima den diakonischen Auftrag mittragen kann, sollten wir diese Chance nutzen.“ Sylvia Caspari, Geschäftsführerin Kreisdiakonieverband Ostalbkreis Auch Kindertagesstätten sind wichtige Orte für die Integration von Kindern und Eltern. Themen wie Sprachförderung, interkulturelle Zusammenarbeit mit Eltern, vorurteilsbewusste Erziehung oder interreli giöser Dialog stehen auf der Tagesordnung. Unterstützung leisten auch hier die Fachstellen Interkulturelle Orientierung. Eine besondere Herausforderung ist das Thema Traumatisierung. Zusätzlich zu Wissen über Flucht, Asyl und Trauma braucht es Räume zur Reflexion und um Erfahrungen zu bearbeiten. Dazu helfen u. a. Übungen, die einen Perspektivenwechsel ermöglichen. Die Aufgaben, die mit der Aufnahme und Betreuung junger Flüchtlinge von unseren Einrichtungen der J ugendhilfe zu schultern sind, sind enorm. Fast alle Angebote und Plätze müssen sie neu gestalten und aufbauen. Neben den strukturellen Verfahren zu Betriebserlaubnis und Entgeltvereinbarungen stellen sich auch enorme pädagogische und interkulturelle Herausforderungen. Wir unterstützen in hohem Maße, weil wir darin eine Kernaufgabe der Diakonie sehen. Ulrich Fellmeth Jungen Flüchtlingen eine Perspektive geben Flucht und Vertreibung ziehen sich wie ein roter Faden durch die Bibel und die Geschichte. Von den heute rund 65 Millionen Flüchtlingen weltweit sind über die Hälfte jünger als 18 Jahre. Besonderen Schutz benötigen junge Menschen, die sich ohne Erwachsene auf den Weg machen (müssen), die unbegleiteten minderjährigen Ausländer (UMA). Baden-Württemberg muss nach der seit Ende 2015 geltenden bundesweiten Verteilungsregelung im Rahmen der Umverteilung rund 9.000 unbegleitete junge Flüchtlinge aufnehmen. Dafür mussten und müssen überwiegend neue Angebote und Unterkünfte geschaffen werden, unter anderem in diakonischen Häusern. Das Diakonische Werk Württemberg unterstützt seine Mitglieder dabei, diese Aufgabe zu lösen. Neben den einrichtungsbezogenen Beratungen bietet es regelmäßige Trägertreffen an. Das Kompetenzteam UMA erarbeitet Handreichungen und Materialien. Eine Projektgruppe der Landesgeschäftsstelle und des Evangelischen Fachverbands Kinder, Jugend und Familie erstellt Handreichungen zur praktischen Arbeit und Curricula zur Qualifizierung. Die Weiterbildungsangebote des Diakonischen Werks sind stark nachgefragt. Im Juli 2016 waren bereits elf Kurse mit insgesamt 200 Teilnehmenden abgeschlossen. Weitere Kurse sind ausgeschrieben. An der Betreuung unbegleiteter Minderjähriger beteiligen sich 45 diakonische Einrichtungen – überwiegend Einrichtungen der Jugendhilfe – an über 50 Standorten in 26 Stadt- und Landkreisen. Die Angebote umfassen Plätze zur vorläufigen Inobhutnahme, Hilfen zur Erziehung und Hilfen für junge Volljährige in Wohngruppen der Heimerziehung, des betreuten Jugendwohnens, in Jugendwohnheimen, Internaten und Gastfamilien. Die diakonische Jugendhilfe unterstützt ebenfalls Kinder und Jugendliche, die gemeinsam mit Familienangehörigen gekommen sind, sowie junge Erwachsene, die alleine auf der Flucht sind. Insgesamt erreichen die Einrichtungen der diakonischen Jugendhilfe in Württemberg bis Mitte 2016 etwa 5.000 junge Migranten und ihre Familien. Die Diakonie Württemberg ist beteiligt an der Steuerungsgruppe des Landes zur Versorgung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger Ausländer. Diese erarbeitete in Abstimmung mit den Ministerien, dem Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) und den Kommunalen Landesverbänden ein Eckpunktepapier, das das Kabinett freigegeben hat. Es legt Standards fest und formuliert Empfehlungen zur Aufnahme, Unterbringung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in der Zuständigkeit der Stadt- und Landkreise. Birgit Susanne Dinzinger Abteilungsleiterin Migration und Internationale Diakonie Ulrich Fellmeth Abteilungsleiter Kinder, Jugend und Familie 29 Jahresbericht 2015 /2016 Arbeitsmarktpolitik „Wir brauchen öffentlich geförderte Beschäftigung!“ D ie Zahl der Arbeitslosen sinkt; die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt! Seit Anfang 2011 sorgt die Diakonie Württemberg für mehr Transparenz in der Arbeitslosenstatistik, die die Bundesagentur für Arbeit monatlich herausgibt. Seit sechs Jahren blicken wir hinter die offiziellen Zahlen und machen deutlich, dass die Langzeitarbeitslosen zu den Verlierern unserer Gesellschaft gehören. Jeglicher Aufschwung am Arbeitsmarkt geht an ihnen vorbei. Und – die Bundesagentur spricht über Zahlen. Wir sprechen für Menschen. Die Diakonie Württemberg setzt sich gezielt für die Unterstützung und Teilhabe von Arbeitslosen ein. Arbeitslosigkeit ist die Hauptursache von Armut und Ausgrenzung. Das Referat Arbeitslosenhilfe des Verbands koordiniert rund 20 Träger, Unternehmen und Einrichtungen, in denen ca. 700 Beschäftigte Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen für ca. 3.500 Arbeitslose im Jahr anbieten. Die Träger dieser Maßnahmen sind im Fachverband Arbeitslosenhilfe organisiert. Auf der bundespolitischen Ebene sind die Initiativen des Diakonischen Werks und seines Fachverbandes insbesondere in der „Initiative Pro Arbeit“ sichtbar. Seit 2013 wirbt sie bundesweit und verbandsübergreifend für öffentlich geförderte Beschäftigung. Das Landesprogramm „Gute und sichere Arbeit“ für Baden- Württemberg hat die Landesgeschäftsstelle in seiner Entstehung und Umsetzung begleitet. Der zentrale Baustein dieses Programms „Sozialer Arbeitsmarkt / PAT“ geht auf die Ideen und Konzepte der Diakonie zurück. Der Grundgedanke des Passiv-Aktiv-Transfers (PAT) ist, dass alle Gelder, die für einen Langzeitarbeitslosen gezahlt werden (Arbeitslosengeld II, Unterkunftskosten etc.) das finanzielle Fundament für einen Beschäftigungsplatz bilden. Dazu addiert sich der Erlös, den der Beschäftigte erwirtschaftet. Die Summe ist in der Regel ausreichend für einen sozialversicherungspflichtigen Lohn. Mit dem landeskirchlichen Programm der Beschäftigungsgutscheine hat die Diakonie in Württemberg zusammen mit den Kirchengemeinden selber praktische Beispiele und Impulse für Arbeit als gesellschaftliche Teilhabe und als Brücke in den Arbeitsmarkt gegeben. 539 Beschäftigungsgutscheine bis Juni 2016 – das sind 539 konkrete Hilfen für Menschen, die Arbeit brauchen; 539 neue Kontakte und Beziehungen in den Kirchengemeinden; 539 Signale und Aufforderungen an die Politik, öffentlich geförderte Beschäftigung für Langzeitarbeitslose zu organisieren. Langzeitarbeitslos, Flüchtling, Mensch mit Behinderung, alleinerziehend – es gibt viele Gründe, weshalb Menschen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Hartz IV nimmt den Menschen die Thomas Stürmer Abteilungsleiter Landkreisund Kirchenbezirksdiakonie, Existenzsicherung 30 Hoffnung – über öffentlich geförderte Beschäftigung bieten wir Perspektive. Thomas Stürmer © iStock – t-lorien Vom Abstellgleis auf die Überholspur Nach langjähriger Arbeitslosigkeit endlich wieder gebraucht werden. Nicht nur Handlanger sein, sondern Verantwortung für ein Projekt tragen, das beflügelt. Gerade Menschen, denen nur wenige Jahre bis zum Renteneintritt fehlen, landen nach dem Verlust ihrer Arbeitsstelle oft auf dem Abstellgleis. Anders Frau L. – mit 62 Jahren startet sie beruflich wieder voll durch. Dank der Aktion 1+1 kann ihre Stelle langfristig abgesichert werden, die ohne diese Unterstützung gestrichen worden wäre. Für uns ist die Arbeit der Landesgeschäftsstelle insgesamt unverzichtbar. Insbesondere die diakonischen Beschäftigungs- und Qualifizierungsangebote. Seit ca. acht Jahren sind nahezu unverändert eine Million Menschen in Deutschland langzeitarbeitslos und auf Unterstützung angewiesen, um wieder Fuß zu fassen und einen Arbeitsplatz zu finden. Wir plädieren seit Jahren dafür, durch öffentlich geförderte Beschäftigung ausgegrenzten Menschen Teilhabe an Arbeit und Erwerbseinkommen zu ermöglichen. Das hat sich das Diakonische Werk Württemberg auf die Fahnen geschrieben. Ein besonderer Erfolg war es, über Beschäftigungsgutscheine Menschen neue Hoffnung und Perspektive zu geben. Hierfür gebührt dem Haus besonderer Dank. © Fotolia – Jörn Buchheim Wolfgang Sartorius, Vorstand Erlacher Höhe Über die Aktion 1+1 finanziert das Diakonische Werk Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Menschen, die sonst dauerhaft von Arbeitslosigkeit bedroht wären. Die Aktion 1+1 ist rein spendenfinanziert. Mit diesen und anderen Hilfen ist die Diakonie nahe bei den Menschen. Sie ist Kirche an der Seite der Armen. Sie ist gleichzeitig Mahnerin, Innovatorin und Impulsgeberin für Politik und Gesellschaft. Perspektive aufzeigen, Teilhabe statt Ausgrenzung finanzieren, (Langzeit-) Arbeitslosigkeit überwinden statt sie als Hauptursache von Armut verfestigen – das unterstützt den sozialen Frieden im Land. Das Diakonische Werk Württemberg hat sich mit weiteren Verbänden und Trägern in der „ag arbeit in Baden-Württemberg“ zusammengeschlossen. Das gemeinsame Ziel ist es, die politischen Impulse zur Bekämpfung des gesellschaftlichen Problems der Langzeitarbeitslosigkeit auf der Landesebene zu ergänzen und zu verstärken. Wir setzen uns für die Fortführung und Weiterentwicklung des Landesarbeitsmarktprogramms ein. Thomas Stürmer Abteilungsleiter Landkreis- und K irchenbezirksdiakonie, Existenzsicherung 31 Jahresbericht 2015 /2016 Pflege Für weiterhin gute Pflege D ie Rahmenbedingungen für die Pflege sind in Baden-Württemberg (noch) gut. Damit das so bleibt, besteht dringender politischer Handlungsbedarf. Die Verbesserung der Leistungen in der ambulanten und stationären Pflege ist nach wie vor eines der wichtigsten sozialpolitischen Themen von Land und Bund. Pflegestärkungsgesetz II als zentrales Reformvorhaben der Politik Die Bundesregierung brachte das Pflegestärkungsgesetz II auf den Weg, das eine umfassende Veränderung der Leistungsansprüche pflegebedürftiger Menschen mit sich bringen wird. Die konkreten Auswirkungen werden sich ab 2017 zeigen, wenn das Gesetz in der Praxis wirksam wird. Heute schon ist klar, dass es zu Leistungsverbesserungen für ambulant versorgte Menschen und wahrscheinlich zu reduzierten Leistungsansprüchen in der stationären Pflege kommen Johannes Kessler Abteilungsleiter Gesundheit, Alter, Pflege Adelheid Frank-Winter Abteilungsleiterin W irtschaftsberatung 32 wird. Damit wird die Regierungskoalition die nach wie vor steigende Nachfrage nach stationärer Pflege ausbremsen. Die Diakonie Württemberg hat die Leistungsansprüche konkret nachgerechnet und weist nach, dass Menschen, die eine niedrige Pflegebedürftigkeitsstufe haben werden, zukünftig – wenn sie in einem Heim versorgt werden müssen – benachteiligt sind. Deswegen kritisiert das Diakonische Werk diese politische Strategie, da die demografische Entwicklung zwangsläufig zu einer stärkeren Nachfrage von Pflegeheimplätzen führen wird. Diese steigende Nachfrage wird kurz- und mittelfristig nicht durch ambulante Pflegedienste kompensiert werden können. Mehr Zeit für die Pflege Heißt konkret: mehr Personal. Unter dem Motto „Mehr Zeit für die Pflege“ hat das Diakonische Werk im November 2015 eine Kundgebung für alle Leistungserbringerverbände im Land öffentlichkeitswirksam auf dem Stuttgarter Schlossplatz organisiert. Zentrale Forderung war die Verbesserung der Arbeitssituation in ambulanten Pflegediensten und in Pflegeheimen. Mehr als 1.000 Pflegekräfte und Verantwortliche bei den Trägern demonstrierten für „Mehr Zeit für die Pflege“. In den Rahmenvertragsverhandlungen plädierte der Verband für eine deutliche Anhebung des Personalschlüssels in Heimen. Diesen handeln Kostenträger und Pflegeheimträger aus, je nach konkreter Situation. Da eine Verbesserung auf dem Verhandlungsweg nicht zu erreichen war, riefen die Verbände der Leistungserbringer die Schiedsstelle nach SGB XI an. Mit Erfolg. Der Schiedsspruch von Dezember 2015 ermöglicht eine deutliche Erhöhung der Personalschlüssel zur Verbesserung der Pflegequalität. Das Diakonische Werk Württemberg begleitet die Verhandlungen mit den Kassen und den Sozialhilfeträgern durch viele Interventionen und Gespräche auf der landespolitischen Ebene. Was ist uns gute Pflege wert? Vor der Antwort können wir uns nicht drücken. Nur wenn wir gute Ausbildungsund Arbeitsbedingungen haben, werden Menschen in Pflegeberufen arbeiten können und wollen. Eine auskömmliche Refinanzierung ist dafür die Basis. Johannes Kessler Das Pflegestärkungsgesetz II bringt für die Pflegebedürftigen viele Verbesserungen. Für die Träger jedoch, insbesondere in der vollstationären P flege führen die Änderungen zu erheblichen Unsicherheiten sowohl im Hinblick auf deren künftige Finanzierung als auch auf die Entwicklung der künftigen Nachfrage. Es besteht der Eindruck, dass der Gesetzgeber nicht alle Auswirkungen der Regelungen zur Überleitung der Pflegesätze oder zum einrichtungseinheitlichen Eigenanteil im Vorhinein bedacht hat. Dies erschwert die Umsetzung. Adelheid Frank-Winter Die seit Jahren angespannte Finanzierungssituation in der Pflege wirkt sich direkt auf die Arbeitssituation in den Pflegeeinrichtungen aus. Obwohl sich viele Träger um eine hohe Arbeitsplatzqualität bemühen, können sie nicht verhindern, dass die Personaldecke immer zu knapp ist. Dies führt zu einer starken Arbeitsbelastung – vor allem bei Teilzeitbeschäftigten – und schmälert die Attraktivität des Pflegeberufs. Deswegen sorgen sich die diakonischen Träger darum, genügend qualifizierte, motivierte und belastbare Nachwuchskräfte zu finden. Diese werden dringend gebraucht, denn viele der jetzt aktiven Pflegekräfte sind über 50 Jahre alt und werden in einigen Jahren in den Ruhestand gehen. Verbesserung der Finanzierung stationärer Hospize Erfreulich ist, dass die stationären Hospize mit der Unterstützung der Landesgeschäftsstelle deutlich höhere Leistungsentgelte mit den Krankenkassen ausgehandelt haben. Grundlage dafür war ein im Jahr 2015 in Kraft getretenes „Hospiz- und Palliativgesetz“. Obwohl die Hospize nach wie vor auf Spenden angewiesen sind, hat sich ihre finanzielle Situation durch diese Verhandlungserfolge deutlich verbessert. Johannes Kessler Abteilungsleiter Gesundheit, Alter, Pflege Adelheid Frank-Winter Abteilungsleiterin W irtschaftsberatung 33 Jahresbericht 2015 /2016 Inklusion Inklusion – vom Projekt zum landeskirchlichen Aktionsplan Wir fördern Teilhabe von Menschen mit eingeschränkten Partizipationsmöglichkeiten V ielfalt leben heißt: Grundsätzlich sollen alle Menschen dieselben Möglichkeiten haben, am kirchlichen und gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt teilzunehmen und dieses mitzugestalten. Dafür stehen Kirche und Diakonie, dafür steht der landeskirchliche Aktionsplan „Inklusion leben“. Seit Jan uar 2016 gibt es dazu im Diakonischen Werk Württemberg die Geschäftsstelle mit Kooperationspartnern in Diakonie und Landeskirche wie etwa das Pädagogisch-Theologische Zentrum und der Evangelische Landesverband Kindertagesstätten. Der Aktionsplan will Kirchengemeinden, diako nischen Einrichtungen und kirchlichen Bildungsinsti tutionen Mut machen, vor Ort eigene – auch kleine – Schritte zu gehen und bietet insbesondere Kirchengemeinden praktische Unterstützung. Zum Beispiel bei der Gestaltung eines inklusiven Gottesdienstes, einer barrierefreien Jugendfreizeit oder eines Themenabends über Haltung gegenüber Menschen, die anders sind. Die Geschäftsstelle als Vernetzungsplattform berät, begleitet, unterstützt, betreibt Öffentlichkeitsarbeit, ein Wissensnetzwerk und koordiniert den Aktionsplan mit allen Beteiligten und Handlungsfeldern. Ein Fonds unterstützt Aktivitäten vor Ort. Bis zum Jahr 2020 soll so Inklusion als Querschnittsthema und Handlungsstrategie innerhalb von evangelischer Landeskirche und Diakonie fest verankert sein. Beispiele aus der Praxis zeigen, wo Inklusion bereits auf unterschiedlichen fachlichen Ebenen gelebt und bearbeitet wird. Mit dem Aktionsplan „Inklusion leben“ Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen angemessen und so gut wie möglich zu beteiligen, ist ein immer wichtigeres diakonisches Anliegen. Nur – wie geht „angemessen“ beteiligen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt? Mit welchen Schritten gelingt das? Welche Formen, Ideen und Erfahrungen gibt es dazu? Einen gangbaren Weg zeigt das Projekt „Alle beteiligen++“. Menschen mit Behinderung waren bei Planung, Training und Aufführung von Aktionen und Veranstaltungen im Sozialraum durchgängig beteiligt. Sie haben beispielsweise einen Kabarettabend gemeinsam mit Ehrenamtlichen gestaltet und durch ihr Mitwirken entscheidend geprägt. wollen Kirche und Diakonie vom Denken ins Tun kommen. Dafür bietet die Geschäftsstelle im Diakonischen Werk in den nächsten fünf Jahren Kirchengemeinden und diakonischen Einrichtungen vielfältige Unterstützung. Irene Kolb-Specht Behindertenhilfe/Psychiatrie: Sich beteiligen und als wirksam erleben Jugendhilfe: Auf dem Weg zu einem inklusiven Bildungssystem Irene Kolb-Specht Abteilungsleiterin Behindertenhilfe und Psychiatrie 34 Intensiv hat die Diakonie die Gesetzgebung für ein inklusives Schulgesetz in Baden-Württemberg begleitet. Diakonie und Schulwerk waren an der öffentlichen Anhörung beteiligt. Seitens des Vorstands wurden Vielfalt entdecken und leben mehrere Gespräche mit dem Kultusminister geführt. Die kooperativen Formen im Bereich der Schulen für Erziehungshilfe, die vor allem die diakonischen Träger in Württemberg vorangetrieben haben, sind im Gesetz ausreichend berücksichtigt. Damit kann der eingeleitete Übergang zur Inklusion in den nächsten Jahren fortgesetzt werden. Migration und Internationale Diakonie Inklusion richtet sich gegen alle Formen von Ausgrenzung, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe oder sexueller Orientierung. Inklusion betrifft insofern auch die Gruppe der Migranten und ihre Nachkommen. Erforderlich ist es, die bestehenden Barrieren, Diskriminierungen und Hürden zu erkennen und abzubauen. Ausgrenzung ist nicht nur in Strukturen zu finden. Sie zeigt sich auch in Haltungen. Diese aufzubrechen erfordert die Bereitschaft, die eigene Gruppenzugehörigkeit zu reflektieren. Hier setzt der Prozess der interkulturellen Orientierung und Öffnung an, der eine vielfältige Gesellschaft als Normalität betrachtet. Die Diakonie hat dafür die Leitlinien „Interkulturelle Orientierung als diakonische Qualität“ erarbeitet. Landkreis- und Bezirksdiakonie/Existenzsicherung: Fonds für Gemeinden Mit dem Projekt „Förderung teilhabeorientierter Gemeindearbeit“ unterstützt das Diakonische Werk Kirchengemeinden bis Ende 2017 mit einem Fonds. Gemeinden oder Kirchenbezirke, die beispielsweise einen Mittagstisch, eine Hausaufgabenhilfe oder einen Fahrdienst planen, erhalten bis zu 2.000 Euro. Im Fokus steht, von Ausgrenzung betroffenen Menschen Teilhabe möglich zu machen. Das Projekt im Rahmen des Reformationsjubiläums unterstützt insbesondere die Arbeit von Diakoniebeauftragten und diakonisch engagierten Ehrenamtlichen. Wolfram Keppler Geschäftsführung Aktionsplan Inklusion 35 Jahresbericht 2015 /2016 Pränataldiagnostik, Reproduktionsmedizin, Pua Pua-Fachstelle* Pua-Fachstelle – eine kritische Stimme von Kirche und Diakonie zu Pränataldiagnostik und Reproduktionsmedizin * Pua = pränatale Untersuchung und Aufklärung S eit fast 20 Jahren berät Pua werdende Eltern bei vorgeburtlichen Untersuchungen und macht auf die konfliktreichen Folgen des medizinischen Angebots aufmerksam. Pua ist fachkundige Gesprächspartnerin für eine interessierte Öffentlichkeit, beispielsweise in Kirchengemeinden, und engagiert sich in Netzwerken. Bis heute ist diese Fach- und Beratungsstelle ein württembergisches Alleinstellungsmerkmal unter den Evangelischen Landeskirchen. Seit 2012 ist die Leitungsstelle von Pua eine (bewegliche) Pfarrstelle. Die Landessynode hat diese Stelle im Frühjahr 2016 in die mittelfristige Finanzplanung aufgenommen und damit ihre Bedeutung als kritische Stimme von Kirche und Diakonie in Württemberg gestärkt. Pränataldiagnostik (PND) – ein brisantes Angebot Vorgebur tliche Untersuchungen, die gezielt nach Krankheiten und Behinderungen beim ungeborenen Kind suchen, sind Regelangebot in der Schwangerenvorsorge. Oft gehen die werdenden Eltern zu diesen Untersuchungen, ohne genau zu wissen, was diese entdecken können und was nicht – oder sie verdrängen es. Eine frühzeitige Beratung kann für das Paar eine Hilfe bei der Entscheidung sein, ob und welche Untersuchungen es nutzen will. „Vielen Dank für das einfühlsame Gespräch. Wir erwarten nun – meist freudig gespannt – die Geburt unseres Sohnes.“ Paar (Ende 30), rang nach einem Befund über eine Behinderung des Kindes um eine gemeinsame Entscheidung 36 Das Regelangebot bekommt eine besondere Tragweite durch die Schere zwischen Diagnostik und Therapie: PND kann zwar immer mehr diagnostizieren, aber nur weniges davon behandeln. Erst recht trifft das auf die genetischen Besonderheiten zu, nach denen PND vor allem sucht: Etwa beim Down-Syndrom – Trisomie 21 – ist das 21. Chromosom dreifach vorhanden. Eine Therapie dagegen existiert nicht. Daher ist bei einem solchen Befund der Schwangerschaftsabbruch die einzige Alternative zur Geburt eines behinderten Kindes – für das Paar eine oft kaum erträgliche Entscheidungssituation, in der professionelle Beratung wie die von Pua weiterhilft. PND – Erwartungsdruck der Gesellschaft Auf werdenden Eltern lastet ein sozialer Druck, PND zu nutzen. Verbunden mit der zunehmenden gesellschaftlichen Übereinkunft, dass Kinder mit Behinderung heute „nicht mehr sein müssen“. Ein behindertes Kind steht in der Logik der PND immer mehr für ein schuldhaftes Versäumnis der Eltern oder einen Kunstfehler des Arztes. Eltern eines behinderten Kindes bekommen das häufig zu hören und zu spüren. Darüber müssten wir reden… PND ist nicht nur für das einzelne Paar ein brisantes Thema, sondern auch für uns als Gesellschaft, die diese Angebotsstruktur vorhält, als Solidargemeinschaft (mit)finanziert und ihre Nutzung als vernünftig und verantwortlich deklariert. Wir müssten beispielsweise darüber reden – Pua stößt diese gesellschaftliche D iskussionen immer wieder an –, was wir uns mit einem medizinischen Fortschritt … einhandeln, durch den unter der Hand aus der Hoffnung auf ein gesundes Kind eine Pflicht zum gesunden Kind zu werden droht und der eine Schwangerschaft auf Probe als sozialen Standard nahelegt „Das Gespräch mit Ihnen hat mir geholfen, eine für mich gute Entscheidung zu treffen. Gut, dass es solche Stellen gibt.“ Klientin (43), schwanger mit ihrem ersten Kind, ihr Umfeld drängte sie zu vorgeburtlichen Untersuchungen „Solche Stellen wie Pua sind es, die mich trotz allem noch in der Kirche halten.“ Ärztin, vermittelte ihre Patientin nach einem Spätabbruch zu Pua … ob wir es gut heißen können, dass der genetische Bluttest auf Trisomie 21 eine Kassenleistung werden soll, obwohl lediglich der Befund festgestellt und keine Therapie, weil nicht existent, durchgeführt werden kann … dass private Firmen aus wirtschaftlichem Interesse Tests auf den Markt bringen können, die mit zentralen gesellschaftlichen Werten kollidieren, ohne dass es eine nennenswerte politische Debatte über die Folgen gibt. Pua leistet qualifizierte, ergebnisoffene, vertrauliche Beratung von Frauen, Paaren und Familien vor, während und nach vorgeburtlichen Untersuchungen, nach der Geburt des Kindes oder bei einem Schwangerschaftsabbruch und in der Trauer um ihr verlorenes Kind. Fachberatung von Fachkräften verschiedener Handlungsfelder differenzierte Information und Aufklärung über Pränataldiagnostik und Reproduktionsmedizin, beispielsweise Pua – die mutige H ebamme (2. Mo 1,15) Hebamme im Alten Testament, die sich aus Gottesfurcht dem Befehl des Pharaos widersetzte, männliche hebräische Babys bei der Geburtshilfe sterben zu lassen. – im Unterricht in allgemeinbildenden Schulen oder Fachschulen – in Vorträgen, beispielsweise in Kirchengemeinden – in Fachtagungen und Seminaren – d urch Pressearbeit, Stellungnahmen oder Informationsbriefe zu aktuellen Themen Claudia Heinkel Pua-Fachstelle ehr Info M www.diakonie-wuerttemberg.de/pua 37 Jahresbericht 2015 /2016 Theologie, Bildung und Ethik Mit schwierigen Situationen besser fertig werden N ach dem Besten suchen. So kann man in Anlehnung an Jeremia 29,7 den diakonischen Auftrag beschreiben. Nach dem Besten suchen – für die Stadt, die Gemeinde, die ganze Gesellschaft, auch für den einzelnen Menschen, für Klienten und Mitarbeitende. Nur – was ist das Beste? Diese Grundfrage der Ethik lässt sich selten eindeutig beantworten. Vermeintlich einfache Antworten sind gefährlich, weil sie unter Umständen dem einzelnen Menschen in seiner komplexen Situation nicht gerecht werden. Nicht weniger problematisch ist es freilich, die Frage nach dem Besten gar nicht mehr zu stellen. Bildung verstehen wir als gemeinsames Bemühen, dieser Frage nach dem Besten unentwegt und gezielt nachzugehen. Theoretisch und praktisch. Stets so, dass Theorie Praxis aufgreift, reflektiert und auf erneute Praxis zielt. „Die Ethikberatung entlastet die Mitarbeiter psychisch. Sie haben erfahren, dass sie mit den Problemen nicht allein sind.“ Anette Jaki, Pflegedienstleitung In diesem Sinne gestalten wir unsere Bildungsarbeit für Leitungspersonen und Mitarbeitende diakonischer Einrichtungen: Sie beinhaltet ethische Reflexion und zielt auf eine diakonisch verantwortete Praxis. Dazu ist immer wieder die Basis zu klären, auf der wir das Dr. Joachim Rückle Abteilungsleiter Theologie und Bildung 38 tun. Welches Bild vom Menschen haben wir? Welches Bild von einer guten Gesellschaft? Und wie verbindet sich das mit unserem christlichen Glauben und unserer christlichen Tradition? „Der Führungskräftetag Ethik hat mir ein Stück Glauben an den Sinn meiner Arbeit zurückgegeben.“ Roland Holunder, Heimleitung In unseren stark nachgefragten Kursen zu den Grundlagen diakonischer Arbeit geschieht genau das. Für viele Teilnehmende ist es wichtig und motivierend, die gemeinsame Basis unserer diakonischen Arbeit zu entdecken und darüber reden zu können. Derzeit entwickeln wir für Führungskräfte ein neues Konzept der Fortbildung „Diakonie kompakt“. Es soll Entscheidungsträger in der Diakonie unterstützen, Entscheidungen und ihr Zustandekommen zu reflektieren und im Rückbezug auf das eigene diakonische Leitbild zu begründen. „Das Projekt hilft uns, gute, menschenwürdige Versorgung zu sichern und entlastet Mitarbeiter und Angehörige.“ Isabell Löhr und Birgit Frey, Diakoniestation Fellbach Im Projekt Ethikberatung in der Altenhilfe, das zwei Jahre bis Juli 2016 lief, haben wir deshalb die Führungskräfte eingebunden. Projektziel war es, ethische Fallbesprechungen in der ambulanten und stationären Altenhilfe wirkungsvoll und nachhaltig einzuführen. Zwölf Dienste und Einrichtungen waren beteiligt, 24 Ethikmoderatoren wurden qualifiziert. Die Teams nehmen ethische Fragestellungen in den Blick und suchen tragbare Lösungen für hilfe- und pflegebedürftige Menschen und für Mitarbeitende. Die Erfahrung ist durchweg: Auch wenn es oft keine leichten und eindeutigen Antworten gibt, hilft das gemeinsame Nachdenken, „Es geht im Sinne einer ethischen Grundhaltung darum, ein Sensorium zu entwickeln für das, was in einer bestimmten Situation den Beteiligten zum Besten dient. Ethik wird damit zu einem entscheidenden Faktor für die Qualität diakonischer Arbeit.“ Dr. Joachim Rückle Aufbauend auf diesen Erfahrungen und vielen Gesprächen entstand das Konzept „Wissen Was Tun“. Es zielt darauf durch Einführung von Ethikberatung die ethische Reflexion insgesamt zu stärken. Es lenkt den Blick auf das Ziel ethischer Reflexion: wissen, was zu tun gut ist. Nicht im Sinne von richtig und falsch, sondern im Blick darauf, was die Lebenssituation von Menschen verbessern kann. Ethik ist aber nicht nur in der Pflege ein wichtiges Thema. Auch für die Hauswirtschaft und für die Beschäftigung internationaler Fachkräfte haben wir ethische Standards formuliert. Und am Fachtag Ethik im September 2016 haben Vertreter aus der Jugendhilfe, Behindertenhilfe, Sozialpsychiatrie und Migration grundsätzlich und an konkreten Beispielen über das Verhältnis von Selbstbestimmung und Fürsorge nachgedacht. „Mitarbeiter öffnen ihren Blick für die anderen Disziplinen. Verständnis, Füreinander und Miteinander werden gestärkt.“ Ethische Reflexion bedeutet, genau hinzuschauen und hinzuhören, aufeinander zu hören und voneinander zu lernen. Dr. Joachim Rückle Abteilungsleiter Theologie und Bildung Dorothea Kaupp, Seniorenzentrum Steinenbronn mit schwierigen Situationen besser fertig zu werden. Gemeinsam zu klären, was das Beste in einer bestimmten Situation ist, wenn zum Beispiel jemand die Behandlung oder die Nahrungsaufnahme verweigert. Ethikberatung bringt Klarheit, entlastet den Einzelnen und spornt an, das Beste tatsächlich anzugehen. Von positiven Effekten der Ethikberatung auf die Zusammenarbeit im Team und mit Vorgesetzten berichteten mehrere Teilnehmende. Ethikberatung dient dem Wohl der betreuten und der betreuenden Menschen, sorgt für positive Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und stärkt die diakonische Identität von Mitarbeitenden. 39 Jahresbericht 2015 /2016 Evangelisches Schulwerk Baden und Wür ttemberg Bildung kommt gut an D Strukturelle Veränderungen in der Bildungslandschaft as Evangelische Schulwerk betreut für Kirche und Diakonie mehr als 200 allgemeine und berufliche Schulen und Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren. Es agiert auf politischer und ganz praktischer Ebene, damit die Existenz der Bildungsstätten gesichert ist und rund 25.000 Schüler, Auszubildende und Lehrkräfte gut an ihrem Ziel ankommen: ihre Schul-, Aus- und Weiterbildung mit Erfolg abzuschließen. Zahlreiche Veränderungen im Bildungswesen durch gesetzliche und untergesetzliche Regelungen stellten unsere Schulen vor große Herausforderungen: die „Weiterentwicklung der Realschulen“ mit der Pflicht, zusätzlich einen Hauptschulabschluss anzubieten und die Kinder adäquat zu fördern, die gesetzliche Verankerung der Ganztages-Grundschule, die Auswirkungen des kommenden Pflegeberufegesetzes, der neue Bildungsplan, die Veränderungen im Bereich frühkindlicher Bildung, die neue Entgeltordnung und viele andere. In Gesprächen, pädagogischen Tagen, Fachtagen und Informationsveranstaltungen hat das Schulwerk seine Mitgliedsschulen in der Anpassung an diese Veränderungen beraten oder zur Nutzung der Privatschulfreiheit ermutigt. Das Evangelische Schulwerk arbeitet an Schulentwicklungsmodellen und sichert die Qualität evangelischer Bildung durch Evaluation. Evangelische Schulen waren Vorreiter in der Entwicklung zu inklusiven Schulen. Im Projekt „Inklusionsorientierte Schulentwicklung“ hat das Schulwerk sie begleitet. Es bietet die Plattform zur Vernetzung der Schulen, ermöglicht einen regen Erfahrungsaustausch und berät die Schulen. Seit 2015/2016 ist Inklusion im Schul- und Privatschulgesetz verankert. Das Schulwerk arbeitet in verschiedenen Gremien mit, die den Gesetzgebungsprozess begleitet und Stellungnahmen formuliert haben. Noch ist die Finanzierung für Kinder mit sonderpädagogischem Bildungsanspruch in allgemeinen Schulen nicht ausreichend und die Öffnung von Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) nur in sehr begrenztem Umfang möglich. Über die Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen bringt das Evangelische Schulwerk die Forderungen und Bedarfe seiner Schulen ein. Ein SBBZ war mit Unterstützung durch das Schulwerk in der Lage, eine Gemeinschaftsschule zu gründen, die es ihm ermöglicht, Kinder ohne sonderpädagogischen Bildungsanspruch aufzunehmen. 40 © Grundschule Eschenau Inklusion Nachqualifizierung von Lehrkräften Da die Ministerien die strikte Einhaltung der Zwei-Drittel-Quote einfordern, kamen viele Träger im Bereich beruflicher Bildung in Schwierigkeiten. Das Schulwerk hat einen Kurs zur pädagogischen Nachqualifizierung eingerichtet. Silke Groß über ihre Erfahrungen: „In den Fachschulen für Sozialpädagogik wird eine Zwei-Drittel-Quote an Lehrenden gefordert, die ein zweites Staatsexamen für ihr Unterrichtsfach vorweisen können. In Zusammenarbeit mit dem Kultusministerium hat das Schulwerk ein Curriculum erarbeitet und eine Nachqualifizierung angeboten. Über diesen Einsatz des Evangelischen Schulwerks bin ich sehr froh, weil auch ich diese Qualifizierungen brauche, um als stellvertretende Schulleitung an der Fachschule zur Quote zu zählen. Besonders profitiert habe ich von den gegenseitigen Unterrichtsbesuchen der Kolleginnen und Kollegen der Qualifizierung und des Schulwerks, das mir wertvolle Impulse für einen qualitativ hochwertigen Unterricht mitgaben.“ Silke Groß-Kochendörfer Stellvertretende Schulleiterin in der Fachschule für Sozialpädagogik und im Berufskolleg für Praktikantinnen und Praktikanten Ludwig Schlaich Akademie Urteil des Staatsgerichtshofs Der Staatsgerichtshof – inzwischen Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg – hat in seinem Urteil vom 8. Juni 2015 die Privatschulfinanzierung für nicht verfassungskonform erklärt. Eine Arbeitsgruppe der Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen erarbeitet mithilfe eines juristischen Gutachtens die gemeinsame Position der Privatschulverbände, um damit in Verhandlungen mit dem Kultusministerium einzutreten. Ziel des Schulwerks ist es, durch politische Lobbyarbeit eine optimale Lösung für seine Schulen zu erreichen. Eckhard Geier Geschäftsführer Evangelisches Schulwerk 41 Sie kommen gut an. Weil sie teilhaben und Menschen sie respektieren. Ob arbeitslos, mit Behinderung, (sucht-)krank, überschuldet – für Ausgrenzung gibt es viele Gründe. Ausgrenzung überwinden und Teilhabe ermöglichen sichert den sozialen Frieden. Das ist diakonisch und wirtschaftlich sinnvoll. Für eine gute Gesellschaft für alle. Foto: Gabriele Freimüller, Arbeitskreis Asyl Schömberg Dr. Robert Bachert Finanzvorstand www.diakonie-wuerttemberg.de
© Copyright 2024 ExpyDoc